Stell dir vor, es gibt ein Online-Lernangebot, das umfassend offen ist und damit ganz anders, als du es wahrscheinlich von üblichen Online-Lernangeboten kennst:
- Du musst dich nicht registrieren, sondern kannst einfach so teilnehmen.
- Du behältst die Hoheit über deine Beiträge im Rahmen des Lernens.
- Es gibt keine Vermittlung von Wissen, sondern gemeinsame Entwicklung in einem Peer-to-Peer Kontext.
- Du lernst innerhalb deines persönlichen Lernnetzwerks.
- Es gibt keine festen Aufgaben, sondern du beteiligst dich flexibel, wann und wie viel es bei dir passt.
- Die entwickelten Inhalte sind nicht geschlossen, sondern stehen allen offen zur Weiternutzung zur Verfügung.
- Es gibt keinen vorgegebenen Lehrplan, sondern Du kannst deine Bedürfnisse und Interessen bei der Ausgestaltung der Inhalte einbringen.
- …
Ich sehe in solch einer offenen Gestaltung von Bildung sehr großes Potential. Vor diesem Hintergrund habe ich mit der Mittwochsfrage ein technisches Anschauungsbeispiel online gestellt, das umfassend offen gestaltet ist und mit dem ich praktisch zeigen will, wie so etwas umgesetzt werden kann. Es ist damit sowohl zum Mitmachen, vor allem aber zum Nachmachen gedacht. Im Vergleich zu vielen anderen Konzepten, mit denen ich früher experimentiert habe, hat es zwei entscheidende Vorteile:
- Es ist meinem Empfinden nach deutlich niederschwelliger – sowohl bei der Gestaltung, als auch bei der Nutzung.
- Es basiert auf Dezentralität. Das bedeutet, dass sich Lernende ausgehend von der jeweils eigenen Online-Heimat beteiligen können und die Hoheit über die eigenen Inhalte behalten.
Im folgenden möchte ich die Umsetzung anhand der technischen, didaktischen und rechtlichen Offenheit erläutern. Der Fokus liegt dabei auf der technischen Umsetzung.
Technische Offenheit: WordPress + Activity Pub Plugin
Auf den ersten Blick ist die Lernumgebung der Mittwochsfrage ein einfacher Blog basierend auf dem Open Source Content Management System WordPress. Anders als bei einem Blog, sind die Kommentare hier allerdings nicht direkt geöffnet, sondern kommentiert wird über den jeweils eigenen Fediverse-Zugang. Umgesetzt wird das mithilfe des Activity Pub Plugin. Sobald ein neuer Beitrag (= eine Frage) veröffentlicht wird, wird dieser Beitrag im Fediverse gepostet. Lernende können mit dem Beitrag interagieren, so wie sie es mit jedem anderen Beitrag machen würden (= teilen, liken, bookmarken, kommentieren). Auf diese Weise wird der Beitrag Teil ihres sozialen Netzwerks. Wenn geantwortet wird, taucht die Antwort aber nicht nicht nur im Fediverse direkt unter dem Beitrag auf, sondern auch auf der ursprünglichen Website als Kommentar. Da mit der Veröffentlichung des Beitrags auch Hashtags verwendet werden können, kann der Beitrag gut auffindbar gemacht werden. Lernende haben die Mölichkeitr, mit ihrem präferierten Format zu antworten, je nachdem welchen Zugang zum Fediverse sie nutzen (= als kurzer Mikroblogging-Beitrag, als Bild, als Video, als längerer Beitrag, als Audio …)
Wer keinen Zugang zum Fediverse hat, hat als zweite Möglichkeit noch die Option, auf dem eigenen Blog einen Beitrag als Antwort zu verfassen und auf die ursprüngliche Frage zu verlinken. Dann taucht der Beitrag als so genannter ‚Pingback‘ (= eine Art Verlinkung) unter der Frage auf. (Beispiel für einen Pingback: Ich verlinke hier zur Sandkiste auf Mittwochsfrage. Dadurch erscheint der Link zu diesem Beitrag unter dem Beitrag als Kommentar.)
Um das Kopieren des Beitragslinks, das ja in beiden Varianten benötigt wird, möglichst einfach zu machen, nutze ich zusätzlich das Plugin WPCode. Dort gebe ich das folgende HTML-Snippet ein und lege fest, dass es bei Beiträgen nach dem Inhalt angezeigt werden soll:
<p>
Kopiere dir den Link zu diesem Beitrag, füge ihn in den Suchschlitz im Fediverse ein und schreibe einen Kommentar. Eine längere Antwort kannst du alternativ auch in deinem eigenen Blog veröffentlichen und via Pingback hier auffindbar machen.
</p>
<p><button id="shareButton" onclick="copyToClipboard()">Link kopieren</button>
</p>
<script>
function copyToClipboard() {
let url = document.location.href;
navigator.clipboard.writeText(url);
let shareButton = document.getElementById("shareButton");
shareButton.innerText = "Link ist kopiert";
shareButton.style.background = "#5f6973";
}
</script>
Didaktische Offenheit: eine einfachere Version einer Blogparade
Didaktisch können solche offenen Lernformate unter anderem an den Konzepten von Learning Out Loud oder einer Blogparade orientiert gestaltet werden. Bei solchen Konzepten steht der Peer-to-Peer Austausch im Fokus. Bei der Mittwochsfrage wird das zum Beispiel dadurch realisiert, dass es einfach eine Frage gibt (die auch von den Lernenden vorgeschlagen werden kann). Diese Frage können alle dann aus ihrer jeweiligen Perspektive beantworten.
Hilfreich ist es sicherlich, ein bisschen Struktur und Regelmäßigkeit reinzubringen. Das bedeutet in meinem Beispiel, dass alle wissen, dass es jeden Mittwoch eine neue Frage gibt. Lernende können aber selbst entscheiden, ob und wann sie die Frage für sich beantworten wollen.
Anders als bei einer Blogparade, wo ich herausgefordert bin, einen ganzen Beitrag zu verfassen, reichen bei so gestalteten Lernformaten auch nur ein paar Zeilen. Aber trotzdem entsteht im Ergebnis potentiell mehr, als bei einer einfachen Social Media Frage, weil alles auch nachnutzbar und durchsuchbar auf der Website zur Verfügung steht.
Die Mittwochsfrage ist überwiegend als Anschauungsbeispiel gedacht. Deshalb fehlt hier jetzt natürlich die wahrscheinlich grundlegendste aller Herausforderungen beim offenen Lernen: ein gezielter Community-Aufbau. Das würde bei ‚echten‘ Lernangeboten ganz am Anfang stehen.
Rechtliche Offenheit: CC0 als Standard, Ausnahmen sind möglich!
In Bezug auf die rechtliche Offenheit habe ich mich bei der Mittwochsfrage für die Lizenz CC0 (= Verzicht auf urheberrechtliche Ansprüche soweit möglich) entschieden. Das würde ich auh für andere offene Lernformate empfehlen. Durch die Dezentralität, die Lernenden ermöglicht, die Hoheit über ihre Inhalte zu behalten, haben sie aber jederzeit die Möglichkeit, für ihre Beiträge auch Ausnahmen zu definieren. Das würden sie direkt auf dem von ihnen genutzten Zugang definieren.
Fazit
Mich begeistert sehr vieles an diesem Konzept. Vor allem erscheint es mir als eine auch für ’nur ein bisschen‘-Nerds umsetzbare Variante für eine umfassend offene Lernumgebung. Das verbleibende bisschen Nerdigkeit ist erwünscht bzw. erforderlich, denn dadurch werden Lernende (und auch Lehrende) zu Gestalter*innen im Internet. Das gehört zum Lernziel der digitalen Mündigkeit unbedingt dazu. Wenn ich auf dieser Basis zukünftige Lernangebote umsetze, dann wäre der Aufbau solch einer eigenen ‚Infrastruktur‘ im Internet wahrscheinlich die erste Lerneinheit. Danach könnte es dann richtig losgehen.
Vielleicht macht der Beitrag dir ja Lust, ein eigenes Lernangebot auf Basis dieses Konzepts zu entwickeln. Ich wünsche Dir dabei viel Erfolg. Melde dich gerne, wenn Du Fragen hast!
PS. Lernangebote wie die Mittwochsfrage sind keine neue Erfindung von mir, sondern werden schon lange in unterschiedlichen Kontexten umgesetzt. Stellvertretend möchte ich hier nur zwei Konzepte nennen, die für mich dabei wichtige Inspirationsquellen waren:
- Daily Create: Daily Create ist ein Online-‚Kurs‘, bei dem jeden Tag ein Impuls zum digitalen, kreativen Gestalten veröffentlicht wird. Früher wurde via Twitter geteilt; seit einiger Zeit über Mastodon. Lernende können sich immer dann beteiligen, wann sie Lust haben.
- Splots: Ein Splot ist eine Website, die es Lernenden ermöglicht, ohne Registrierung Beiträge beizusteuern. Das kann für kollaboratives Sammeln und viele andere Lernumgebungen genutzt werden.
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1 Kommentar
Das Ziel (und für mich auch das Besondere an diesem Ansatz) ist ja gerade, erstens die Hoheit über die eigenen Inhalte zu erhalten und zweitens innerhalb des eigenen persönlichen Lernnetzwerks zu lernen. Darum ist es sehr bewusst so, dass WordPress-interne Kommentare deaktiviert sind.