Fortbildung als ‚Stretching‘-Lernangebot

Heute Nachmittag war ich hybrid zu einer Fortbildung in Bad Wildbad zugeschaltet, die wir als ‚Stretching‘-Lernangebot konzipiert haben. Was das ist und wie es funktioniert, erkläre ich in diesem Blogbeitrag.

Was ist ein ‚Stretching‘-Lernangebot?

Die Bezeichnung ‚Stretching‘-Lernangebot stammt aus dieser Visualisierung, die mir vor allem in agilen Lernkontexten häufig begegnet:

Von der Komfortzone in die Stretchingzone – statt in die Panikzone

Ausgangspunkt ist hier, dass wahrscheinlich alle Menschen eine ‚Komfortzone‘ haben, in der sie sich sicher fühlen und in der sie gut und relativ mühelos gestalten können. Außerhalb dieser Komfortzone gelangen sie schnell in eine Panikzone: Hier fühlt man sich unsicher, kann Sachen nicht einordnen und nicht gestalten und versucht deshalb oft, möglichst schnell wieder zurück in die Komfortzone zu gelangen.

Angesichts von neuen Herausforderungen und Veränderungen, mit denen wir konfrontiert sind, wird die Komfortzone aber regelmäßig zu eng. Anders ausgedrückt: Um gute Lehrende zu sein, müssen wir auch selbst Lernende sein. Wir müssen somit Wege finden, um unsere eigene Komfortzone zu erweitern – ohne direkt in die Panikzone zu rutschen. Genau dieses Ziel soll mit einem ‚Stretching‘-Lernangebot erreicht werden.

Wie ist ein ‚Stretching‘-Lernangebot gestaltet?

Ein ‚Stretching‘-Lernangebot bietet in erster Linie Raum für eigene Erkundungen und Ausprobieren sowie für Austausch mit Kolleg*innen. Denn genau das ist der Rahmen, den es aus meiner Sicht für ‚Stretching‘ braucht. Ich vergleiche solch ein Stretching gerne mit dem Spielen von Kindern in einer Sandkiste: Es wird gebaut und probiert – ohne dass gleich etwas längerfristig Nutzbares entsteht. In jedem Fall testet man aber sehr vieles aus. Und man kann eigentlich nichts kaputt machen. Hinzu kommt, dass es in der Regel viel Freude macht :-)

Damit solch ein Lernen auch außerhalb der Sandkiste funktioniert, muss das Lernangebot gut und sicher gestaltet sein:

  • Es braucht eine Auswahl an Möglichkeiten zum Lernen und Teilnehmer*innen müssen sich selbst entscheiden können, womit sie sich beschäftigen.
  • Die Teilnehmer*innen dürfen keine Angst haben, etwas zu verpassen. Dazu hilft es sehr, wenn alle Inhalte online stehen und klar ist, dass sie auch nach dem Lernangebot noch online bleiben. Das bedeutet: Man hat jederzeit die Möglichkeit, auch die Inhalte nachzulesen, die man während der direkten Fortbildungszeit nicht schafft – und kann sich so selbst ‚erlauben‘, sich Zeit zum Ausprobieren zu nehmen.
  • Die Inhalte müssen als ‚Einladung zum Ausprobieren‘ gestaltet sein. Das bedeutet: Einen kurzen Überblick mit den wichtigsten Punkten geben und dann einige Sachen vorschlagen, die erkundet werden könnten.
  • Die Teilnehmenden sollten selbst entscheiden können, ob sie allein für sich ausprobieren oder im Austausch mit Peers.
  • Wer alleine nicht weiterkommt, muss Hilfe bekommen können.

Wie sieht das konkret aus?

Bei der heutigen Fortbildung in Bad Wildbad zum Online-Lernen im Kontext des Deutschunterrichts haben wir die ‚Stretching‘-Phase in Form von selbstorganisierten Stationen umgesetzt. Ich habe dazu eine Unterseite auf meiner Website mit 7 Themen eingerichtet, aus denen Teilnehmer*innen auswählen konnten. Jedes Thema beinhaltete ein kurzes Intro, einen Überblicks-Screencast, Anregungen zum Ausprobieren und vertiefende Links für später. Es war den Teinehmer*innen freigestellt, was sie bearbeiten und wieviel, wo im Fortbildungsgebäude sie lernen und ob lieber allein oder in einer Kleingruppe. Für Fragen gab es einen Chat. Die Inhalte sind zum Ansehen und gerne auch zum Weiternutzen hier veröffentlicht. (Den Chat habe ich vor Veröffentlichung hier geleert, weil ich mit den Teilnehmenden eine Veröffentlichung nicht abgesprochen habe.)

Vom ‚Stretching‘-Lernangebot zur Werkstatt

An die ‚Stretching‘-Lernzeit an Stationen haben wir eine Werkstatt angeschlossen. Ziel war es, alle ‚herumschwirrenden‘ Ideen aus der Sandkisten-Spielerei einzusammeln und für später festzuhalten. Zugleich sollte hier im Sinne eines Gruppenpuzzles auch noch einmal das von- und miteinander Lernen gestärkt werden und die Teilnehmenden mit unterschiedlichen Kolleg*innen in Kontakt kommen. Die Aufgabe lautete, Ideen zu notieren (für Fortbildung oder für Unterricht), was man mit den kennengelernten und ausprobierten Tools und Methoden konkret anfangen könnte.

Meine Learnings

Ich finde, dass die Konzeption des Lernangebots gut funktioniert hat und freue mich über die zahlreichen, entwickelten Unterrichts- und Fortbildungsideen. Nebenbei kann ich drei Learnings teilen, die ich für mich aus dem heutigen Nachmittag mitnehme:

  1. Wir haben für die Zuschaltung eine OpenTalk-Videokonferenz genutzt. Der Code dieser Software ist just in der letzten Woche Open Source veröffentlicht – und ich war sehr zufrieden damit. Insbesondere scheint das Audio gut ausgepegelt zu werden. Klare Empfehlung dafür!
  2. Für den Chat haben wir Tweedback genutzt. Dieses Tool hatte ich bereits beim Ausbaldowercamp in Verwendung. Es ist niederschwellig, funktioniert wunderbar, wird von sympathischen Menschen angeboten und ist datenschutzkonform. Auch dafür eine klare Empfehlung!
  3. Eng mit dem Chat zusammenhängend: Dieser reicht voll und ganz aus und man muss somit also nicht die ganze Zeit während des Lernangebots eine Videokonferenz laufen lassen, die dann ohnehin fast nicht genutzt wird. Die Chat-Alternative ist wahrscheinlich nachhaltiger und meiner heutigen Erfahrung nach für Teilnehmende auch niederschwelliger. Denn der Chat wurde genutzt, während ich früher schon sehr viele Stunden allein in ‚offenen Sprechstunden‘-Videokonferenzräumen verbracht habe.


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