Teilen ist doof! Oder?

Ich habe schon zahlreiche Texte verfasst und Workshops gegeben, mit denen ich dafür werbe, wie wunderbar und gewinnbringend das Teilen von Ideen und Materialien für alle Beteiligten ist. Oft bleiben bei den Zuhörer*innen oder Workshop-Teilnehmenden nach solchen Veranstaltungen aber zahlreiche Zweifel bestehen. Beim heutigen Sharecamp in Bad Wildbad, zu dem ich hybrid zugeschaltet war, habe ich das Thema deshalb umgedreht: Ich habe nicht darüber gesprochen, was beim Teilen alles wunderbar ist, sondern was richtig doof und nervig ist … und warum es sich trotz alledem lohnt.

Startfolie beim ShareCamp

Hier gibt es meine Überlegungen dazu zum Nachlesen:

1. Teilen ist doof, weil es super viel Arbeit macht!

Wenn ich etwas mit anderen teilen möchte, dann habe ich damit deutlich mehr Arbeit, als wenn ich es nur für mich behalten würde. Natürlich variiert die benötigte Arbeitszeit je nachdem, wie aufwendig das Geteilte ist. Aber selbst wenn ich etwas noch in einem sehr unfertigen Zustand teile, muss ich es für andere Menschen zumindest kurz einordnen und es in einen Zustand bringen, dass es überhaupt teilbar ist (= irgendwo online stellen, Lizenzhinweise dazu schreiben, offensichtliche Fehler korrigieren, damit es nicht ganz peinlich ist …). All das das kostet Zeit – die im pädagogischen Kontext leider oft sehr viel zu knapp ist. Trotzdem Zeit aufzuwenden, ist erst einmal etwas, was wirklich doof ist und wozu ich mich oft überwinden muss.

Aber: Die aufgewandte Zeit lohnt sich nicht nur für andere, die mein geteiltes Material dann finden und nutzen können, sondern sie lohnt sich auch ganz eigennützig für mich. Denn die Zeit, die ich beim Teilen aufwende, ist Zeit, die mein zukünftiges Ich sparen wird. Ich habe dann aufbereitete Materialien, die ich auch bei zukünftigen Gelegenheiten ganz einfach und schnell ‚aus der Schublade‘ ziehen und weiternutzen kann – viel schneller, als wenn ich sie früher nicht geteilt hätte. Und je mehr ich teile, desto größer wird mein eigener Fundus an gut weiternutzbaren Materialien. Das ist dann gar nicht mehr doof, sondern sogar richtig cool!

(Hinzu kommt, dass ich durch mein Teilen auch Vorbild für andere bin, die dann ebenfalls teilen. Und so kann ich ganz oft auch auf geteilte Materialien von anderen zurückgreifen, anstatt das Rad immer wieder neu zu erfinden)

2. Teilen ist doof, weil sich fast niemand dafür interessiert, was ich teile!

Am blödesten beim Teilen ist für mich oft die Situation direkt nach dem Teilen. Gerade wenn ich viel Arbeit in das Teilen gesteckt habe oder selbst sehr begeistert von einer geteilten Idee bin, ist es unglaublich frustrierend, wenn sich so gut wie niemand dafür interessiert, was ich geteilt habe. Selbst mit einer bei mir recht großen Reichweite in sozialen Netzwerken passiert das ziemlich oft. Und ich erinnere mich noch gut daran, wie es zu Beginn meiner pädagogischen Aktivitäten mit einer damals noch deutlich kleineren Reichweite war … Auch wenn ich nicht über soziale Netzwerke teile, sondern z.B. einen Kreis von Menschen gezielt anschreibe, bleibt solch eine Frustration oft nicht aus: Niemand reagiert auf all die – in meinem Selbstverständnis – großartigen Dinge, die ich vermailt habe … Das ist wirklich richtig doof – jedes Mal wieder!

Doch auch hier gibt es ein Aber – und das ist die Situation nach einiger Zeit: Wenn ich etwas teile, dann bin ich selbst sehr ungeduldig und sehr begeistert von meiner Idee oder von meinem Material. Andere Menschen haben aber natürlich erst einmal ganz andere Dinge im Kopf und meist auch selbst sehr viele andere Sachen zu tun. Darum ist es mit etwas Abstand betrachtet vollkommen normal, dass direkt nach dem Teilen erst einmal gar nichts oder nur sehr wenig passiert. Das heißt aber nicht, dass das geteilte Material wirklich für gar niemanden spannend ist. Ganz im Gegenteil: Oft braucht es einfach nur etwas Zeit – und dann gibt es doch Rückmeldungen. Manches Mal sogar erst deutlich später nach dem Teilen, weil etwas über eine Suchmaschine gefunden wurde, von dem ich schon fast wieder vergessen hatte, dass ich es geteilt hatte. Das ist dann besonders toll.

3. Teilen ist doof, weil andere mein geteiltes Material kritisieren!

Während ich manchmal darüber frustriert bin, dass ich auf das Teilen gar keine Reaktion bekomme, so kann es manches Mal auch ziemlich doof sein, sehr negative Kritik auf ein geteiltes Material zu bekommen. Während konstruktive Kritik natürlich immer gut passt, sind es unqualifizierte oder pampige Rückmeldungen wie ‚Dein Setup in diesem Video sieht ja furchtbar aus!‘ oder ‚Hättest Du vorher vielleicht mal ein Rechtschreibprogramm drüber laufen lassen können?‘ was traurig macht. Vor allem kann es auch zu Selbstzweifeln führen im Sinne von: Vielleicht hätte ich etwas offensichtlich so schlechtes doch besser mal nicht geteilt …

Mit etwas Abstand kann man aber auch mit dieser wirklich doofen Konsequenz des Teilens umgehen. Denn erstens muss man solche Kritik vielleicht gar nicht mehr so ernst nehmen und sich nicht so nahe gehen lassen. Zweitens kann auch solche Kritik durchaus zu einer besseren Arbeit in Zukunft führen. Denn auch wenn sie sehr wenig konstruktiv und unfreundlich formuliert ist, kann oft etwas Wahres drinstecken, was man beim zukünftigen Teilen verbessern kann.

4. Teilen ist doof, weil es mich in rechtliche Schwierigkeiten bringen kann!

Ich war sehr lange davon überzeugt, dass Abmahnungen super selten sind – und wenn man auch nur ein bisschen aufpasst, kann einem nichts passieren! Das stimmt aber so nicht. Denn auch wenn es selten ist, so kann es eben doch vorkommen. Und wenn ich dann diejenige bin, die das Schreiben eines Abmahnanwalts im Briefkasten hat, dann hilft es mir nicht, dass das ja nur ’sehr selten‘ vorkommt. Ich bin dann eben doch betroffen. In solch einer Situation kann man dann durchaus ins Überlegen kommen, ob sich das Teilen lohnt oder man es nicht besser lassen sollte …

Mir hat in solch einer Situation erstens geholfen, dass ich mich mit der Abmahnung nicht allein geblieben bin. Ich konnte andere Menschen, die zu OER arbeiten, anschreiben und sie um ihre Einschätzung bitten. Über diesen Weg ist es mir gelungen, die Abmahnung in meinem Fall abzuwenden, weil ich Hilfe bekam. Aber selbst wenn ich irgendwelche Kosten gehabt hätte, wäre das Frustrations-Gefühl trotzdem nicht mehr so groß gewesen, weil ich gemerkt hatte, dass ich nicht allein bin … Zweitens hat mir die Abmahnung durchaus auch geholfen doch nochmals vorsichtiger zu sein, was vermeintlich einfache Tools und Plattformen betrifft, die nicht auf Creative Commons Lizenzen, sondern irgendwelchen spezifischen Lizenzen beruhen, bei denen angeblich gar nichts dazu geschrieben werden muss – aber irgendwelche Lücken dann doch im Kleingedruckten stehen, die einem auf die Füße fallen können …

5. Teilen ist doof, weil andere mit meinem offen geteilten Material Geld verdienen können!

Gerade wenn man sehr offen teilt – also z.B. die CC0 Lizenz nutzt, wo keine Namensnennung erforderlich ist – kann es sehr frustrierend sein, wenn man sein offen geteiltes Material später dann von irgend jemand anderes zum Verkauf angeboten sieht. Ich war darüber die ersten Male ziemlich wütend – auch wenn ich mir natürlich noch so oft sagen kann, dass ich auch diese Nutzungsmöglichkeit mit meiner Freigabe erlaubt habe. Mich von so etwas dann aber ganz vom Teilen abzubringen, wäre dann aber doch keine gute Reaktion. Ich habe stattdessen diesen Umgang damit gefunden:

  1. Wenn mir etwas wirklich wichtig ist und ich sehr viel Arbeit reinstecke, dann verlasse ich mich nicht nur darauf, dass Menschen schon freiwillig auf mich verweisen, sondern verpflichte dazu, indem ich statt CC0 Lizenz die Lizenz CC BY nutze.
  2. Ich mache mir immer wieder klar, dass Material zwar geklaut werden kann – pädagogische Kompetenz aber nicht. Und die werde ich weiter haben – völlig unabhängig davon, ob irgendwer ein Material ‚klaut‘ – ganz ohne auf mich zu verweisen.
  3. Ich weiß, dass die große Mehrheit der Menschen nicht nur klaut, sondern dazu schreibt, von wem sie geklaut hat. Wenn es eine Minderheit anders macht, dann kann ich das ignorieren.

Mein Fazit

Teilen ist doch nicht doof, sondern ziemlich oft wunderbar. Und ich hoffe, dass dieser Beitrag Dich oder Deine Kolleg*innen auch vom Teilen überzeugen kann.

Falls ja, dann sind hier gleich ein paar ganz einfache und niederschwellige Ideen dazu (hier als Text zum einfachen Weiternutzen):

Abschlussfolie beim #Sharecamp


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