Kollaborative Sprint-Challenge: Ideen für Lernformate mit Veränderungskompetenz als Lernziel

Mein Angebot bei der diesjährigen re:publica war eine kollaborative Sprint-Challenge zur Entwicklung von pädagogischen Ideen mit ‚Veränderungskompetenz‘ als Lernziel. In diesem Blogbeitrag dokumentiere ich das Konzept und unsere Ergebnisse. Ich mache das in Form von drei Learnings, die mir besonders wichtig sind und die ich uneingeschränkt weiter empfehlen kann. Weil wir die Ergebnisse in der Gruppe der rund 40 Teilnehmer*innen kollaborativ erarbeitet haben, verzichte ich soweit möglich auf urheberrechtliche Ansprüche und gebe den Blogbeitrag unter CC0 1.0 frei. Viel Freude bei der Weiternutzung und an die Beteiligten für die Erarbeitung.

Learning 1: Lass Dich nicht von suboptimalen räumlichen Gegebenheiten bremsen!

Als ich bei der re:publica ankam und den Workshopraum inspizierte, in dem mein Angebot stattfinden sollte, bin ich ein bisschen erschrocken: Es handelte sich um einen schmalen, relativ kleinen und auch recht stickigen Raum. Ein Workshop mit viel Interaktion und Bewegung, wie ich es geplant hatte, wäre hier gerade bei einer größeren Teilnehmer*innenzahl nur schwierig umsetzbar gewesen. Zum Glück lag der Raum aber direkt am Ausgang – und damit gab es eine große Wiesenfläche, die wir kurzerhand für uns okkupieren konnten. Im Rückblick die wahrscheinlich beste Entscheidung für das Gelingen des Workshops.

Workshop auf der Wiese :-)

Learning 2: Habe den Mut, Dich selbst zurückzunehmen!

Die zweite wichtige Entscheidung hatte ich schon im Vorfeld getroffen: mich selbst zurück zu nehmen! Ich erlebe es immer wieder, dass Workshops eigentlich keine Workshops sind, bei denen vor allem die Teilnehmer*innen etwas erarbeiten, sondern stattdessen versteckte Präsentationen mit einer etwas ausführlicheren Frage/ Antwort Möglichkeit als bei einem klassischen Vortrag. Gerade bei einer kollaborativen Sprint-Challenge war es mir stattdessen wichtig, dass tatsächlich die Teilnehmer*innen und ihr Austausch untereinander im Fokus stehen.

Vor diesem Hintergrund hatte ich im Vorfeld – mit sehr vielen Anregungen von den Liberating Structures und dem Design Thinking – das folgende Konzept entwickelt. (Die große Herausforderung war für mich, in relativ kurzer Zeit von gerade mal einer Stunde zu Ergebnissen zu kommen)

  1. Check-In als Impromptu-Networking: Jede Person sucht sich eine andere Person, die sie noch nicht kennt oder zumindest wenig gesprochen hat. Beide erzählen sich gegenseitig, wer sie sind und warum Veränderungskompetenz für sie ein wichtiges Anliegen ist.
  2. Input als individuelle Reflexionsaufgabe: Jede Person erhält einen Zettel auf dem 10 Aspekte von Veränderungskompetenz drauf stehen. Die Aufgabe lautet, zunächst für sich individuell die Liste durchzugehen – und sich für den Aspekt zu entscheiden, den man selbst am wichtigsten findet. Die 10 Aspekte sind eine Zusammenstellung von mir mit Kompetenzen aus dem Kontext von Bildung für Nachhaltige Entwicklung und dem systemischen Denken. Wer noch einen ganz anderen Aspekt wichtig fand, der nicht auf der Liste zu finden war, konnte natürlich auch diesen aufschreiben.
  3. Austausch zur Auswahl: Die Teilnehmer*innen fanden sich in 3-4erGruppen zusammen und berichteten sich gegenseitig, welcher Aspekt ihnen jeweils am wichtigsten war und warum. Damit war in der Gruppe die Grundlage gelegt, dass alle ein Verständnis zum Ziel der Veränderungskompetenz hatten.
  4. Kopfstand-Methode mit 1-2-4: Um das Denken zu öffnen, nutzen wir anschließend die Kopfstand-Methode, d.h. wir versuchten das Gegenteil zu entwickeln: Was wäre die dümmstmögliche Idee, mit der wir garantiert Veränderungskompetenz nicht erreichen können? Jede Person überlegte sich zunächst in einer Minute eine eigene Idee. Anschließend wurden Paare gebildet, die aus den beiden Ursprungs-Ideen eine noch dümmere Idee entwickelten. Und daran anschließend ging es dann in Vierergruppen. Eine ganz besonders verrückte Idee konnte dann auch noch für alle im Plenum vorgestellt werden.
  5. Assoziationen-Brainstorming: Nun war es Zeit für den Kopfstand zurück, d.h. es sollten Ideen entwickelt werden, die die Entwicklung von Veränderungskompetenz unterstützen. Dabei helfen im Vorfeld zufällig zusammengesuchte Gegenstände (z.B. ein Massageball, ein Pflaster, ein paar Legisteine, ein Luftballon …) und die Aufgabe in Kleingruppen: Sammelt Assoziationen zu Euren Gegenständen – welche pädagogischen Ideen fallen Euch dazu ein?
  6. Konkretisierung: Im nächsten Schritt blieben die Gruppen aus Schritt 6 zusammen. Ihre Aufgabe war es nun, dass jede Person aufbauend auf der vorherigen Diskussion eine Idee für eine methodische Idee/ eine Lenformate-Idee zu Veränderungskompetenz auf einer Metaplankarte festhielt. Die Gruppenmitglieder sollten sich dabei gegenseitig unterstützen, so dass wirklich jede Person der Gruppe eine Idee hatte.
  7. Crowd-Bewertung: Anschließend ging es um die Auswahl: In der Ankündigung meines Workshops hatte ich geschrieben, dass wir 10 Lernformate-Ideen entwickeln wollten. Wichtig war nun also, die 10 Metaplankarten herauszufiltern, die in der Gruppe auf die meiste Begeisterung stießen. (An dieser Stelle ist es mir immer wichtig, festzuhalten, dass das nicht die ‚besten Ideen‘ sind, sondern dass es auch Ideen gegeben kann, die vielleicht nur in sehr spezifischen Situationen passen, aber da dann trotzdem sehr wichtig sind). Für die Sortierung nahm jede Person eine Karte in die Hand und bewegte sich durch den Raum. Sobald sie auf eine andere Person traf, wurden Karten getauscht und sie notierte auf die Rückseite der neuen Karte eine Zahl zwischen 1 (=naja) und 10 (= würde ich sofort ausprobieren), je nachdem wie sie de Idee einschätzte. Dann wurde weiter getauscht. Wer eine Karte mit 7 Bewertungen erhielt, schrieb keine weitere Bewertung mehr darauf, sondern rechnete zusammen.
  8. Sortierung und La Ola Welle: Alle Teilnehmer*innen stellten sich auf einer imaginären Linie auf – sortiert nach der Höhe der Bewertung auf ihrer Karte. Um zunächst alle Ideen wertzuschätzen und uns gegenseitig für die Entwicklung zu feiern, machten wir eine La Ola Welle.
  9. Vorstellung: Zum Abschluss lasen die 10 Personen mit den höchst bewerteten Ideen ihre Karten vor. Noch einmal konnten wir uns alle darüber als kollaboratives Ergebnis unseres Workshops freuen.
  10. Raum fürs Netzwerken: Ich hatte darauf geachtet, dass wir ein paar Minuten vor offiziellem Ende fertig waren. In meiner Abschluss-Moderation konnte ich so alle einladen, sich noch weiter zu vernetzen, Kontakte auszutauschen, wo sie neue Bekanntschaften gemacht hatten und sich auch noch die nicht vorgestellten Ideen anzusehen.

Alle Schritte (bis natürlich auf Punkt 10) waren zeitlich eng getaktet – und wurden von mir jeweils ‚abgeklingelt‘.

Die Veränderungskompetenz-Liste aus Schritt 2 gibt es hier zum Download. Inhaltliche Grundlage war insbesondere das Buch ‚einfach komplex‚:

Learning 3: Bereite die Ergebnisse auf, so dass alle sie weiternutzen können!

Mit dem dargestellten Vorgehen, war sichergestellt, dass alle Beteiligten sich austauschen und hoffentlich auch für sich viele Anregungen mitnehmen konnten. Damit die Inhalte des Workshops aber nicht verpuffen und im allgemeinen re:publica-Trubel untergehen, finde ich es sehr wichtig, diese festzuhalten. Hier kommt dazu die Liste der entwickelten Ideen. Da die meisten Metaplan-Karten nur in Stichpunkten formuliert waren (und auch dazu wie dargestellt nur sehr wenig Zeit war) werden wahrscheinlich hauptsächlich diejenigen, die beim Workshop mit dabei waren, damit etwas anfangen können. Aber vielleicht sind sie zum Weiterdenken ja auch für andere hilfreich.

Hier sind zunächst die mit der Crowd-Bewertung ausgewählten Top 10:

  1. Wir könnten ein Lab zur Entwicklung eines Ideen-Pools konzipieren.
  2. Wir könnten kleine Ideen mit Slogans festhalten und an öffentlichen Orten hinterlassen, damit andere inspiriert werden können.
  3. Wir könnten Peer-Learning weiter voranbringen (= Tandem oder Kleingruppen, die miteinander und voneinander lernen. Dabei besteht die Möglichkeit, sich gegenseitig zu unterstützen und bei anderen Veränderungen ‚anzupieksen‘
  4. Wir könnten Veränderungs-Buddies ausbilden. So gäbe es immer vorhandene Mentor*innen für Veränderung.
  5. Wir könnten ein ‚Blind Changing‘ Lernformat entwickeln. Dabei geht es nur ums Hören, ohne sich zu sehen, voneinander viel zu wissen, den Namen zu kennen oder andere Ablenkung.
  6. Wir könnten eine ‚Abwerf-Challenge‘ konzipieren: Dabei wirft jede Person etwas Altes (= eine gewohnte Sache / Herangehensweise) weg, bespricht das Ergebnis im Team und bekommt Feedback.
  7. Wir könnten mehr darauf orientieren, überholte Dinge kaputt zu machen und eine positive Fehlerkultur lernen.
  8. Wir könnten einen Milestone Workshop konzipieren (z.B. ‚Unser Unternehmen wird vegan. Was ist wann zu tun? Mit allen Abteilungen.
  9. Wir könnten häufiger die Prinzipien des Design Thinking anwenden: Ausprobieren – Testen – Verbessern
  10. Wir könnten eine interaktive App gestalten, die Dir mit täglichen Aufgaben je nach Energielevel zu Veränderung verhilft (viel Energie = krasse Aufgabe; wenig Energie = leichte Aufgabe).

Und hier sind alle weiteren Ideen:

  • Agiles Arbeiten. Im Prozess Veränderungen zulassen.
  • Strukturen durchlässig machen oder aufbrechen (Aggregatzustand verändern)
  • Verschiedene Sinneserfahrungen ermöglichen
  • Kartenset mit Anregungen, jeden Tag etwas Neues zu tun.
  • Problembasiertes Arbeiten und Lernen, d.h. eine Problem/ eine Herausforderung als Ausgangspunkt nehmen
  • Ideen und Inhalte sichtbar machen.
  • Ein Online-Support-Tool bei Arbeitsspitzen mit Fragebogen und Priorisierungsberatung (Wo brennt es? Wo ist Deine Schmerzgrenze)
  • Über einen Gegenstand wie z.B. eine Kassette reflektieren: Wie hat sich dieser Gegenstand bzw. die damit verbundene Nutzung verändert und wird sich noch weiter verändern?
  • Die Veränderungsidee so konkret, präzise und verständlich wie möglich in einem Satz beschreiben.
  • Gleichberechtigter Zugang zu Informationen & Perspektiven, die helfen, eine Entscheidung zu treffen.
  • World Café als Methode nutzen
  • Pausen ohne ‚Programm‘ mit Peers.
  • 2jährige Reise im Alter von 17 Jahren
  • Diverse Teams bauen zusammen ein stabiles Ganzes und Lernen voneinander
  • Zufallswürfeln zu Entscheidungen – und darüber sprechen, ob es okay ist, dass der Würfel entscheidet
  • Interdisziplinäre Lernformate, d.h. verschiedene Perspektiven zusammenbringen.
  • Ein ‚Bewegungsformat‘, d.h. Körper an/ Kopf aus. Innehalten und Fragestellen und aus dem Körper heraus die Antwort geben.
  • Mit einem GPT-4 basierten Reflexionstool lernen zu entscheiden und zu priorisieren (Entscheidung aufschreiben, Optionen Liste generieren, priorisieren, machen, Feedback, von vorne)
  • Workshop, bei dem Teilnehmende mittels gigantischer Pflaster die Natur verarzten
  • Dinge auseinandernehmen und anders zusammensetzen
  • Change durch Design not Desaster, d.h. Anreize schaffen, aus der Komfortzone herauszukommen und ’sicher‘ Veränderungskompetenzen zu schaffen.
  • Lebensgroßes Puzzle gemeinsam in der Gruppe zusammensetzen
  • Spielregeln: Geschützter Raum für freie Entfaltung
  • Bekanntes Utensil zweckentfremden
  • Embody Change: Veränderungsprozesse durch Körperübungen einleiten und begleiten. Die Veränderungen positiv körperlich spürbar machen.
  • Eine einzelne Feder ist klein und dünn, aber ganz viele Federn bilden einen kräftigen Flügel = Anstoß zur Reflexion zu Veränderung: Wie kommen wir da hin?
  • Warm-Up Spiel Ball zuwerfen, um sich auszutauschen zu einem Problem und alle zu Wort kommen zu lassen sowie die Ideen der anderen weiterzuspinnen.

Fazit: Danke an alle Beteiligten und ans re:publica-Team!

Ich hatte bei der Gestaltung des Workshops viel Freude, finde die Ergebnisse sehr spannend und sage deshalb ein großes Dankeschön an alle Beteiligten fürs Mitmachen. Außerdem herzlichen Dank ans Team der re:publica für die Möglichkeit, den Workshop anzubieten und für die ganz ausgezeichnete Organisation. Ich freue mich auf den heutigen Tag 3 bei der re:publica!


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1 Kommentar

@nele hallo Nele. Danke für die Newsletter und anderen Beiträge. Ich mag die LiberatingStrucrures auch und häufig arbeiten wir ko-kreativ… Du hast mit den Learnings aus "Kollaborative Sprint-Challenge" wohl gerade das Programm für unsere Tagung "Transformatives Draussenlernen?" für mich geplant :) danke dafür :)Zu Learning1: #draussenlernen funktioniert: http://www.silviva.ch/umweltbildung/lernort-natur/ sagt auch die Wissenschaft™️ http://www.silviva.ch/hilfsmittel/high-quality-outdoor-learning/

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