Echt analog!

Wie die Digitalisierung ‚Lernen ohne Strom‘ herausfordert und verändert

In der heutigen Mittagspause war ich in der Digitalwerkstatt des Bayrischen Volkshochschulverbandes zu Besuch. Ich habe einen kurzen Impuls zu Chancen und Grenzen der Online-Bildung gegeben, der im Fediverse freundlicherweise ganz ausgezeichnet mit dokumentiert wurde. Aus der anschließenden Diskussion nehme ich vor allem den folgenden Gedanken für mich mit:

Wenn Menschen sich für ‚Lernen ohne Strom‘ bzw. ‚analoges Lernen‘ einsetzen, dann kann das aus zwei unterschiedlichen Perspektiven erfolgen:

  1. Digitales wird als potentielle Gefahr für gutes Lernen eingeordnet. Man möchte Lernen ‚ohne Strom‘, um Digitales abzuwehren.
  2. Man stellt sich die Frage, wie gute Bildung in einer zunehmend digital geprägten Welt gestaltet werden kann. Lernen online und Lernen vor Ort (sowie alle möglichen Mischformen daraus) werden als ein produktives Zusammenspiel verstanden. Vor diesem Hintergrund möchte man, dass gerade auch ‚Lernen ohne Strom‘ und Lernen an einem gemeinsamen physischen Ort eine wichtige Rolle spielt und als ein Teil guter Bildung bewusst gestaltet wird.

Mir ist – wahrscheinlich wenig überraschend – die zweite Perspektive deutlich näher. Was das konkret bedeuten kann – und wie die Digitalisierung das ‚Lernen ohne Strom‘ in diesem Sinne herausfordert und verändert – möchte ich in diesem Blogbeitrag an 5 Beispielen verdeutlichen.

1. Ganzheitlichkeit

Je mehr wir online lernen und arbeiten, desto mehr kann Haptik und Ganzheitlichkeit in Lernangeboten einen Unterschied machen. In diesem Sinne erlebe ich es als unwahrscheinlich produktiv und gewinnbringend, wenn beim ‚analogen Lernen‘ beispielsweise mit Lego oder Knete gebaut und gebastelt, gemeinsam gesungen oder Bewegung und Pantomime eingesetzt wird.

2. Luxus-Veranstaltungen

Online Lernen ist großartig, um flexibel und passgenau Lernangebote wahrnehmen und sich mit anderen austauschen zu können. (Ganz bestimmt wäre ich heute in der Mittagspause z.B. nicht nach München gereist um einen kurzen Impuls zu geben. Online ist das aber möglich.) Genau diese Potentiale führen aber zu einer großen Terminfülle im Kalender und auch einer gewissen Schnelligkeit beim Lernen. Lernen vor Ort kann hier ein sehr willkommenes Gegengewicht darstellen. Es geht hier dann weniger ’nur‘ um einen einzelnen Workshop oder einen kurzen Austausch. Stattdessen sind Vor Ort-Veranstaltungen als ‚Erlebnis‘ insgesamt interessant. Man fährt woanders hin, man bleibt dort vielleicht auch länger, man ist aus dem sonstigen Alltag ‚draußen‘, man trifft viele unterschiedliche Menschen und bekommt ganz viele Anregungen und Impulse … Für die Gestaltung solcher Veranstaltungen werden ‚Zwischenräume‘ und Austauschmöglichkeiten immer wichtiger.

3. Freiraum durch Maschinen

Digitalisierung kann auch dazu führen, dass Bildung von vielen Lernherausforderungen entlastet wird, die ohne Digitalisierung bearbeitet werden müssten. Denn es ist nicht wichtig, Menschen umfassend etwas beizubringen, was Maschinen besser können. Philippe Wampfler zeigt das in diesem Podcast zu KI mit Florian Nuxoll sehr gut am Beispiel des Schreibens auf: Während es früher vielleicht noch berechtigt und wichtig war, dass Lernende den Aufbau einer Erörterung oder die Gestaltung eines formalen Geschäftsbriefs erlernen und immer wieder üben, kann man nun alternativ viel Zeit davon für spannendere Schreibaktivitäten nutzen. Zum Beispiel für das kreative Schreiben.

4. Analog als Teil von Vielfalt

Digitalisierung schafft vielfältige Möglichkeiten zur Gestaltung von Bildung – gerade durch die zahlreichen Kombinationsmöglichkeiten von analog und digital. In diesem Sinne können ‚Lernen ohne Strom‘ und ‚Lernen vor Ort‘ bewusst als Elemente für gute Bildung genutzt werden. Das bedeutet, dass die spezifischen Möglichkeiten aufgegriffen und Bildung auch auf dieser Grundlage gestaltet wird. Durch die genutzte und bewusst gestaltete Vielfalt ergibt sich dann insgesamt ein gutes Lernen.

5. Regionale Vernetzung

Digitalisierung führt dazu, dass sich Menschen potentiell unabhängig von ihrem jeweiligen Aufenthaltsort miteinander vernetzen können. Auch hier wirkt aber ein produktives Wechselspiel mit Vernetzung vor Ort, das ich beispielsweise im Rahmen der Educamps erlebe. Das Educamp ist ein Barcamp, das ‚wandert‘. Das bedeutet: Es findet immer an unterschiedlichen Orten statt. Vor einigen Wochen war es in Heide in Schleswig-Holstein; im Hernst 2022 in Düsseldorf … Für Menschen, die mit dem Educamp reisen, hat das zur Folge, dass sie immer wieder auf andere Menschen und Herausforderungen stoßen, je nachdem, wo sich das Educamp gerade befindet. Viele andere Menschen kommen dagegen nur punktuell dazu und erleben das Educamp, wenn es bei ihnen in der Gegend ist. Durch dieses Zusammenspiel baut sich Schritt für Schritt ausgehend von einer regionalen Vernetzung vor Ort und den ‚Zwischenmenschen‘, die die unterschiedlichen Orte miteinander verbinden, ein immer besseres Netzwerk auf. Dazu braucht es als einen Bestandteil bewusst ein Lernen vor Ort.

Fazit

Das waren fünf schnell notierte Beispiele dafür, wie Digitalisierung das Lernen vor Ort bzw, das Lernen ‚ohne Strom‘ herausfordert bzw. verändert. Du hast vielleicht noch viele andere Ideen. Spannend finde ich an dieser Perspektive, dass ein ‚Entweder Oder‘-Denken in Bezug auf analog versus digital einem ‚Sowohl als Auch‘-Denken Platz macht. Außerdem kann ich mir vorstellen, dass diese Perspektive es für Menschen, die eher dazu tendieren, Digitales abzuwehren, einfacher macht, sich auf ‚Digitales‘ einzulassen – und sie dann auch mehr beitragen können. Eben deshalb, weil es genau genommen ja gar nicht um ‚Digitales‘ geht, sondern um gute Bildung in einer zunehmend digital geprägten Welt – in der es wünschenswert ist und vielleicht auch wichtiger wird, dass nicht alles ‚digital‘ ist.


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