Teilnehmenden-Vielfalt als Workshop-Grundlage

Ich bin auf der Rückfahrt vom OERcamp. An Tag 1 habe ich dort einen knapp vierstündigen Intensiv-Workshop zum Einstieg in das Thema Open Educational Resources (OER) vor allem aus der Perspektive der Erwachsenenbildung angeboten. Ich war sehr gespannt darauf, wie er klappt, weil ich mich entschieden hatte, ihn etwas anders anzugehen, als ich es sonst bei diesem Thema mache. Da ich jetzt im Rückblick insgesamt sehr zufrieden bin, teile ich mein Konzept hier. Vielleicht kannst Du davon etwas für dich weiternutzen. Für die Teilnehmer*innen des Workshops ist der Blogbeitrag zugleich Teil der Dokumentation.

Worin lag die Herausforderung bei dem Workshop?

Ich habe oben bereits geschrieben, dass der Workshop eigentlich als Einstiegsworkshop in das Thema OER gedacht war. Da es aber beim OERcamp zugleich der einzige Workshop war, der sehr explizit die Erwachsenenbildung adressierte, haben sich viele auch angemeldet, weil sie in diesem Bereich Vernetzung suchten, obwohl sie schon Expert*innenwissen zu OER mitbrachten. Zu dieser Vielfalt in den Vorkenntnissen kam noch die im Erwachsenenbildungskontext ohnehin vorhandene große Vielfalt an Hintergründen, Organisationen und Themenschwerpunkten.

Wie bin ich in der Konzeption vorgegangen?

Ich habe länger darüber nachgedacht, wie ich mit der Vielfalt umgehen und den Workshop konzipieren soll. Schließlich kam ich auf die eigentlich sehr naheliegende Lösung, genau diese Vielfalt als Stärke zu verstehen und zur Grundlage der Konzeption zu machen. Das führte zu den folgenden Gestaltungselementen:

  • Ich wollte möglichst wenig selbst erklären, sondern Peer-to-Peer Lernen und damit zugleich Vernetzung ermöglichen.
  • Mir war klar, dass ich ein gutes Angebot zur Vertiefung und zum Nachlesen zu den Grundlagen von OER anbieten muss, damit gerade Einsteiger*innen gut mitgenommen werden, weil es für sie sehr beruhigend ist, zu wissen, dass sie – auch wenn es erstmal sehr viele Informationen sind – alles später gut nachlesen können. Das habe ich mit der begleitenden Website OERwachsenenbildung realisiert.
  • Ich wollte zeitliche Flexibilität bieten und Menschen, die weniger praktisches Training (z.B. Wie schreibe ich einen Lizenzhinweis?) benötigen, eine längere Pause bieten, die sie für Gespräche und weiteren Austausch nutzen konnten.
  • Ich wollte die Teilnehmer*innen direkt an der Gestaltung des Workshops beteiligen.

Insgesamt habe ich mir überlegt, dass solch ein Ansatz gerade beim Thema OER der wahrscheinlich bestmögliche Ansatz ist, weil es genau so ermöglicht wird, nicht nur inhaltliche Grundlagen, sondern vor allem auch eine Praxis des Teilens und die Haltung von OER kennen zu lernen.

Wie sah der Ablauf aus?

Ich habe den Workshop schon vorab mit einer Mini-Pre-Umfrage begonnen, an der sich fast alle Teilnehmer*innen beteiligt haben. Hier habe ich erstens eine Selbsteinschätzung zu Vorkenntnissen zu OER abgefragt (Ergebnis: Je ein Drittel gab an Neuling zu sein, ein bisschen Erfahrung mitzubringen und Expertin zu sein). Zweitens habe ich nach bis zu drei Begriffen gefragt, die man mit OER verbindet. Drittens sollte eine Frage/ Herausforderung aufgeschrieben werden, die man zum Workshop mitbringt.

Die Frage nach den Begriffen bildete beim Workshop vor Ort unseren Einstieg. Ich hatte alle eingetragenen Begriffe auf Karten geschrieben und an eine Pinnwand gehangen. Beim Reingehen konnte sich jede Person einen Begriff mitnehmen. Das musste nicht der eigene sein. Nach einem schnellen Blitzlicht mit Name und Hintergrund starteten wir mit diesen Karten ein schnelles Speed-Dating. Immer abwechselnd waren die Teilnehmer*innen Redner*in und Zuhörer*in. Sie stellten kurz vor, warum sie den jeweils ausgewählten Begriff für OER wichtig finden.

Im nächsten Schritt waren alle Teilnehmer*innen zu einem Silent Writing eingeladen. In ca. 5 Minuten sollten sie ein möglichst konkretes Learning aufschreiben, das sie in der letzten Zeit hatten. Das Learning sollte aus dem eigenen beruflichen Kontext stammen, aber musste nicht OER-bezogen sein.

Mit den ausgefüllten Zetteln sind wir dann in einen Austausch gegangen. Zuerst hat in einer Kleingruppe jede Person das eigene Learning vorgestell. Dann wurden Learnings getauscht und in neu gebildete Kleingruppen weiter getragen.

Im anschließenden Plenum gab es von mir zwei (fast schon rhetorische) Fragen:

  1. Wer hat in den letzten Minuten etwas Neues für sich gelernt?
  2. Wer hat das Gefühl, dass ihm in den letzten Minuten etwas weggenommen wurde?

Erwartungsgemäß traf Frage 1 auf fast alle zu, Frage 2 auf niemandem. Daraus konnten wir ableiten, dass Austausch und Teilen eigentlich das natürlichste der Welt sein sollte und dass neue Ideen im Austausch untereinander entstehen. Allerdings geht das Urheberrecht von anderen Annahmen aus. Das lässt sich gut mit Carl Spitzwegs Portrait des armen Poeten erklären, das ich als Ausdruck dabei hatte.

Der Arme Poet

Dargestellt wird mit dem armen Poeten ein Urheber, der aus sich selbst heraus (und oft unter Entbehrungen), ganz allein etwas Neues erschafft. Das ist eben gerade das Gegenteil von einem Ansatz des Teilens und der Zusammenarbeit. Nun können wir das Urheberrecht nicht einfach außer Kraft setzen, aber wir haben mit offenen Lizenzen ein Instrument, um dennoch Teilen und Austausch zu ermöglichen.

(Wer sich die Erklärung dazu noch einmal ausführlicher anhören will, den verweise ich auf dieses Video mit Paul Klimpel, aus dem ich die Idee mit dem Bild zur Erläuterung der Urheberrechtsvorstellung geklaut habe).

Um ganz konkret zu erfahren, wie das funktioniert, teilten sich die Teilnehmer*innen in Kleingruppen auf und erhielten einen Briefumschlag mit einigen Glitzerstickern mit den drei OER-CC Lizenzen (= CC0, CC BY und CC BY SA). Diese waren als ‚Zaubermittel für Wachstum und Verbreitung‘ betitelt. Mithilfe eines Erklärungszettels entschied sich jede Person für eine Lizenz, unter der sie ihr Learning teilen wollte. Anschließend konnte auch geübt werden, wie man mithilfe der TULLU-Regel einen Lizenzhinweis zu einem Learning einer anderen Person schreiben würde.

Damit war die wichtigste Grundlage zu OER erklärt und die Teilnehmenden konnten in einer Online-Werkstatt, die ich auf der begleitenden Website veröffentlicht hatte, ihr Wissen mit Praxisübungen vertiefen – oder sich alternativ für eine längere Kaffeepause entscheiden. Begleitend gab es eine Checkliste zum Abhaken dazu.

Nach Werkstatt und Pause machten wir uns dann an eine strategische Betrachtung des Themas. Es ging darum, zu reflektieren, wie eine Kultur des Teilens in den jeweiligen Kontexten vorangebracht werden kann.

Dazu hatte ich zunächst zwei Materialien zum ‚Warum‘ vorbereitet:

  1. Beim letzten OERcamp ist ein Video entstanden, in dem mehrere Menschen dazu Auskunft geben, was sie zu einer Kultur des Teilens motiviert. Ich hatte dazu die Audio-Spur rausgenommen und diese auf 5 Minuten gekürzt. Das konnten wir uns gemeinsam anhören.
  2. Im Fediverse hatte ich vor kurzem Argumente für OER gesammelt. Diese hatte ich leicht angepasst und verteilte ich als einzelne Schnipsel. Die Teilnehmer*innen fanden sich in Kleingruppen zusammen und sortierten die Schnipsel für sich, d.h. reflektierten, welche Inhalte sie selbst oder auch Kolleg*innen von ihnen besonders relevant fänden.

Audiodusche:

‚Zettel-Dusche‘

(Diese beiden Materialien waren zugleich ein bewusstes Beispiel dafür, dass man bei OER das Rad nicht immer wieder neu erfinden muss, sondern auf den Arbeiten von anderen aufbauen kann.)

Anschließend beschäftigten wir uns mit dem ‚Wie‘. Hier mag ich es sehr gerne, zunächst mit einem Kopfstand zu beginnen, d.h. nach dem ‚Wie nicht?‘ zu fragen. Dazu überlegte sich zunächst jede Person für sich eine dümmstmögliche Idee, mit der sich Teilen garantiert nicht voranbringen ließe. Die Ideen wurden in einem Paar-Austausch noch dümmer gemacht. Und zum Abschluss haben die Paare noch Vierergruppen gebildet und die Idee noch einmal dümmer gemacht.

Dieser Kopfstand war die Grundlage, um danach einen Kopfstand zurück zu machen und sich zu überlegen, wie es gut gehen würde. Dazu erhielten die Teilnehmer*innen zunächst ein paar Anregungen als Inspirationsdusche, über die sie sich einen Überblick verschaffen konnten.

Das war die Grundlage, um anschließend die vorab erfragten Fragen aufzugreifen. Das machten wir in Form eines Mini-Worldcafés. Ich hatte die Fragen gruppiert und auf Zettel ausgedruckt und stellte sie als Aufsteller in die Mitte des Stuhlkreises.

Alle verschafften sich einen Überblick darüber. Wer wollte, konnte sich dann als Gastgeber*in für einen Tisch melden. Das musste nicht die eigene Frage sein. Die anderen konnten sich überlegen, wo sie mit diskutieren wollte. Wir machten zwei Runden mit 8 Minuten. Die Diskussionen konnten in Pads protokolliert werden.

Zum Abschluss kamen wir noch einmal alle im Stuhlkreis zusammen. Zur Vorbereitung der Abschlussrunde machten wir ein Silent Writing mit drei Fragen:

  1. Wie fühlst du dich jetzt?
  2. Was willst du ins weitere OERcamp einbringen?
  3. Was ist dein wichtigstes Learning?

Frage 1 lösten wir in Form eines schnellen Blitzlichts auf. Zu Frage 2 konnten alle in einer schnellen Wuselei noch einmal das Gespräch mit anderen suchen, um z.B. sich konkret zu einer Sessioneinreichung zu verständigen. Zu Frage 3 teilten wir die Antworten wieder im Plenum. Dabei konnten alle mit Handzeichen deutlich machen, ob sie das Learning ebenfalls teilen (= auf die eigene Schulter klopfen) oder ob man sich einfach mit der anderen Person über ihr Learning freut (= stiller Applaus)

Zur Verabschiedung gab es dann StickOER mit wOERtspielen. (Auch das gehört zum Lernen über OER dazu 🙃)

Mein Fazit

Dass der Workshop gut geklappt hat, lag sicherlich zu großen Teilen an den sehr aufgeschlossenen und motivierten Teilnehmenden. Ich werde mit dem Konzept aber ganz bestimmt auch in anderen Gruppen experimentieren, da ich es gerade für OER und eine Kultur des Teilens für sehr vielversprechend finde. Vielen Dank an alle Teilnehmenden für die aktive Beteiligung und den guten Austausch!


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