‚Kollaborative Vorträge‘

Meiner Erfahrung nach wird bei Anfragen zur Beteiligung an Bildungsveranstaltungen häufig ganz grob zwischen zwei Formaten unterschieden:

  1. ein Workshop: Dieser ist dadurch charakterisiert, dass die Zahl der Teilnehmenden eher klein ist. Meist geht es darum, dass TN praktisch ins Machen kommen und/ oder Austausch stattfindet.
  2. ein Vortrag: Hier kann die Zahl der Teilnehmenden je nach Veranstaltung oft auch groß sein. Erwartet wird, dass man als referierende Person, etwas darstellt/ ausführt/ erläutert.

In diesem Blogbeitrag soll es um das Format des Vortrags gehen. Ich möchte davon berichten, wie sich solche Vorträge – gerade wenn sie online stattfinden – wunderbar zu kollaborativen Lernprozessen umgestalten lassen.

Warum bleiben wir nicht einfach beim klassischen Vortrags-Format?

Aus meiner Sicht kann ein klassischer Vortrag in vielen Fällen sinnvoll sein. Gerade, wenn es gute Redner*innen sind, dann kann er z.B. unterhalten, zum Nachdenken anregen, helfen, sich einen Überblick über ein Thema zu verschaffen … Die folgenden Vorschläge sollen den klassischen Vortrag also nicht ersetzen, sondern Erweiterungen und zusätzliche Alternativen dazu vorschlagen.

Diese Erweiterungen und Alternativen finde ich gerade aktuell relevant, da während der Corona-Pandemie zahlreiche Vorträge online stattfinden. Da dies für viele Beteiligte nach wie vor etwas relativ Neues ist, gibt es eine große Aufgeschlossenheit zum Ausprobieren. Zugleich ist Lernen im Online-Kontext bzw. die Digitalität insgesamt ein gesellschaftlicher Lernprozess, den wir nur durch Erkunden gestalten können.

Wo liegen Herausforderungen für einen Online-Vortrag?

Damit ein guter Vortrag für mich als Zuhörerin funktioniert, finde ich das ‘Drumherum’ wichtig – z.B. ein anschließender Austausch mit anderen Zuhörenden über das Gehörte. Auch hilft es mir, die Stimmung und die Reaktionen der anderen Zuhörenden mitzubekommen. Als Rednerin gilt das fast noch mehr.

Bei Vorträgen im Online-Kontext ist dieses ‘Drumherum’ meist nicht automatisch da, sondern muss gestaltet werden. Darüber hinaus liegt bei einem Online-Vortrag die Frage auf der Hand, ob nicht eine Aufzeichnung – oder gleich ein gut gestaltetes Erkärvideo – besser den erwünschten Zweck erfüllt. Denn solch eine Aufzeichnung kann flexibel und im eigenen Tempo angesehen werden. Wozu braucht es dann aber überhaupt noch Vorträge?

Wo liegt das Bildungspotential von (Online)-Vorträgen?

Das große Potential von Vorträgen, gerade wenn sie online stattfinden, liegt aus meiner Sicht darin, dass eine große Gruppe von Menschen, die alle an einem Thema Interesse haben, zeitgleich ‘zusammenkommt’, um über das Thema nachzudenken. Wenn dieses Potential genutzt werden soll, dann gilt es die Zuhörer*innen aktiv einzubinden – und Vorträge kollaborativer zu gestalten.

Wie lassen sich Vorträge kollaborativ gestalten?

Um Vorträge kollaborativ(er) zu gestalten, gibt es mehrere Möglichkeiten, wie die Interaktion mit den Teilnehmenden (bzw. den Teilgebenden) gestaltet werden kann.

1. Interaktion als Auflockerung

Schon vor der Corona-Pandemie wurden Vorträge an physischen Orten meiner Beobachtung nach mehr und mehr interaktiver – und das oft mit digitalen Abfragetools. Bei Online-Vorträgen bietet sich das noch einmal mehr an, da Teilnehmende beim Zuhören ohnehin vor einem Gerät mit Internetzugang sitzen.

Interaktion als Auflockerung findet meist in Form von in regelmäßigen Abständen eingebauten Umfragen statt. Das kann dazu dienen, um das Gesagte individuell zu rekapitulieren und/ oder um allen Beteiligten zu zeigen, wie die jeweils anderen denken.

Wunderbar funktionieren solche Interaktionen direkt im jeweiligen Videokonferenztool, indem man eine Präsentation hochlädt – und kollaborative Bearbeitung erlaubt. Auf diese Weise können Folien mit Positionierungen, Abstimmungen oder ähnlichem eingefügt werden – und Teilnehmende können markieren, wo sie sich selbst sehen. Durch die Markierungen von allen entsteht ein kollaborativer Überblick.

Als ein externes Umfragetool nutze ich gerne Mentimeter. Gut geeignet ist unter anderem die Wortwolke um schnell ein Stimmungsbild einzufangen. Aber auch die ‘Schieberegler’ funktionieren gut, um Teilnehmende sich bei Thesen zum digitalen Lehren und Lernen positionieren zu lassen. Mehrmals habe ich das z.B. mit den ‘didaktischen Schiebereglern’ von Axel Krommer u.a. erprobt: Zunächst stelle ich die unterschiedlichen Gegenüberstellungen vor; dann bitte ich Teilnehmende, sich selbst zu positionieren.

2. Interaktion zur inhaltlichen Gestaltung

Wenn Interaktion primär im Sinne einer Auflockerung erfolgt, hat das für den Vortrag selbst kaum Auswirkungen. Anders ist das, wenn Interaktion zur inhaltlichen Gestaltung des Vortrags genutzt wird.

Ein sehr frühes Beispiel im ‘Jeopardy-Stil’, wie so etwas aussehen kann, hat Anja Lorenz hier verbloggt: Teilnehmende wählen aus unterschiedlichen inhaltlichen Angeboten, das aus, was sie am meisten interessiert. Die vortragende Person referiert dann darüber. Anstelle der Jeopardy-Folie kann man den gesamten Vortrag als eine Art ‘interaktive Gechichte’ aufbauen – und TN können an den ‘Abzweigungen’ immer auswählen, womit es weitergehen soll.

Noch weiter kann man diese Interaktion zur inhaltlichen Gestaltung entwickeln, indem man als vortragende Person gar nicht mit vorbereiteten Vortrags-Elementen kommt, sondern die Teilnehmenden selbst entscheiden lässt, wozu sie etwas hören wollen. Dazu kann man Fragen sammeln und priorisieren /z.B. via Flinga) und dann diejenigen, die am höchsten bewertet wurden, beantworten. Der Fragesammlungs-Teil kann natürlich auch flipped erfolgen.

3. Interaktion in Kleingruppen

Anstelle der klaren Gegenüberstellung zwischen referierender Person auf der einen und Zuhörer*\innen auf der anderen Seite, kann man Interaktion bei Vorträgen auch als Austausch unter Teilnehmenden sehen. An einem physischen Ort kenne ich das in ‘Murmelrunden’ umgesetzt: ‘Unterhaltet Euch kurz mit Euren Nebensitzer*innen über das Gehörte.’ Im Online-Kontext sind solche Kleingruppen-Arbeiten dank der in den meisten Videokonferenztools verfügbaren BreakOut-Räumen fast noch einfacher umzusetzen. Damit verschwimmen dann die Grenzen zwischen Vortrag und Workshop mehr und mehr.

Besonders gelungen finde ich die Interaktion in Kleingruppen bei Vorträgen, wenn TN die Austauschphasen selbst bestimmen können – so wie es z.B. in Videokonferenztools wie Wonder möglich ist. Der Vortrag wird dann als ‘Broadcast’ gestaltet – und dazwischen bewegen sich die TN selbstbestimmt durch den virtuellen Raum und tauschen sich aus.

4. Interaktion als kollaborative Sammlung

Mit einer kollaborativen Sammlung wird ein Vortrag projekt- bzw- ergebnisorientiert. Dahinter steht die Überzeugung, dass es superschade wäre, nur die Ideen und Überlegungen von einer Person (= der vortragenden Person) festzuhalten, wenn doch während eines Vortrags oft 100 Menschen und mehr mit spannenden Erfahrungen und Perspektiven zusammen kommen.

Von der Technik her kann solch eine kollaborative Sammlung während eines Vortrags ähnlich umgesetzt werden, wie Interaktion als Auflockerung. Zum Beispiel kann mit Flinga oder in einem Menti (mit Fragetyp offene Frage) gesammelt werden. Aber anstatt ‘nur’ Stimmungsbilder, Fragen oder Meinungen einzufangen, werden die dann Teilgebenden aktiv gefordert, mitzusammeln und ihre Erfahrungen beizusteuern.

Ich mag diesen Ansatz unter anderem sehr gerne bei Vorträgen, in denen es um eine allgemeine und eher theoretische Darstellung zum Lehren und Lehren in einer Kultur der Digitalität geht. Von mir als referierender Person können dann einzelne Thesen zur Struktiurierzung kommen – die Teilgebenden füllen sie über die kollaborative Sammlung mit ihren Ideen und Erfahrungen aus. Am Ende ist es für alle toll, dass man gemeinsam so etwas Produktives geschafft hat – und die Sammlung steht dann natürlich mindestens allen Beteiligten zum Weiternutzen zur Verfügung.

5. Interaktion als offener Lernprozess

Mit Vortragsinteraktion als offener Lernprozess ist gemeint, dass sich an der Interaktion nicht nur die Teilnehmenden/ Teilgebenden in der jeweiligen Veranstaltung beteiligen – sondern darüber hinaus auch alle anderen Interessierten zum Mitmachen und zum Beisteuern ihrer Erfahrungen eingeladen sind. Und ähnlich wie bei der kollaborativen Sammlung soll etwas zum Teilen entstehen. Ganz wichtig ist deshalb, dass von vorne herein festgelegt wird, dass die Ergebnisse später für alle offen zur Verfügug stehen sollen.

Ich habe das bei einem ‘Vortrag’ zur Kultur des Teilens bei der Abschlussveranstaltung des Blendes Learning Kurses ‘Digital macht Schule’ in Hamburg erprobt. Gerade zu diesem Thema bot es sich natürlich sehr an, Teilen nicht nur theoretisch zu reflektieren, sondern auch praktisch zu erproben. Vor diesem Hintergrund war es das Ziel, in einer Stunde mit den gut 100 Teilgebenden die grundlegenden Inhalte für eine Website zu diesem Thema zu entwickeln. Die Sammlung von der Veranstaltung wurde dann redaktionell überarbeitet und auf die Website als Beitrag eingestellt. Über die Kommentarfunktion können seitdem alle Ergänzungen vornehmen.

Aus meiner Sicht hat dieser ‘Vortrag’ gut geklappt. Das (vorläufige) Ergebnis findet sich auf Kultur des Teilens. Was ich mir perspektivisch zur Weiterentwicklung vorstellen kann, ist, solch ein Thema mehrmals aufzugreifen – und auf solche Weise Teilgebende von mehreren Veranstaltungen zu vernetzen – und an einem Thema kontinuierlich weiterzuarbeiten.

Deine Erfahrungen

Wie immer gilt: Ich freue mich über Deine Erfahrungen mit ‘Vorträgen’ im Online-Kontext zu lesen – sowohl aus der Perspektive einer zuhörenden Person, als auch aus der Perspektive einer referierenden Person.


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