Praxisbericht zur Entwicklung einer KI-Strategie in der Pädagogik

Ich bin auf der Rückfahrt aus Köln. Hier fand heute ein Fachgespräch zu Künstlicher Intelligenz (KI) in der gemeinwohlorientierten Weiterbildung statt. Eingeladen hatte die Landesarbeitsgemeinschaft für Katholische Erwachsenen- und Familienbildung in NRW. Ihr war es gelungen, 12 Teilnehmende mit unterschiedlichen Perspektiven (Politik, Wissenschaft und Forschung, Bildungspraxis, Verwaltung und Organisation sowie Öffentlichkeitsarbeit) zu gewinnen, die im Rahmen einer Entwicklungswerkstatt gemeinsam an Handlungsempfehlungen zu dem Thema arbeiten wollten. Ich war beauftragt, das Vorhaben methodisch zu konzipieren und vor Ort zu moderieren.

In diesem Blogbeitrag teile ich, wie wir vorgegangen sind und stelle auch die verwendeten Materialien zur Weiternutzung zur Verfügung. Gedacht ist der Beitrag zum einen für die Teilnehmenden des Fachgesprächs, von denen einige bereits Interesse signalisiert haben, einzelne dieser Methoden auch in eigenen Beratschlagungsrunden und Lernangeboten verwenden zu wollen. Vor allem aber möchte ich die Inhalte und das Vorgehen teilen, um auch für andere Organisationen und Interessierte eine aus meiner Sicht sehr gut funktionierende Vorgehensweise zur Strategieentwicklung im Kontext von KI in der Pädagogik vorzustellen und zum Nachmachen zu ermutigen.

Rahmen

Das Fachgespräch fand in einer optimalen Gruppengröße von 12 Personen statt. Wir hatten Zeit von 10.30 Uhr bis 14.30 Uhr. Einige der Teilnehmer*innen kannten sich von früheren Veranstaltungen. Alle kamen freiwillig, waren sehr motiviert und hatten sich im Vorfeld sehr unterschiedlich intensiv mit KI beschäftigt.

Ablauf

Ich habe das Fachgespräch in mehreren Schritten gestaltet: Wir begannen mit einem Einstieg, es folgte eine Orientierung, dann eine Entwicklung und schließlich eine Ausarbeitung.

Einstieg

Nach einer kurzen Hashtag-Vorstellungsrunde, bei der die Teilnehmenden auch teilten, auf welcher Ebene sie aktiv sind, stiegen wir direkt mit einem Austausch zu KI ein. Jede Person erhielt dazu eine Karte mit einem fiktiven Statement zu KI. Die Aufgabe lautete, sich eine Gesprächsperson zu suchen und sich dann gegenseitig zu berichten, wie man sich zu dem erhaltenen Statement positioniert (Das sehe ich ganz anders, das sehe ich genauso, dazu habe ich noch gar keine Meinung …). Anschließend wurden Karten getauscht und die nächste Gesprächsperson gesucht. Das Ziel war, mit möglichst vielen Personen zu unterschiedlichen Statements ins Gespräch zu kommen. Ausführlich habe ich diese Methode mitsamt möglicher Statement-Karten in diesem Blogbeitrag geteilt.

Diesem ersten Austausch schloss sich ein ‚Foto-Impuls‘ von meiner Seite an. Ich hatte dazu mit Midjourney generierte Bilder groß als Fotos ausgedruckt und legte sie nacheinander mit einer kurzen Erklärung in die Mitte. (Ich mag das sehr als Alternative zu einer Präsentation via Beamer. Es funktioniert vor allem in kleinen Runden gut):

  • Zauberhut und Hexenbesen: KI ist eher gesellschaftliches Narrativ, denn treffende technische Beschreibung. Im historischen Kontext war KI immer das, was gerade so technisch möglich war oder gerade auch noch nicht. KI droht in der gesellschaftlichen Debatte immer mystifiziert zu werden, ‚Menschenähnliche Roboter‘, die versuchen, die Weltherrschaft an sich zu reißen, sind ein beliebtes Thema in Science Fiction Geschichten.
  • Stochastischer Papagei: In der aktuellen KI-Debatte geht es vorrangig um große Sprachmodelle. Das Bild eines ’stochastischen Papageis‘ von Emily Bender kann beim Verständnis zu ihrer Funktionsweise helfen. Wichtig ist vor allem, dass es im Kern um Wahrscheinlichkeitsberechnungen auf Basis von riesigen Datenmengen geht.
  • Suppe: Tools wie ChatGPT können zugleich mehr, als man von einem stochastischen Papagei erwarten würden. Insbesondere würfeln sie nicht nur aus, was am Ende eines Satzes am besten passt, sondern betrachten jeden einzelnen Bestandteil eines Prompts. Man kann sich das ein bisschen wie beim Kochen von Suppe vorstellen. Es gibt ganz viele unterschiedliche Zutaten – und aus der Zusammenstellung all dieser Zutaten entsteht dann ein Output, d.h, ein Geschmack. Es kann aber durch minimale Änderungen (z.B. ein Teelöffel Zitronensaft) auch etwas ganz anderes dabei rauskommen.
  • Werbewand: KI wird sehr wahrscheinlich unser gesamtgesellschaftliches Zusammenleben und die Bildung in den nächsten Jahren prägen. Deshalb ist KI nicht nur ein Hype. Zugleich ist die aktuelle Debatte aber mindestens von Marketing geprägt. Jeden Tag ploppen neue Tools auf, die insbesondere auch Lehrende und Lernende als potentielle Kund*innen sehen.
  • Klick-Arbeiter: KI ist nicht einfach nur Technologie, sondern basiert maßgeblich auf menschlicher Arbeitskraft. Dazu gehört insbesondere die Arbeitskraft von Menschen, deren entwickelten Inhalte als Datenbasis genutzt wurden, die Arbeitskraft von Programmiererinnen und die Arbeitskraft von Klick-Arbeiter*innen, die damit beschäftigt sind – meist zu miesen Arbeitsbedingungen und im globalen Süden – schlechte Inhalte herauszufiltern und die Maschinen auf Inhalte zu trainieren.
Präsentation auf dem Fußboden ;-)

In einer dann folgenden Austauschrunde, bei der Teilnehmer*innen abwechselnd in der Rolle von Zuhörer*innen und von Redner*innen waren, konnten sie ihre Perspektiven und Einordnungen zu KI ergänzen.

Diesen Part beendeten wir mit einem schnellen Blitzlicht im Plenum, in dem jede Person kurz skizzierte, welche Herausforderung zu KI in der Weiterbildung ihr angesichts des bisherigen Austausches besonders bewusst geworden ist.

Orientierung

Nach einer kurzen Kaffeepause vertieften wir unsere Perspektiven auf KI, indem wir zunächst gesamtgesellschaftliche Konsequenzen thematisierten und dann die Weiterbildung in den Blick nahmen.

Zur gesamtgesellschaftlichen Einordnung hatte ich einen ‚Gallery Walk‘ vorbereitet. Es gab mehrere (von Midjourney generierte) Bilder mit jeweils einer kurzen Untertitelung.

Ein Monster aus einem Smartphone
Künstliche Intelligenz ist eine Technologie, die von Menschen gemacht und gestaltbar ist. Sie ist weder gut noch böse. Was damit und daraus gemacht wird, liegt an uns!
Roboter als Schüler*innen in der Schule
Pädagogik zielt auf klügere Menschen, nicht auf klügere Maschinen. Die spannende Frage ist, ob und wie Maschinen dabei helfen können, dass Menschen klüger werden.
Ein verzweifelter Mensch an einem Tisch
Durch die prognostizierte Ersetzbarkeit von Menschen durch KI steigt der Druck auf menschliche Arbeitskraft und gute Löhne.
Ein rauchender Computer
KI-Technologie stellt eine immense Ressourcen-verschleuderung dar. (Prognose Oktober 2023: KI-Technik könnte bald so viel Strom benötigen wie die Niederlande.)
Eine strickende Frau und ein Auto reparierender Mann.
KI-Tools sind mit Inhalten gefüttert, die Stereotype beinhalten. Vor diesem Hintergrund reproduzieren und verfestigen sie tendenziell Stereotype. (Im Bild: Eine Person, die strickt und eine Person, die ein Auto repariert. Die erste Person wird als Frau generiert, die zweite als Mann)
Ein Kind, das an einem Roboter bastelt.
Die Datenbasis und die verwendeten Filtermechanismen von KI-Tools sind weder transparent noch demokratisch gestaltbar.
Ein superreicher Mensch mit Geldscheinen
Wer mehr Geld hat, kann sich mehr und bessere KI kaufen. Es droht eine Verschärfung von Ungleichheit in Bildung und Gesellschaft.

Wir beschäftigten uns damit in drei Schritten.

  1. Alle bewegten sich still durch den Raum und verschafften sich einen Überblick zu den ausgestellten Exponaten.
  2. Alle waren eingeladen, sich Gesprächspartner*innen zur Frage zu suchen, welches Exponat sie besonders beschäftigt bzw. welches sie als besonders wichtig erachten.
  3. Es konnten neue Gesprächspartner*innen gesucht werden. Dieses Mal zur Frage, was man selbst anders sieht bzw. differenzierter darstellen würde bzw. was noch fehlt.

Von dieser großen, gesamtgesellschaftlichen Perspektive kamen wir dann zurück zur Weiterbildung, indem wir uns in drei Gruppen aufteilen. Jede Gruppe bekam eine andere Frage, die gemeinsam in der Kleingruppe diskutiert wurde.

  • Wie können Lehrende und Lernende KI als Werkzeug zum Lehren und Lernen nutzen?
  • Wie kann/ sollte KI als Impuls zur Veränderung der Lernkultur wirken? (= Welche Kompetenzen brauchen Menschen in einer zunehmend von KI-geprägten Welt und welche nicht?)
  • Wie lässt sich KI als Lerngegenstand in Weiterbildungen aufgreifen? (= Nicht nur Nutzung von KI, sondern auch Reflexion über KI)

Anschließend nahm eine Person von jeder Gruppe den jeweiligen Fragezettel und lief im Uhrzeigersinn zur nächsten Gruppe. Dort stellten die ankommenden Personen kurz vor, was bisher gesammelt wurde und gemeinsam überlegte man sich Ergänzungen. Anschließend lief jeweils eine andere Person mit dem Zettel weiter und das Vorgehen wurde wiederholt. So war sichergestellt, dass alle über alles sprechen konnten und die Antworten auf die Fragen durch den Gang durch alle Kleingruppen immer weiter qualifiziert wurden.

Mit dieser Übung war die Orientierung abgeschlossen und wir machten uns an die Entwicklung von Empfehlungen.

Entwicklung

Wenn man sich überlegt, wie gute Weiterbildung gestaltet sein muss, sollte man von den Lernenden ausgehen. Wir versuchten das, in dem sich zunächst alle Beteiligten eine Persona, d.h. eine idealtypische Person aus der Weiterbildung überlegten. Neben typischen Elementen wie Name, Alter, Tätigkeit und besonderen Charakteristika sollte man sich auch überlegen, was die Meinung/ Haltung der jeweiligen Persona zu KI ist und wie sie dem Lernen gegenüber eingestellt ist (z.b. mit hoher Selbstlernkompetenz, eher bildungsfern, …)

Anschließend bildeten wir Dreier-Gruppen und gestalteten eine abgewandelte Form einer Troika-Beratung. Diese gestaltete sich wie folgt:

  1. Eine Person aus der Dreiergruppe stellte den anderen beiden ihre entwickelte Persona vor und drehte sich dann mit dem Rücken zu den beiden anderen Personen.
  2. Die anderen beiden Personen der Gruppe beratschlagten gemeinsam, welche Kompetenzen für die vorgestellte Persona in einer zunehmend KI-geprägten Welt wahrscheinlich wichtiger werden und wie sie diese entwickeln könnten.
  3. Die erste Person hörte bei der Beratschlagung zu und hielt für sich auf Metaplankarten bis zu drei Aspekte fest, was in der Weiterbildung getan werden müsste, damit solch eine Kompetenzentwicklung gelingen kann.

Anschließend wurden die Rollen getauscht. Die nächste Person stellte ihre entwickelte Persona vor und die anderen beiden beratschlagten entsprechend. Ebenso war dann auch noch die dritte Person an der Reihe.

Im Ergebnis hatte jede Person für sich drei Aspekte auf Metaplankarten notiert, die in der Weiterbildung getan werden müssten. All diese Metaplankarten mussten nun zusammengeführt werden, wozu wir dir Methode 1-2-4-all nutzen, wobei die ‚1‘ davon schon erledigt war, da jede Person für sich ja schon Aspekte notiert hatte. Im nächsten Schritt suchten sich alle eine Gesprächsperson, stellten sich gegenseitig die aufgeschriebenen Aspekte vor und versuchten sie, wo möglich zu kombinieren und zusammenzufassen, falls ähnliche Aspekte thematisiert wurden. Im Ergebnis sollte jede Zweier-Gruppe also maximal sechs Karten haben. Das Ziel war es aber, auf weniger Karten zu kommen.

Die Paare schlossen sich dann mit je einem weiteren Paar zusammen. Wieder wurden Karten vorgestellt und wo möglich zusammengefasst. Eine Person aus der Gruppe brachte die entwickelte Kartensammlung dann zu mir an eine Pinnwand, wo wir sie gesammelt aufhängten und auch hier noch einmal Dopplungen rausnehmen konnten. Im Ergebnis hatten wir 10 Aspekte aus der Gruppe gesammelt – und die Teilnehmenden konnten in die wohlverdiente Mittagspause gehen.

Ausarbeitung

Ich nutzte die Mittagspause, um eine kollaborative Arbeitsumgebung zur Ausarbeitung der gesammelten Punkte einzurichten. Wir nutzten dazu Etherpads. Ein Übersichts-Pad ohne Schreibrechte für die Teilnehmenden hatte ich im Vorfeld bereits vorbereitet. Dort trug ich nun die Themen von den Metaplankarten ein – und verlinkte jedes Thema zu einem beschreibbaren Pad.

Nach der Mittagspause ging es dann mithilfe dieser Arbeitsumgebung an die Ausarbeitung. Wir hatten dazu noch eine gute Dreiviertelstunde Zeit, weswegen es hauptsächlich darum ging, Stichpunkte zu den gesammelten Aspekten in den Pads zu notieren. Das Vorgehen sah dabei so aus, dass alle Karten zu Beginn auf einem Kanban-Board in der Spalte ‚To Do‘ eingeordnet waren. Die Teilnehmer*innen konnten sich dann eine Karte nehmen, in die Spalte ‚Doing‘ verschieben, das dazugehörige Pad öffnen und allein oder in kleinen Gruppen ihre Stichpunkte dazu ergänzen. Andere Gruppen konnten daran weiterarbeiten und die Karte dann in die Spalte ‚Done‘ verschieben. Durch dieses Verfahren war sichergestellt, dass wir sehr schnell möglichst viele relevante Stichpunkte zusammen sammelten.

Die Pads bleiben nun noch im Nachklapp der Veranstaltung für Ergänzungen der Teilnehmenden online. Anschließend werde ich sie zusammenfassen und den Auftraggebern so die entwickelte, kollaborative Einschätzung zur Verfügung stellen.

Abschluss

In einer Abschlussrunde haben wir dieses weitere Vorgehen geklärt und abgefragt, ob alle mit einer namentlichen Nennung als Mitarbeitende bei der Entwicklung des geplanten Papiers einverstanden sind. Diese Vorgehensweise ermöglicht es, möglichst viele Aspekte darstellen zu können und transparent zu machen, aus welchen Perspektiven sie entwickelt wurden. Zugleich müssen aber nicht alle mit allen genannten Punkten zwingend einverstanden sein. Die Veranstaltungen endete mit einem schnellen Blitzlicht, in dem die Teilnehmenden sich durchweg zufrieden mit den gewählten Vorgehen zeigten.

Fazit

Ich bin darin bestärkt, dass es sehr lohnend ist, Beratschlagungsrunden sehr kollaborativ zu konzipieren und möglichst durchgehend für alle Beteiligungsmöglichkeiten sicherzustellen. Durch die Einbeziehung von Menschen mit vielfältigen Perspektiven und der Betrachtung von KI nicht nur als Werkzeug, sondern auch als Lerngegenstand, als Impuls zur Veränderung der Lernkultur und als Teil von nötigem Bildungsaktivismus kann es gelingen, zu umfassenden Handlungsempfehlungen zu kommen, die all diese unterschiedlichen Ebenen berücksichtigen. Das entstandene Thesenpapier werde ich nach Fertigstellung hier verlinken. Wenn Du auf ähnliche Art und Weise eine Beratschlagung zu KI oder einer anderen Herausforderung in der Pädagogik angehen willst, dann wünsche ich Dir damit viel Erfolg. Ich bin gespannt, auch von Deinen Erfahrungen zu lesen.


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