W3-Methode zur Reflexion von KI als Lerngegenstand

Ich finde es wichtig, dass Künstliche Intelligenz (KI), hier vor allem betrachtet in Form großer Sprachmodelle, in Lernangeboten nicht nur als Werkzeug, sondern auch als Lerngegenstand reflektiert wird. Darauf möchte ich in diesem Blogbeitrag eingehen.

Ausgangspunkt: Sinnvolle Nutzung erfordert Verständnis!

Mein Ausgangspunkt ist die Überzeugung, dass nur diejenigen, die verstehen, wie KI-Technologie funktioniert, sie auch sinnvoll in der Bildung aufgreifen können.

Zum einen ist dafür ein technisches Verständnis erforderlich. Das bedeutet: Im Kern geht es bei Sprachmodellen um Wahrscheinlichkeitsberechnungen auf Basis riesiger Datenmengen, die als Reaktion auf eine ‚Programmeingabe‘ stattfinden. Das kann beim Lernen ein großes Potenzial haben. Wer diese grundlegende Einsicht jedoch nicht hat, neigt dazu, KI zu mystifizieren oder falsche (entweder zu hohe oder zu niedrige) Erwartungen an KI-Tools zu haben, was eine kluge Nutzung verhindert.

Zum anderen bedeutet Verständnis auch einzuordnen, welche Rolle KI in unserer Gesellschaft spielt. Denn Bildung findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern zielt auf die gesellschaftliche Handlungsfähigkeit der Lernenden ab. Die Frage „Welche KI wollen wir?“ ist in diesem Zusammenhang von der Frage „Wie nutze ich KI?“ nicht zu trennen.

Die Herausforderung in Workshops zu KI besteht darin, der Reflexion als Lerngegenstand ausreichend Raum zu geben. Meine Erfahrung zeigt, dass wenn man erst einmal damit beginnt, KI als Werkzeug zu erkunden, alles andere in den Hintergrund gedrängt wird. Daher bin ich dazu übergegangen, diese Reflexion an den Anfang zu stellen. Dafür eignet sich die W3-Methode der „Liberating Structures“.

W3-Methode: What? So What? No What?

Die klassische W3-Methode der Liberating Structures besteht aus drei Schritten:

  1. „What?“: Teilnehmer*innen denken alleine und in Gruppen darüber nach, was passiert ist und welche Beobachtungen sie gemacht haben. Es geht also darum, zunächst die Fakten zusammen zu tragen.
  2. „So What?“: Es wird darüber nachgedacht, warum diese Beobachtungen wichtig sind und wie die gesammelten Fakten interpretiert werden können.
  3. „Now What?“: Die Teilnehmer*innen überlegen, welche nächsten Schritte sinnvoll sind. Von der Sammlung, über die Interpretation kommen sie somit zur Ableitung konkreter Handlungen.

In der klassischen Form ist die W3-Methode vor allem dazu gedacht, eine Gruppe handlungsfähig zu machen. Denn dazu benötigt man zunächst ein gemeinsames Verständnis der Situation. Darauf aufbauend lässt sich dann weiterarbeiten. Genau das ermöglicht diese Methode.

Bei der Nutzung der Methode zur Reflexion von KI als Lerngegenstand weiche ich von der klassischen Durchführung ab. Insbesondere gibt es eine Inputphase. Außerdem ist die Ableitung von nächsten Schritten weniger ein Ziel für die ganze Gruppe, sondern jede Person hält für sich ihre Schritte fest. Im folgenden beschreibe ich eine mögliche Umsetzung.

Umsetzung: Visualisierter Input, Silent Writing und kollaborative Reflexion

Der erste Schritt (What?) geschieht als Input. Ich stelle (sehr gerne mit Bildern visualisiert) dar, was sich hinter großen Sprachmodellen verbirgt. Wie oben dargestellt, geht es dabei sowohl um eine niederschwellige technische Erläuterung als auch um gesamtgesellschaftliche Hintergründe.

Diese Aspekte sind aus meiner Sicht entscheidend:

  1. Stochastischer Papagei und Suppentopf: Im Kern sind große Sprachmodelle wahrscheinlichkeitsbasierte Würfel-Maschinen – wenn auch sehr entwickelte. Jeder einzelne Bestandteil eines Inputs wird in die Generierung des Outputs einbezogen – und dann der nach Wahrscheinlichkeit am besten passende Output generiert.
  2. Marketing: Die KI-Debatte ist auch von Marketinginteressen und dem Streben von Tech-Unternehmen nach Monopolstellung geprägt.
  3. Click-Worker: KI-Technologie basiert maßgeblich auf menschlicher Arbeitskraft.
  4. Bias: KI-Technologie reproduziert (ohne weiteres Zutun) die Vergangenheit.
  5. Ressourcen: KI-Technologie verbraucht sehr viele Ressourcen.

Diese Darstellung benötigt nur wenige Minuten und stellt sicher, dass alle Teilnehmer*innen anschließend mitdiskutieren können, auch diejenigen, die sich bisher nur wenig mit dem Thema beschäftigt haben. Direkt nach dem Input gibt es eine kurze Murmelrunde zur Klärung, ob den Teilnehmer*innen noch Aspekte fehlen und welche offenen Fragen sich direkt ergeben.

Im zweiten Schritt folgt das ‚So What?‚ in Form eines Silent Writings. Die Teilnehmer*innen sind eingeladen, in einem offenen und stillen Brainstorming alles zu teilen, was ihnen zur Frage einfällt: „Was bedeuten diese Aspekte für meine pädagogische Tätigkeit?“. Ich mache das gerne mithilfe eines Mindwendels. Hier können vorab die vorgestellten Aspekte als Farbkategorien eingestellt werden, so dass die Teilnehmer ihre Überlegungen einsortieren können.

Ein Screenshot von einem Mindwendel
Beispiel für eine Mindwendel-Sammlung

Zum Abschluss folgt dann in Kleingruppendiskussionen das ‚Now What?‚. Die Teilnehmer*innen schauen sich die gesammelten Aspekte an und reflektieren gemeinsam darüber, was für sie jeweils besonders entscheidend ist und was sie für ihre pädagogische Tätigkeit mitnehmen können. In übergreifenden Workshops mit Menschen, die ansonsten nicht direkt zusammenarbeiten, ist es hier nicht wichtig, dass man in der Gruppe zu einer gemeinsamen Antwort kommt. Der Austausch kann jedoch dazu beitragen, dass jede Person für sich eine qualifizierte Antwort entwickelt.

(Wenn es auch um gemeinsame Strategieentwicklung geht, kann sich hier die 1-2-4-all Methode anschließen.)

Fazit

Während Workshop-Anfragen oft sehr eng auf die Nutzung von KI-Tools gerichtet sind, kann solch ein Einstieg, die Perspektive von Anfang an ausweiten. Es geht dann nicht nur um Fragen eines klugen Promptings und empfehlenswerten Einsatzszenarien von KI als Werkzeug, sondern auch um KI als Lerngegenstand. Vor diesem Hintergrund mag ich das Vorgehen sehr gerne. Vielleicht willst Du es auch für Dich ausprobieren. Ich wünsche Dir dabei viel Freude!


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