Ideenwerkstatt für Workshops zu geschlechtlicher Identität, sexueller Orientierung und Antidiskriminierung

Schlau Hannover ist ein Bildungs- und Antidiskriminierungsprojekt zu geschlechtlicher Identität und sexueller Orientierung. Die Kolleg*innen bieten Workshops in Schulen an, um Diskriminierung, Homo-, Trans- und Queerfeindlichkeiten entgegen zu wirken.

Letzten Sonntag war ich für einen internen Fortbildungstag angefragt. Geplant war eine Mischung aus ‚Wir lernen spannende Methoden kennen‘ und ‚Wir entwickeln für uns passende, neue Methoden für unsere Workshops‘ – also eine Art Methodentraining plus Ideenwerkstatt. Über mein Vorgehen berichte ich in diesem Blogbeitrag. Vielleicht kannst du daraus Inspirationen für die eigene Gestaltung von Workshops für dich mitnehmen. Für die beteiligten Kolleg*innen ist der Blogbeitrag zugleich die Dokumentation des Vorgehens.

Grundsätzliche Idee

Ich habe die beiden Teile der Anfrage – Methoden kennenlernen und Methoden entwickeln – als grobe Struktur für den Tag genutzt: den Kennenlern-Teil haben wir vor der Mittagspause gemacht; den Ideenentwicklungsteil dann nach der Mittagspause. Da ich es für den ersten Teil wenig sinnvoll finde, abstrakt Methoden auszuprobieren, war die Orientierung dafür, Methoden dadurch kennenzulernen, dass gemeinsam der genaue Bedarf zur Weiterentwicklung der Methoden im Sinne von ‚Wie können wir …?‘-Fragen konkretisiert wurde.

Unser Vorgehen

Da wir nur eine relativ kleine Runde mit 10 teilnehmenden Personen waren, die sich auch untereinander kannten, begannen wir im Plenum mit einer nur schnellen Stimmungsabfrage zum Ankommen. Anschließend nutzte ich drei Runden ‚Zuhörer*in/Redner*in‘ mit der Frage: „Was möchtest/ kannst du heute insbesondere beitragen?“ Zuhörer*in/ Redner*in heißt, dass alle Beteiligten Karten mit einer der beiden Rollen bekommen und sich die zuhörenden Personen dann um die redenden Personen sammeln und für eine Minute wirklich nur zuhören. Danach werden Karten getauscht.

Nach diesem Einstieg starteten wir direkt mit Teil 1.

Teil 1: Entwicklung von ‚Wie können wir?‘-Fragen

Anstelle eines ’stillen Schreibens‘, bei dem Teilnehmer*innen zunächst für sich Gedanken und Ideen in Stichpunkten festhalten und sich darauf aufbauend besser fokussiert und vorbereitet in die folgenden Interaktionen einbringen können, stellte ich dieses Mal eine ‚stille Gedankenreise‚ an den Anfang. Wer mochte, konnte die Augen schließen. Dann war 1 Minute Zeit, um sich für sich im Stillen an zurückliegende Workshops zu erinnern und sich diese wieder möglichst konkret ins Gedächtnis zu rufen.

Auf dieser Grundlage gestalteten wir dann ein Crowd-Storytelling. Dazu wurde ein Innenkreis und ein Außenkreis aus Stühlen gebildet, wobei die Stühle zueinander standen. Auf den Stühlen des Innenkreises verteilte ich verdeckte Karten mit diesen Fragen:

  • Was empfindest du in Workshops an Schulen als sehr herausfordernd?
  • Was fandest du in einem Workshop richtig gelungen und wie kam es dazu?
  • Was ist in einem Workshop schon einmal richtig schiefgegangen und warum?
  • Inwieweit hätte dir ein Workshop, wie in Schlau Hannover anbietet, zu deinen Schulzeiten geholfen?
  • Welches Feedback zu einem Workshop fandest du besonders wichtig und warum?

Alle suchten sich einen Platz. Danach las jede Person im Innenkreis die Frage auf der jeweiligen Karte und richtete sie an die ihr gegenüber sitzende Person im Außenkreis. Diese antwortete. Die Person im Innenkreis versuchte so viel wie möglich zu erfahren und konnte beliebig nachhaken. Nach 3 Minuten suchten sich alle einen neuen Platz, wobei ein Wechsel zwischen Innen- und Außenkreis stattfinden sollte. Auf diese Weise gestalteten wir mehrere Runden.

Ich mag solch ein erfahrungsbasiertes Sprechen sehr gerne, weil es dabei erst einmal kein Richtig oder Falsch gibt und man Erfahrungen nicht direkt bewerten muss, sondern als Grundlage nehmen kann zur späteren, gemeinsamen Weiterarbeit.

Ausgehend von diesen Realitätseinblicken wagten wir uns dann an einen Kopfstand und beantworteten die Frage: „Was wäre die dümmstmögliche Art und Weise einen Workshop für Schlau Hannover zu gestalten?“ Wir nutzen dazu Legosteine. Zunächst baute jede Person individuell für sich. Anschließend versuchten die Kleingruppen an den Tischen ihre Modelle zu einem Modell zusammenzubauen. Schließlich blieb immer eine Person zur Vorstellung des Gruppenmodells am Tisch. Die anderen beiden Personen schwärmten an die anderen Tische aus, um sich das Modell der anderen vorstellen zu lassen. Mit den Beobachtungsnotizen konnten dann Karten beschriftet werden mit einem Kopfstand zurück, d.h. mit Kriterien, die für einen gute Workshop wichtig wären.

Ich finde solch ein Bauen mit Lego oder auch mit anderen Materialien immer wieder hilfreich, um ins gemeinsame Denken zu kommen. Auch dieses Mal klappte das wieder sehr gut und machte zugleich auch viel Freude.

Eines der entstandenen Lego-Modelle

Die Karteikarten sortierten wir dann noch mithilfe eines doppelten Vier-Augen-Prinzips auf einer Pinnwand ein. Die Struktur der Pinnwand war: ‚Grad der Umsetzung‘ und ‚Bedeutung für die Gruppe‘. So konnten wir die Kriterien identifizieren, die der Gruppe besonders wichtig waren und zugleich noch wenig umgesetzt wurden. Doppeltes Vier-Augen-Prinzip bedeutet, dass jede Person sich eine Karte nimmt und sich mit mindestens zwei anderen Menschen über die Positionierung ihrer Karte, auch im Vergleich zur Karte der anderen Person abstimmt, bevor sie angepinnt wird. Das ermöglicht eine sehr strukturierte und zugleich sehr interaktive Sortierung.

Nach einer kurzen Pause machten wir uns dann daran, die Rolle der Lernenden zu reflektieren, d.h. uns in die Perspektive der Schüler*innen in den Workshops einzufühlen. Wir bastelten dazu Personas aus Blanko-Holzfiguren, Knete, Pfeifenputzer, Krepp-Papier und weiterem Bastelbedarf. Die Entscheidung, die Personas wirklich richtig zu basteln und nicht nur aufzuzeichnen, war wahrscheinlich die beste bei der ganzen Workshop-Konzeption. Denn so wurden die unterschiedlichen Rollen für alle sehr lebendig.

Gruppenbild mit Personas

Mit den Personas gestalteten wir dann eine leicht abgewandelte Troika-Beratung, was eine Methode der Liberating Structures ist. Dazu bildeten wir zunächst Dreier-Gruppen und gingen dann folgendermaßen vor:

  • Eine erste Person startete und stellte die eigene Persona vor und drehte sich dann weg.
  • Die anderen beiden beratschlagten zusammen, welche Art von Workshop für die vorgestellte Persona gut wäre bzw. was sie brauchen würde.
  • Die zuhörende Persona ‚übersetzte‘ die Beratschlagung für sich in ‚Wie können wir Fragen …?‘ und notierte diese auf Karten.

Anschließend suchte sich jede Person eine andere Person, um die entstandenen ‚Wie können wir Fragen‘ nach Dopplungen zu überprüfen. Die Paare machten dann gleiches in Vierer-Gruppen. Anschließend pinnten wir alle Fragen (bewusst ohne Priorisierung) an eine Pinnwand.

Pinnwand mit den gesammelten ‚Wie können wir …?‘-Fragen

Nach dieser Zusammenstellung ging es – mit dem guten Gefühl schon ziemlich viele und gute Sachen erarbeitet zu haben – in die Mittagspause.

Teil 2: Ideenwerkstatt zur Entwicklung der Methoden

Auf Basis der Arbeiten am Vormittag sollten am Nachmittag dann konkrete methodische Ideen entwickelt werden. Ich hatte mir dazu überlegt, dass wir die Auswahl der ‚Wie können wir …?‘-Fragen mit dem Barcamp-Prinzip gestalten, d.h. wir nicht als Gruppe priorisieren, sondern die Teilnehmer*innen sich jeweils die Fragen wählen können, die sie besonders wichtig finden und gerne bearbeiten möchten. Dazu gab es im Rahmen von drei Brainstorming-artigen Runden die Gelegenheit. Das Ziel dieser Runden war noch nicht, Ideen schon konkret festzuhalten, sondern erst einmal nur den eigenen Kopf mit möglichst vielen Ideen zu füllen.

  • In der ersten Runde machten wir eine Art ‚Stille Post-Gruppenpuzzle. Dazu bildeten wir drei Gruppen. Jede Gruppe wählte eine Karte mit einer ‚Wie können wir …?‘-Frage und schrieb dazu alles auf, was ihr einfiel. Dann lief immer je eine Person aus der Gruppe im Uhrzeigersinn zur nächsten Gruppe, berichtete über die bisherige Sammlung und fragte nach Ergänzungen. Dann lief eine andere Person weiter …
  • In der zweiten Runde machten wir ein Gegenstände-Brainstorming. Jede Person suchte sich eine Karte und zog einen zufälligen Gegenstand. Dann suchten alle den Austausch mit anderen, um mithilfe von Assoziationen zum Gegenstand Ideen für die Frage auf der Karte zu entwickeln.
  • In der dritten Runde bildeten wir wieder Kleingruppen, die eine Karte wählten und dazu dann ein Brainstorming mit Impulskarten gestalteten. Dazu hatte ich Karten mit ‚didaktischen Glückskeksen‚ vorbereitet. Das bedeutet, dass man zur Ideenentwicklung einen Impuls ziehen kann und sich überlegen kann, ob dieser Impuls einem irgendwie weiter hilft. Sobald die Ideenentwicklung stockt, zieht man die nächste Karte.

Falls du Ähnliches auch gestalten willst, ist hier meine Vorlage (Lizenz CC0 1.0)

Aufbauend auf all diesen Kreativitätsmethoden zur Ideenentwicklung erhielt jede Person eine Vorlage zum Brainwriting. Alle hatten dann für sich 5 Minuten Zeit, um drei Ideen zu notieren. Dabei konnten alle auf die vorab gemeinsam entwickelten Ideen, die man ja noch recht ‚frisch‘ im Kopf hatte, zurückgreifen. Es gab drei Runden zur Kommentierung. Dann erhielt jede Person ihren ursprünglichen Zettel zurück.

Hier ist die Brainwriting-Vorlage zum Weiternutzen (Lizenz CC0 1.0)

Anschließend verständigte man sich in Kleingruppen auf eine Idee pro Person und hielt diese direkt in einer vorbereiteten Etherpad-Umgebung fest. Mithilfe der ‚6 Denkhüte‘ von de Bono wurden die Ideen dann noch weiter qualifiziert.

Konkret gingen wir dabei so vor:

  • Einen Stuhlkreis mit 6 Plätzen. Wer hier Platz nahm, suchte sich eine farbige Spielfigur und spielte dann im folgenden diese Rolle.
  • Eine Person, die zu Beginn eine Idee vorstellte.
  • Beobachter*innen, die Kritik/ Weiterentwicklung direkt im angelegten Pad der vorgestellten Idee festhielten.
Farbige Spielfiguren zur Auswahl

Wir hatten Zeit für drei Runden. Mit noch etwas mehr Zeit, hätten wir auch mehr Runden machen können. Mit einer Abschlussrunde beendeten wir dann den Workshop. Als Ergebnis haben die Kolleg*innen jede Menge Methoden praktisch erlebt, viele Fragen und Herausforderungen für sich notiert, zahlreiche Ideen auf den Brainwriting-Zetteln und außerdem 10 bereits recht ausgearbeitete und gut dokumentierte Methoden in den Etherpads. Das ist aus meiner Sicht eine gute Grundlage zur Weiterarbeit.

Fazit

Mit hat der Tag viel Freude gemacht. Herzlichen Dank an alle Beteiligten von Schlau Hannover für die gemeinsame Zeit! Ich bin gespannt, was sich aus den entwickelten methodischen Ideen weiter ergibt und wünsche euch bei euren Workshops viel Freude und viel Erfolg!

Für mich halte ich für zukünftige Workshop-Konzeptionen fest:

  • Ein kollaboratives Storytelling, um erfahrungsbasiert etwas zu entwickeln, lohnt sich sehr.
  • Auch wenn es ein recht großer Aufwand ist: Haptische Spielereien z.B. mit Lego-Steinen oder Bastelmaterial können einen großen Unterschied machen, wenn sie sinnvoll eingesetzt werden.
  • Die interaktive Form der Sortierung von Pinnwandkarten als ‚doppeltes Vier-Augen-Prinzip‘ funktioniert gut und ich kann es häufiger einsetzen.
  • Eine zunächst sehr offene Ideenentwicklung nach dem Barcamp-Prinzip fand ich sehr gut. In anderen Workshops hatte ich sonst oft erlebt, dass sich Teilnehmer*innen sehr schnell auf eine Idee festlegten.
  • Es lohnt sich zum Ende hin von analogen Karten auf vorbereitete Etherpads zu setzen. Das Schreiben darin funktioniert auch wunderbar mit dem Smartphone – und dann sind die Ergebnisse gleich gut dokumentiert.

PS. Wenn du ein bisschen ‚Hinter die Kulissen‘ der Workshop-Konzeption blicken willst, dann kannst du auf meiner Website lesen, was ich neben diesem Blogbeitrag sonst noch zum Schlagwort Schlau-Hannover in meinem Lern- bzw. Ideentagebuch festgehalten habe.


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