Offenes Lernangebot: KI-Orientierung

Anmerkung vorab: Mit ‚KI‘ meine ich in diesem Blogbeitrag, die technische Weiterentwicklung von großen Sprachmodellen. Das wahrscheinlich bekannteste Beispiel ist das Tool ChatGPT.

In den letzten Monaten habe ich mich viel mit den aktuellen KI-Entwicklungen beschäftigt. Zum einen, weil mich Tools wie ChatGPT selbst sehr neugierig gemacht haben und ich von vielen Möglichkeiten sehr fasziniert bin. Zum anderen, weil ich eine Pädagogik vertrete, die auf gesellschaftliche Handlungsfähigkeit der Lernenden zielt. Vor dem Hintergrund der KI-Entwicklung ergeben sich hier zahlreiche Herausforderungen bei der Gestaltung von Lernen.

Das vorläufige Ergebnis meiner Beschäftigung mit dem Thema ist das offene Lernangebot KI-Orientierung. Bei der Edunautika 2023 stelle ich es an einer Station vor und freue mich auf die Diskussion dazu. Für alle, die nicht bei der Edunautika dabei sein können oder alle, die vorher oder nachher etwas dazu lesen wollen, ist dieser Blogbeitrag gedacht.

Auf welchen Grundannahmen basiert das Lernangebot?

Bei der Gestaltung des Lernangebots bin ich von drei Grundannahmen ausgegangen.

  1. Sozialer und demokratischer Fortschritt kommt nicht von allein: Die neu entwickelten KI-Sprachmodelle sind sehr mächtige Werkzeuge – allerdings befinden sie sich in den Händen von wenigen. Vor diesem Hintergrund gilt es dafür einzutreten, dass Technologie im Interesse von uns allen und damit demokratisch gestaltet und genutzt werden kann. Von alleine wird das nicht passieren. Ansonsten bleibt es bei der Perspektive, dass KI Menschen ‚ersetzt‘, anstatt uns zu ermöglichen, für alle ein besseres Leben zu gestalten.
  2. Gute Bildung zielt auf gesellschaftliche Handlungsfähigkeit für ein gutes Leben für alle: Die Frage nach guter Bildung ist eng verknüpft mit der Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Deshalb ist KI auch und gerade ein Thema für die Pädagogik. Wir müssen uns die Frage stellen: Wie gestalten wir gute Bildung in einer zunehmend von KI-geprägten Welt? Und auch: Wie können wir Lernende ermächtigen, die technologische Entwicklung mitzugestalten und wo nötig zu hinterfragen.
  3. Abwarten ist (fast) immer die falsche Strategie: Aktuell ist KI (noch) für sehr viele ein sehr neues Thema. Es wird viel diskutiert und ausprobiert und dann auch wieder verworfen. Man könnte hieraus den Schluss ziehen, dass wir dann besser erst einmal abwarten sollten, bis die wichtigsten Fragen geklärt sind. Genau dieser Schluss würde aber dem Anspruch der eigenen Gestaltung entgegen stehen. Gerade weil aktuell vieles in Bewegung ist, ist es der allerbeste Zeitpunkt, um im pädagogischen Interesse eigene Ideen zu entwickeln und voranzubringen. Dazu ist es wichtig, sich jetzt Raum zum Lernen, zum Austausch und zur Gestaltung zu nehmen.

Wie ist das Lernangebot gestaltet?

Im Fokus des Lernangebots stehen Widersprüche, die sich durch die aktuelle KI-Entwicklung in Bezug auf gute Bildung ergeben können. Das Aufzeigen dieser Widersprüche soll zu einer Reflexion einladen. Die Konsequenz lautet also nicht: Wir sollten die Finger davon lassen! Stattdessen möchte ich zu pädagogischer Gestaltung einladen. Das bedeutet: Wie können wir angesichts dieser Widersprüche gute Bildung gestalten?

Zu Recht kann eingewandt werden, dass die Darstellung der Widersprüche im Lernangebot viel zu negativ sei. Warum wird beispielsweise aufgezeigt, dass KI-Tools ‚Abkürzungen‘ beim Lernen ermöglichen und deshalb einem vertieften Lernen entgegen stehen können? Schließlich sei doch genauso richtig, dass KI-Tools ein mächtiges Lernwerkzeug sind, mit dem man sich einem Text beispielsweise auf ganz andere Art und Weise nähern kann und so eine sehr tiefe Beschäftigung damit möglich ist.

Ich habe mich für diesen Weg erstens deshalb entschieden, weil durch die Darstellung von Widersprüchen aus meiner Sicht pädagogische Gestaltung am besten vorangebracht werden kann. Es geht ja nicht darum, bei diesen Widersprüchen stehen zu bleiben, sondern sie produktiv aufzulösen. Ohne die Formulierung des Widerspruchs kommt es aber erst gar nicht zum Nachdenken über eine mögliche produktive Auflösung.

Zweitens war es mir wichtig, das Leitbild einer guten Bildung an den Anfang zu setzen. Sonst passiert mit der KI-Entwicklung genau das, was auch mit der Digitalisierung insgesamt im Bildungskontext droht: Anstatt eine veränderte Lernkultur zu befördern, optimieren wir ein überholtes Lernen! Bestes Beispiel dafür: Die große Freude darüber, wie toll ChatGPT zum Beispiel Multiple Choice Aufgaben erstellen kann. Als hätte es uns in der Bildung in den letzten Jahren daran gemangelt …

Drittens ermöglicht diese Darstellung einen erweiterten Blick auf das Thema, der auch den gesamtgesellschaftlichen Kontext einschließt. Wie gehen wir damit um, dass ChatGPT massiv Ressourcen verschleudert? Wie wirken wir der Reproduktion bestehender gesellschaftlicher Stereotype entgegen? Wie verhalten wir uns sinnvoll angesichts der westlichen Dominanz der aktuellen KI-Technologie? … (An manchen Stellen werden wir sehr wahrscheinlich feststellen, dass eine produktive Auflösung einzelner Widersprüche allein durch pädagogische Gestaltung im Rahmen der aktuellen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nicht möglich ist. Auch das kann zur Orientierung hilfreich sein.)

Ich finde diesen erweiterten Blick vor allem deshalb wichtig, weil ChatGPT und andere KI-Tools gerade für das Lernen so mächtige Werkzeuge sind. Vor diesem Hintergrund kann es leicht passieren, dass man angesichts der eigenen Faszination darüber ausblendet, was diese Technologie gesamtgesellschaftlich bedeuten kann. Wenn unser pädagogisches Ziel aber die Ermächtigung zur Gestaltung eines guten Lebens für alle ist, dann ist solch eine Ausblendung kontraproduktiv.

Wie kann ich das Lernangebot nutzen?

Die Nutzung des Lernangebots ist bewusst offen gehalten. Den Rahmen bilden drei Bereiche:

  1. Erkunden: Alle Beteiligte nutzen Flipped-Materialien, um sich in das Thema vorab einzufinden.
  2. Reflektieren: Gemeinsam werden ausgehend von den Widersprüchen ‚Wie können wir …‘-Fragen zur pädagogischen Gestaltung formuliert.
  3. Gestalten: Die vielversprechendsten dieser Fragen werden ausgewählt und gemeinsam bearbeitet.

Wie viel Zeit man nutzen will, wie groß die Gruppe ist oder ob man erst einmal für sich allein reflektiert, welche Methoden man für die Bearbeitung nutzt, ob man online oder an einem gemeinsamen physisxhen Ort lernt … all das sind Fragen, die man selbst festlegen kann. Da alle Inhalte offen lizenziert sind, können sie gerne auch beliebig angepasst und weitergenutzt werden.

Sehr wichtig finde ich, sich beim Lernen Raum zu nehmen für ein ‚Sowohl als auch‘-Denken – statt in ‚Entweder-Oder‘-Denken zu verharren. Es ist bei Tools wie ChatGPT beispielsweise gleichermaßen richtig, dass es wunderbare Möglichkeiten zur inklusiven Gestaltung von Lernprozessen eröffnet UND dass es dazu führen kann, dass leistungsschwächere Lernende noch weiter abgehängt werden. Es hilft nicht, die eine oder die andere Seite auszublenden. Stattdessen sollten unterschiedliche Perspektiven als Stärke für eine gute Gestaltung betrachtet werden.

Fazit

Nutze das Lernangebot gerne und gib es weiter an Menschen, für die Du es als hilfreich erachtest. Ich freue mich über Rückmeldungen und Einschätzungen.

PS. Bei der Edunautika gibt es die Widersprüche als ‚Postkarten‘ zum Mitnehmen an meiner Station am Freitag.

Mehrere Postkarten liegen auf einer Holzunterlage. Einige zeigen mit der grünen Seite nach oben, andere mit der roten Seite.


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