Ideenwerkstatt zur Veränderung der Lernkultur

Am Freitag war ich als Impulsgeberin beim Moodle@Schule Tag des LISA (= Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung Sachsen-Anhalt) in Halberstadt. Rund 120 Lehrkräfte aus Sachsen-Anhalt haben dort gemeinsam zu Moodle gelernt und sich ausgetauscht. Ich war eingeladen, den Blick auf das Thema Lernkultur zu richten. Zunächst habe ich einen Murmelrunden-Vortrag zur Herausforderung von guter Bildung in einer zunehmend digital-geprägten Gesellschaft gehalten. Anschließend gestaltete ich darauf aufbauend einen Workshop zur Entwicklung von Ideen zur Veränderung der Lernkultur. In diesem Blogbeitrag möchte ich vor allem über diesen Workshop berichten, da das Konzept aus meiner Sicht sehr gut geklappt hat und sich zum Weiternutzen eignet.

Rahmen der Ideenwerkstatt

Der Workshop fand in einem Slot mit mehreren Parallel-Angeboten statt. Es nahmen 15 Kolleg*innen aus unterschiedlichen Schulformen und in unterschiedlichen Funktionen teil. Wir hatten für die Werkstatt insgesamt 90 Minuten Zeit, was etwas zu kurz war. Optimal wären 2 Stunden, aber man könnte das Konzept sicherlich auch problemlos für ein halbtägiges Angebot anpassen. Ebenso wäre die Teilnehmendenzahl beliebig nach oben skalierbar – vorausgesetzt der Platz reicht aus und es gibt genug Lego für alle 🙂

Hintergrund: Inhaltliche Thesen zu Lernkulturveränderung

Der Workshop baute bei uns direkt auf meinem vorherigen Impuls auf. Hier hatte ich versucht, einige grundlegende Denkanstöße weiterzugeben.

Die wichtigsten Thesen waren:

  1. Technologische Entwicklung und gesellschaftliche Veränderungen gehen Hand in Hand. Digitalisierung in der Bildung ist deshalb nicht nur eine Frage der Nutzung von digitalen Tools, sondern stellt uns vor allem vor die Herausforderung, dass eine veränderte Gesellschaft auch eine veränderte Bildung erfordert.
  2. Die gesellschaftlichen Veränderungen lassen sich mit Begriffen wie Komplexität, Ambiguität. Dynamik und Unsicherheit gut fassen. Pädagogische Antworten können hier in drei Richtungen gehen: Erstens, dass es auch weiterhin Basiskompetenzen braucht. Zweitens, dass Schlüsselkompetenzen wie die 4K (Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken) wichtiger werden. Und drittens, dass es immer wichtiger wird, das Lernen selbst zu lernen, Lernfreude zu entwickeln und eigene Anliegen zur Gestaltung der Welt.
  3. Das Ziel von Bildung muss vor diesem Hintergrund sein, dass Lernende zu Konstrukteur*innen ihrer eigenen Lernprozesse zu werden. Das Instrument der didaktischen Schieberegler kann hierbei dabei helfen, Lernende Schritt für Schritt zu immer mehr Entwicklung zu begleiten. Grundlegend ist dabei, dass die Schule ein Ort ist, den Lernende gestalten und an dem sie sich wohlfühlen. Wer sich nicht wohlfühlt und fremdbestimmt ist, kann nicht erfolgreich lernen.

Nach jeder These gab es eine kurze Murmelrunde für Austausch untereinander. Nach dem dritten Teil gab es dafür diese Inspirationsdusche.

Wenn man das Konzept des Workshops weiternutzen will, dann erscheint es sinnvoll, dass die Beteiligten vorab eine ähnliche Orientierung wie mit diesem Impulsvortrag erhalten, falls sie nicht ohnehin schon viel Vorerfahrungen und Wissen über Lernkultur-Veränderung mitbringen. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass dieser Part ‚flipped‘ gestaltet wird. Unter anderem deshalb hat das LISA meinen Impuls aufgezeichnet und wird ihn als OER veröffentlichen. Ich werde an dieser Stelle dann darauf verlinken.

Ablauf des Workshops

Der Workshop fand direkt im Anschluss an den Impuls statt. Vor diesem Hintergrund begannen wir mit der Methode „Zuhörer*in / Redner*in“. Das bedeutete: Jede Person erhielt eine Karte, auf der entweder Zuhörer*in oder Redner*in aufgedruckt war. Alle bewegten sich durch den Raum. Die Reder*innen hielten ihre Karten hoch. Die Zuhörer*innen sammelten sich um die Redner*innen. Es gab ungefähr doppelt so viele Zuhörer*innen wie Redner*innen. Die Regel war, dass keine redende Person allein stehen bleiben sollte. Nachdem sich die Mini-Gruppen gefunden hatten, hatten die Redner*innen genau eine Minute Zeit, um darzustellen, was ihnen aus dem Impuls besonders in Erinnerung geblieben ist und was sie für ihren Kontext als besonders relevant erachten. Dann wurden Karten getauscht, neue Mini-Gruppen gebildet und auf diese Weise noch zwei weitere Runden gestaltet. Das Ziel dieses Einstiegs war es, sich als Gruppe zu finden, zu orientieren und die wichtigsten Impulse kollaborativ zu rekapitulieren.

Für die nächste Methode hatten wir bereits Tische mit Lego vorbereitet. Die Teilnehmenden fanden sich immer zu fünft an solch einem Tisch zusammen.

Vorbereiteter Lego-Tisch

Die Aufgabe lautete dann: Baut eine Schule, in der gutes Lernen in einer veränderten Lernkultur stattfindet! Die Teilnehmenden wurden ermuntert, „mit den Händen zu denken“, das heißt erst einmal loszubauen und dann gemeinsam zu überlegen, was ein bestimmtes Bauergebnis vielleicht darstellen könnte. Da zuvor der Impuls und die Zuhörer*in-/Redner*in-Methode stattgefunden hatte und die Teilnehmenden zusätzlich natürlich auch ganz viele eigene Ideen mitbrachten, funktionierte das sehr gut und es gab fröhliches Bauen mit ganz viel Austausch.

Im nächsten Schritt erhielt jeder Tisch dann einen Stapel Karten mit der Aufforderung an die Gruppen, darauf Stichpunkte zu notieren, was das gebaute Lernen auszeichnet, was es an der eigenen, realen Schule nicht gibt. Pro Karte sollte ein Aspekt notiert werden. Bei uns kam hier eine ganze Menge zusammen. Beispielsweise Flexibilität, mehr Grün, Wahlmöglichkeiten für Lernende oder Rückzugsorte.

Während dieser Aufgabe bereitete ich dieses Koordinatensystem vor:

Vorbereitetes Koordinatensystem an einer Pinnwand

Anschließend erläuterte ich kurz die beiden Achsen:

  • Es ging zum einen um eine Einschätzung, wie groß die Bedeutung für die Veränderung der Lernkultur ist.
  • Zum anderen ging es um die Frage, wie sehr man daran selbst etwas beeinflussen kann.

Die Teilnehmenden erhielten die Aufgabe, sich jeweils eine Karte mit einem gesammelten Aspekt zu nehmen und dann mit einer Person von einem anderen Tisch zu beratschlagen, wo die jeweilige Karte im Koordinatensystem platziert werden sollte. So erhielten alle ein bisschen auch einen Überblick, was an den jeweils anderen Tischen diskutiert worden war. Und wir alle gemeinsam erhielten eine gut sortierte Pinnwand, mit der wir weiter arbeiten konnten.

Ich erläuterte zunächst, dass die Aspekte, die sich möglichst weit rechts oben befinden, am vielversprechendsten erscheinen, um sie zur Bearbeitung aufzugreifen. Denn hier ist eine große Wirkung in Bezug auf die Lernkultur zu erwarten und man hat es zu großen Teilen selbst in der Hand und kann gestalten.

Um in diesem Sinne dann in die konkrete Ideenentwicklung zu kommen, öffneten wir zunächst unser Denken mithilfe der Kopfstand-Methode: Alle nahmen die Karten in der rechten oberen Ecke in den Blick und überlegten sich, was eine mögliche Idee wäre, um diese Aspekte garantiert nicht umsetzen zu können bzw. ganz offensichtlich in die entgegen gesetzte Richtung zu arbeiten.

Der nächste Schritt war dann, dass jede Person einen leeren Zettel bekam und darauf in einem ‚Silent Writing‘ im Stillen für sich eine ‚Wie können wir…?‘-Frage notierte. Das konnte eine Frage sein, die sich sehr direkt aus einem angepinnten Aspekt ergab. (Beispiel: Aus der Karte mit dem Aspekt Rückzugsorte konnte die Frage werden: Wie können wir an unserer Schule mehr Rückzugsorte schaffen?) Ganz genau so war es aber auch möglich, mehrere Aspekte aufzugreifen oder die Fragen vor dem Hintergrund des eigenen Kontexts konkretisierter zu stellen.

Mit diesen Zetteln und einem Stift fanden sich die Teilnehmenden dann zu Dritt für eine Troika-Beratung zusammen. Das funktionierte so, dass eine Person begann, ihre Frage vorstellte und erläuterte, warum sie sie relevant findet. Dann drehte sie sich weg und die beiden anderen Personen beratschlagten, welche Ideen ihnen zu der aufgeworfenen Frage einfallen würde. Die weggedrehte Person war nicht Teil der Kommunikation, hörte aber zu und konnte sich Notizen machen. Insgesamt hatte man für die ganze Runde 4 Minuten Zeit. Dann waren Person 2 und 3 aus der Gruppe an der Reihe, wobei nach dem gleichen Raster vorgegangen wurde.

Durch die Beratschlagungen hatten alle nun viele Ideen und Ansatzpunkte im Kopf. Drei davon wurden in einem Silent Writing auf einem dazu verteilten Zettel notiert. Während der Zeit der Troika-Beratung hatte ich ein paar zufällige Gegenstände auf den Tischen verteilt (z.B. eine Muschel, einen Wecker, Sonnencreme, ein rosa Glitzer-Einhorn, eine Packung Gewürze für Weihnachtsplätzchen …). Wem gar nichts einfiel, konnte diese Gegenstände für ein Gegenstände-Brainstorming nutzen und versuchen, ob man mithilfe von Assoziationen zu diesen Gegenständen auf Ideen kam …

Danach wurde der mit drei Ideen ausgefüllte Zettel zur Kommentierung weitergegeben. Da unsere Zeit etwas knapp war, machten wir hier nur zwei Runden. Wir nutzen diese Vorlage:

Im letzten Schritt bekam jede Person wieder den ursprünglichen Zettel zurück und erhielt eine Ideenkarte. Darauf konnte eine Idee notiert werden, erste Stichpunkte dazu festgehalten werden und – da wir ja beim Moodle-Tag waren – auch mögliche Verbindungen zur Digitalisierung bzw. speziell zu Moodle festgehalten werden. Es war dabei möglich, dazu eine Idee von der eigenen Vorlage auszuwählen. Genauso konnte sich die Gruppe aber auch für andere Ideen entscheiden. Wichtig war, dass jede Person eine Idee notierte.

Damit waren wir schon fast am Ende. Der letzte Schritt war eine Crowd-Bewertung, die direkt schon auf der Rückseite der Ideenkarte aufgedruckt war. Wir stellten uns in einem Kreis auf. Die eigene Ideenkarte wurde an die jeweils nächste Person weitergegeben. Diese las die Idee, drehte die Karte um und bewertete die Idee mit einer Zahl von 0 (= das wäre für mich nicht sinnvoll) bis 10 (= das fände ich auch für mich relevant und wäre sofort mit dabei). Dann wurde die Ideenkarte an die nächste Person weitergegeben. Sobald bei einer Karte alle Bewertungen ausgefüllt waren, wurden sie zusammengerechnet und wir konnten die drei höchst bewerteten Ideen vorstellen.

Meine Reflexion und Learnings

Ich finde, dass der Workshop insgesamt sehr gut geklappt hat, was sich auch in den direkten Rückmeldungen der Teilnehmenden und dem begeisterten Mitmachen zeigte. Drei Aspekte habe ich für mich im Anschluss reflektiert. Vielleicht helfen sie auch dir, wenn du Ähnliches vorhast:

  • Die Kopfstand-Methode macht immer wieder viel Freude. In diesem Workshop hatte ich eher den Eindruck, dass wir sie nicht brauchten. Im Rückblick hätte ich sie eher weggelassen, um dann zum Ende hin mehr Zeit zu haben. Denn da wäre es richtig gut gewesen, wenn wir uns insbesondere für das Notieren der Ideen mehr Zeit hätten nehmen können.
  • Die Troika-Beratung funktioniert immer wieder ausgezeichnet. Meist gibt es zu Beginn erst einmal etwas Skepsis bei den Teilnehmenden (Warum muss ich mich denn wegdrehen?), aber dann merken alle immer, dass gerade in dieser klaren Struktur und Abkehr der fragenden Person von einer Rolle des Mitdiskutierens die große Stärke der Methode liegt. Anders als bei früheren Einsätzen, bei denen ich erst eine Minute Zeit zur Vorstellung der Frage gab, dann abklingelte und dann noch einmal drei Minuten Zeit zur Beratschlagung gab, gestalteten die Gruppen dieses Mal die vier Minuten für sich. Ich gab ihnen den Hinweis mit auf den Weg, dass man umso weniger beraten wird, je länger man braucht, um seine Frage vorzustellen. Mit diesem Hinweis hatte ich den Eindruck, dass es sehr gut funktionierte und damit etwas ruhiger und selbstbestimmter war, als beim Abklingeln zwischendrin.
  • Die Crowd-Bewertung am Ende war aufgrund der sehr unterschiedlichen Hintergründe der Teilnehmenden (von der Förderschule auf dem Land bis hin zum Gymnasium in der Stadt) eigentlich nicht wirklich zielführend. Denn die entwickelten Ideen konnten durchaus für eine Person sehr sinnvoll sein, für eine andere aber gar nicht. Ich finde es aber trotzdem gut, dass die Teilnehmenden die Methode kennenlernen konnten. Denn es war mit ein Ziel des Workshops, die Teilnehmenden zu einem Transfer an ihre Schule zu befähigen. Und bei einer Durchführung vor Ort an einer bestimmten Schule kann dieser Abschluss sehr sinnvoll sein.

Fazit und nächste Schritte

Gemeinsam mit dem LISA werde ich die aufgezeichneten Videos aufbereiten und veröffentlichen. Zugleich soll auch das Konzept des Workshops noch besser zur Weiternutzung aufbereitet werden und in einem Moodle-Kurs mitsamt der Videos zur Verfügung gestellt werden. Ich werde das Ergebnis dann hier verlinken.

Vor diesem Hintergrund sind Impuls und Workshop für mich nicht nur ein Beispiel für einen sehr gelungenen Vor Ort-Termin, sondern zugleich auch ein gutes Beispiel dafür, wie man solche Vor Ort-Einsätze nachhaltig anlegen kann, indem man die Weiternutzung von Anfang an mitdenkt.

Herzlichen Dank an die Kolleg*innen für die gute Zusammenarbeit und an die Teilnehmenden für das Interesse und die aktive Beteiligung. Es hat mir viel Freude gemacht!


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