Meine Notizen von der Edunautika 2022

Am 17./18. Juni 2022 war ich bei der Edunautika in Hamburg – ein Barcamp in/ trotz digitalem Wandel. Wie auch schon bei den letzten Malen komme ich mit vielen Inspirationen zurück. In diesem Blogbeitrag sortiere ich meine Eindrücke und Learnings. Ich teile diese Notizen, weil vielleicht auch andere davon profitieren können. Und ich bin neugierig auf weiterer solcher ‚Notizen‘ von anderen Teilgebenden beim Barcamp. (Jule hat ihre Notizen mit diesem sehr schönen Thread schon geteilt)

Wer sich einen umfassenderen Überblick als meine selektive Darstellung machen will, liest am besten den Hashtag #Edunautika oder stöbert in den (gut gefüllten) Session-Dokumentationen, die über den Sessionplan verlinkt sind.

Meine Notizen stammen sowohl vom Besuch verschiedener Sessions vor Ort und da auch meinen eigenen Angeboten – als auch vom nachträglichen Stöbern in den Dokumentationen.

1. Geteilt: Offene Materialien zu Dokumentation, Design Thinking und resilienter Mediennutzung

Solch ein größeres Barcamp wie die Edunautika ist zunächst einmal ein guter ‚Anstubser‘ für mich selbst, um Sachen zu erstellen und zu teilen. Hier sind die offen nutzbaren Materialien, die als ‚Nebenprodukt‘ meiner Edunautika-Angebote entstanden sind:

2. Bestätigung: Analoge Kreativitätsmethoden machen Freude und sind wirkungsvoll. Präsenzverherrlichung ist toll :-)

Bei meiner oben bereits erwähnte Station zu Kreativitätsmethoden aus dem Design Thinking habe ich gemerkt: Die lange oft nur reine Online-Zeit hat viele Menschen aufgeschlossener für ‚analogen Quatsch‘ gemacht, wenn sie sich jetzt dann mal wieder vor Ort treffen. Ich werde das auch zukünftig bei vielen Workshops und Lernangeboten nutzen – und bin gespannt auf die Berichte, der Menschen, die an meiner Station waren, welche Erfahrungen sie machen.

Auch die Edunautika selbst hatte sich ein bisschen das Motto der ‚Präsenzverherrlichung‘ gegeben. Es hat Freude gemacht, daran teilhaben zu können. Zum Ende gab es z.B. zwar kein gemeinsames Singen, aber mit der Flipped Scharade ein spaßiges Abschlussspiel, dessen Folien hier zum Weiternutzen geteilt sind.

3. Anstoß zum Weiterdenken: Wie halten wir es mit Basiskompetenzen?

Vor allem in der Session zum Fremdsprachenlernen in einer Kultur der Digitalität sind wir auf die Herausforderung der Basiskompetenzen gestoßen. Unsere Frage war hier: Wie können Basiskompetenzen in einer Kultur der Digitalität wirkungsvoll und zeitgemäß entwickelt werden – oder fällt man da dann zwangsläufig (und vielleicht auch richtigerweise?) zurück auf geschlossenes Lernen, bei dem Digitalisierung hauptsächlich zum Testen und Selbstüberprüfen genutzt wird? Übertragen auf das Fremdsprachenlernen bedeutet das z.B.: Ein Tool wie Deepl lässt sich toll mit fortgeschrittenen Lernenden einsetzen, damit sie Übersetzungsergebnisse vergleichen und reflektieren. Zu Beginn des Fremdsprachenlernens würde man das Tool aber wahrscheinlich eher verbieten und ganz klassische Vokabeltests schreiben bzw. Schüler*innen Vokabellern-Apps empfehlen. Oder geht das doch auch anders?

Ich möchte an dieser Frage gerne weiterdenken und mich auch nach alternativen Beispielen umsehen.

4. Ausgelagerte Debatte: Schulbücher sind ein Instrument der Verdummung

In einer Session von Timo haben wir über die Frage diskutiert, wie wir mehr Kreativität in das Lernen bringen können? Als eine Idee und Beispiel hat eine Kollegin der gastgebenden Winterhuder Reformschule vom Lernen ohne Schulbücher berichtet, was offene Lernprozesse und Fragen der Schüler*innen ermöglicht. Wir haben dazu in der Session nur kurz diskutiert. Die Frage, ob Schulbücher offenes und kreatives Lernen denn verhindern, habe ich aber auf Twitter geteilt. Ergänzt habe ich einen Text des Reformpädagogen Célestin Freinet aus dem vorigen Jahrhundert mit dem provozierenden Titel: „Schluss mit den Schulbüchern. Schulbücher sind ein Instrument der Verdummung!

Auf Twitter lässt sich die daran anknüpfende, zum Teil sehr kontroverse Diskussion nachlesen, die mich überrascht hat. Ich hätte so viele Meinungen zu diesem Thema gar nicht erwartet. Sollte es eine weitere Edunautika geben, werde ich genau zu dieser Frage eine Session anbieten :-)

5. Hybridität: Buddy-System im Test

Die Edunautika hat mit einer interessanten und edunautika-passenden Form von Hybridität gearbeitet: Wer nicht vor Ort sein konnte, konnte nicht einfach einen Livestream verfolgen und sich zuschalten. Stattdessen musste man sich einen ‚Präsenz-Buddy‘ suchen, der (mit eigenem Smartphone oder Tablet) einen Raum eröffnete, einen einlud und dann überall hin mitnahm. Die Präsenz-Buddy waren vor Ort mit einen blauen Lanyard erkennbar. Man wusste dann, dass die Person sein/ ihr Online-Buddy dabei hatte.

Ich war im Vorfeld skeptisch in Bezug auf dieses Modell. Wahrscheinlich hauptsächlich deshalb, weil es mit meinen eigenen Online-Lerngewohnheiten so sehr bricht: Denn wenn ich online lerne, dann genieße ich es sehr, manches Mal auch nur Lurkerin zu sein und mich zuschalten und rausnehmen zu können, wie es mir passt. Das ermöglicht es mir, ganz flexibel, selbstbestimmt genau das mitnehmen zu können, was ich möchte.

Meine Beobachtung nun bei der Edunautika war, dass die Online-Buddies das Gegenteil von Lurkerinnen, sondern sehr involviert waren. In meiner Session haben z.B. gleich vier Online-Buddies mitdiskutiert – und das im Wortsinne, d.h. sie haben mitbekommen, was in sehr wuseligen Guppenphasen vor sich ging – und haben sich dort dann auch zu Wort gemeldet. Die Präsenz-Buddies haben ihre Aufgabe – so wie ich es beobachtet habe – sehr ernst genommen. Vor diesem Hintergrund haben die Online-Buddies zu keinem Zeitpunkt ‚gestört‘, sondern haben ganz im Gegenteil sehr viel beigetragen. Bei klassischen hybriden Übertragungen empfand ich die ‚Zugeschalteten‘, wenn ich selbst vor Ort war, dagegen entweder als störend oder ich bekam gar nichts von ihnen mit.

Meine anfängliche Skepsis bleibt deshalb nur zum Teil bestehen: Ich weiß weiterhin nicht, ob ich die Muße gehabt hätte, ein Online-Buddy zu sein, wenn ich nicht nach Hamburg hätte fahren können. Ich revidiere meine Skepsis aber dahingehend, dass ich jetzt finde: Wenn echte Beteiligung aus der Ferne bei gleichzeitigem echten Austausch vor Ort angestrebt ist, dann hat sich das Modell bewährt.

Auf die Reflexion und Auswertung darüber – vor allem mit denem, die Präsenz- und Online-Buddies waren – bin ich sehr gespannt.

6. Lesen: Literatur-Empfehlungen aus zahlreichen Sessions

Viele Bücher fanden am Edunautika-Büchertauschtisch neue Besitzer*innen. Ich war zu langsam und habe kein für mich spannendes Buch mehr gefunden, aber habe stattdessen aus vielen Sessions Lektüreempfehlungen mitgenommen.

Hier ist meine Liste:

  • Mythos Bildung von Aladin El-Mafaalani: Hierauf wurde mehrmals Bezug genommen in der Session zu Bildungsgerechtigkeit und offenen Unterrichtsformen.
  • Building a second brain von Tiago Forte: Empfohlen in der Session zu Luhmanns Zettelkasten – und den dann vorgestellten Möglichkeiten, sich digital mit Tools wie z.B. Obsidian ein ‚zweites‘ Gedächntnis aufzubauen.
  • Exit to Racism von Tupoka Ogette: Aus der Session zu Privilegien erkennen, in der ich selbst nicht war, aber das Pad dazu gelesen habe.
  • Was weiße Menschen nicht über Rassismus wissen aber wissen sollten von Alice Hasters. Ebenfalls aus dieser Session.
  • Gerechte Schule von Rita Panesar. Noch eine Buchempfehlung aus dieser Session.
  • Lesen im digitalen Zeitalter von Gerd Lauer aus der Session zu Literatur via Youtube. Ich habe das Buch schon gelesen, aber will aus dieser Perspektive nochmals reinschauen.
  • Everything good is bad for you von Steven Johnson: Auch aus dieser Session – und mit der Perspektive geteilt, dass Populärkultur ernster genommen werden sollte.
  • All you have to do is ask von Wayne Baker: Wie zu vermuten aus der Session zum Fragen stellen lernen. Da ich das für ein sehr wichtiges Thema halte, bin ich gespannt, auf diese Empfehlung. In der Session selbst, war ich nicht mit dabei.

7. Ausprobieren: Analoge und virtuelle Spiele zu Medienkompetenz

Es wäre kein Barcamp und erst recht keine Edunautika, wenn nicht auch ganz viele Sachen zum praktischen Ausprobieren und Erkunden mit dem Fokus auf digitale Mündigkeit geteilt worden wären. Insbesondere dieses Padlet mit ‚Games for Future‘ scheint mir eine wahre Goldgrube zu sein. Für ‚Unplugged Medienpädagogik‘ will ich mir dieses Planspiel zu Big Data anschauen. Und durchsehen will ich mir auch diesen Blogartikel im Medienpädagogik Praxisblog mit zwei Spielen ohne Strom.

8. Entscheidendes Thema: Demokratie und Schule in widrigen Umständen

In mehreren Sessions kamen wir bei unseren Diskussion an Grenzen, wenn es um die Gestaltung von Schule ging – die aber in widrigen Umständen erfolgen muss. Aus der Session zu Inklusion las ich z.B.: „Herausforderung ist oft nicht die Inklusion in der Schule, sondern gesellschaftliche Segregation, die in die Schule hineingetragen wird bzw. Anschluss nach der Schule.“.

Ich selbst habe zum einen in der Session zu Bildungsgerechtigkeit und offenen Lernformen auch zu diesem Thema diskutiert. Meinen ‚Aha‘-Moment von dort – Schule demokratisieren, um Emanzipation zu ermöglichen – habe ich auf Twitter geteilt.

Deshalb ging ich dann auch später zur Session zum Klassenrat. Hier standen wir dann aber wieder vor der Frage: Können wir in der Schule ‚Demokratie‘ spielen, wenn der Rahmen es uns nicht erlaubt, eine tatsächlich demokratische Schule zu gestalten?

Auch dieses Thema möchte ich gerne zum Weiterdenken mitnehmen.

9. Nicht vergessen: Dokumentation mit Upload-Möglichkeit

Ich habe es bereits in meinen ‚Zwischen-Notizen‘ nach dem ersten Tag geteilt, aber nehme es hier der Vollständigkeit halber nochmals auf:

Die für mich beste (und eigentlich auch sehr naheliegende) Idee (von @gibro) aus dem Dokumentationsworkshop war, das bis jetzt klassische Barcamp-Setting zum Dokumentieren mit einem Etherpad pro Session zu erweitern hin zu einer kollaborativen Upload-Umgebung. Hier sollte auch ein kollaboratives Pad vorhanden sein, aber dann vor allem auch die Möglichkeit Bilder, Skizzen, Fotos, Audios … zur eigentlichen Sessiondoku ergänzend hochzuladen. Umsetzbar müsste das z.B. mit der Nextcloud sein. Ich freue mich aufs Ausprobieren bei einem zukünftigen Barcamp.

10. Sonstiges: Unsortierte Notizen, die ich im Blick behalten will

Bei der Durchsicht der Pads sind mir die folgenden Links aufgefallen, die ich unbedingt ansehen und nutzen möchte:

  • Hier gibt es eine – wie es mir erscheint – gut erklärte und einfache Übung zur Reflexion von Privilegien.
  • Weil ich in meinen Vor Ort Workshops gerne mit theaterpädagogischen Elementen arbeite, werde ich im Impro-Wiki stöbern, was zwar auf den ersten Blick etwas unübersichtlich erscheint, aber ziemlich viele Übungen teilt.
  • Im eingerichteten Miro-Board zum Fremdsprachenlernen in einer Kultur der Digitalität sind Ideen geteilt – ich war nur in einer Kleingruppe und will mir gerne noch ansehen, was andere besprochen haben.
  • Vom Projekt Digitale Drehtür (= Schüler*innen gehen für einige Zeit aus dem regulären Unterricht raus und erhalten alternative/ zusätzliche Angebote) hatte ich gehört, aber es mir noch nicht genauer angesehen. Das will ich gerne nachholen.
  • J&K hat sehr viele Selbstlernkurse mit und für das NLQ gestaltet. Toll daran finde ich immer die sehr professionell gemachten Videos und dass alles offen lizenziert ist. Vor diesem Hintergrund nutze ich sie immer sehr viel im Rahmen von kuratierten Flipped-Materialien in Workshops oder eigenen Online-Kursen. Hier ist eine Übersicht aller Kurse. :
  • Ein zunächst unscheinbares Flinga, in dem aber ziemlich viel drinsteckt, ist diese Sammlung über gute Produkte für schulische Projekte:
  • Auch wenn ich selbst nicht mit Sketchnotes arbeitre, freue ich mich über die Buchempfehlung zu Lernen und Lehren mit Sketchnotes, die ich gerne an Interessierte weitergebe.
  • Diese geteilte Typisierung von Gebenden und Nehmenden finde ich für OER-Diskussionen spannend.
  • Ich möchte mir Discourse als Kollaborationstool ansehen.

Was bleibt neben diesen 10 Punkten noch zu sagen?

  • Am wichtigsten natürlich erst einmal Danke: An ein großartiges Vorbereitungsteam, das perfekt professionell und mit so viel Liebe zum Detail die beiden Tage (und auch schon die ganze Vorab-Kommunikation und Vorbereitung) gestaltet hat. An wunderbare Schüler*innen, die sich um Getränke und Essen kümmerten. Und vor allem an so viele teilgebende Menschen
  • Zweitens ein Vorschlag an alle Eltern: Bringt Eure Kinder mit zu solchen Veranstaltungen. Meine achtjährige Tochter war mit dabei, hat am Freitag eine Station über das Lernen an ihrer Schule angeboten und sich am Samstag mit anderen Kindern vernetzt und gespielt – mit Begleitung der Edunautika-Kinderbetreuung. Andere Kinder machten sogar eigene Sessions. Ich denke, dass Erwachsene wie Kinder gleichermaßen profitiert haben.
  • Drittens eine persönliche Einschätzung: Ich fand den sozialen Austausch so ‚ganz in echt‘ gar nicht mal so einfach. In Sessions mitzudiskutieren und eigene Angebote zu machen, war kein Problem. Das ist dann ja ein bißchen wie in einer Videokonferenz. Aber um mir einfach mal in Ruhe Zeit zu nehmen, einen Session-Slot ausfallen zu lassen und mit mehr Zeit zusammen einen Kaffee zu trinken, war ich doch ziemlich unsicher. Und auch in den Sessions habe ich oft erst zienmlich spät begriffen: ‚Ah, die Person, die gerade neben mir sitzt, ist dieser Account auf Twitter …‘ Deshalb auf diesem Weg und eigentlich zu spät: Ich fand es sehr toll, so viele, die ich in den letzten Jahren in Videokonferenzen getroffen oder mit denen ich via Social Media Austausch hatte endlich mal wieder oder auch zum ersten Mal vor Ort zu treffen. Gerne hätte ich mit vielen von Euch mehr und länger gesprochen. Ich hoffe, das klappt beim nächsten Mal :-)


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