Die wahrscheinlich wichtigste Grundlage meiner Arbeit im eBildungslabor ist, dass ich alles offen teile. Das bedeutet: Ergebnisse meiner Arbeit wie beispielsweise Erfahrungen aus Workshop-Durchführungen, Veranstaltungskonzeptionen und vor allem von mir erstellte Bildungsmaterialien in unterschiedlichen Formaten, stelle ich offen lizenziert als Open Educational Resources (OER) zur Verfügung. Damit sich aus diesem Teilen aber eine Kultur des Teilens entwickelt, braucht es mehr als ’nur‘ eine offene Lizenz. Das möchte ich in diesem Blogbeitrag mithilfe eines Bildes erklären.
Vom Teilen zur Kultur des Teilens – mit einem Bild erklärt
Schau Dir bitte dieses Bild an und überlege, was Du darauf siehst:
Sehr wahrscheinlich lautet Deine Antwort: eine Puppe! (Oder auch: eine alte, abgenutzte Puppe, eine Puppe mit kurzen Haaren und kaputtem Gesicht, eine Puppe mit Schlenkerarmen und -beinen …)
All das ist zutreffend. Meine Antwort ist dennoch eine andere: Ich sehe auf dem Bild ‚Lisa‘. Denn die Puppe auf dem Bild ist für mich nicht irgendeine Puppe, sondern meine Puppe Lisa. Damit ‚irgendeine Puppe‚ zu ‚meiner Puppe Lisa‚ wird, muss sehr viel passiert sein: Ich habe diese Puppe als etwas Besonderes geschenkt bekommen, ich habe mit Lisa als Kind viel erlebt und auch mir nahestehende Menschen wie meine Geschwister oder Eltern wissen immer noch, dass das Lisa ist.
Lisa wäre auch für mich nur ‚irgendeine Puppe‘, wenn ich mit ihr keine Erlebnisse verbinden würde, wenn ich sie nicht gezielt bekommen/ ausgewählt hätte oder wenn ich ein Kind gewesen wäre, das mit Puppen nichts anfangen kann, sondern lieber mit Teddybären spielt.
Was hat die Entwicklung von ‚irgendeine Puppe‘ hin zu ‚meine Puppe Lisa‘ aber mit einer Kultur des Teilens zu tun?
Kultur des Teilens: ein offen lizenziertes Material zu einem Material mit Bedeutung machen
Ich finde: Eine Kultur des Teilens entsteht immer dann, wenn aus einem offen lizenzierten Material ein Material mit Bedeutung für mich und/ oder andere Personen wird. Dazu kann ich als teilende Person ebenso beitragen wie als weiternutzende Person. Ähnlich wie ‚irgendeine Puppe‘ zu ‚meine Puppe Lisa‘ wird, kann ich auch ein Material zu einem Material mit Bedeutung für mich und andere machen, indem ich es bewusst auswähle, damit etwas mache oder mich mit anderen darüber austausche.
Hier sind ein paar Beispiele, wie Kultur des Teilens in diesem Sinne in meiner Arbeit praktisch aussehen kann:
- Eine Kollegin fragt mich, ob ich ihr mit einer Präsentation zu einem bestimmten Thema aushelfen kann. Ich schicke ihr meine Folien und biete an, dass wir gemeinsam darüber sprechen können, wie ich diese Folien verwendet habe.
- Ich habe Materialien für einen Energizer entwickelt. Anstatt ’nur‘ diese Materialien offen lizenziert zur Verfügung zu stellen, schreibe ich dazu, wie ich sie eingesetzt habe und was meine Erfahrungen damit waren.
- Gemeinsam mit anderen Menschen gestalten wir einen Online-Kurs. Jede Person bringt dafür offen lizenzierte Materialien mit, die ihr zu diesem Thema wichtig sind. Gemeinsam gestalten wir daraus den neuen Kurs – und reflektieren jeweils, wie und ob wir gefundene Materialien remixen wollen.
- Ich möchte anderen offen lizenzierte Materialien zu einem bestimmten Thema zur Verfügung stellen. Anstatt alles zu verlinken, was ich finden kann, suche ich gezielt die für mich besten Materialien aus – und kommentiere jeweils, was das für ein ausgewähltes Material ist und warum ich es wichtig finde.
- Ich finde im Netz immer wieder neue Tools. Anstatt alles als Liste zusammenzustellen, twittere ganz gezielt darüber, was ich mit einem bestimmten Tool wie gemacht habe und warum ich das weiterempfehlen würde – und/ oder ich maile ein bestimmtes Tool an eine Kollegin, weil ich mir vorstellen kann, dass es für sie aktuell hilfreich ist.
- Ich habe Ideen von einer Kollegin aufgegriffen, über die sie in ihrem Blog berichtet hat. Ich schreibe ihr, was meine Erfahrungen damit waren und was sich bei mir zur Weiterentwicklung als hilfreich herausgestellt hat.
Solche Beispiele für eine Kultur des Teilens entstehen nicht einfach so, sondern sind eng verbunden mit meinem persönlichen Lernnetzwerk. Dieses entstand und entwickelt sich weiter, weil ich mit einer neugierigen Haltung auf andere Menschen zugehe, Austausch bei Barcamps oder auf Social Media suche und immer daran interessiert bin, an etwas gemeinsam mit anderen weiterzudenken. Ohne dieses persönliche Lernnetzwerk würden viele meiner Aktivitäten des Teilens verpuffen und es wäre kein Raum für eine Kultur des Teilens.
Wo hinkt der Vergleich mit der Puppe?
Das Bild von der Puppe Lisa könnte zum Schluss verleiten, dass ein Überfluss an offen lizenzierten Materialien das Problem ist, warum eine Kultur des Teilens verhindert wird. Denn hätte ich als Kind eine riesige Puppen-Sammlung zur Verfügung gehabt, dann wären die jetzt sehr wahrscheinlich nicht alles Puppen, die eine Bedeutung für mich haben, sondern einfach ‚irgendwelche Puppen‘. Sollte ich also lieber weniger teilen als mehr?
Meine Antwort darauf lautet ganz klar: Nein! Denn Teilen produziert zwar Überfluss, mit dem dann umgegangen werden muss. Aber es ermöglicht auch überhaupt erst dieses Auswählen, das den Unterschied in der Bedeutung für uns macht. Würde ich ein Material nicht auswählen, nicht an ihm weiter arbeiten, mich nicht dazu austauschen und keine Erfahrungen damit sammeln, würde es für mich und andere auch keine Bedeutung bekommen.
Hinzu kommt: Es wird immer so sein, dass ich mit einem bestimmten Material gar nichts anfangen kann, während es andere großartig finden. Oder dass manche Menschen ein geteiltes Material von mir super finden, andere es dagegen gar nicht beachten. Das ist das unvorhegesehene, spannende und oft auch sehr überraschende Moment beim offenen Teilen. Wie also sollte ich als teilende Person darüber entscheiden, was ich teile und was nicht?
Teilen als Grundlage für eine Kultur des Teilens
Teilen im Sinne von Materialien offen lizenzieren ist deshalb immer eine gute Sache. (Und gerade auf einer strukturellen Ebene von Bildung auch die einzig vernünftige Herangehensweise an Bildungsmaterialien, denn warum sollte so viel Energie darauf verschwendet werden, fast identische Bildungsmaterialien mehrmals zu erstellen oder so zu erstellen, dass sie nicht sinnvoll pädagogisch nutzbar sind?) Auf einer persönlichen Ebene werde ich von meinem Teilen und auch vom Teilen von anderen aber besonders dann profitieren, wenn ich im Rahmen einer Kultur des Teilens teile. Knapp zusammengefasst bedeutet das: Ich strebe es an, dass meine offen geteilten Materialien für andere eine Bedeutung bekommen können. Und wenn ich Materialien von anderen weiternutze, dann mache ich etwas mit ihnen etwas und tausche mich darüber aus, so dass sie für mich und andere eine Bedeutung bekommen.
Was braucht es dazu?
So wie aus ‚irgendeiner Puppe‘ für mich ‚meine Puppe Lisa‘ wurde, kann aus dem Teilen in der Bildung eine Kultur des Teilens entstehen. Ob und wie sich diese entwickelt, liegt an uns. Auf einer persönlichen Ebene brauchen wir dazu vor allem Neugierde, eine gewisse Gelassenheit, Wohlwollen anderen gegenüber und Empathie. Auf einer strukturellen Ebene hilft uns ausreichend Freiraum zum Selbstdenken sowie gemeinsame Räume für Austausch.
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