OER im Blick: ein buntes Kaleidoskop!

Ich bin auf der Rückfahrt von der Konferenz OER im Blick, die gestern und heute in Frankfurt stattfand. Veranstalter war das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gemeinsam mit dem Projektträger DLR. Die Konferenz brachte die Verantwortlichen der neuen Förderprojekte aus der OER-Strategie des BMBF zusammen. Eingeladen waren außerdem Personen aus begleitenden Gremien der OER-Strategie, d.h. aus dem OER-Beirat und aus dem Impulsgremium (= meine Rolle).

Ich schreibe im folgenden einen Kaleidoskop-artigen Blogbeitrag mit 5 Aspekten, die ich von der Konferenz mitnehme. Das passt gut zum Logo der Konferenz, das ebenfalls eine bunte, Kaleidoskop-artige Linse war, womit die Vielfalt von OER zum Ausdruck gebracht werden sollte.

Kaleidoskop-Logo auf der Konferenzbroschüre

1. OER sind auf einem guten Weg und es gibt ganz viele neue Aktivitäten dank vielfältiger Förderprojekte!

Nach einem Auftakt am Vorabend startete die Konferenz heute mit einem Panel zu einer Standortbestimmung zu OER. Die Teilnehmenden (Mona Massumi, Annekatrin Bock und Jöran Muuß-Merholz) waren sich auf dem Podium einig, dass OER insgesamt auf einem guten Weg sind:

  • Es gibt deutlich mehr OER-aktive Menschen und auch deutlich mehr OER als noch vor 10 Jahren.
  • In immer mehr Organisationen ist es eher Norm, denn Ausnahme, etwas unter einer offenen Lizenz zu veröffentlichen.
  • Das Interesse an einem Weiterdenken von OER in Richtung OEP (= Open Educational Practices, offene Bildungspraktiken) nimmt stetig zu.

Für die zukünftige Arbeit zu OER nehme ich von dem Panel insbesondere zwei Denkanstöße mit:

  1. Wir müssen in der OER-Community die Herausforderung der Bildungsungleichheit bewusst in den Blick nehmen, wenn wir dieser auch mithilfe von OER entgegen wirken wollen. Wenn wir darauf verzichten, könnten OER sogar noch zur weiteren Verschärfung beitragen.
  2. Wir sollten als OER-Community das Rad nicht neu erfinden wollen, wenn es z.B. um offene Lernformate, Nachhaltigkeit oder Demokratielernen geht. Besser wäre es, sich in (zum Teil schon sehr, sehr lange) bestehende Diskurse und Aktivitäten einzubringen.

Die neuen Förderprojekte wurden nicht offiziell vorgestellt, aber ich konnte mit vielen Verantwortlichen in den Pausen und in Vernetzungsrunden ins Gespräch kommen. Für mich (und damit vielleicht auch für Menschen, die meinen Blog lesen), finde ich diese drei Förderprojekte besonders spannend:

  • NGO zu OER-Entwicklung ermutigen: Die Kolleg*innen von Serlo streben mit dem Projekt ProOER an, NGO und Non-Profit Initiativen dazu zu ermutigen, ihre Bildungsmaterialien unter einer offenen Lizenz zu veröffentlichen.
  • OER für Lernbüros: Die Kolleg*innen aus dem Schulverbund „Blick über den Zaun“ (BüZ) planen im Projekt WODL die Erstellung von Materialien, die im Kontext des selbstorganisierten Lernens in Lernbüros genutzt werden können.
  • BNE-Materialien als OER: Es gibt mehrere Förderprojekte zu OER. Ich habe mich vor allem mit den Kolleg*innen der Universität Passau unterhalten, die im Projekt moreBNE eine OER-Community of Practice zur Gestaltung und Verankerung von BNE in der Lehrkräfteausbildung aufbauen wollen. Besonders spannend finde ich hier, dass physische und virtuelle Räume gleichermaßen berücksichtigt werden sollen.

Eine vollständige Übersicht aller Förderprojekte gibt es auf der Website oer-strategie.de.

2. Die Methode „Perspektivwechsel-Debattierclub-Rollenspiel“ ist sehr lohnend für Verstehen und Austausch!

Nach der Podiumsdiskussion gab es einstündige Workshops. Ich beteiligte mich im Workshop von Jöran zum Thema ‚OER zwischen Pragmatismus und Weltverbesserung‘. Hintergrund des Workshops war, dass es in der OER-Community sehr unterschiedliche Motivationen für OER gibt. Jöran nannte – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – diese 5 Perspektiven:

  • Pragmatismus: Materialien für alle!
  • Emanzipation: Wir können das selbst!
  • Professionalisierung und Qualität: Differenzierung und Zusammenarbeit macht Bildung besser!
  • Kulturwandel: OER verändern Lernen in Richtung offener Bildungspraxis!
  • Transformation: OER greifen gesellschaftliche Herausforderungen auf und können zu Weltverbesserung beitragen!

Das Ziel des Workshops war es, durch Perspektivübernahme und Austausch zu mehr Verstehen untereinander beizutragen und vielleicht auch mehr Klarheit für die eigene Positionierung zu gewinnen. Dazu nutzen wir die Methode eines Perspektivwechsel-Debattierclub-Rollenspiels, die ich hier auch deshalb dokumentiere, weil sie sich aus meiner Sicht ganz wunderbar zum Remix in andere Kontexte eignet, in denen es um die Förderung von Verständnis und Austausch untereinander geht.

Hier ist eine Kurzanleitung zum Nachmachen und zum Remix (Credits für die Entwicklung an Jöran)

  1. Ihr sucht euch ein Thema, auf das man mit unterschiedlichen Perspektiven blicken kann. Bei uns war das wie dargestellt ein eher pragmatischer Blick auf OER versus eine Perspektive der Weltverbesserung durch OER.
  2. Ihr formuliert Thesen zu dem Thema aus unterschiedlichen Perspektiven. Jede These kommt auf eine Folie. Wie viele Thesen man diskutiert, liegt an der zur Verfügung stehenden Zeit. (Ich kann mir aber vorstellen, dass nach 5 Thesen die Luft ein bisschen raus sein kann.) Hier ein Beispiel für eine These, die wir heute diskutiert haben: „Für mich steht hinter OER auch das Ziel, dass wir in der Praxis mehr Unabhängigkeit von Gatekeepern wie Verlagen, IT-Unternehmen, Ministerien etc. erlangen.“
  3. Ihr bereitet drei Stehtische vor. Sie sollten so positioniert sein, dass die Menschen sich frei an einen der Tische zuordnen können und sich von dort gegenseitig sehen. Die Tische sind markiert mit drei Positionierungsmöglichkeiten zu den Thesen. Diese drei Mögölichkeiten sind: 1. Ich stimme insofern zu, dass … 2. Ich widerspreche insofern, dass … 3. Ich möchte die folgende dritte Position einbringen … Bei uns waren diese drei Tische sehr simpel mit Emojis auf Aufstellern markiert: 🤗 🤨 🤓
  4. Ihr präsentiert die erste These und bittet die Teilnehmenden, sich an einem der drei Tische zu positionieren. Wichtig ist hier, dass es sowohl möglich ist, sich dort zu positionieren, wo es der eigenen Haltung entspricht. Ebenso darf man aber auch ganz bewusst in eine andere Rolle schlüpfen und in dieser Rolle argumentieren. Zudem ist es immer auch möglich, während einer Diskussion zu einer These die Tische zu wechseln und sich in diesem Sinne auch selbst zu widersprechen.
  5. Nun beginnt der Debattierclub. Eine Person startet und stellt vor, warum sie am jeweiligen Tisch steht. Von dem anderen Tisch kommt Kontra oder Ergänzungen. Wenn niemand mehr etwas beitragen will, wird die nächste These gezeigt, alle positionieren sich neu und das nächste Rollenspiel startet.

Wir hatten sehr viel Freude. Ich bin unter anderem in die Rolle von Menschen aus Verlagen geschlüpft, die an OER fehlende Qualitätsentwicklung bemängeln oder in die Rolle von besorgten Menschen, die eine Übernahme von OER zu Demokratiebildung durch antidemokratische Kräfte befürchten …

Von Seiten der Moderation scheint es mir bei dieser Methode wichtig, darauf zu achten, …

  • … dass auch stillere Personen zu Wort kommen und sich das Rollenspiel nicht in einem Schlagabtausch zwischen wenigen Personen erschöpft.
  • … gezielt zu ermuntern, auch gegensätzliche Positionen zur eigenen Haltung einzunehmen. (Ich habe dadurch am meisten für mich gelernt und fand auch, dass gerade diese Möglichkeit, das Spiel sehr spaßig gemacht hat.)
  • … bei einer stockenden Diskussion sich auch selbst einzubringen oder auf diesem Weg auch ‚blinde Flecken‘ aufzugreifen, die die Teilnehmenden nicht von sich aus ansprechen.

Außerdem kann man vorab ein Pad zur kollaborativen Dokumentation einrichten. Unser Mitschrieb von heute ist hier.

Ich finde, dass sich diese Methode auch ganz ausgezeichnet für Pädagogische Tage an Schulen zu KI eignet. Ich werde die Methode dafür sicher bald einmal remixen und dann berichten, wie es geklappt hat.

Emoji-Aufsteller für die drei Stehtische

3. Ein ‚Opt-In‘-Modell beim Urheberrecht könnte eine spannende, politische Forderung für die OER-Community sein!

In Pausengesprächen bin ich auf die Idee eines ‚Opt-In‘-Modells beim Urheberrecht aufmerksam gemacht worden. Opt-In-Modell bedeutet, dass man die Logik des Urheberrechts auch ‚umdrehen‘ könnte. Bisher ist es so, dass eine Person, die etwas erstellt, ohne weiteres Zutun automatisch Urheber*in ist. Umgedreht wäre es, wenn man das Urheberrecht aktiv reklamieren müsste. Das würde bedeuten: Wenn man nicht aktiv wird, ist der Inhalt automatisch frei. (Ähnliches wurde auch im Kontext der Organspende diskutiert. Hier gab es die politische Forderung, dass man aktiv widersprechen muss, wenn man nicht zu einer Organspende bereit ist. Wenn man nichts sagt, hätte das dann Zustimmung bedeutet.)

Ich finde dieses Modell als politische Forderung sehr interessant, weil man damit einen Denkraum öffnen kann, wie eine Gesellschaft auch ganz anders organisiert sein könnte. In diesem Fall wäre das mit dem Teilen und der Offenheit als Norm. Auf meiner To Do Liste steht, zu der Idee zunächst ein bisschen mehr zu recherchieren und dann vielleicht noch einmal ausführlicher dazu zu bloggen.

4. Guerilla-Kommunikation ist cool für Konferenzen!

Ich hatte mir für die Konferenz unter anderem vorgenommen, das Fediverse – als ein gerade für OER-aktive Menschen sehr gut passenden Raum zur Online-Vernetzung – zu bewerben und zum Mitmachen einzuladen. Leider fiel mir das erst recht kurzfristig ein und so hatte ich mich dafür nicht um einen offiziellen Programmpunkt gekümmert. Jörg Lohrer und ich haben uns stattdessen spontan für eine Guerilla-Kommunikation entschieden: Plakat mit einem Link zu weiteren Infos malen, auf die Bühne gehen, in einem kurzen, pointierten Redebeitrag die wichtigsten Infos packen (so etwas kann ich nicht, aber Jörg) … und fertig!

Ich hatte von vorne ja den Blick aufs Publikum – und so viele Smartphones, die vor mir gezückt waren, um das Plakat zu fotografieren, werden wir jetzt wahrscheinlich bald einen riesigen Ansturm im Fediverse erleben 😉. in jedem Fall war danach im Fediverse durchaus einiges los, was man anhand des Hashtags OERImBlick dort nachlesen kann.

Aktivitäten in diesem Sinne nehme ich mir auch für zukünftige Konferenzen vor. Es ist denke ich immer gut, mit einem Überraschungsmoment zu spielen, um wichtige Botschaften zu kommunizieren.

5. In der OER-Community gibt es ganz viele großartige Menschen und viele wunderbare Ideen!

Der wichtigste Aspekt, den ich mitnehme, kommt ganz zum Schluss: Mich hat die Konferenz wieder einmal darin bestärkt, wie viele großartige Menschen in der OER Community aktiv sind. Stellvertretend für viele andere, poste ich hier das Mittagspausen-Selfie in der Sonne mit Jörg und Gabi:

Daneben nehme ich auch noch ein paar weitere, kleinere Ideen mit:

  • Der Auftakt am gestrigen Abend fand im Experiminta-Museum in Frankfurt statt. Die zahlreichen Exponate zum Ausprobieren und Erkunden haben den Austausch untereinander sehr befördert. So etwas ist also eine sehr gute Idee für einen Veranstaltungsort.
  • Ich habe (auch im Workshop von Jöran) die schöne Methode der ‚Lückentext-Vorstellungsrunde‘ kennen gelernt. Alle haben zwei Minuten Zeit im Austausch mit Nebensitzer*innen einen sehr kurzen (= ein Satz!) Vorstellungstext auszufüllen. Dieser wurde dann im Plenum vorgestellt. Bei uns war es dieser Lückentext: „Ich bin … Und für mich wird die Welt durch OER besser, weil …“. Schön daran ist: Alle sind zunächst aktiv, niemand wird überrumpelt und durch die Vorbereitung ’stockt‘ die Vorstellungsrunde im Plenum nicht, sondern geht dann ganz schnell.
  • Die OERcamps wurden in Form eines Menti-Quizzes vorgestellt. Eine schöne, etwas selbstironische Form für einen sehr interaktiven Vortrag,
  • Und eine Idee von mir: Ich bin heute morgen zum Veranstaltungsort gelaufen, was ein sehr schöner Spaziergang am Main entlang war. Ich nehme mir für zukünftige Veranstaltungen mit, so etwas häufiger zu machen – und dann auch gezielt nach schönen Spazierwegen zu recherchieren. Und wenn man selbst etwas veranstaltet, kann man Hotelempfehlungen vielleicht darauf abstimmen.

Fazit

Ich habe an der Konferenz wie oben dargestellt als Mitglied des Impulsgremiums teilgenommen. Somit hatte ich während der Konferenz keine feste Aufgabe, sondern konnte erstens für mich selber lernen, alte Bekannte wiedertreffen und mich mit vielen neuen Menschen vernetzen. Zweitens habe ich versucht, Menschen in Gesprächen miteinander zu vernetzen, die aus meiner Sicht von einem Austausch profitieren könnten bzw. OER-Neulinge auf bestehende OER-Aktivitäten hingewiesen, so dass das Rad jetzt, wenn so viel Neues startet, nicht an vielen Stellen neu erfunden wird. Ich finde, dass beides gut geklappt hat – und es war für mich mal eine gute Abwechslung zu anderen Veranstaltungen, bei denen ich immer sehr ins Programm eingespannt bin. Vor allem vor dem Hintergrund der 5 Aspekte, die ich in diesem Beitrag vorgestellt habe und die ich für mich mitnehmen kann, hat sich die Teilnahme für mich in jedem Fall sehr gelohnt. Ich freue mich aufs nächste Jahr. Danke für die Einladung und für die vielen guten Gespräche!


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