Kollaborativ Handlungsempfehlungen erarbeiten

Beim diesjährigen OERcamp in Hamburg haben die Teilgebenden an Tag 3 im Rahmen einer Community-Beratschlagung kollaborativ Handlungsempfehlungen zur Frage erarbeitet, was sie sich für gute OER-Arbeit wünschen. Das auf dieser Basis entstandene Papier wurde heute veröffentlicht. Aus diesem Anlass möchte ich in diesem Blogbeitrag beschreiben, wie wir beim OERcamp methodisch vorgegangen sind. Ich denke, dass das entwickelte Konzept auch auf andere Kontexte übertragbar ist.

Der Rahmen

An der Community-Beratschlagung an Tag 3 des OERcamp haben sich rund 100 Personen beteiligt. Unser Ziel war es, möglichst vielfältige Perspektiven und damit zugleich eine Art ‚kollaboratives Stimmungsbild‘ der OER-Commuity abzubilden. Es ging also nicht darum, dass sich alle Teilgebenden auf die für sie beispielsweise 5 wichtigsten Forderungen verständigten. Stattdessen sollte alles eingesammelt werden, was (vielleicht auch nur für einzelne Teilgebende) relevant ist. Die gesammelten Aspekte sollten dann insgesamt verschriftlicht werden. Wir hatten insgesamt ungefähr 2 Stunden Zeit.

Der Ablauf

Das Konzept sah drei Phasen vor: Erstens gemeinsames Persona-Basteln, zweitens Handlungsempfehlungen im Rahmen einer Troika Beratung entwickeln und drittens individuelle Wünsche aufschreiben und in einer Crowd-Bewertung reflektieren.

1. Gemeinsames Persona-Basteln

Wir starteten mit einem gemeinsamen Persona-Basteln. Dazu suchten sich die Teilgebenden einen Platz an einem Basteltisch. Sie erhielten eine Blanko-Holzfigur und konnten weitere Utensilien (Knete, Tape, Glitzersticker, Kreppband …) nutzen und die Personas auch mit Stiften gestalten,. Die Aufgabe lautete, eine Persona zu basteln, die man gerne in der OER-Community sehen würde bzw. die schon Teil der OER-Community ist. Diese Persona sollte dann möglichst konkret ausgearbeitet werden. Das bedeutet, dass sie einen Namen erhalten sollte, dass überlegt werden sollte, was sie gerne mag und was sie nicht mag, mit was sie beschäftigt ist und auch, was ihre Perspektive auf OER ist. Wir nahmen uns dafür ca. 20 Minuten Zeit. An den Tischen konnten sich die bastelnden Menschen dabei über ihre Personas austauschen.

Bild: gemeinsames Persona basteln

2. Handlungsempfehlungen im Rahmen einer Troika-Beratung entwickeln

Für die Ausarbeitung von Handlungsempfehlungen nutzten wir eine leicht abgewandelte Form der Troika-Beratung aus den Liberating Structures. Dazu fanden sich die Teilgebenden in Dreier-Gruppen zusammen. Die Methode wurde dann in mehreren Schritten durchgeführt:

  • Schritt 1: Eine Person begann und stellte ihre Persona den Kolleg*innen vor. Beide hörten zu. (1 min)
  • Schritt 2: Die erste Person drehte sich weg. Die anderen beiden beratschlagten, was diese Persona für bessere OER-Arbeit benötigen würde. Sie konnten dabei zum Beispiel in Richtung der beginnenden Förderprojekte denken, in Richtung der Politik, in Richtung der OERcamp oder in Richtung der Community. Die erste Person war wie dargestellt nicht aktiver Teil der Kommunikation, hörte aber zu und hielt die aus ihrer Sicht bis zu 5 wichtigsten Punkte auf Karten fest. (4 Min)
  • Schritt 1 und 2 wurden mit den nächsten beiden Personen wiederholt. (je 5 min)

Im Ergebnis hatte alle Teilgeber*innen nun eine Sammlung mit bis zu 5 Aspekten, die für bessere OER-Arbeit relevant sein könnten. Wir hätten diese direkt einsammeln können, aber hatten uns im Vorfeld dazu entschlossen, noch einen Qualifizierungsschritt dazwischen zu schieben. Das geschah auch vor dem Hintergrund, dass wir noch mehr Austausch unter den Teilgeber*innen ermöglichen wollten. Konkret sah der Qualifizierungsschritt dann so aus, dass alle aufgefordert waren, durch den Raum zu wuseln und sich mit mindestens zwei anderen Menschen zu den aufgeschriebenen Aspekten auszutauschen. Dabei sollte versucht werden, Karten falls möglich zusammen zu fassen oder auch um weitere Aspekte zu ergänzen, falls einem im Gespräch noch etwas einfiel.

Anschließend sammelten wir alle Karten ein. Dazu gab es Schuhkartons, die mit OERcamp, Politik/ BMBF, Förderprojekte und Sonstiges beschriftet waren. Falls möglich sollten die Karten in eine passende Kiste geworfen werden.

3. Individuelle Wünsche mit Crowd-Bewertung sammeln

Der dritte Teil war ein bisschen unabhängig von den beiden anderen. Wir hatten ihn deshalb gestaltet, weil wir erstens allen noch einmal im Sinne einer „Was ich sonst noch weitergeben will“- Frage die Möglichkeit geben wollten, ihre individuelle Perspektive einzubringen. Zweitens wollten wir einen gemeinsamen Abschluss gestalten und die gemeinsamen Ergebnisse der Community-Beratschlagung ein bisschen feiern .

Wir haben dazu eine weitere von den Liberating Structures inspirierte Methode genutzt: die Crowd-Bewertung. Dazu konnte sich jede Person eine Ideenkarte nehmen und darauf einen möglichst konkreten Wunsch als Idee an die OER Community formulieren. Anschließend bewegten sich alle still durch den Raum. Wenn man jemanden anderes traf, tauschte man Karten, las sich die Idee durch, drehte den Zettel dann um und bewertete darauf die Idee. Angefangen von 0 (=das wäre für mich nicht relevant) bis hin zu 10 (= da wäre ich sofort mit dabei, das umzusetzen). Sobald jemand eine Karte erhielt, bei der alle Bewertungen ausgefüllt waren, würde die Summe zusammen gerechnet. Danach stellten sich alle sortiert nach den Bewertungen in einer Reihe auf.

Hier ist unsere Vorlage zum Weiternutzen (Lizenz CC0 1.0)

Die zehn Ideen mit den höchsten Bewertungen wurden dann vorgelesen. Danach gestalteten wir zusammen eine La Ola Welle, um uns gemeinsam für die erarbeiteten Ideen zu feiern. Das geschah auch vor dem Hintergrund, weil manche Ideen vielleicht insgesamt eine geringere Bewertung erhalten haben, aber trotzdem für einzelne sehr wertvoll und wichtig sein können.

Nachdem auch die Ideenkarten eingesammelt waren, war die Community-Beratschlagung abgeschlossen.

Die Nachbearbeitung

Im Anschluss an das OERcamp folgte die Nachbereitung. Wir sind dazu folgendermaßen vorgegangen:

  • Alle Karten verschriftlichen
  • Alle verschriftlichten Aspekte clustern
  • Passende Überschriften finden
  • Aspekte in jedem Cluster ausformulieren

Auf diese Weise war sichergestellt, dass wir wirklich nicht unsere eigenen Ideen, die wir alle natürlich auch in unseren Köpfen haben, aufschreiben, sondern tatsächlich das kollaborativ entstandene Stimmungsbild der OERcamp-Teilgeber*innen wiedergeben.

Das so entstandene Papier wurde dann nochmals an die Teilgeber*innen zurückgespielt und sie konnten kommentieren, was z.B. falsch verstanden worden war oder welche direkten Ergänzungen ihnen einfielen. Diese Kommentare haben wir eingearbeitet. Dann haben wir das Papier veröffentlicht.

Das Ergebnis

Du findest das entstandene Papier auf der Website des OERcamp. Es kann in unterschiedlichen Formaten weitergenutzt werden.

Bei den individuellen Wünschen sind wir anders vorgegangen: Diese wurden direkt verschriftlicht und nicht weiter bearbeitet. Somit mussten sie auch nicht mehr zur Kommentierung freigegeben werden. Das Ergebnis ist ein H5P-Inhalt zum Weiternutzen, der ebenfalls auf der OERcamp Website zu finden ist.

Die Learnings

Insgesamt hat die Methode gut funktioniert. Ich halte für mich insbesondere fest:

  • Wir hatten ursprünglich eine Sortierung in unterschiedliche Bildungsbereiche vorgesehen. Faktisch war es aber so, dass die aufgeworfenen Aspekte fast alle bildungsbereichsübergreifend sind. Deshalb haben wir darauf verzichtet.
  • Unsere Idee der Vorsortierung in die Bereiche Politik/ BMBF, Förderprojekte und OERcamp hat nicht funktioniert. Wir haben uns deshalb für ein gemeinsames Papier entschieden und hoffen, dass es von Menschen in den genannten Bereichen durchgelesen und bei ihren jeweiligen Aktivitäten berücksichtigt wird.
  • Um eine möglichst gute Weiternutzung der Handlungsempfehlungen zu ermöglichen, habe wir das Papier nicht nur offen lizenziert, sondern auch einen Zitationsvorschlag ergänzt (= Teilgebende des OERcamp 2024, ausformuliert von Nele Hirsch & Matthias Kostrzewa, im Auftrag der Agentur J&K – Jöran und Konsorten. Quelle: https://www.oercamp.de/24/weiterentwicklung/). Auf diese Weise können Menschen, die beispielsweise Förderanträge schreiben, gut darauf Bezug nehmen.

Das Fazit

Herzlichen Dank an alle Teilgeber*innen, an das OERcamp-Team und an Matthias für ein wie ich finde sehr schönes und gelungenes Projekt. Ich bin sehr gespannt, welche Berücksichtigung die entwickelten Handlungsempfehlungen bei zukünftigen OER-Aktivitäten erfahren werden. Wenn du die methodische Vorgehensweise für eine ähnliche Beratschlagung weiternutzen willst, dann wünsche ich dir dabei viel Erfolg!


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