Drei Wünsche im KI-Hype

Gestern wurde die Version 4 von ChatGPT veröffentlicht, die ab sofort Premium-Nutzer*innen zur Verfügung steht. Das Update wurde als große Verkaufsshow gestaltet, und dieser Plan ging sehr gut auf. Zunächst wurde große Neugierde geweckt, dann wurde der Countdown gestartet, und schließlich konnten diejenigen, die dafür bezahlt haben, mit dem Ausprobieren beginnen. Viele haben dann davon berichtet.

Ich empfinde die aktuelle Situation als sehr ambivalent – und das nicht nur aufgrund der oben beschriebenen Kommerzialisierung. Auf der einen Seite erlebe ich die technologische Entwicklung als sehr faszinierend, und es gibt viele spannende Beispiele dafür, was mit solch einem Tool wie ChatGPT – und das noch einmal mehr in der jetzt erweiterten Version- plötzlich alles möglich erscheint. Auf der anderen Seite geraten mir sehr wichtige Grundsätze wie Offenheit, die Absage an eine Toolifizierung oder das Ziel einer tiefergehenden pädagogischen Reflexion von Technologie im allgemeinen KI-Faszinations-Jubel zu sehr in den Hintergrund. Zugleich kann auch Aussperren und Verbieten keine Lösung sein, da es erstens nicht funktioniert, zweitens potenziell Ungleichheiten befördert und drittens den Anspruch auf Gestaltung von Veränderung negiert.

Wie also damit umgehen? Ich habe drei ‚Wünsche‘ formuliert, die ich in der aktuellen Situation wichtig finde. (Ein bisschen ist der Blogbeitrag eine Ergänzung zu meinem Blogbeitrag ‚Pädagogische Orientierung im KI-Hype‚ von letzter Woche und fokussiert mehr auf die Frage: Was tun?)

1. Raum zu Reflexion und zum Lernen

Ich wünsche mir für uns alle mehr Raum für Reflexion und Lernen. Nötig ist aus meiner Sicht ein sehr offenes Lernen, was nicht in erster Linie fertige Antworten (oder z.B. konkrete Prompt-Ideen) präsentiert, sondern Lernangebote, in denen gemeinsam mögliche Antworten erarbeitet werden können.

Damit solch ein Lernen funktioniert, ist es aus meiner Sicht wichtig, sich von einem ‚Entweder-Oder‘-Denken zu verabschieden und mehr zu einem ‚Sowohl-als-Auch‘-Denken zu kommen. Wir haben es mit einer ambivalenten Situation zu tun, in der es z.B. gleichermaßen richtig ist, dass ChatGPT ein faszinierendes Tool ist UND dass es katastrophal ist, dass es keine Transparenz über die Funktionsweise der Algorithmen und keine Perspektive auf demokratische Gestaltung gibt.

Wir werden dann gemeinsam klüger, wenn wir nicht eine dieser beiden Seiten ausblenden und uns nur auf die jeweils andere konzentrieren, sondern wenn wir genau diese Ambivalenz, die sich auch in vielen anderen Aspekten zeigt, als Grundlage zum gemeinsamen Lernen nehmen. Es ist deshalb nicht getan mit Lernangeboten wie z.B. ‚Nutzungsmöglichkeiten von KI im Fremdsprachenlernen‘. Wir müssen tiefer und breiter denken – und uns überhaupt erst einmal Raum für solch ein echtes Denken und Lernen nehmen.

Bei einer Station der Edunautika Ende März in Hamburg möchte ich dazu ein Konzept für pädagogische Tage und andere Fortbildungstage vorstellen und dann auch hier in meinem Blog veröffentlichen. (Die Idee dazu hatte ich in meinem Ideentagebuch)

2. Pädagogischer Kompass: Macht uns das klüger?

So komplex die ganze Situation ist, so einfach finde ich es auf der anderen Seite als Pädagogin einen klaren Kompass zur Orientierung zu haben. Denn anders als vielleicht in vielen anderen Bereichen, gibt es bei uns ein klares Anliegen: Das Ziel von Pädagogik ist es, dass Menschen klüger werden!

Natürlich kann man nun lange und trefflich darüber streiten, was denn genau dieses ‚klüger‘ werden umfasst. Dabei können wir aber auf viele hilfreiche Gedanken aufbauen. Für mich übersetze ich es wie folgt: Das Ziel von Bildung ist, Menschen zu ermächtigen, selbstbestimmt, jetzt und in Zukunft, für sich und andere, ein gutes Leben zu gestalten.

Mit solch einem pädagogischen Kompass ist es aus meiner Sicht deutlich einfacher, durch den KI-Trubel zu navigieren. Denn alles Ausprobieren und Erkunden kann dann an diesem Kompass ausgerichtet werden. So kann ganz vieles, was zwar technisch super cool und faszinierend ist, verworfen werden, weil man sich eingestehen muss, dass es tendenziell Menschen dümmer macht und selbst Denken verlernt wird. Vieles andere entsteht dann gleich in solch einer Richtung, dass Mensch-Maschine-Interaktion darauf ausgerichtet ist, menschliches Denken voranzubringen.

3. Eigenes Anliegen als Grundsatz

Die ersten beiden Wünsche sind für mich in meinem Kopf schon recht klar. Den dritten Wunsch formuliere ich fragender und freue mich insbesondere hier über Rückmeldungen dazu, ob das so sinnvoll ist bzw. wie es sich konkret umsetzen lässt. Dieser Wunsch lautet: Jede Äußerung in einer Kommunikation sollte immer mit einem Anliegen verbunden sein. Was ist damit gemeint?

In Workshops, Beratschlagungen oder auch in einfachen Gesprächen verfestigt sich meiner Auffassung nach das Muster, dass bei jeder Frage, vor der man in einer Gruppe steht oder bei jedem Thema, das aufgeworfen wird, eine beteiligte Person einbringt: ‚Das hier sagt übrigens ChatGPT dazu‘ – und dann wird die dazu gestartete Chat-Kommunikation geteilt.

Auf der einen Seite kann das durchaus hilfreich sein, damit sich alle schnell mal einen Überblick zu einem aufgeworfenen Thema verschaffen können. Auf der anderen Seite entsteht dadurch aber ein Problem: Denn ChatGPT (oder irgend ein anderes genutztes Tool) wird auf diese Weise als eine Art ‚Autorität‘ aufgebaut. Ähnliche Situationen gab es früher auch schon, wenn z.B. ein bestimmter Wissenschaftler zu dem Thema zitiert wurde, eine gerade nicht-anwesende Person oder auch die Definition aus der Wikipedia. In solchen Fällen fand ich es immer schon wichtig, sich genau anzuschauen, was da jeweils steht, also zu ergründen: Wer hat hier was mit welchem Interesse gesagt – und inwieweit hilft uns das jetzt in unserer Diskussion weiter?

Genau dieses Ergründen ist aber mit einer ‚ChatGPT-Antwort‘ schwieriger. In den meisten Fällen arbeitet sich die Gruppe – meiner bisherigen Beobachtung nach – stattdessen an einem ’sprachgewaltigen Plappermaul‘ ab, das mit seinem Geplapper kein eigenes Anliegen verbindet, sondern klug klingende Sätze aus einem Konglomerat der menschlich produzierten Inhalte der letzten Jahre zufällig zusammenwürfelt. So wie ich es beobachte, werden diese Darstellungen weitgehend als ‚objektiv‘ eingeordnet. Das bedeutet: Weil das Ganze so klug und ausgewogen klingt, vergessen wir, dass es Menschen waren, die entschieden haben, was die Datengrundlage für das Tool ist und auch auf welche Art und Weise die Software genau würfeln soll, d.h. was wir angezeigt bekommen und was eben auch nicht.

Vor diesem Hintergrund werde ich in meiner zukünftigen Kommunikation die ‚Regel‘ ausprobieren, dass jede Äußerung in einer Kommunikation immer mit einem Anliegen verbunden wird. Das schließt dann nicht aus, dass ChatGPT genutzt wird, aber es muss immer ein Mensch sein bzw. eine Gruppe von Menschen, die das zusammengewürfelte Mischmasch ‚adoptieren‘, bei Bedarf einordnen und im weiteren Verlauf als direkte Gesprächspartner*innen fungieren.

So etwas funktioniert auch, wenn man sich z.B. als gesamte Gruppe für die Nutzung von ChatGPT zur Lösung eines Problems entscheidet. Beispielsweise lassen sich Brainstormings in der Form gestalten, dass ein ChatGPT-Chat mit dem Prompt eingeblendet wird (oder alle Beteiligten für sich einen Chat öffnen) und darauf aufbauend die beteiligten Personen auf Karten schreiben bzw. übernehmen, was ihnen angesichts des Geplappers von ChatGPT in den Sinn kommt.

Fazit

Das waren meine drei Wünsche. Möglichkeiten zur Vertiefung gibt es unter anderem beim Educamp Westküste am übernächsten Wochenende. Ich möchte dort eine Session einreichen zur Frage: Welche Nutzung von ‚KI‘ wünschen wir uns in menschlicher Interaktion (und welche nicht)? Auch ansonsten freue ich mich über Rückmeldungen und Einschätzungen.

PS. Bei alledem gilt: Es ist toll, dass Menschen in diesem Internet mithilfe von Technik immer wieder ganz viel Kreatives und Spannendes gestalten, das einfach Freude beim Erkunden macht. Wie beispielsweise das Tool SribbleDiffusion, mit dem das Bild dieses Blogbeitrag ‚gestaltet‘ ist.


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