(Unfreiwilliges) Big Tech-Influencing in der Bildung und mögliche Gegenstrategien

Bei ChatGPT gab es kürzlich mal wieder ein Update. Wie auch schon bei den Updates davor, können zunächst nur die Nutzer*innen die neuen Funktionen nutzen, die über einen Premium-Account verfügen. Eine dieser neuen Funktionen ist, dass man sich ein eigenes GPT-Modell entwickeln und mit anderen teilen kann. Konkret bedeutet das, dass man Name, Beschreibung und Einstiegsprompts eingeben kann. Vor allem aber können auch Inhalte eingespielt werden, die einem für das Modell wichtig sind und Festlegungen zur Tonalität der zukünftigen Chats vorgegeben werden. Aus pädagogischer Perspektive klingt es sehr vielversprechend und spannend, auf diese Weise ein sehr spezifisches Material zum selbstbestimmten Lernen gestalten zu können.

Mich machte bei dieser neuen Funktion aber vor allem stutzig, dass nicht nur für die Erstellung eines solchen eigenen GPT-Modell ein Premium-Account erforderlich ist, sondern auch um ein von einer anderen Person erstelltes Modell auszuprobieren. Mir fiel das vor allem deshalb auf, weil ich aktuell über keinen Premium-Account von ChatGPT verfüge. Je häufiger ich aber von einem weiteren der vielen Modelle las, die von Kolleg:innen in den letzten Tagen erstellt wurden, die wie ich im Kontext von Pädagogik und Digitalisierung arbeiten, desto mehr juckte es mir in den Fingern, mir dann eben doch schnell einen Premium-Account zu besorgen, um die Modelle ausprobieren und auch selbst eines erstellen zu können …

Für mich individuell wäre das finanziell leicht zu verkraften gewesen. (Ein ChatGPT Plus Account kostet aktuell 20 Dollar/ Monat.) Allerdings wurde mir durch diese Situation überhaupt erst einmal wieder bewusst, wie viel in der aktuellen KI-Diskussion auch gezieltes Marketing und Interesse von BigTech Unternehmen zum Ausbau ihrer Monopol-Stellung drinsteckt.

Meine (noch unfertigen) Reflexionen zum Umgang damit möchte ich in diesem Blogbeitrag teilen.

Mein Dilemma: Technologie-Erkundung versus Offenheits-Unterstützung

Die Bleistift-Metapher ist eine Darstellung, wie unterschiedlich Menschen mit neuen Technologien umgehen. Einzelne Menschen an der Spitze versuchen neue Entwicklungen möglichst schnell zu erkunden und zu reflektieren. Auf der gegenüberliegenden Seite versuchen die ‚Radierer‘ möglichst viele Neuerungen wieder weg zu bekommen …

Unabhängig davon wie man im einzelnen zu dieser Metapher steht und ob man sie zur strategischen Diskussion für hilfreich erachtet oder nicht, stimmt aus meiner Sicht die grundsätzliche Einschätzung, dass es im Kontext von Technologie-Entwicklung immer eine Gruppe von Menschen gibt, die neugierig auf Neuerungen ist und gerne erkundet und ausprobiert. Zu großen Teilen würde ich mich selbst auch dieser Gruppe zuordnen. Es ist auch Teil meiner beruflichen Tätigkeit, dass ich oft angefragt werden, wenn es um eine Einschätzung und ein Lernen zu neuen Technologien im Bildungskontext geht.

Der Aufbau und die Verbreitung von neuen Technologien ist aber sehr häufig auch Marketing von großen Technologie-Unternehmen. Wenn ich somit Neuerungen aufgreife, erkunde und darüber blogge, mache ich zugleich (oft unbewusst und eigentlich immer unfreiwillig und somit in jedem Fall unbezahlt) Werbung für die zu vermarktenden Produkte. Das passiert auch dann, wenn ich nicht vorrangig über das Produkt reflektiere, sondern über seine Einsatzmöglichkeiten im Kontext von Bildung. Schwierig wird die Situation vor diesem Hintergrund vor allem deshalb,, weil ich mich nicht nur als Teil der digitalen ‚Bleistiftspitze‘ sehe, sondern auch als Unterstützerin und Verfechterin von Offenheit. Ich bin sehr überzeugt, dass Offenheit von Materialien, Software und auch von Konzepten und Ideen im Sinne einer Kultur des Teilens grundlegender Bestandteil von guter Bildung ist.

Somit ergibt sich das Dilemma, zwischen zwei Positionen zu stehen, die sich in der Maximal-Version vielleicht wie folgt formulieren lassen:

  • Bleistift-Spitze: Ich setze mir zum Ziel zu erkunden und pädagogisch einzuordnen, was es an neuen technologischen Entwicklungen gibt. Proprietäre Anbieter sind hier vor allem prägend. Darum werde ich mich vor allem mit diesen Entwicklungen auseinandersetzen.
  • Offenheits-Aktivistin: Ich setze mir zum Ziel, Offenheit in der Bildung voranzubringen. Ich werde deshalb nichts nutzen oder darüber berichten, was nicht für alle offen zur Verfügung steht.

Hier ist es gut, dass es nicht nur Schwarz-Weiß, sondern auch viele Schattierungen dazwischen gibt. So konnte ich für mich einen Umgang mit diesem Dilemma entwickeln.

Meine (vorläufige) Strategie

Meine (vorläufige) Strategie besteht aus der Entscheidung für ein Leitbild, regelmäßigen ‚Hand aufs Herz‘-Reflexionen und einem Set an ‚roten Linien‘.

1. Leitbild

Wenn man zwischen zwei Positionen steht, kann man sich zum einen im Sinne eines ‚entweder-oder‘ für die eine oder andere Position entscheiden. Zum anderen kann man versuchen im Sinne eines ’sowohl-als-auch‘ beide Positionen ein bisschen in sein Handeln zu integrieren. Damit man dabei nicht in Beliebigkeit abrutscht, hilft es dann allerdings, für sich festzuhalten, wo man eigentlich hinwill. Das klappt, indem man beide Positionen als Pole eines ‚Schiebereglers‘ versteht – und sich überlegt, auf welche Seite man versuchen will, den Schieberegler einzustellen. Die Einordnung ist dann: Soviel … wie möglich, so viel … wie nötig.

Mein Leitbild ist an dieser Stelle klar. Mich ‚zieht‘ es zum Pol der Offenheit. Ich würde für mich deshalb wie folgt formulieren:

Ich versuche bei meinen Erkundungen so viel Offenheit wie möglich zu realisieren und erkunde damit nur soweit nötig auch proprietäre Tools.

Das führt zur nächsten Frage – was ist denn wirklich nötig? – und den dafür erforderlichen ‚Hand aufs Herz‘-Reflexionen.

2. ‚Hand aufs Herz‘-Reflexionen: Worum geht es wirklich?

Mit ‚Hand aufs Herz‘-Reflexionen meine ich, mir nicht selbst irgend etwas als weitgehend alternativlos einzureden. Denn dabei ertappe ich mich selbst immer wieder. Hier kommen ein paar Beispiele dazu:

  • „Das ist mein Beruf; ich werde zu diesen Themen angefragt“:
    Es stimmt natürlich, dass die allermeisten Anfragen der letzten Monate sich auf proprietäre KI-Tools (insbesondere ChatGPT) bezogen. Allerdings liegt das sicher auch mit daran, dass ich auch selbst viel zu diesem Tool gebloggt und mich somit als ‚Expertin‘ zu erkennen gegeben habe. Außerdem klappt es eigentlich immer – gerade bei neuen Themen – eigene Schwerpunkte und Ideen für Workshops und Lernangebote vorzuschlagen.
  • „Offene Ansätze sind ja noch viel weiter von der Bildungs-Realität entfernt als geschlossene“:
    Auch hier ist die Frage nach dem, was zuerst da war. Wenn Menschen ein bestimmtes proprietäres Tool gewohnt sind und man ihnen eine Open Source Alternative vorschlägt, dann bedeutet das erst einmal eine Umstellung und Umgewöhnung. Anders herum wäre das aber ganz genauso. Dennoch lässt es sich nicht wegreden, dass proprietäre Tools – dank häufig deutlich mehr finanziellen Mitteln und vor allem auch einem großen Werbe-Etat – eine gewisse Niederschwelligkeit mit sich bringen, die Open Source Tools zum Teil fehlt. Meine Aufgabe kann hier aber gerade sein, in dieser Situation als ‚Brücke‘ zu fungieren und zu erklären.
  • „Ich wäge das ja schon immer sehr genau für mich ab, aber oft gibt es eben keine offenen Alternativen“:
    Gibt es tatsächlich keine offenen Alternativen oder kenne ich sie nur nicht? Oder bin ich zu bequem, um mich in ihre Nutzung einzuarbeiten?

Das Ergebnis dieser und vielen weiteren ‚Hand aufs Herz‘-Reflexionen ist somit eigentlich fast immer, dass ich zu großen Teilen selbst entscheiden kann, worauf ich Schwerpunkte setze und zu was und wie ich arbeite. Nicht immer werde ich mir aber dafür Zeit nehmen können wollen. Deshalb hilft es zusätzlich, für sich selbst bestimmte rote Linien oder Grundsätze festzulegen, die man als Selbstverpflichtung nutzt.

3. ‚Rote Linien‘ im Sinne einer Selbstverpflichtung

Ich habe im eBildungslabor schon sehr lange die grundsätzliche Selbstverpflichtung zu einem Geschäftsmodell des Teilens. Das bedeutet: Was ich im Rahmen meiner bezahlten (und auch meiner ehrenamtlichen) Tätigkeiten erstelle und gestalte, teile ich anschließend offen, so dass alle – nicht nur die jeweiligen Auftraggeber – es offen weiternutzen können. (Diese Selbstverpflichtung funktioniert für mich wunderbar. In diesem Blogbeitrag habe ich sie näher beschrieben).

Vor dem Hintergrund der aktuellen KI-Situation ergänze ich nun noch drei weitere Punkte:

  1. Nichts teilen oder dazu anleiten, was geschlossen ist: Dieser Grundsatz ergibt sich eigentlich schon aus dem Geschäftsmodell des Teilens. Es wäre hierzu ein klarer Widerspruch z.B. aktuell einen ChatGPT-Bot zu erstellen, den ich nur so teilen kann, dass andere Menschen zu seiner Nutzung einen Premium-Account benötigen. Auch eine Anleitung bzw. einen Erfahrungsbericht würde ich dazu aktuell nicht schreiben.
  2. Mehr Offenheit unterstützen als Geschlossenheit: Dieser Grundsatz ist für viele vielleicht zu wenig konsequent. Mir ermöglicht er, mich dennoch mit technologischen Neuerungen auseinander zu setzen, auch wenn es sich dabei um proprietäre Tools handelt, d.h. einen für mich passenden Weg angesichts der beiden dargestellten Pol-Positionen zu finden. Ich meine damit, dass ich meine finanziellen und zeitlichen Ressourcen so aufteile, dass ich bei der Nutzung und Erklärung von Technologie mindestens so viel in Offenheit, wie in Geschlossenheit investiere. Konkret kann ich mir also z.B. meine Arbeit erleichtern, indem ich mir ein Abo bei einem proprietären Transkriptionstool abschließe. Gleichzeitig sollte ich dann den ausgegebenen Betrag aber auch für ein Open Source Tool (per Spende oder eben auch als ein Abo) aufwenden. Und wenn ich über ChatGPT als proprietäres Tool einen Blogbeitrag schreibe, dann sollte ich mindestens auch einen Beitrag schreiben, bei dem ich von der Nutzung eines Open Source Tools berichte (Da habe ich nach gut einem Jahr KI-Debatte, sehr, sehr viel Nachholbedarf ;-) …)
  3. Aufklärung und Alternativen voranbringen: Die ersten beiden Punkte sind Sachen, die ich individuell für mich machen kann. Wenn ich aber auch zu einem Änderung des Rahmens kommen will bzw. dabei mitwirken will, dann muss ich mich mit anderen zusammenschließen. Ein Beispiel hierfür wäre eine Mitarbeit im Forum Offene KI in der Bildung von der Wikimedia.

Was mir nebenbei immer auch noch hilft ist der Grundsatz: ‚Better open than perfect‘. Damit meine ich nicht, dass offene Technologie grundsätzlich den proprietären Tools unterlegen ist. Gerade in der KI-Debatte haben offene Tools aber sehr viel weniger an finanziellen Mitteln und haben keine Monopol-Stellung, die ihnen immer weitere Verbesserung/ Training erlaubt – und deshalb ist generierter Output hier (zumindest bis jetzt) oft weniger qualitativ hochwertig. Hier lohnt sich aber dann die Frage, um was es einem genau geht: Möchte ich eine möglichst perfekte Präsentation mit superschicken Bildern – oder möchte ich durch die Nutzung von KI-Technologie in meiner Arbeit diese nicht nur als Werkzeug, sondern immer auch als Lerngegenstand aufgreifen? Im letzten Fall muss der generierte Output gar nicht perfekt sein. Viel wichtiger ist Transparenz über den Prozess dahin und die Reflexion darüber. An anderen Stellen kann es dagegen durchaus auch das Ziel sein, einen möglichst gut gestalteten Inhalt zu haben, mit dem dann gut gelernt werden kann. Nötig ist also immer eine Abwägung. Grundsätzlich hilft mir aber Mut zu ‚besser offen statt perfekt.‘

(Ergänzung nach einer Anmerkung im Fediverse: Mitreflektieren muss ich hier auch, dass ich durch Nutzung proprietärer KI-Tools, immer auch mit dazu beitrage, dass diese ihre Monopolstellung und das Trainig der Modelle weiter ausbauen und noch besser werden, während offene Tools weiter abgehängt werden.)

Fazit

Wie dargestellt sind das hier meine aktuellen und sehr wahrscheinlich auch noch vorläufigen Überlegungen. Ich freue mich, dazu mit anderen in Austausch zu kommen. Vielleicht willst du deine Sichtweise und Praxis zu diesem Thema ebenfalls teilen.

Beitragsbild erstellt mit Stable Difussion, Public Domain, Prompt: ‚a thinking woman in casual clothes in front of her computer‘


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