Dezentrale Präsentationen

Diesen Blogbeitrag schreibe ich nach einem Workshop der Fachschaftsprecher*innen für sonderpädagogischen Förderbedarf in NRW, der heute in Dortmund stattfand. Das Thema war ‚Elemente der Kollaboration‘. Gewünscht war, dass ich etwas zum Hintergrund und zu Gelingensbedingungen zu Kollaboration erzähle, dann auch konkrete Methoden vorstelle und schließlich noch eine kurze Einführung in Open Educational Resources (OER) gebe. Mein Anspruch bei diesen und anderen Lernangeboten ist (fast) immer, mich als Referentin soweit wie möglich zurückzunehmen und Raum zu schaffen für Austausch, für Peer-to-Peer Lernen und für eigene Entwicklungen in der Gruppe. Darum habe ich mit ‚dezentralen Präsentationen‘ experimentiert, was wunderbar geklappt hat. In diesem Blogbeitrag möchte ich davon berichten und es zum Nachmachen empfehlen 🙂

Was sind dezentrale Präsentationen?

Mit dem Begriff ‚dezentrale Präsentationen‘ meine ich, dass es nicht eine Person gibt, die vorne steht und etwas präsentiert, sondern dass der Input in der Gruppe verteilt und dort gegenseitig präsentiert bzw. erarbeitet wird. Der Übergang zu einem Workshop ist damit fließend. Wichtig finde ich, dass es nicht nur um Selbsterarbeitung geht, sondern ich durchaus als Referentin wirke und Input mitbringe – nur eben, dass ich diesen nicht zentral präsentiere, sondern den Teilnehmer*innen des Lernangebots eine dezentrale Präsentation ermögliche.

Wie können dezentrale Präsentationen konkret aussehen?

Im heutigen Lernangebot haben wir gleich drei unterschiedliche Möglichkeiten für dezentrale Präsentationen ausprobiert:

1. ‚Stille Post‘-Gruppenedition

Die Methode ‚Stille Post‘ habe ich schon häufiger als individuell angelegte Methode verwendet. Dabei werden die Impulse vorab auf Zettel geschrieben. Beispielsweise kann es sich um die Vorstellung von Praxisbeispielen handeln. Jedes Praxisbeispiel kommt dann auf einen Zettel. Die Teinehmenden stehen in einem Kreis und jede zweite Person erhält einen Zettel. Diese liest den Zettel für sich und stellt ihn dann der Person, die im Uhrzeigersinn nach ihr kommt kurz vor. Dabei ergänzt sie, was ihre Einschätzung dazu ist. Dann wird der Zettel an die zuhörende Person übergeben, die wiederum zur nächsten Person im Kreis geht und wiederum vorstellt und die eigene Einschätzung dazu gibt.

Anders als beim klassischen ‚Stille Post‘ Spiel muss also nicht direkt weitergegeben werden, was die erste Person gesagt hat. Es lässt sich aber beobachten, dass die Einschätzungen der Teilnehmenden im Verlauf durch den Kreis immer qualifizierter werden. In jedem Fall erhalten alle zahlreiche Impulse, sind immer selbst aktiv und überlegen sich direkt, was ihr jeweiliger Bezug/ ihre Meinung zu einem Impuls ist. Allerdings beschäftigt sich jede Person erst einmal nur individuell mit den Impulsen. Der Peer-Charakter beschränkt sich auf Reden und Zuhören. Genau dieser Aspekt wird nun bei der ‚Gruppenedition‘ verändert.

Hierzu werden zunächst Kleingruppen gebildet, die sich im Raum verteilen. Jede Gruppe erhält dann einen Impulszettel. Die erste Aufgabe lautet, sich in der Kleingruppe mit dem Impuls auseinanderzusetzen. Leitfragen sind: Was ist damit gemeint? Was ist unsere Einschätzung/ was sind unsere Erfahrungen dazu? Es steht eine begrenzte Zeit zur Verfügung. Bei uns waren es heute 3 Minuten. Anschließend nimmt je eine Person aus jeder Kleingruppe den Impulszettel und geht zur jeweils nächsten Kleingruppe. Dort berichtet sie, was der Impuls ist und was bisher dazu diskutiert wurde. Anschließend hat diese Gruppe Zeit, ihre Einschätzungen und Erfahrungen dazu zu diskutieren. Wiederum steht ein begrenzter Zeitraum (bei uns wieder 3 Minuten) zur Verfügung. Anschließend geht eine andere Person mit dem Zettel weiter. Auf diese Weise bewegen sich die Impulszettel in unterschiedlichen Gruppenkonstellationen einmal im Kreis – und in allen Gruppen wird immer diskutiert.

Wir haben diese ‚Stille Post‘-Methode in der Gruppenedition heute zum Thema ‚Gelingensbedingungen für Kollaboration‘ gemacht. Normalerweise hätte ich dazu einen kleinen Input gemacht – mit dieser Präsentation auf der vier Gelingensbedingungen draufstehen.

Ich hätte jeweils erzählt, was meine Erfahrungen und Einschätzungen dazu sind. Vielleicht hätten wir danach eine Murmelrunde und eine kurze Frage & Antwort-Möglichkeit bzw. Diskussion gemacht. Immer aber wäre ich in diesem Fall als Referentin im Zentrum gestanden. Nun habe ich die vier Impulse ausgedruckt – und jede Kleingruppe hat eine Gelingensbedingung erhalten. Wie beschrieben sind die Zettel dann einnmal durch alle Gruppen gewandert. Durch diese Verteilung der Impulse in die Kleingruppen und die so ermöglichte dezentrale Präsentation war den Teilnehmer*innen eine deutlich vielfältigere Beschäftigung mit dem Thena möglich. Ich habe danach vorgestellt, was die Alternative gewesen wäre (= klassische Präsentation). Es war die übereinstimnmende Meinung aller Teilnehmer*innen, dass sie davon sehr wahrscheinlich deutlich weniger profitiert hätten.

2. Kollaboratives Ausprobieren

Die zweite Möglichkeit für dezentrale Präsentationen haben wir heute bei der gewünschten Vorstellung von Methoden zur Kollaboration gemacht. Gerade bei so einem Thema liegt das ‚Ausprobieren‘ als Möglichkeit auf der Hand und wird sicherlich sehr häufig gemacht. Ich möchte es der Vollständigkeit halber aber dennoch kurz beschreiben.

Anstatt eine Kollaborationsmethode nach der anderen frontal vorzustellen, haben wir sie jeweils gemeinsam ausprobiert. Dabei habe ich zuerst immer nur erläutert, was jetzt die jeweiligen Aufgaben sind. Nach dem Ausprobieren kamen wir dann im Plenum zusammen und ich habe gefragt, wie die Methode erlebt wurde und welchen Transfer sich die Teilnehmer*innen in ihren Kontext vorstellen könnten. Danach folgte die nächste Methode.

Auch in diesem Fall konnte ich mich als Referentin also sehr zurücknehmen und den Fokus auf die Gestaltung des Lernens legen. Wenn in der Auswertungsrunde wenig kam, hatte ich allerdings die Möglichkeit, auch meine Erfahrungen zu teilen. Es blieb aber auch in diesem Fall bei einer sehr gleichberechtigten Gruppendiskussion, die nicht auf mich als Referentin fokussiert war.

3. Präsentations-Stationen

Die dritte Möglichkeit für dezentrale Präsentationen war beim Thema OER. Das bot sich in der heutigen Gruppe sehr an, weil die Vorkenntnisse zu dem Thema sehr unterschiedlich verteilt waren (von ‚das kenne ich gar nicht‘ bis hin zu ‚dazu habe ich schon viele Erfahrungen‘). Bei einer klassischen Präsentation vor einer großenm zuhörenden Gruppe wäre es kaum möglich gewesen, allen gerecht zu werden: Für die Newbies wäre es sehr wahrscheinlich zu schnell gegangen, die Profis hätten sich gelangweilt … Mit dezentralen Präsentationen war beides nicht der Fall.

Wir sind folgendermaßen vorgegangen: Zunächst haben wir eine ‚Handzeichen-Abfrage‘ zu Vorkenntnissen gemacht. Darauf aufbauend konnten wir ’nicht-homogene‘ Kleingruppen bilden. Teilnehmer*innen mit viel und mit wenig Vorkenntnissen trafen so aufeinander. Anschließend erhielten alle Teilnehmer*innen meine (minimal ergänzte) Präsentation, die ich ansonsten frontal gezeigt hätte, sowie eine Selbstüberprüfung und Praxisübungen.

Die Aufgabe lautete nun, sich gemeinsam durch die Präsentation zu klicken, zu erklären bzw. nachzufragen wo nötig und dann mithilfe der Zusatzübungen oder auch an anderen Stellen zu vertiefen.

Im Ergebnis entstand etwas, was sich wahrscheinlich am besten als ‚Mikrofortbildungen‘ charakterisieren lässt. Denn in allen Kleingruppen kam es zu intensivem Peer-to-Peer Lernen, wobei jede Gruppe ihre sehr eigenen Schwerpunkte setzen konnte. So arbeitete eine Gruppe zum Beispiel sehr intensiv an der Herausforderung des korrekten Schreibens eines Lizenzhinweises, eine andere Gruppe beschäftigte sich eher auf einer Meta-Ebene mit Herausforderungen bei einer Kultur des Teilens und noch eine Gruppe probierte offene Inhaltsdatenbanken mit OER aus … Ich war die ganze Zeit über bei Fragen ansprechbar, was vereinzelt auch genutzt wurde. Überwiegend arbeiteten die Gruppen aber für sich selbst. Ich bin mir sehr sicher, dass kein noch so guter Vortrag von mir, die Teilnehmer*innen auf ähnliche Art und Weise weitergebracht hätte, wie das durch die ‚dezentralen Präsentationen‘ der Fall war.

Wann passen ‚dezentrale Präsentationen‘ nicht?

Dezentrale Präsentationen eignen sich sicherlich nicht immer und für alles. Insbesondere, wenn es darum geht, für etwas zu werben oder bei einem Thema Position zu beziehen und eine Meinung zu vertreten (über die sich dann anschließend auch gerne streiten lässt), braucht es zunächst mal eine ‚zentrale‘ Präsentation.

Was kann schiefgehen?

Ich hatte heute das Glück mit einer sehr interessierten, aufgeschlossenen und kommunikativen Gruppe zu arbeiten. Wenn Teilnehmer*innen stärker mit einer konsumierenden Haltung zu einer Fortbildung kommen, ist es sicherlich schwieriger, solche Konzepte dezentraler Präsentationen umzusetzen. Allerdings wird sich an solch einer konsumierenden Haltung auch nichts ändern, wenn sie immer wieder bedient wird und Teilnehmer*innen gar nichts anderes kennenlernen können. Ich ermutige deshalb sehr dazu, dezentrale Präsentationen auszuprobieren!


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