Alternativen zum klassischen Einstiegswebinar

Corona hat riesiges Fortbildungsinteresse zum Thema ‘Bildung und Digitalisierung’ ausgelöst. Das ist wunderbar! Ich freue mich darüber zum einen ganz grundsätzlich, weil Bildung auf diesem Weg für alle besser werden kann. Zum anderen ein persönlich-beruflicher Grund: Als Freiberuflerin, die genau zu diesem Thema arbeitet, profitiere ich natürlich auch ganz direkt von diesem großen Interesse. Die klassischen Anfragen sind allerdings meist ‘Einstiegswebinare’ zu einem bestimmten Thema. (Ganz oft ist es ‘Einstieg ins Online Lernen’ – dicht gefolgt von bestimmten Tools, v.a. ‘Einstieg in H5P’ ist sehr beliebt.). Erwartet wird dann meist: Wir alle treffen uns in einem Videokonferenzraum. Es gibt einen kurzen Einstieg mit Begrüßung und gegebenenfalls Vorstellung. Dann folgt der Input von mir als lehrende Person. Zum Abschluss (bzw. auch zwischendrin im Chat) können Nachfragen gestellt werden – und ich beantworte sie.

Ich halte dieses Format aus pädagogischer Perspektive für wenig hilfreich und für schlecht investiertes Geld bzw. Zeit – und persönlich habe ich deshalb nur sehr wenig Freude daran, weil es mir eben so wenig sinnhaft erscheint. Das möchte ich in diesem Blogbeitrag begründen und einige Alternativen vorschlagen.

Ganz wichtig ist mir: Ich schreibe nicht gegen Online-Lernangebote für Einsteiger:innen. Ganz im Gegenteil: Ich möchte zeigen, wie gerade solche Einstiege im Online-Kontext besser gestaltet werden können.

Warum sind Einstiegs-Webinare in klassischer Form keine gute Idee?

Klassische Webinare zum Einstieg in ein Thema sind aus meiner Sicht sowohl auf Seiten der lehrenden als auch auf Seiten der lernenden Personen keine gute Idee, weil viel vergeudete Zeit.

Auf Seiten der lehrenden Personen liegt das daran, dass der Input, wie er in Einstiegs-Webinaren zu einem bestimmten Thema erwartet wird (Was ist das? Wie funktioniert das? Was muss ich beachten?) in der Regel nichts Neues liefert. Denn im Netz gibt es zu eigentlich allen Einstiegs-Themen, die gemeinhin im Kontext digitaler Bildung angefragt werden, eine riesige Vielzahl von Inhalten. Zu ‘meinen Einstiegs-Themen’ muss ich dabei nicht einmal auf Angebote von anderen verweisen, sondern es gibt es – nach mehreren Monaten Distanz-Lernangebote – zig aufgezeichnete Inputs von und mit mir selbst. Warum also sollte ich nochmal in eine Kamera sprechen, was ich schon zuvor und oft schon mehrmals in eine Kamera gesprochen habe und was für alle abrufbar zur Verfügung steht?

Aus Seiten der lernenden Personen ist die vergeudete Zeit ebenfalls offensichtlich:. Denn erstens sind Einsteiger:innen niemals alle auf dem gleichen Lernstand. Mit dem Konzept ‘ein Input für alle’ kann man somit der Mehrheit der Lernenden nicht gerecht werden. Wer ganz Neuling ist, kommt oft nicht mit. Wer schon mehr kann, liest parallel Mails – und verpasst dann leider oft den Wiedereinstieg an der Stelle, wo es relevant wird. Zweitens ist Online-Input noch viel weniger interaktiv, als auch schon in Präsenz – und Lernende damit noch passiver (Als Lehrende bekomme ich in Präsenz z.B. sehr direkt mit, ob der Input auf Verständnis trifft oder ich etwas noch genauer erklären sollte. Ich kann also ganz gezielt auf Lernende eingehen. Wenn ich dagegen – wie es meist in klassischen Webinaren zum Einstieg gestaltet ist – in einen schwarzen Bildschirm spreche, klappt das nicht – und auch die oft empfohlenen Zwischen-Umfragen helfen dann wenig.)

Wer aus dieser Darstellung nun aber entweder den Schluss zieht, dass Lehrende im Online-Lernen überflüssig sind oder dass Online-Lernen eben einfach grundsätzlich nicht so gut klappt wie in Präsenz, der liegt aus meiner Sicht falsch. Ich finde stattdessen: Die pädagogische Begleitung von Lernprozessen wird im Online-Kontext eher wichtiger als unwichtiger. Und für aktives, selbstbestimmtes und damit zeitgemäßes Lernen bietet gerade Online-Lernen zahlreiche Potentiale. Wie fast immer kommt es also auf die Gestaltung an!

Wie lassen sich Einstiegs-Webinare zeitgemäß umgestalten?

In diesem Blogbeitrag habe ich bereits vor einigen Wochen aufgeschrieben, wie unterschiedlich Webinare als Format gestaltet werden können. Für die Umwandlung eines klassischen Einstiegs-Webinar in ein zeitgemäßes Online-Lernformat sind die drei wichtigsten Parameter für mich der Flipped Input, die zeitliche Flexibilität und die Gestaltung von Räumen für Support und Austausch.

  • Flipped Input bedeutet, dass es meine Aufgabe als lehrende Person ist, den Lernenden eine möglichst gut kuratierte Zusammenstellung von Input-Materialien zur Verfügung zu stellen. Mindestens sollte es die Aufzeichnung des Inputs sein, den ich ansonsten im Webinar gegeben hätte. Hilfreicher ist es, wenn ich diesen Input gliedere oder direkt in kleineren Lerneinheiten aufzeichne. Lernende können so gezielt zu den Bereichen springen, zu denen sie Input suchen. Wer noch gar keine Orientierung zu einem Thema hat, kann chronologisch durchgehen. Als Zusatz hilfreich sind kommentierte Linklisten, Übungen zur Selbstüberprüfung oder weiterführende Inhalte. Und natürlich muss das nicht alles von mir selbst gestaltet sein. Kuratierung bedeutet ja gerade, das Rad nicht immer neu zu erfinden, sondern auch bereits bestehende Inhalte zusammen zu stellen.
  • Zeitliche Flexibilität bedeutet, dass Lernende nicht dazu gezwungen sein sollten, sich den Input zu einer bestimmten Uhrzeit oder in einem bestimmten Tempo anzusehen. Wer mehr Zeit braucht, sollte sich mehr Zeit nehmen können. Wer weniger Zeit braucht, ist eben schneller fertig. Wer lieber abends lernt, kann das tun. Wer zur ansonsten angesetzten Webinar-Zeit lernen will, dem ist auch das möglich.
  • Gestaltung von Räumen für Support und Austausch ist – neben der Kuratierung der Inhalte – die zweite wichtige pädagogische Aufgabe im Online-Lernen. Unter anderem kann man ein Etherpad einrichten und strukturieren oder eine Telegram-Gruppe, wo Lernende Learnings und Fragen teilen können. Oder eine Fragesammlung (z.B. via Flinga), wo gesammelt werden kann, was man gemeinsam besprechen sollten. Immer wichtig ist außerden das Angebot von niederschwelligem Support: klassisch über Telefonnummer oder Mailadresse oder auch in dem man als lehrende Person im Etherpad/ der Telegram-Gruppe mitliest.

Wie kann das praktisch aussehen?

Sehr gut gefallen haben mir die folgenden Lernangebote, die ich unter anderem in den letzten Monaten realisiert habe:

  • Ich habe eine Sammlung mit zeitgemäßen Unterrichtsideen kuratiert – Lernende (= Lehrkräfte aus unterschiedlichen Schulformen) haben sich damit auseinander gesetzt und dabei parallel alle Fragen gesammelt, die bei der Beschäftigung aufkamen. Die Fragen habe ich sortiert, wo möglich zusammen gefasst und in einer Videokonferenz beantwortet.
  • Ich habe eine Schritt-für-Schritt Anleitung zur Gestaltung von Online-Lernangeboten gestaltet und kuratiert. Lernende (= Bildungsakteure aus zivilgesellschaftlichen Organisationen) haben damit gelernt und begonnen, ein erstes eigenes Online-Lernangebot zu konzipieren. In einer Videokonferenz haben sie diese Konzepte vorgestellt – und sich gegenseitig dazu Feedback gegeben.
  • Ich habe einen Mini-Kurs zum Selbstlernen zu OER gestaltet und kuratiert. Lernende (= Beschäftigte in einer Bildungsorganisation) haben sich die Grundlagen zu OER damit selbst erarbeitet. Anschließend haben wir uns zu einer Beratschlagung getroffen, wie man OER jetzt praktisch in der eigenen Arbeit nutzen will.
  • Ich habe Einstiegsmaterialien zu H5P kuratiert. Lernende (= Dozierende an einer Hochschule) haben sich damit auseinander gesetzt. In einer Videokonferenz haben wir gemeinsam Ideen gesammelt, wie bestehende Bildungsinhalte bzw. die eigene Lehre mit H5P verbessert werden kann.
  • Ich habe eine Liste mit offenen Webtools und Tutorials kuratiert. Lernende (= Lehramtsstudierende) haben sich damit auseinander gesetzt. In einer gemeinsamen Beratschlagung haben wir Unterrichtsideen mit diesen Webtools überlegt und Fragen geklärt.

Bei all diesen Lernangeboten gab es im Teil der selbstständigen Erarbeitung der kuratierten Lerninhalte die Möglichkeit zu individuellem Support durch mich. Oft standen außerdem schon in diesem Teil Austauschmöglichkeiten zur Verfügung (z.B. via Etherpad oder Telegram).

Was sind die Erfahrungen mit alternativen Formaten?

Ich habe alternative Formate inzwischen mit Lernenden mit unterschiedlichen Vorerfahrungen ausprobiert. Spannend finde ich vor allem, dass sowohl von Menschen mit viel eigenen Vorkenntnissen, als auch von Menschen mit so gut wie gar keinen Vorkenntnissen, das Feedback gleichermaßen und fast immer positiv war. Fortgeschrittene Lernende waren froh, dass sie direkt das lernen konnten, was sie interessierte. Neueinsteiger:innen und technisch sehr unsichere Menschen nahmen oft den individuellen Support in Anspruch und meinten häufig, dass sie sich in einer gemeinsamen Videokonferenz mit allen, wahrscheinlich nicht getraut hätten, so detailliert nachzufragen. Sie hätten ja sonst alle anderen mit ihren Fragen aufgehalten.

Schön fand ich die Rückmeldung einer Teilnehmerin, die kuratierte Lernmaterialien inklusive Screencasts zu offenen Webtools nutzte. Sie meinte sinngemäß, dass ich in dem Screencast für sie die perfekte Lehrerin gewesen sei, weil sie mich schnell und langsam hätte stellen können – und ich sie bei allen Schritten, wo sie nicht weiterkam, über den Screencast begleitet hätte. Ich bin mir sicher, dass das in einem synchronen Einstiegs-Webinar niemals so gut gelungen wäre.

Warum sind diese Alternativen keine Realität?

Pädagog:innen, die die obigen Beispiele lesen, werden sehr wahrscheinlich zustimmen, dass das Lernen in diesen Formaten deutlich produktiver ist, als ein klassisches Webinar für Einsteiger:innen. Warum haben sich solche klassisch gestalteten Webinare dann trotzdem gefühlt als das vorherrschende Online-Format durchgesetzt? Wahrscheinlich liegt das an einer Mischung aus den folgenden drei Gründen:

Traditionelle Erwartungshaltung

Die vorherrschende Erwartung an Pädagog:innen ist weiterhin, dass sie Input vermitteln. Auch im Online-Kontext wird deshalb erst einnmal diese Expertise ‘eingekauft’ – statt Kuratierung von Inhalten oder Gestaltung von Online-Lernumgebungen anzufragen.

Unpassende Honorar-Richtlinien

Viel zu oft sind Honorar-Richtlinien bei Online-Lernangeboten an Webinar-Minuten orientiert. Für 60 Minuten Webinar können dann bis zu xx Euro bezahlt werden. Die Kuratierung von Lerninhalten, die Gestaltung von Online-Lernräumen und individueller Support ist dann nicht ‘bezahlbar’, weil es nicht in das traditionelle Abrechnungsmuster passt.

Fehlendes Vertrauen in die Lernenden

Bei einem traditionellen Online-Einstiegs-Webinar haben Lernende ihre Teilnahme meist nachgewiesen, wenn sie sich in die Videokonferenz eingewählt hat. (Dass das nicht aussagekräftig ist, weil man auch einfach parallel Kaffee trinken gehen kann, zählt als Argument meist nicht.) Auf solch einfache Art und Weise lässt sich überwiegend selbstorganisiertes Lernen natürlich nicht ‘kontrollieren’. Nötig ist Vertrauen in die Lernenden.

Vertrauen ist auch dahingehend nötig, dass Lernende mit der Selbstorganisation fast immer gut zurecht kommen. Meine Erfahrung ist hier, dass gerade Einsteiger:innen, die technisch unsicher sind, mit einem gut gestalteten Online-Selbstlernangebot (= bei dem sie nur auf einen Link klicken müssen und dann alle Lerninhalte übersichtlich aufbereitet zur Verfügung haben und dabei zusätzlich wissen, an wen sie sich wenden können, wenn sie Fragen haben) deutlich besser zurecht kommen, als mit Video-Konferenzen, in denen vieles gleichzeitig passiert (Chat, Präsentation, Abfrage …) und die nicht in ihrem Tempo gestaltet sind.

Diese Gründe sind leider ziemlich beständig und nicht von Heute auf Morgen änderbar. Meine Hoffnung ist aber, dass es mit immer mehr alternativen Angeboten Schritt für Schritt gelingen kann, auch im Onine-Kontext ein anderes/ zeitgemäßeres Lernen zu etablieren.

Zum Hintergrund dieses Blogbeitrags

Ich habe diesen Blogbeitrag aus meiner persönlichen Perspektive mit Online-Lernen in der Erwachsenenbildung geschrieben. (Seit Februar diesen Jahres habe ich keine Präsenz-Veranstaltungen mehr gemacht. Dafür aber umso mehr Online-Veranstaltungen. Zuvor war Präsenz der Normalfall in meiner Arbeit). Wie dargestellt kann ich mich über fehlende Anfragen nicht beklagen, aber ich litt zunehmend unter einer empfundenen Sinnlosigkeit meiner Tätigkeit (z.B. nach dem gefühlt 20. H5P-Einstiegs-Webinar, bei dem ich wieder einmal meinen Input in einen schwarzen Bildschirm gesprochen hatte). Ich habe über diese Situation reflektiert, mir überlegt, wie ich lehren möchte und wie ich mir zeitgemäßes Lernen im Online-Kontext vorstelle – und ab dem Sommer damit begonnen, klassische Webinar-Anfragen zu Einstiegsthemen mit alternativen Vorschlägen zu beantworten. Meine Arbeit ist damit aufwändiger geworden, aber sie ist wieder so zufriedenstellend, wie ich das von früher – als einer in Präsenzlehre arbeitenden Pädagogin – kannte. Ich habe mich dazu entschieden, meine Erfahrungen aufzuschreiben, weil sie vielleicht auch für andere von Interesse sein können. Natürlich bin ich zugleich auch neugierig, von Deinen Erfahrungen zu lesen. Schreibe mir gerne oder diskutiere mit auf Twitter bzw. hier in den Kommentaren.


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