Umzug zu Bluesky? Besser nicht!

Viele Menschen, mit denen ich in sozialen Netzwerken verbunden bin oder war (auf Twitter, im Fediverse oder auch auf LinkedIn …), beschäftigen sich aktuell mit dem Netzwerk Bluesky. Ich möchte in diesem Blogbeitrag erklären, warum ich mir aktuell keinen Account bei Bluesky anlegen möchte. Vielleicht hilft diese Darstellung auch anderen bei der Entscheidungsfindung für oder gegen ein bestimmtes soziales Netzwerk.

Bluesky: Was ist denn das?

Meine ersten Informationen zu Bluesky waren die, dass es ein soziales Netzwerk wie das frühere bzw. noch ein besseres Twitter ist, das vom Twitter-Gründer Jack Dorsey auf den Weg gebracht wurde, als er noch CEO von Twitter war. Jack Dorsey ist auch weiterhin an der Gestaltung der Software beteiligt … Diese Information war für mich erst mal ausreichend, um mich nicht näher mit dem Netzwerk zu beschäftigen. Es erschien mir als eine reichlich absurde Idee, sich ausgerechnet auf der Plattform niederzulassen, die von dem Mann lanciert wurde und wird, dessen zuvor gegründete Plattform nun Elon Musk gehört, wodurch sie für mich praktisch unbenutzbar wurde … Warum sollte das denn dieses Mal anders ablaufen?
Ich halte diese Grundskepsis für mich immer noch für sehr relevant, aber kann verstehen, dass das für mache andere auch kein überzeugendes Argument ist. Schließlich wäre es ja durchaus denkbar, dass Jack Dorsey aus Fehlern gelernt hat und es nun bei Bluesky ganz anders angehen will …

Meine Skepsis wurde dann aber noch weiter vergrößert, als ich mir das Tool dann einfach mal anschauen wollte (das mache ich eigentlich bei fast allen neuen Tools, weil ich neugierig bin) und feststellte, dass das so einfach gar nicht geht, weil ich dazu einen ‚Invite Code‘ benötige. Es wäre nun bestimmt nicht so schwierig gewesen, sich einen solchen Invite Code von irgendwem zu besorgen, aber so eine künstliche Verknappung halte ich erst einmal aus Prinzip für doof. Es mag gute Argumente für solch eine Strategie geben (langsamer und damit stabiler Aufbau des Netzwerks, Abwehr von Trollen …) – ich halte es dennoch überwiegend für einen doch recht durchsichtigen Versuch, einen Hype zu erzeugen und dadurch für viele überhaupt erst interessant zu werden.

Technischer Rahmen: Wo ist denn der Unterschied zum Fediverse?

Als Umzüge, Einladungen oder Fragen nach Invite-Codes zu Bluesky immer häufiger in meiner Timeline auftauchten, habe ich mir im nächsten Schritt genauer angesehen, wie Bluesky denn funktioniert. Denn vielleicht hatte ich mich ja bei meiner ersten, schnellen Ablehnung geirrt. Was ich las, erstaunte mich auch tatsächlich: Bluesky sei offen, dezentral, wolle Nutzer:innen die Hoheit über ihre Daten geben und sich gegen ein zu zentralisiertes Internet einsetzen … Das klang alles ziemlich gut. Und damit fast zu gut, um wahr zu sein. Und leider ist es genau deshalb auch nicht so einfach, als nicht super-technisch-affiner Mensch zu verstehen, wo denn dann bitte schön das Problem bei Bluesky ist. Ich finde es aber wichtig, das zu verstehen, um eine gute und nachhaltige Entscheidung treffen zu können.

Ich habe dazu bis dato folgendes verstanden (und bin offen für Korrekturen):

  1. Es gibt einen Unterschied, ob eine Software offen gemäß ihrer Lizenz ist oder ob sie tatsächlich Offenheit lebt. Zu letzterem gehört dazu, dass man aktiv zu Mitarbeit einlädt bzw. diese niederschwellig möglich macht. Das scheint bei Bluesky nicht der Fall zu sein. An der Software wird außer von den Eigentümern so gut wie nicht programmiert. Auf Github, wo die Software eingestellt ist, kann man das leicht nachvollziehen, wenn man die Aktivitäten mit anderen OpenSource Projekten vergleicht. Solch eine Offenheit nur gemäß der Lizenz könnte man auch als ‚Fake Open Source‚ bezeichnen. (Vergleichbar vielleicht, wenn ich einen Inhalt als PDF veröffentliche und in einen Online-Kurs einstelle, in dem ich erst nach Registrierung lernen kann. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass dieser Inhalt dann in relevanter Weise verändert, angepasst und remixt wird, selbst wenn ich in die Fußzeile eine offene Lizenz ergänze. Der Inhalt ist dann zwar der Lizenz nach OER, aber einfach zu schwer auffindbar und in einem zu wenig änderbaren Format, als dass die Nutzungspraxis eine andere wäre als bei einem Inhalt, der urheberrechtlich geschützt ist.)
  2. Es gibt bei Bluesky einen Algorithmus (bzw. es soll mehrere Algorithmen geben, aus denen sich Nutzer:innen einen auswählen können), der aufgrund von Nutzer*innen-Interaktionen mit darüber entscheidet, welche Inhalte mir angezeigt werden und welche nicht. Über die Sinnhaftigkeit eines solchen Algorithmus kann man unterschiedlicher Auffassung sein. In Bezug auf die Frage der Dezentralität und der Offenheit finde ich aber entscheidend, dass dieser Teil von Bluesky nicht offen und dezentral ist. Ganz im Gegenteil scheint es so zu sein, dass Nutzungsverhalten zentral gespeichert und daraus dann der Algorithmus entwickelt wird. Eine Entscheidung für Bluesky wäre damit eine Entscheidung, meine Daten aus der Hand zu geben. Im Fediverse habe ich dagegen sehr sicher die Hoheit über meine Daten.
  3. Die Dezentralität des Fediverse erkennt man daran, dass es jede Menge Dienste und Instanzen gibt, aus denen ich auswählen und zwischen denen ich auch wechseln kann. Die Dezentralität von Bluesky besteht aktuell dagegen aus Ankündigungen bzw. irgendwelchen kleineren Versuchen, die aber so genau niemand zu verstehen scheint. Es kann sein, dass sich das ändert. Zumindest aktuell scheint Bluesky aber nicht dezentral zu sein. Wenn ich Bluesky nutze, dann registriere ich mich (mit Invite Code) auf der einen Bluesky Instanz, die es gibt – und könnte von dort aktuell, wenn ich es wollte, nicht einfach so irgendwo anders hin umziehen, weil es keine anderen Dienste und Instanzen gibt.

Hinzu kommt: Das Fediverse mit zahlreichen Diensten und Instanzen war als dezentrale und offene Alternative zum zentralisierten Plattform-Internet bekannt und existent, als Bluesky gestartet wurde. Vor diesem Hintergrund stellt sich für mich die Frage: Wenn man ein dezentrales und offenes Internet voranbringen will, warum bringt man sich dann nicht in diesem bereits aufgebauten Projekt des Fediverse ein, anstatt etwas ganz Neues zu lancieren, das zwar theoretisch irgendwann auch mit den im Fediverse verbreiteten Protokollen kompatibel gemacht werden kann, aber erst einmal als Alternative dazu auftritt (auch indem z.B. genau die Features angeboten bzw. in Aussicht gestellt werden, die Nutzer:innen im Fediverse zum Teil als fehlend beklagen)? Für mich ist das – insbesondere in Kombination mit den obigen drei Punkten – eher ein Versuch, das Fediverse und damit einen großen Teil des bestehenden dezentralen Internets zu schwächen, als es zu stärken. Auch deshalb möchte ich nicht Teil davon sein, denn ich halte ein starkes, dezentrales Internet für sehr wichtig für eine demokratische Gesellschaft.

Aber bei Bluesky ist alles so schön und einfach …

Ich habe mir einige Screenshots von Bluesky angeschaut und ich stimme zu: Vieles davon sieht ziemlich schick und sehr niederschwellig nutzbar aus! Für mich ist das allerdings kein Argument, um mich für oder gegen ein soziales Netzwerk zu entscheiden. Insbesondere nach der Erfahrung, die ich mit Twitter gemacht habe (= viel Zeit in den Aufbau eines sozialen Netzwerks gesteckt und in ein paar Wochen wurde davon sehr viel einfach so kaputt gemacht …), ist das wichtigste Kriterium für ein soziales Netzwerk für mich die Nachhaltigkeit. Nachhaltig finde ich das Fediverse vor allem deshalb, weil ich mich an seiner Weiterentwicklung aktiv beteiligen kann, weil es uns allen gemeinsam gehört und wir gemeinsam die Verantwortung dafür tragen. Das ist bei Bluesky nicht der Fall.

Ich nehme mir vor diesem Hintergrund vor, die Nutzung des Fediverse noch mehr zu erklären und dazu auch mehr Angebote zu machen, so dass alle, die wollen, sich daran beteiligen können und niemand wegen eventueller technischer Hürden ausgeschlossen wird.

Aber sind im Fediverse nicht zu viele Besserwisser und Nerds?

Ich empfinde es als einen unglaublich großen Schatz, dass es im Fediverse sehr viele, sehr aktive Menschen gibt, die das Fediverse schon länger kennen und die sich aktiv einbringen. Im Gegenzug nehme ich sehr gerne in Kauf, dass mir manch eine Person hin und wieder vielleicht auch einmal ungefragt etwas zu den erwünschten Verhaltensweisen im Fediverse erklären will. Ich weiß, dass ich das bei den Sachen, die mir wichtig sind, die ich mit aufbaue und in die ich mich einbringe, oft genau so mache. Wenn ich z.B. bei einem Barcamp bin, dann erkläre ich sehr viel und sehr oft, was für mich ein Barcamp ausmacht und warum es wichtig ist, dass sich alle als Teilgeber*innen verstehen. Es kann gut sein, dass das vielleicht hin und wieder die eine oder andere Person nervt. Insgesamt finde ich das aber wichtig, weil ohne diese Erklärerei (die ja neben mir auch viele andere Barcamp-begeisterte Menschen immer wieder fast schon automatisch machen), würde bei Barcamps nicht die wunderbare Beteiligungs- und Verantwortungskultur entstehen, die für das Format entscheidend ist. Im Fediverse scheint mir das so ähnlich zu sein. (Und die große Anzahl an ‚Nerds‘ im Fediverse, im Sinne von: Menschen, die sich technisch auskennen und einen gestaltenden und kreativen Blick auf das Internet haben, empfinde ich als eine große Bereicherung – auch wenn mein eigentliches Thema die Pädagogik ist.)

Grundsätzlich hat aber ja im Fediverse ohnehin jede einzelne Person selbst die Hoheit, darüber zu entscheiden, wie sie sich einbringt, wen sie motiviert, ebenfalls dazu zu kommen und mit wem sie in Interaktion tritt.

Mein Fazit (und ein bisschen auch meine Empfehlung an Dich)

Ich habe in diesem Blogbeitrag meine Entscheidung gegen Bluesky und für das Fediverse aufgeschrieben. Mein Ziel damit war zum einen, Klarheit für mich selbst zu bekommen. Zum anderen sehe ich den Artikel aber natürlich auch als Empfehlung an andere für das Fediverse. Nicht, weil ich irgend jemanden reinreden will, wo und wie man sich vernetzt. Im Interesse von guter Bildung ist es mir aber ein großes Anliegen, dass Austausch unter Pädagog:innen nachhaltig und gut funktioniert (und nicht so leicht torpediert werden kann, wie das bei Twitter der Fall war). Bei Bluesky habe ich da wie dargestellt meine Zweifel.

(Wenn alles ganz wunderbar wird, dann entwickelt sich Bluesky irgendwann dahingehend weiter, dass es mit dem Fediverse föderieren kann – und das dezentrale Netz wird noch einmal ein gutes Stück größer. Ich bin allerdings – trotz dass ich eigentlich ein sehr optimistischer Mensch bin – eher skeptisch, dass diese Entwicklung zumindest in absehbarer Zeit eintrifft.)

Um meine dargestellte Entscheidung treffen zu können, habe ich einiges gelesen, nachgefragt und beobachtet. Ich würde das Lernen aber immer noch nicht als abgeschlossen betrachten und freue mich über Ergänzungen oder Korrektur. Vielen Dank an alle, die mir im Fediverse auf meine (überwiegend technischen) Fragen, Antworten gegeben und so weitergeholfen haben.


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3 Kommentare

@nele Das ich den Beitrag von Nele, im Fediverse gefunden habe…Bedeutet das ich schon heute dieses nutze.Und ja mich hat interessiert, was darin steht.Die Argumentation finde ich hervorragend, gerade weil nur die öffentlich verfügbaren Informationen über das neue Netzwerk verarbeitet wurden & kein Vergleich der Usability.Danke für den Blog, bestätigt mich in der Entscheidung- Hier zu bleiben

@nele Ich bin auch ein "Versprengter" aus X (Twitter), der dort jahrelang seine Community aufbauen wollte und nun je länger desto mehr meine Zweifel habe. Nun seit kurzem im fedivers unterwegs und auch schon von blsky gehört. Danke dir für diese Einordnung. Ist mir eine grosse Entscheidungshilfe.

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