Hybride Lernsettings weitergedacht

Hybridität (von: hybrid = gemischt) ist in der pädagogischen Debatte nicht eindeutig definiert.

Es kann bedeuten, …

  1. … dass Lernen nie nur analog oder nur online stattfindet. Denn wer sich an einem physischen Ort aufhält, hat fast immer auch einen Online-Zugang dabei. Und wer online lernt, ist zugleich immer auch an einem physischen Ort.
  2. … dass es in einem Lernangebot sowohl überwiegende Online-Phasen als auch überwiegende Präsenzphasen gibt. Dafür ist auch der Begriff ‘Blended’ gebräuchlich.
  3. … dass zur gleichen Zeit einige Lernende online lernen und andere an einem physischen Ort. Dies scheint mehr und mehr die vorherrschende Lesart zu werden.

Während ich den ersten beiden Varianten sehr positiv gegenüber stehe und in ihnen viel pädagogisches Potential sehe, bin ich bei Nummer 3 eher skeptisch. Ich sehe die Gefahr, dass mit solch einem synchronen, hybriden Lernen nur noch ein kleinster gemeinsamer Nenner möglich ist. Sehr oft könnte das eine Hinwendung zu frontal-orientierten Lernkonzepten (Streaming für alle!) bedeuten … Diese Skepsis ist die eine Seite. Auf der anderen Seite finde ich es zugleich auch spannend, darüber zu reflektieren, ob und wenn ja welche Konzepte hier möglich und sinnvoll sind.

In diesem Blogbeitrag skizziere ich vor diesem Hintergrund fünf ‘synchron hybride’ Konzepte, zu denen sich aus meiner Sicht das Weiterdenken lohnt:

1. Colearning-Space (= ein freiwilliger, physischer Zusatz-Raum)

Die erste Variante geht von einer Online-Veranstaltung aus. Lehrende wie Lernende verfügen über digitale Endgeräte und kommunizieren online miteinander. Hybrid wird die Veranstaltung durch das zusätzliche Angebot, dass sich Lernende (ebenso wie Lehrende) während dieser Online-Lernveranstaltung auch an einem physischen Ort treffen können. Dazu kann zum Beispiel ein Lernraum von der veranstaltenden Institution zur Verfügung gestellt werden. Oder Lernende organisieren das physische Zusammentreffen privat.

Für diese Konzeption kann es erstens technisch und räumlich motivierte Gründe geben. Zum Beispiel, weil Lernende in ihrem Zuhause keine Möglichkeit haben, in Ruhe und konzentriert zu lernen oder dort nur über einen ungenügenden Internetzugang/ eine unzureichende technische Ausstattung verfügen. Der physische Lernort bietet ihnen dann den für das Lernen benötigten ‘Lernplatz’.

Zweitens können auch soziale Gründe dafür sprechen. So können die Lernenden, die gemeinsam am physischen Ort sind, beispielsweise Pausenzeiten gemeinsam verbringen und/ oder auch während der Lernveranstaltung eine zusätzliche Kommunikationsebene etablieren. Dieses ‘gemeinsame Online-Lernen an einem physischen Ort’ kann zu Motivation beitragen.

Mich erinnert diese hybride Variante ein bisschen an einen Coworking-Space: Eigentlich arbeite ich hier für mich allein und meist online – und das konzentrierter als wenn ich Zuhause ständig durch irgend etwas abgelenkt werde. Aber wenn ich im Coworking-Space in die Küche gehe und mir einen Kaffee koche, treffe ich andere, mit denen ich mich austauschen kann. Dadurch arbeite ich motivierter.

Ähnlich wie in solch einem Coworking-Space lässt sich Hybridität beim Lernen somit als ‘Colearning-Space’ realisieren: Es gibt zusätzlich einen physischen Raum, den nutzen kann, wer es will oder braucht. Als Pädagogin konzipiere und gestalte ich aber faktisch weiterhin eine Online-Veranstaltung.

2. Mini-Stream (= kurzen Input an einen physischen Ort zuschalten)

Wenn Hybridität so aussieht, dass die lehrende Person via Stream in einen Hörsaal zugeschaltet wird – oder aus einem Hörsaal auch für die nicht vor Ort anwesenden Lernenden streamt, dann ist das dahinter stehende Lernkonzept oft frontal und Input-orientiert. (Auch wenn es auch hier Versuche gibt, hier mehr Beteiligung und Interaktion zu ermöglichen. Mathias berichtet davon in diesem Thread.)

Lässt sich ein Streaming aber auch mit einem nicht-frontalen, sondern austauschorientierten Setting verbinden? Das ist aus meiner Sicht immer dann möglich, wenn der Stream nur einen kleinen Teil der Veranstaltung ausmacht. In diesem Fall kann die ‘Stream-Beteiligung’ einer externen Person dann durchaus bereichernd (oder mindestens: besser als gar nichts) sein. Zum Beispiel, wenn die Teilnahme einer referierenden Person vor Ort aus ökologischen, zeitlichen oder finanziellen Gründen nicht möglich oder nicht erwünscht ist. Via Stream kann der Lernraum dann dennoch geöffnet werden. Auch kann ein Stream ein zusätzlicher ‘Special’-Programmpunkt während eines längeren Lernangebots sein – und als solcher Charme entfalten. Zum Beispiel, wenn jemand aus einem anderen Land zugeschaltet wird, um kurz ‘Hallo’ zu sagen, ein Grußwort zu halten oder eine andere Perspektive auf ein Thema zu zeigen.

Auch für Pausen- und Kulturprogramm kann ich mir Live-Streams vorstellen. Das geht dann in die Richtung ‘Wir schauen gemeinsam einen Film’, aber ist durch den Live-Stream doch noch etwas interaktiver. Schon vor Corona erinnere ich mich z.B. daran, dass bei einer Veranstaltung einmal ein ‘bewegter Pause-Stream’ angeboten wurde.

3. Hybrides Add-On (= eine physische Veranstaltung mit einzelnen Möglichkeiten zur Beteiligung von ‘Externen’)

Vor Corona gab es manches Mal für mich spannende Veranstaltungen an physischen Orten, zu denen ich nicht fahren konnte, weil sie zum Beispiel zu weit weg waren oder weil ich andere Termine oder Aufgaben hatte. Dennoch konnte ich an diesen Veranstaltungen dann zumindest ein bisschen teilnehmen: Über Twitter konnte ich beispielsweise den Hashtag mitlesen, was bei vielen Veranstaltungen einen ziemlich umfangreichen Einblick vermittelte. Hinzu kam z.B. bei Barcamps die Möglichkeit, den Sessionplan durchzugehen – und in den Dokumentationen in den Etherpads zu stöbern. Manches Mal habe ich dort auch etwas (von außen) ergänzt, was aus meiner Sicht für die Teilnehmenden vor Ort relevant sein konnte.

Solch eine Online-Beteiligung von nicht vor Ort anwesenden Personen bei einer physischen Veranstaltung kann aus meiner Sicht großes Potential haben. Zum einen profitieren alle, die nicht vor Ort sein können, weil sie dennoch online ein bisschen mit dabei sind. Zum anderen kann es auch das Lernen vor Ort unterstützen, weil weitere Perspektiven und Sichtweisen eingebracht werden.

Meine oben geschilderte ‘externe’ Beteiligung vor Corona geschah eher zufällig und basierte auf Insider-Wissen (Ich kannte die Hashtags der Veranstaltungen, wusste wie ein Sessionplan beim Barcamp funktioniert und dass es dort meist eine Dokumentation in Etherpads gibt …). Denkbar wäre es, diese Beteiligungsmöglichkeiten von lehrender Seite etwas systematischer aufzubereiten und gezielt zur Beteiligung einzuladen. Die Veranstaltung wäre dann immer noch primär als physische Veranstaltung geplant – zusätzlich gäbe es aber einzelne hybride Erweiterungen für Externe.

Dabei könnte es sich zum Beispiel um diese Elemente handeln:

  • Eine zusätzliche Anmeldemöglichkeit: ‘Ich kann nicht vor Ort sein, aber will trotzdem (ein bisschen) mitmachen’. Wer sich hierüber anmeldet, bekommt per Mail Infos zu den genutzten Online-Räumen während der physischen Veranstaltung – und Erläuterungen, wie diese nutzbar sind. Der eigene Name kann mit auf die TN-Liste aufgenommen werden.
  • Online-Flipped-Angebote an denen sich alle gleichermaßen beteiligen können: z.B. eine kollaborative Sammlung an Fragestellungen, die für das Thema der Veranstaltung relevant ist.
  • Zusätzliche Online-Räume bzw. Erweiterungen für Menschen, die nicht vor Ort sind: Zum Beispiel ein Zusatz-Hashtag für ‘Externe’, über den sich diese auch untereinander finden können – und dessen Tweets, dann vor Ort visualisiert werden können. Oder auch Extra-Überschriften in Dokumentations-Pad (“Fragen/ Anmerkungen zum Thema von Menschen, die nicht vor Ort sind”)
  • Zusätzliche Elemente, wie z.B. einen Live-Podcast, den Teilnehmende vor Ort zu ihren Learnings aufnehmen. (Dadurch entsteht etwas, das dann auch noch später als Material zur Verfügung steht. Zugleich erhalten Menschen, die nicht vor Ort sind, direkt einen Einblick und können ‘mitlernen’)

Es lässt sich festhalten: Um Hybridität im Sinne solch einer ‘Erweiterung’ zu erreichen, müssen erstens die Online-Zugänge der Teilnehmen bei der physischen Veranstaltung möglichst umfassend angeboten und gestaltet werden. Denn dadurch ergeben sich dann automatisch auch Beteiligungs- bzw. mindestens Mitlesemöglichkeiten von nicht vor Ort anwesenden Personen. Zweitens muss von lehrender Seite eine Kommunikationsebene mit den nicht vor Ort anwesenden Personen aufgebaut werden, über die Beteiligungsmöglichkeiten verdeutlicht werden.

4. Schnittstelle (= eine Online-Veranstaltung und eine Veranstaltung an einem physischen Ort mit einzelnen Überlappungen)

Während bei der unter 3 skizzierten ‘Erweiterung’ die Online-Teilnehmenden mehr oder weniger ‘mitlaufen’ und keine eigenen Programmpunkte haben, wäre eine hybride Veranstaltung auch in der Form denkbar, dass faktisch zwei Veranstaltungen geplant werden: eine Online-Veranstaltung und eine Veranstaltung an einem physischen Ort, die zum Teil über eine Schnittstelle verbunden werden.

Für diese ‘Schnittstelle’ kann ich mir z.B. die folgenden Elemente vorstellen:

  • Es gibt ein gemeinsames Thema, eine gemeinsame Website und gemeinsame Materialien zur Vorbereitung.
  • Es gibt einen gemeinsamen Hashtag.
  • Die weiteren Online-Zugänge der jeweils anderen Veranstaltung sind bekannt (bei einem Barcamp gibt es z.B. zwei Sessionpläne, aber alle kennen beide)
  • Es gibt einzelne gemeinsame/ verbindende Programmpunkte: Eine Session könnte z.B. im physischen Barcamp begonnen – und dann mit einer zweiten Session im Online-Barcamp fortgesetzt werden. Dort kann dann auf die Erkenntnisse der ersten Session aufgebaut werden.
  • Es gibt Spielereien wie z.B. eine ‘doppelte’ Kaffeestation auf der physischen Veranstaltung: eine ‘echte’ und eine ‘virtuelle’. Die virtuelle ist ein Laptop, der in die ‘Kaffee-Ecke’ der Online-Veranstaltung eingewählt ist, und zu der man sich auf diese Weise kurz dazu schalten kann. Vielleicht finden sich auch kreative Ideen für Kennenlern-Spiele, bei denen die Online- und vor Ort Teilnehmenden durcheinander gemischt werden.
  • Es gibt eine P2P-Nachbereitung, bei der Teilnehmende der physischen Veranstaltung mit Teilnehmenden der Online-Veranstaltung gematcht werden – und sich gegenseitig von ihren wichtigsten Learnings berichten.
  • Es gibt eine gemeinsame Dokumentation.
  • Es gibt auf jeder Veranstaltung Kommunikation über die jeweils andere Veranstaltung.

Hybridität in dieser Form kann nur gelingen, wenn personelle Kapazitäten für beide Veranstaltungen vorhanden sind. Denn das Ganze ist zwar eine ‘hybride Veranstaltung’, aber eigentlich werden zwei Veranstaltungen konzipiert und durchgeführt – und die beiden Veranstaltungs-Teams haben noch dazu den zusätzlichen Aufwand, dass sie sich zur gemeinsamen Schnittstelle austauschen müssen. Wenn dazu aber die Kapazitäten da sind, kann diese Variante der Hybridität eine tolle Sache sein. Statt nur einer Veranstaltung gibt es zwei – und durch die Verbindung der beiden noch einen für alle Beteiligten potentiell spannenden Zusatz.

5. Lerngruppen-Puzzle (= mehrere Lerngruppen an physischen Orten, die sich zusätzlich online austauschen)

Während es unter Punkt 4 eine Online-Veranstaltung und eine Präsenz-Veranstaltung gab, die über eine ‘Schnittstelle’ verbunden wurden, gibt es auch die Option von mehreren physischen Veranstaltungen, die über eine Online-Schnittstelle verbunden sind.

Besonders hilfreich kann solch eine Konzeption z.B. im Austausch mit dem globalen Süden sein, wie Christian in diesem Tweet erläutert hat. Hier ist davon auszugehen, dass nicht jede Person ein eigenes digitales Endgerät hat oder dass technische Voraussetzungen zur Online-Teilhabe für alle individuell nicht vorhanden sind. Gemeinsam kann aber an einem physischen Ort etwas entwickelt werden – und das dann an andere Lerngruppen gesammelt weitergegeben werden.

Ich kann mir das Format aber auch unabhängig von einem internationalen Blick vorstellen, wobei der Grad des Austausches zwischen den Gruppen unterschiedlich intensiv gestaltet werden kann. Sehr gut eignet sich dieses Modell z.B. für Hackathons, Materialwerkstätten oder Sprints. Denkbar sind zum Beispiel die folgenden Varianten:

  • Es gibt nur eine sehr lose Verbindung – über das gemeinsame Thema und gemeinsam genutzte Hashtags und weitere Online-Räume.
  • Es gibt einen gemeinsamen Auftakt und einen gemeinsamen Abschluss zwischen allen Gruppen via Videokonferenz. Beispielsweise können im Auftakt gemeinsame Ziele festgelegt und dann ‘Aufgaben’ verteilt werden. Zum Abschluss kann dann alles zusammengefügt und gemeinsam gefeiert werden. Zwischendrin gibt es einen Chat oder ähnliches zur Kommunikation.
  • Es gibt ‘verbindende’ Aufgaben zwischen den einzelnen Gruppen. Beispielsweise kann etwas gestaltet oder konzipiert werden – und dann an die andere Lerngruppe zur Kommentierung oder für Feedback weiter gereicht werden.

Auch diese Variante erfordert einen hohen Koordinations- und Abstimmungsaufwand. Aber auch hier finde ich, dass sich das für alle Beteiligten lohnen kann.

Fazit

Die bisherigen synchron-hybriden Veranstaltungen während der Corona-Zeit waren aus meiner Sicht häufig aus der Pandemie-Not geboren: In einem Veranstaltungsraum hatten mit Abstand nur begrenzt Lernende Platz – online konnten aber mehr dazu kommen! Spannendere hybride Ansätze könnten aus meiner Sicht vor allem dann entstehen, wenn man nicht diese aus der Not geborenen Versuche als Orientierung zum Weiterdenken nimmt. Stattdessen sollten wir uns Offenheit zum Experimentieren bewahren und sowohl auf Online-Lernerfahrungen der Corona-Zeit als auch auf innovative physische Veranstaltungskonzepte von zuvor zurückgreifen. Mit den oben dargestellten Überlegungen und Beispielen wollte ich zeigen, wohin synchrone Hybridität in der Bildung dann führen kann.


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