Warum ich ein öffentliches Lerntagebuch schreibe und welche Erfahrungen ich damit mache

Mitte Januar stellt sich oft heraus, dass ein guter Vorsatz für das neue Jahr im Alltag nicht so funktioniert, wie man sich das rund um den Jahreswechsel gedacht hatte. Zugleich gibt es aber auch die gegenteilige Erkenntnis: Man stellt fest, dass man anscheinend einen richtig coolen Vorsatz getroffen hat, der sehr viel Freude macht und der sich langsam zu einer Routine entwickelt, die man nicht mehr missen will. Letzteres trifft auf meinen Vorsatz zu, auf meiner Website in diesem Jahr ein öffentliches ‚Lerntagebuch‘ zu führen. Ich nenne die Kategorie ‚Hinter den Kulissen‘.

Was ist mit Lerntagebuch gemeint?

In meinem Lerntagebuch notiere ich, wie ich lerne, lehre und arbeite sowie was dabei gut läuft und was schief geht. Ich orientiere darauf, ungefähr einen Eintrag an jedem Arbeitstag vorzunehmen. Anders als bei meinem Ideentagebuch mache ich das aber weniger strikt, sondern schreibe einfach so, wie es für mich am besten passt. Die Einträge in meinem Lerntagebuch sind Teil meiner Website und damit öffentlich.

Was schreibe ich in meinem Lerntagebuch?

Bis jetzt schreibe ich erstens Reflexionen zum Abschluss des Tages. Ich halte also fest, was ich im Laufe des Tages beruflich gemacht habe und wie es mir dabei ergangen ist. Zweitens schreibe ich auch immer dann, wenn ich etwas Spannend, Neu oder Bemerkenswert finde. Das kann zum Beispiel ein schnelles ‚TIL‘ (= Today I Learned; heute/ gerade habe ich gelernt) sein oder auch eine erste Reflexion zu einem Treffen oder einem Lernangebot, das gerade hinter mir liegt. Drittens habe ich mit der ‚Lego-Reflexion‘ noch ein festes Format, das ich immer freitags nutze. Lego-Reflexion bedeutet, dass ich meine gesamte Arbeitswoche in einem rund 1minütigen Video Revue passieren lasse und dafür einen Legostein in einer zu dieser Woche passenden Farbe auswähle.

Wie schreibe ich in meinem Lerntagebuch?

Während ich in meinem Blog Beiträge veröffentliche, über die ich eher länger nachdenke, reflektiere und recherchiere und die oft einen erklärenden oder manchmal auch appellativen Charakter haben, geht es mir in meinem Lerntagebuch eher um schnell notierte Momentaufnahmen, die ich bewusst ohne viel Hinterfragen aufschreibe. Ich finde es sehr wichtig, dass ich auf diese Weise Learnings, Reflexionen und Gedanken sehr schnell und niederschwellig teilen kann. Wenn ich einen zu großen Anspruch an die Einträge stellen würde, würde ich wahrscheinlich oft auf das Schreiben verzichten und die Einträge hätten einen völlig anderen Charakter.

Warum ist das Lerntagebuch öffentlich?

Da ich grundsätzlich immer offen teile, stellte sich für mich gar nicht die Frage, ob ich mein Lerntagebuch offen und damit öffentlich schreiben will. Stattdessen habe ich überlegt, ob es in diesem Fall wichtige Gründe gibt, vom Normalzustand der Offenheit abzuweichen. Ich habe mir dazu drei Fragen gestellt:

  1. Ist mein Lerntagebuch für andere spannend?
    Diese Frage hatte ich schnell beantwortet: Das weiß ich nicht, aber das muss ich auch gar nicht wissen. Wer es nicht spannend findet, muss es nicht lesen. Aber wer denkt, davon vielleicht profitieren zu können, kann es finden und auch für sich nutzen. Von mir weiß ich, dass ich es immer sehr spannend finde, solche ‚Hinter den Kulissen‘-Einblicke von anderen zu lesen. Das war zumindest ein Anhaltspunkt, dass es anderen vielleicht auch so geht. Wichtig war mir allerdings zugleich auch, kein ‚Nudging‘ in Richtung Lerntagebuch zu machen. Ich habe meine Website deshalb so eingestellt, dass die Beiträge des Lerntagebuchs nicht direkt auf der Startseite erscheinen. Man muss also zum Lesen gezielt die ‚Hinter den Kulissen‘-Rubrik aufrufen.
  2. Ist das indiskret oder anderweitig nicht okay gegenüber anderen?
    Diese Frage fand ich herausfordernder, denn wenn ich über Erfahrungen in der Zusammenarbeit oder über das Lernen mit anderen schreibe, könnte das als Indiskretion oder Kritik wahrgenommen werden. Das betrifft zum Beispiel Reflexionen über Lernangebote, aber auch zu Austauschrunden, in denen ich teilnehme. Ich habe diese Bedenken für mich so geklärt, dass ich sehr konsequent aus meiner Perspektive schreibe und mich selbst hinterfrage – nicht aber das Verhalten von anderen. Außerdem blicke ich immer wertschätzend auf den Austausch mit anderen. Dass ich Namen nur nenne oder Fotos nur teile, wenn ich vorher gefragt habe, versteht sich von selbst.
  3. Nehme ich mich damit selbst zu wichtig?
    Diese dritte Frage hat mich wahrscheinlich am längsten beschäftigt. Ich kam zum Schluss, dass mir selbst das Schreiben eines Lerntagebuchs sehr beim Lernen und Reflektieren hilft und deshalb aus meiner Perspektive kein ‚zu wichtig nehmen‘ ist. Wenn das für andere dennoch den Anschein erweckt, muss mich das wahrscheinlich nicht so sehr kümmern …

Was bringt mir das Lerntagebuch?

Ich habe das Schreiben eines Lerntagebuchs in den ersten Wochen bewusst sehr offen gestaltet. Das heißt, dass ich einfach mal geschaut habe, welche Art von Einträgen sich ergeben und in welcher Form ich schreibe. Nachdem das Schreiben nun langsam zu einer Routine wird, habe ich mehrere Bereiche identifiziert, in denen das Lerntagebuch für mich hilfreich ist.

  • Handlungen und Routinen reflektieren: Natürlich habe ich auch schon ohne Lerntagebuch über meine Handlungen und Routinen reflektiert. Indem ich aber darüber schreibe, werden Sachen für mich selbst offensichtlicher. Und oft hätte ich auch manches einfach gar nicht näher betrachtet (z.B. Warum war ich heute so unproduktiv?). Dadurch, dass ich aber noch ein Fazit des Tages in meinem Lerntagebuch festhalten will, denke ich darüber nach.
  • Projekte verfolgen: Ich fange an, die Einträge in meinem Lerntagebuch mit Schlagworten zu versehen, die ich Projekten vergeben, mit denen ich längerfristig beschäftigt bin. So ist für mich sehr gut nachvollziehbar, wie ich z.B. eine Konzeption für einen Workshop entwickelt habe und was die einzelnen Schritte dahin waren. Besonders hilfreich finde ich hier, dass ich diese Schlagworte auch für Beiträge in meinem Ideentagebuch und meinem Blog verwende. So ergibt sich ein sehr vielfältiges Bild.
  • Lernen sichtbar machen und dokumentieren: Am meisten hat mich beim Schreiben meines Lerntagebuchs überrascht, wie viel ich jeden Tag einfach so nebenher lerne. Das wird sehr wahrscheinlich bei allen Menschen so sein, aber zumindest mir ging es so, dass ich mir dessen ohne Aufschreiben nicht wirklich bewusst war.
  • Aus Fehlern lernen: Es ist mir ein großes Anliegen, in meinem Lerntagebuch auch über das Scheitern zu schreiben. Das ist oft nicht einfach, aber ich finde es sehr hilfreich, denn nur so lässt sich aus Fehlern lernen. Besonders spannend finde ich, dass es gerade diese Einträge über das Scheitern sind, zu denen ich die meisten Rückmeldungen bekomme und sich so die Perspektive ergibt, auch gemeinsam an Herausforderungen weiterzudenken.
  • Wertschätzung zeigen: Ich schreibe häufig über die Zusammenarbeit mit anderen Menschen. Für mich ist das auch eine Form von Wertschätzung ihnen gegenüber, weil ich zeige, dass ihre Gedanken und Ideen wertvoll für mich sind und ich mich damit auseinandersetze und daran weiterdenke.
  • Längerfristige Reflexion sichtbar machen: Vor allem mithilfe meiner freitäglichen Lego-Reflexion hoffe ich, auch längerfristige Entwicklungen in meinem Arbeiten, Lehren und Lernen für mich sichtbar und reflektierbar zu machen. Im besten Fall habe ich damit am Ende des Jahres eine knappe Stunde Videomaterial mit einem Schnelldurchlauf durch mein Jahr …

Fazit

Ich schreibe mein öffentliches Lerntagebuch erst wenige Wochen. Für ein ‚richtiges‘ Fazit ist es somit noch viel zu früh. Meine bisherigen Erfahrungen bestärken mich aber sehr in dem Projekt. Schon jetzt finde ich es spannend, nachlesen zu können, wie ich z.B. Projekte vorbereitet habe. Das Schreiben sorgt zugleich für mehr Fokus und Prioritätensetzung. Vor allem finde ich es sehr hilfreich, in diesem Format auch ganz offen über Zweifel, Unproduktivität und Scheitern schreiben zu können. Und ich freue mich, über sehr ehrliche und konstruktive Rückmeldungen, die ich auf einzelne Beiträge erhalte. Das eröffnet sehr viele Perspektiven zum gemeinsamen Weiterlernen. Vor diesem Hintergrund kann ich das Schreiben eines öffentlichen Lerntagebuchs sehr empfehlen. Für mich werde ich es in jedem Fall erst einmal beibehalten 🙂. Und wenn Du jetzt einen Blick in mein Lerntagebuch werfen willst: Hier findest du die bisherigen Einträge!


Beitrag merken & teilen

Hier kannst Du dir den Link zum Beitrag kopieren - beispielsweise um ihn für Dich zu speichern oder mit anderen zu teilen. Wenn Du den Link in den Suchschlitz im Fediverse einfügst, kannst Du den Beitrag von dort aus kommentieren. Die Kommentare erscheinen dann nach Freigabe hier auf der Website.