4-Phasen-KI-Workshop: Verstehen, Erkunden, Reflektieren, Gestalten

Am Freitag habe ich einen KI-Workshop mit Sprachanimateuer*innen des Deutsch-Französischen Jugendwerks gestaltet. Ich finde, dass es in diesem Workshop sehr gut geklappt hat, zu einer umfassenden Betrachtung von KI (= nicht nur Werkzeug, sondern auch Lerngegenstand) zu kommen. Dazu habe ich den Workshop grob in vier Phasen unterteilt: Verstehen, Erkunden, Reflektieren und Gestalten. Wenn Du Ähnliches erreichen möchtest, dann kann die folgende Darstellung dir vielleicht hilfreiche Anregungen geben. Für die beteiligten Kolleg*innen dient der Blogbeitrag zugleich als Dokumentation.

Phase 1: Verstehen

Das Ziel der ersten Phase war es, dass alle ein grundsätzliches Verständnis zum Thema Künstliche Intelligenz (KI) erhielten. Wir haben dazu zunächst einen (leicht angepassten) KI-Kennenlernkartentausch gestaltet, um Vorerfahrungen zu aktivieren und alle in das Thema reinzuholen. Anschließend habe ich eine kurze Gegenstände-Präsentation mit einem Zauberhut, einem Papagei, einem Würfel und einer Zitrone gemacht:

  • Zauberhut: KI ist ein gesellschaftliches Narrativ, nicht treffende technische Beschreibung. Oft wird KI im Diskurs mystifiziert, was einer pädagogischen Auseinandersetzung damit nicht förderlich ist. Es gilt deshalb immer, die menschliche Gestaltung der Technologie in den Fokus zu nehmen.
  • Papagei und Würfel: Bei generativer KI geht es im Kern um Wahrscheinlichkeitsberechnungen auf Basis von riesigen Datenmengen. Auf einen Prompt hin wird ein Output generiert, der aller Wahrscheinlichkeit nach am besten passend ist. (Dieses Prinzip haben wir direkt auch mit Kritzeleien beim Tool Autodraw erkundet)
  • Zitrone: Für Nutzende und auch für Programmierer*innen selbst ist es nicht immer klar, wie die Software genau zu Entscheidungen kommt (= ‚Black Box‘). Ein bisschen ist es vielleicht vergleichbar mit dem Suppe kochen: Wenn ich in eine Suppe mit vielen Zutaten eine weitere Zutat reingebe, z.B. einen Teelöffel Zitronensaft, dann kann es sein, dass ein sehr anderer Geschmack entsteht, als zuvor. Was da genau an Verbindungen im Topf entwickelt wurde, weiß ich aber nicht.

Phase 2: Erkunden

Um zu einer sinnvollen Einordnung von KI für sich selbst zu kommen, ist es wichtig, so etwas auch direkt für sich auszuprobieren. Wir haben hier ChatGPT ausprobiert, weil es das Tool ist, das aktuell am meisten diskutiert wird bzw. mit dem die aktuelle KI-Debatte sehr stark ihren Ausgangspunkt nahm.

Ich bin so vorgegangen, dass wir zunächst Kleingruppen gebildet haben, in denen möglichst Menschen noch ganz ohne Vorerfahrungen mit Menschen, die schon ein bisschen erkundet haben, gemischt waren. Dann haben wir uns Zeit für eine Digital Sandbox Time genommen.

Das hier waren die Aufgaben:

  1. Installiert Euch die ChatGPT App auf Eurem Smartphone und registriert Euch für einen kostenfreien Account, falls noch nicht geschehen.
  2. Geht mit dem Chatbot in Interaktion und probiert dabei unterschiedliche Möglichkeiten aus:
    • Wie gut kann der Bot Deutsch und wie gut Französisch?
    • Wie hilfreich sind seine Empfehlungen oder Antworten für Euren Kontext? (Beispiele: Kann der Bot ‚Sprachanimation‘ definieren? Kann er Euch 10 Ideen generieren, die ihr als Kennenlernübung verwenden könntet? Kann er Euch per Spracheingabe verstehen und richtig antworten? …)
    • Wo erkennt ihr beim Chatten mögliche Grenzen? (Testet z.B. Scherzfragen, Wortspiele, kulturell-spezifische Ausdrücke …)
  3. Jede Person der Gruppe hält für sich individuell zum Abschluss ein ‚Wow!‘ (= das fand ich richtig cool/ beeindruckend, spannend …) und ein ‚Ach nö!‘ (= das hat mich enttäuscht, das hat nicht funktioniert, das fand ich problematisch …) fest.

Die Notizen zu Aufgabe 3 haben wir dann in einem offenen Austausch geteilt.

Phase 3: Reflektieren

Ohne weitere Intervention würde man von solch einer Erkundung direkt ins Entwickeln und Gestalten übergehen. Damit wäre allerdings wahrscheinlich ein fast alleiniger Fokus auf KI als Werkzeug gesetzt. Ich habe mich stattdessen für eine Reflexionsphase entschieden, in der ich Aspekte, zu denen man im Interesse digitaler Mündigkeit im pädagogischen Kontext einen bewussten Umgang finden muss, in die Gruppe zur Diskussion gegeben haben. Das habe ich in Form von vier Aussagen gemacht:

  1. KI ist zu großen Teilen Marketing. Es entstehen sehr schnell immer neue Tools. Viele davon sind nur kurzfristig in einer kostenfreien Basis-Version verfügbar. Generell gilt: Mit Geld lässt sich eine bessere KI kaufen!
  2. KI verleitet Lernende zu Abkürzungen und lässt sie vor allem das Lernen von Fremdsprachen hinterfragen. (Beispiel: Wozu sollte ich noch eine Fremdsprache lernen, wenn Chat GPT auch direkt alles übersetzen kann? Wieso sollte ich Vokabeln pauken, wenn ich sie auf Knopfdruck übersetzt bekomme?)
  3. KI reproduziert die Vergangenheit und damit auch die in der Gesellschaft bis jetzt bestehenden Stereotype und Vorurteile. Das gilt auch in kultureller Hinsicht. Die Datenbasis sind vor allem Texte auf Englisch mit der kulturellen Prägung des Westens, die dann jeweils in die angeforderten Zielsprachen übersetzt werden.
  4. Bei der Nutzung von Chatbots wie Chat GPT gestalten wir die dahinter liegenden Sprachmodelle mit. Jede Eingabe wird zum weiteren Training des Modells genutzt. Die Realisierung digitaler Mündigkeit ist vor allem bei persönlichen Daten und bei der Nutzung durch Minderjährige vor diesem Hintergrund sehr herausfordernd. Insgesamt sind die Sprachmodelle nicht demokratisch gestaltet. Weder die verwendete Datenbasis noch die angewandten Filtermechanismen sind transparent.

Zu jeder Aussage gab es drei Leitfragen (orientiert an der ‚What? So What? Now What?‘-Methode der Liberating Structures)

  • Was ist mit der Aussage genau gemeint?
  • Warum könnte das für uns relevant sein?
  • Wie können wir damit umgehen?

Die Lernenden haben zur Reflexion vier Gruppen gebildet. Jede Gruppe hatte eine Aussage zur Reflexion. Nach 5 Minuten lief je eine Person aus jeder Gruppe im Uhrzeigersinn weiter, erzählte, was bisher reflektiert wurde und fragte nach Ergänzungen. Dann lief eine andere Person weiter. So wanderten alle Zettel einmal im Kreis und alle setzten sich mit allen Aussagen auseinander.

(Ich mag an dieser Methode übrigens vor allem die Frage ‚Wie können wir damit umgehen?‘, weil die Reflexion dann nicht abstrakt bleibt.)

Phase 4: Gestalten

Auf Basis des Verstehens, der Erkundung und der Reflexion kam dann die vierte Phase des Gestaltens. Hier war die Aufgabe in Kleingruppen, sich konkrete Einsatzmöglichkeiten für KI in der Sprachanimation zu überlegen. Verteilt wurde dazu eine ‚Inspirationsdusche‘ mit mehreren Anregungen, die an sich in der Gruppe zunächst ansehen und gerne auch direkt erkunden konnte.

Die Aufgabe in den Kleingruppen war es, bis zu 5 konkrete Vorschläge zu entwickeln und auf Karten zu notieren, was man davon in der Sprachanimation nutzen könnte bzw. was man auch ganz anders gestalten könnte.

Die entwickelten Ideen haben wir zunächst mit einem ‚Gruppenpuzzle‘ noch weiter qualifiziert und dann als ‚Gallery Walk auf dem Boden‘ angesehen, wobei weiterer Austausch möglich war.

Fazit

In der abschließenden Blitzlicht-Runde hielten mehrere Teilnehmer*innen für sich fest, dass sie das Thema KI für sich vor allem auch als eine medienpädagogische Herausforderung einordnen würden. Das hat mich sehr gefreut.

Insgesamt hat die Durchführung viel Freude gemacht, was vor allem auch an einer sehr motivierten und diskussionsfreudigen Gruppe lag. Ich habe für mich wieder einmal festgestellt, wie schön es ist, mit Gruppen zu arbeiten, bei denen die Teilnehmenden sehr unterschiedliche Hintergründe haben. Und richtig cool fand ich, die zweisprachige Kommunikation unter den Teilnehmenden :-)

Danke an die Kolleg*innen vom Deutsch-Französischen Jugendwerk für die gute Zusammenarbeit. Ich wünsche viel Erfolg bei den weiteren Überlegungen dazu.

Wenn du etwas von den hier vorgestellten Methoden ausprobieren oder Materialien weiternutzen willst, dann wünsche ich dir damit viel Freude! Ein abschließender Hinweis dazu zur Einordnung: Weniger Raum hatte in diesem Workshop die Betrachtung von KI als Impuls zur Veränderung der Lernkultur. Das lag vor allem daran, dass die Kolleg*innen in der Sprachanimation ohnehin schon immer einen sehr offenen und selbstbestimmten Ansatz des Lernens verfolgen. Deshalb stand dieser Aspekt hier nicht im Fokus.


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