Erfahrungsbericht über meinen Weg ins Fediverse

Das Fediverse ist ein dezentrales Netzwerk aus zahlreichen unterschiedlichen Plattformen und Diensten im Internet. Dieser Blogbeitrag ist ein Erfahrungsbericht über meinen (sicherlich immer noch nicht abgeschlossenen) Weg dorthin. Ich habe ihn als Unterstützung für alle aufgeschrieben, die sich ebenfalls auf den Weg ins Fediverse machen wollen oder bereits unterwegs sind. Mit meinem Bericht will ich Mut machen und zeigen, dass es nicht nötig ist, schon am Anfang alles zu verstehen, sondern dass sich das auch im Prozess entwickeln kann. Außerdem kannst Du vielleicht dank meiner gemachten Erfahrungen an manchen Stellen auch eine Abkürzung nehmen oder etwas überspringen. Dumme Fehler müssen ja nicht unbedingt von allen wiederholt werden :-)

Schritt 1 – April 2022: „Was? Ein Multimilliardär will einfach so Twitter kaufen. Das geht gar nicht!“

In den Osterferien 2022 gab es erste Berichte dazu, dass Elon Musk Twitter kaufen will. Mich hat das gar nicht mal so sehr wegen seiner Person schockiert oder weil ich fürchtete, dass Twitter damit zu einem ganz anderen Ort werden könnte. Vielmehr ist mir dadurch insgesamt sehr bewusst geworden, dass ich so etwas eigentlich nicht will: Ein Internet, in dem ein für mich und viele andere Menschen sehr wichtiges soziales Netzwerk einfach so gekauft werden kann und auf dem sich somit auch jederzeit die ‚Spielregeln‘ ändern können. Schnell war dann die Software Mastodon als mögliche Twitter-Alternative im Gespräch – und ich habe mich dort registriert.

Mein erster ‚Fehler‘ war, mich direkt und ohne weiteres Überlegen ‚bei Mastodon‘ zu registrieren, d.h. auf der Instanz Mastodon.social. Mir schien das sehr naheliegend: Wenn ich zu Mastodon will, dann registriere ich mich auch dort. Kaum war ich aber da, habe ich schnell gelernt, dass Mastodon nur das ‚Tool‘ ist, das ich nutze. Dieses Tool kann ich überall im Internet finden – und ich muss also gar nicht die ‚Zentralinstanz‘ nutzen. Stattdessen gibt es viele Menschen und Organisationen, die eigene Server mit einer Mastodon-Instanz betreiben. Ich kann mir also einen beliebigen Server auswählen und mich von dort trotzdem potentiell mit allen Menschen auf allen anderen Servern vernetzen. Ich habe auch gelernt, dass diese Dezentralität sehr cool und sehr erwünscht ist. Denn dann funktioniert technisch alles besser, es ist sicherer und auf den einzelnen Instanzen können jeweils eigene Spielregeln ‚von unten‘ festgelegt werden.

Zum Glück war dieser Fehler nicht schlimm, denn man kann jederzeit von einer Mastodon-Instanz zu einer anderen umziehen. Eine Anleitung dazu findest Du unter anderem hier.

Fazit: Diesen Fehler musst Du nicht wiederholen. Nimm Dir besser etwas Zeit, gleich von Anfang an eine für Dich passende Instanz zu finden. Eine Übersicht gibt es unter anderem hier. Wenn Du den Fehler doch schon gemacht hast, kannst Du jederzeit umziehen. Und wenn Du Dich doch dazu entscheidest, dass mastodon.social für Dich genau richtig ist, dann ist das auch fein.

Schritt 2 – immer noch April 2022: „Ich habe ein Mastodon-Profil auf einer tollen Instanz!“

Nach meinem Anfänger-Fehler mit der unüberlegten Wahl der Zentral-Instanz habe ich mir etwas mehr Zeit genommen und mir genauer überlegt, welchen Server ich auswählen will. Ich habe mich dazu noch einmal vergewissert, dass ich mich tatsächlich mit allen Menschen vernetzen kann – auch wenn sie auf einem anderen Server sind – und ich somit also nicht den Server danach aussuchen muss, wo die meisten der Menschen sind, die ich kenne. Ich hatte außerdem bereits mit meinem Profil auf der riesigen Instanz erkundet, dass ich bei Mastodon verschiedene Zeitleisten habe: Eine mit den Beiträgen der Menschen, denen ich folge. Eine mit Beiträgen von überallher aus dem Fediverse. Und eine ‚lokale‘, d.h. mit den Beiträgen, die alle Menschen auf dem Server schreiben, auf dem ich bin. Ich verstand, dass es vor allem auch wegen dieser ‚lokalen Zeitleiste‘ gut ist, den Server bewusst zu wählen.

Ich habe mir somit also mehrere Server angesehen – und die folgenden Kriterien/ Fragen für mich herausgearbeitet:

  1. Kann ich mich auf der Instanz wohlfühlen? Ich wollte gerne eine Instanz haben, bei der offener Meinungsautausch möglich ist, aber kein Raum für menschenunwürdigen Mist. Damit habe ich allerdings noch kaum eingeschränkt, denn das ist auf den allermeisten Instanzen so.
  2. Kann ich verstehen, was dort passiert? Ich verstehe Englisch, aber lese Beiträge einfacher auf Deutsch und teile vor allem auch selbst fast ausschließlich auf Deutsch. Meine Instanz musste also mindetens zum Teil deutschsprachig oder englisch/ deutschsprachig gemischt sein. Damit konnte ich schon einmal ein paar Server ausschließen, die ganz überwiegend auf Englisch sind.
  3. Finde ich es dort inhaltlich spannend? Ich bin Pädagogin und damit sehr interessiert an Bildungsthemen. Damit hätte sich sehr die Instanz bildung.social angeboten. Auf der anderen Seite hatte ich mit Mastodon gerade auch die Hoffnung verbunden, meine ‚Filterblase‘ zu erweitern. Ich habe deshalb überlegt, bewusst eine lokale Timeline zu haben, auf der auch Themen stattfinden, die ansonsten weniger in meinem Fokus wären – und die thematisch auch eher breiter angelegt ist.
  4. Habe ich Vertrauen zu den Betreiber:innen und ist die Instanz stabil? Das war für mich der Knackpunkt: Ich habe lange genug selbst Tools gehostet und Tools von anderen verwendet, dass ich weiß, dass eine Software noch so großartig sein kann – wenn Wartung und Kapazität mistig sind, bringt mir das rein überhaupt nichts. Vor diesem Hintergrund habe ich mich dann schlussendlich für die Instanz digitalcourage.social entschieden. Hier konnte ich nachlesen, dass sie lange getestet haben, kenne von ihnen auch andere Netzangebote und habe großes Vertrauen, dass sie mit meinen Daten niemals irgendwelchen Mist machen würden. Besonders überzeugte mich, dass sie einen monatlichen Beitrag von 1 Euro erheben, um einen nachhaltigen Betrieb garantieren zu können.

Ich habe mich somit auf diesem Server neu registriert und bin mit meinem alten Account dorthin umgezogen. Als ich soweit war, habe ich eine ‚Kurzanleitung für die Twitter-Alternative Mastodon‚ geschrieben, die diese ersten Schritte von mir gut erklären.

Fazit: Ich empfehle Dir, Dir z.B. mithilfe der Übersicht auf instances.social ebenfalls ein bisschen Zeit zu nehmen und zu überlegen, wo Du hinwillst. Den Server von digitalcourage.social kann ich uneingeschränkt empfehlen. Ob er für Dich passt, kannst nur Du entscheiden. (Ich bin mit vielen Menschen verbunden, die auf der Instanz bildung.social sind. Andere sind auf openbiblio.social und anderswo – auch von dort habe ich nie etwas Schlechtes über die Instanz gehört)

Schritt 3 – Sommer 2022: „Das ist echt total schön hier. Es wird mehr und mehr zu meinem primären Netzwerk“

Nach der großen Aufregung im April wurde es in den folgenden Monaten etwas ruhiger. Einige Menschen waren im Frühjahr mit mir zu Mastodon gekommen. Viele ließen ihre Accounts dann aber kurz darauf aber auch wieder verwaisen. Ich hatte mir aber fest vorgenommen, zu bleiben. Denn das Ankommen im Fediverse war einfach sehr offen und freundlich geweseb. So habe ich bewusst viel Zeit damit verbracht, in allen meinen Zeitleisten zu lesen, habe immer mehr Menschen zum Folgen gefunden, bin immer häufiger in Austausch gekommen und habe gesucht, welche Hashtags, für mich gut funktionieren … Kurzum: Es ging darum, mir mein persönliches Lernnetzwerk hier zum Teil neu aufzubauen. Das fand ich nicht anstrengend oder belastend, sondern sehr spannend und schön. Ich habe gemerkt, wie sich meine Startseite immer mehr füllte, je mehr Menschen ich folgte – und zugleich auch immer spannender für mich wurde. Außerdem habe ich gemerkt, wie wunderbar ich im Fediverse Fragen stellen und Diskussionen anstoßen kann – und wie weiterführend viele Gespräche waren. Ich habe dabei viel Neues gelernt und entdeckt!

Twitter, mein früheres primäres Netzwerk, habe ich in dieser Zeit parallel und zum Teil (gerade auf Veranstaltungen) trotzdem noch häufiger genutzt als Mastodon. Dennoch hatte ich seit dem Frühjahr eine wichtige Änderung vorgenommen: Ich hatte Twitter vom Startbildschirm meines Smartphones gelöscht und den Link zum Digitalcourage-Mastodon-Server an diese Stelle gesetzt. Außerdem hatte ich Notifications für Twitter ausgestellt. Dies war für mich sehr hilfreich, um tatsächlich bei Mastodon anzukommen und mich dort einzufinden. Ich glaube, dass ich ansonsten viel häufiger rein aus Gewohneit zuerst bei Twitter gelandet wäre. Außerdem habe ich mich deshalb auch gegen Crossposting von Twitter zu Mastodon entschieden. Denn ich wollte ja in diesem neuen Netzwerk ankommen – und es nicht einfach nur von extern bespielen.

In dieser Zeit wurde ich immer überzeugter von der Idee des gesamten Fediverse und von der Diskussionskultur im Fediverse. Ich habe darüber in meinem Artikel ‚Liebe neugierige, offene und lernende Menschen, kommt ins Fediverse, zu Mastodon‚ geschrieben. Kurz zusammengefasst hat mich besonders überzeugt, wieviel perspektivenreicher mein Austausch war und wie selbstverantwortlicher alles organisiert ist. Vor diesem Hintergrund habe ich das Fediverse auch mit einem Barcamp im Gegensatz zu einer klassischen Konferenz verglichen.

Fazit: Ich finde immer noch, dass ich das so genau richtig gemacht habe und kann es zum Nachmachen empfehlen: Zeit lassen für den Netzwerkaufbau, nicht zu ungeduldig sein und vor allem auch ein bisschen immer versuchen, die eigene Blase um spannende, ’neue‘ Menschen zu erweitern, die es im Fediverse meiner Beobachtung nach überproportional häufig gibt.

Schritt 4 – Oktober 2022: „So viel Bewegung, wunderbar. Kommt alle dazu, ich helfe gerne“

In den Herbstferien 2022 ging es dann Schlag auf Schlag. Es kam tatsächlich zum lang diskutierten Musk-Twitter-Kauf – und ich erlebte meine erste ‚Welle‘ an Twitterflüchtlingen, in der ich nicht selbst Teil war, sondern ein ganz bisschen schon zu den ‚Alten‘ gehörte. So hatte ich den Eindruck, dass ich einigen helfen konnte. Und gemeinsam mit dem Moderationsteams von bildung.social habe ich auch sehr gezielt versucht, Bildungsmenschen zu einem Wechsel zu ermutigen. Meinen Twitter-Account nutzte ich seitdem überwiegend, um Menschen über das Fediverse aufzuklären und um Werbung für ‚drüben‘ zu machen. Diese Versuche von mir und vielen anderen hatten Erfolg: Das Fediverse wurde insgesamt noch einmal deutlich voller. Vor allem sind inzwischen sehr viel mehr mir auch persönlich wichtige ‚Twitter-Menschen‘ da, als das noch im Sommer der Fall war.

Dank des großartigen Tools Fedifinder ließen sich nun auch Kontakte von Twitter nach Mastodon exportieren – und ich konnte viele Menschen von meinem früheren Twitter-Netzwerk wiederfinden bzw. sie haben mich gefunden.

Fazit: In der Pädagogik gibt es ja die Methodik des ‚Lernen durch Lehren‘. Ein bisschen habe ich sie bei diesem Schritt angewandt, weil ich alles, was ich erst wenige Monate zuvor erfahren hatte, gleich weitergegeben habe. Auf diese Weise wurde mir das Netzwerk zugleich selbst vertrauter. Mache das also gerne ebenso. Viele Anfänger:innen-Fragen sind immer die gleichen. Da kann man oft schon nach wenigen Tagen im Fediverse helfen – und genau das macht für mich zu einem großen Teil die Kultur dort aus. Außerdem kann das Fedifinder-Tool sehr gut helfen, um das frühere Netzwerk wiederzufinden. Damit Du auch selbst dort gefunden wirst, musst Du Deine eigene Fediverse-Adresse irgendwo auf Twitter angeben (z.B. im Namen oder in der Bio)

Schritt 5 – November 2022: „Das Fediverse ist wunderbar und ein wichtiger Schritt hin zu einer demokratischen Gesellschaft.“

Nachdem die erste, riesige Wechselwelle vorbei war, habe ich mir noch einnmal grundsätzlich Zeit zur Reflexion über mein ‚digitales Ich‘ genommen. Durch die damit einhergehende tiefere Beschäftigung mit dem Fediverse habe ich überhaupt erst gemerkt, wieviel mehr das Fediverse ist als nur Mastodon – und wie vielfältig ich darüber im Internet aktiv und zugleich vernetzt sein kann. Mastodon ist nur eine von vielen möglichen Plattformen. Und sowohl Mastodon als auch ganz viele andere Plattformen haben nicht immer nur eine Instanz, sondern sehr viele. Und alles ist – über das Folgen von Menschen und über Hashtags – potentiell miteinander vernetzt. Kurzum: alles ziemlich genial, riesig und wunderbar zum Erkunden und selbst aktiv werden.

Vor diesem Hintergrund habe ich weitere Profile angelegt bzw. verbunden:

Meine Fediverse-Aktivitäten laufen weiterhin zusammen auf meinem Hauptaccount (Mastodon): @ebildungslabor@digitalcourage.social.

Diese Erkundungen haben erstens viel Freude gemacht. Zweitens habe ich das Fediverse als Teil eines demokratischen Internets erkannt, das unbedingt gestärkt werden sollte. Denn weil unsere Gesellschaft so sehr digital geprägt ist, geht es beim Fediverse nicht nur einfach um ein anderes Netzwerk, sondern um Wirken für eine lebenswertere Welt. Mehr dazu kannst Du in diesen Blogbeitrag lesen.

Vor diesem Hintergrund erübrigt sich für mich auch die Frage, ob man denn vielleicht nicht irgendwann vielleicht doch zu Twitter zurückkehren kann oder ob Twitter sich vielleicht gar nicht so sehr verändert, dass solch ein Wechsel gerechtfertigt ist. Denn dass ein dezentrales und offenes Netzwerk grundsätzlich besser ist als proprietäre Dienste und für mich auch die wünschenswerte Zukunft des Internets darstellt, daran habe ich keine Zweifel.

Fazit: Diesen letzten Schritt kannst Du gehen, aber musst Du nicht, um im Fediverse eine gute Zeit zu haben. Ein bisschen ist das so, wie man auch Open Educational Resources (OER) einfach nutzen kann – ohne gleich eine eigene OER-Plattform zu betreiben und in OER eine Möglichkeit zu sehen, um die Welt ganz grundlegend zu verbessern. Ich hoffe, das letzteres mit dem Fediverse wahr wird – aber freue mich auch über alle Menschen, die ‚einfach so‘ ins Fediverse kommen, weil sie dort ihren bisherigen Twitter-Austausch fortsetzen möchten :-)

Und jetzt?

Auch wenn Du noch keinen Account im Fediverse hast, kannst Du auf meine oben erwähnten Profile zugreifen und mitlesen und Dir so vielleicht einen ersten Eindruck verschaffen. Kommentieren und in Austausch treten, geht dann aber eben nicht. Dazu musst Du Dir zunächst einen eigenen Account irgendwo im Fediverse anlegen. Ob Du dazu meine Schritte gehst oder auch ganz andere, liegt an Dir. Ich hoffe, dass Dir Bericht mindestens Lust gemacht hat, Dich auch selbst auf den Weg zu machen. Wenn Du ‚unterwegs‘ Fragen hast oder nicht weiterkommst, dann nimm gerne Kontakt zu mir auf.

Und was war davor?

Ganz wahrheitsgetreu habe ich meinen Weg ins Fediverse oben nicht berichtet. Ich erinnere mich daran, dass ich schon vor einer gefühlten Ewigkeit über eine Software namens Mastodon gelesen und sofort auch entdeckt habe, dass man sich diese via Masto.host selbst installieren lassen kann. Das habe ich direkt ausprobiert und damals auch dazu gebloggt – weder die Instanz noch der Blogbeitrag sind heute noch da. Ich habe kurz danach beobachtet, dass Rüdiger Fries und Monika Heusinger die Mastodon-Instanz bildung.social ins Leben gerufen haben. Daraufhin habe ich meine Instanz schnell wieder abgeschaltet – und damit auch meinen damaligen Account. Berichtet habe ich darüber in der Edumail 12 und Edumail 13. Ich fand den Ansatz schon damals sehr cool, hatte aber zunächst nicht den Eindruck, dass ich mich darüber schon sinnvoll vernetzen kann – was aus heutiger Sicht vor allem auch daran lag, dass damals noch weniger Menschen aus meinem Netzwerk aktiv waren und ich selbst zu wenig Zeit reingesteckt habe. Heute ärgere ich mich sehr über mein damaliges Ich und finde es sehr doof, dass ich nicht gleich dabei geblieben bin – aber das kann ich jetzt ja nicht mehr ändern. Für den dargestellten Bericht macht diese Vorgeschichte aber eigentlich keinen Unterschied. Deshalb habe ich diesen Teil auch nicht ganz an den Anfang gestellt.


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