Ich bin auf dem Rückweg von der edunautika, die dieses Wochenende in Hamburg stattfand. Nach einem von mir konzipierten RIESENSPIEL am Freitag und einem langen und impulsreichen Barcamp-Tag am Samstag war heute am Sonntag drei Stunden lang Raum für Co-Learning, Co-Working und Intensivsessions. Anders als im letzten Jahr (damals hatten wir das Forum Offene KI in der Bildung begonnen) hatte sich dieses Jahr an den ersten beiden Tagen kein Thema für mich heraus kristallisiert, das sich als Intensiv-Session eignen würde. So kam ich heute morgen sehr offen zur Veranstaltung und überlegte durchaus, ob es nicht doch auch mal eine schöne Perspektive sein könnte, entspannt mit anderen Kaffee zu trinken und einfach ein bisschen zu quatschen 🙂 … Das wäre sicherlich auch sehr nett gewesen. Stattdessen habe ich mir aber überlegt, dass ich doch lieber die Chance nutzen will, wenn so viele tolle Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven zusammen kommen, gemeinsam mit ihnen etwas zu erarbeiten. Was das war und wie wir vorgegangen sind, möchte ich in diesem Blogbeitrag in Form von fünf Learnings teilen.
Spoiler vorab: Unser Ergebnis ist dieses Impulspapier zur KI-Debatte in der Bildung
Learning 1: Eine Barcamp-Session braucht sogar noch weniger, als eine Frage
Bei Barcamps hört man oft, dass es für eine Session kein vorbereitetes Thema braucht, sondern ’nur‘ eine Frage reicht. Ich hatte heute Morgen sogar noch weniger als eine richtige Frage. Stattdessen treibt mich schon seit einiger Zeit ein eher noch unbestimmtes Unbehagen im Kontext der KI-Debatte um. Ich habe dieses Unbehagen auf unterschiedliche Art und Weise zu formulieren versucht – zum Beispiel in diesem Aufruf zu einer Blogparade mit Joscha. So wirklich zufrieden war ich mit den entwickelten Perspektiven aber bisher nicht. Und mich störte in der Folge, dass ich selbst aufgrund der Art und Weise wie die KI-Debatte aus meiner Sicht vielfach in eine falsche Richtung ging, insgesamt immer skeptischer und ablehnender gegenüber Technologie und Digitalisierung wurde, obwohl mein früherer Blick darauf immer ein sehr erkundender und offener war. Dorthin wollte ich gerne wieder zurückfinden.
Mein Unbehagen habe ich im Rahmen der Sessionplanung versucht, in dieser Frage zu fassen: „(Wie) geht KI in der Bildung eigentlich auch cool?“ Sinngemäß habe ich dazu ausgeführt, dass ich mir in der KI-Debatte pädagogisch ein wirkliches Weiterdenken und technologisch viel mehr von einem Hacking-Ansatz der offenen Netzkultur wünschen würde. Dieser erste Frageversuch und die sehr vage Beschreibung reichten aus, um andere Menschen zu finden, die mit mir zu diesem Thema arbeiten wollten.
Learning 2: Keine Angst vor völlig offenen Prozessen
Nach der Session-Vorstellung kamen wir zu siebt in unserer Session zusammen. Spannend fand ich, dass es zu Beginn sowohl für mich als auch die anderen Beteiligten völlig offen war, was im Ergebnis aus der Session entstehen könnte. Weder hatten wir inhaltlich ein klares Bild, noch eine Idee, was ein möglicher Output sein könnte. Wir teilten lediglich das von mir in der Session-Vorstellung geschilderte Unbehagen in der KI-Debatte. Und wir waren uns einig, dass es schön wäre, wenn wir als Ergebnis der Session irgend etwas entwickeln könnten.
Solche völlig offenen Prozesse funktionieren dann, wenn alle Beteiligten sich darauf einlassen. Wir haben mit einer Blitzlichtrunde gestartet, in der alle erst einmal teilten, wie KI in der Bildung für sie denn cool wäre bzw. wie sie definitiv nicht cool ist. Daraus hat sich dann alles Weitere ergeben.
Learning 3: Vielfältige Perspektiven sind Trumpf
Die grundsätzliche Idee der edunautika ist es, die Perspektiven von Reformpädagog*innen und pädagogischen Digitalisierungsakteur*innen zusammen zu bringen. In unserer Session hat genau diese Idee perfekt funktioniert. Das erste Ergebnis war, dass wir aus unserem vagen Unwohlsein in der KI-Debatte durch das Zusammenbringen dieser Perspektiven eine konkrete Frage entwickeln konnten. Sie lautet: Wie können Lernende in einer KI-geprägten Welt als handelnde Konstrukteur*innen ihres eigenen Lernens auftreten?
Für mich war die Entwicklung dieser Frage fast schon das wichtigste Ergebnis der gemeinsamen Reflexion. Denn sie bringt aus meiner Sicht ganz wunderbar auf den Punkt, was es in der KI-Debatte zu entwickeln gilt. Zugleich war in unserer Session dann noch weiter Raum, um erste Antworten auf die Frage zu entwickeln. Auch hier profitierten wir durchgehend von den unterschiedlichen Perspektiven, die wir mitbrachten und zusammenführen konnten.
Learning 4: Kollaboration kann so einfach sein
Ich hatte das große Glück, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die Kollaboration gewohnt sind und die sich gerne darauf einlassen. Das ermöglichte es uns, in der Session lediglich eine kurze Zeit für die Sammlung von zu berücksichtigenden Aspekten zu benötigen, die wir auf Post-Its sammelten. Anschließend konnten wir direkt mit dem kollaborativen Schreiben beginnen. Dazu legten wir uns ein gemeinsames Pad an, verschriftlichten die gesammelten Post-Its und begannen dann alle synchron zu schreiben.
Wer noch nie kollaborativ an einem gemeinsamen Dokument gearbeitet hat, denkt wahrscheinlich, dass das doch fast zwangsläufig zu großem Chaos führen muss. Aus meiner Sicht funktioniert kollaboratives Schreiben aber ganz wunderbar. Der heutige Schreibprozess bestätigt das wieder einmal sehr eindrücklich. Wichtig scheinen mir dafür diese Aspekte zu sein:
- Alle schreiben sofort für alle sichtbar im Pad – und sie haben dabei auch keine Sorge, vielleicht auch einmal Blödsinn zu schreiben oder irgendwo aufzuhören und wo anders weiter zu schreiben.
- Niemand hat Scheu, von anderen Geschriebenes zu ändern oder auch zu löschen.
- Es gibt in der Gruppe eine gute Balance zwischen „Das ist keine wichtige Änderung. Ich ändere das einfach ohne weiteres Nachfragen“ und „Das ist eine wichtige Änderung. Ich frage mal schnell nach, wer es geschrieben hat und wir klären es gemeinsam.“
Vor diesem Hintergrund waren wir in unserer Session sowohl schreibend als auch redend miteinander n Kommunikation.
Learning 5: Mut zum unfertigen Teilen
Für unsere Session hatten wir heute nur drei Stunden Zeit. Vor diesem Hintergrund war von Anfang an klar, dass wir kein perfekt formuliertes und fertiges Papier entwickeln können. Umso wichtiger fand ich unseren Anspruch, dass wir den Stand veröffentlichen wollten, den wir in dieser Zeit erreichen. Das sorgte erstens für sehr konzentriertes und zielführendes Arbeiten. Zweitens konnten sich alle von ihrem Perfektionsanspruch verabschieden, der ohnehin nicht einzuhalten war. Und drittens ist das entstandene Papier keine fertige Verlautbarung, sondern eine Einladung an alle zum Weiternutzen und Weiterdenken. Vor diesem Hintergrund steht der Text auch unter der Lizenz CC0 1.0 – und wir freuen uns über alle, die daran weiter arbeiten.
Auch die Veröffentlichung selbst gestalteten wir ohne Schnickschnack, indem wir den Text einfach via GithubPages veröffentlichten.
Fazit
Diese heutige Session war ganz klar mein Highlight der diesjährigen edunautika. Herzlichen Dank an Ina Samel, Christian Vanell, Philipp Radau, Kerstin Mönnikes, Annekathrin Buck und Ines Moegling für die gute, produktive und freudvolle Zusammenarbeit.
PS. Danke auch an die Deutsche Bahn, die mich durch einen Stellwerkschaden auf der Rückfahrt und eine in der Folge fast zweistündige Zugverspätung dazu motivierte, diesen Blogbeitrag zu schreiben 🙂
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