Kollaborative Ideenentwicklung zur Kultur des Teilens

In diesem Blogbeitrag berichte ich von einem am Design Thinking orientierten Workshop, den ich heute in Ulm mit Schulleitungen der PoliGenius/ ProGenius Schulen durchgeführt habe. Das Thema war die Kultur des Teilens. Der Workshop zielte darauf ab, gemeinsam Fortbildungstage an den einzelnen Schulen im Herbst zu eben diesem Thema vorzubereiten.

Herausforderung: Ausbruch aus dem Tja, dann lässt sich das halt nicht ändern-Kreislauf

Herausfordernd bei der Konzeption und Durchführung war vor allem, dass es bei dem Workshop mehrere Ebenen gab:

  1. Die beteiligten Schulleitungen mussten sich selbst ein Bild zur Kultur des Teilens machen: Es brauchte Raum, um inhaltlich dazu zu lernen.
  2. Die beteiligten Schulleitungen mussten ihre jeweiligen Fortbildungstage vorbereiten: Es brauchte Raum, um konzeptionell zu planen.

Meine Herangehensweise war hierzu ein konsequent kollaborativer Peer-to-Peer Ansatz. Die beteiligten Schulleitungen sollten erleben, dass und wie sie sich durch voneinander und miteinander lernen ein Thema erschließen können. Darauf aufbauend sollte es ihnen dann auch möglich sein, genau das mit ihren Kollegien durchzuführen.

Anders ausgedrückt: Indem ich mich als Referentin zurücknahm und stattdessen Raum für gemeinsames Lernen schaffte, versuchte ich Schulleitungen darin zu stärken, ihre Rolle bei den anstehenden Fortbildungstagen ähnlich zu gestalten. Statt also zu überlegen: ‚Was sollten wir unseren Kollegien zur Kultur des Teilens beibringen?‘, fragten wir vielmehr: ‚Wie können wir unsere Kollegien eine Kultur des Teilens erleben lassen, indem wir dazu gemeinsam voneinander und miteinander lernen und so damit zu beginnen, Strukturen und Routinen zu verankern?‘

Dahinter steht die Überzeugung, dass auf diese Weise der ‚Tja, dann lässt sich das halt nicht ändern!‘-Kreislauf durchbrochen werden kann. Dieser Kreislauf geht davon aus, dass Menschen zu einer Kultur des Teilens eine Haltung der Offenheit und der Kollaboration benötigen. Gelernt werden kann solch eine Haltung vor allem im Rahmen von Praxis. Ohne Haltung kommt es aber nicht zu Praxis – und ohne Praxis entwickelt sich dann wieder keine Haltung …

Wir sehen: Wenn man hier nicht ausbricht, kommt man nicht weiter. Für dieses ‚Ausbrechen‘ legte der Workshop deshalb den ersten Schritt, indem bewusst Raum für kollaborative Praxis geschaffen – und diese Praxis begleitet und unterstützt wurde. Bei den Fortbildungstagen können nun die nächsten Schritte folgen.

Ablauf: Einfühlen und entwickeln

Insgesamt hatten wir für den Workshop ca. 3,5 Stunden Zeit, die ich in zwei Blöcke aufteilte.

Im ersten Block ging es um das inhaltliche und strategische Einfühlen zur Kultur des Teilens.

Wir starteten hier mit einem ‚Impromptu Networking‚ zu den zwei zentralen Herausforderungen des Workshops. Dazu erhielten die Teilnehmenden einen von zwei möglichen Zetteln:

  • Mit einer Kultur des Teilens verbinde ich …
  • Bei der Gestaltung von Fortbildungstagen fürs Kollegium ist mir wichtig …

Die Zettel waren in unterschiedlichen Farben. Die Aufgabe war, eine Person mit einer anderen Zettelfarbe zu finden – und sich gegenseitig jeweils den Satz zu vervollständigen. Dann wurden Zettel getauscht – und es ging in die nächste Runde. Insgesamt machten wir drei Runden. Das Ziel dieses Einstiegs war, dass alle für sich eine erste Idee zu den Workshop-Herausforderungen entwickelt hatten – und zugleich ein bisschen erfahren hatten, was andere so denken.

Daran anschließend stiegen wir inhaltlich vertiefter in die Kultur des Teilens ein. Dazu erhielten die Teilnehmenden ausgedruckte Begriffe, die ich mit einer Kultur des Teilens verbinde – und waren herausgefordert, diese als Mindmap zu gestalten und dabei beliebig zu ergänzen. Die Ergebnisse stellten sich die Gruppen gegenseitig als Gruppenpuzzle vor. (Ich habe diese Methode der kollaborativen Mindmap-Sortierung und -Ergänzung neu genutzt und kann sie sehr empfehlen. Denn sie sorgt für sehr viel Austausch und lässt die Teilnehmenden – dank der zur Verfügung gestellten Zettel – nicht allein. Meine Zettel zur Kultur des Teilens waren: Inspirationen suchen und erhalten, Neue Tools und Methoden ausprobieren, Feedback geben, Feedback wertschätzen, Anderen von Ideen erzählen, Das Rad nicht immer neu erfinden / auf Bestehendem aufbauen, Neugierig & offen sein, Motivation zu Neuem haben, Keine Angst vor Fehlern haben, Erstellte Inhalte offen weitergeben, Erfahrungen weitergeben)

Weiter ging es dann ganz klassisch mit einer ‚Persona‘-Entwicklung. Die Teilnehmenden überlegten sich eine fiktive Person, die Teil ihres Kollegiums sein könnte, malten und beschrifteten sie zunächst für sich und stellten sie sich dann in Kleingruppen vor. Anschließend beantworteten sie die Fragen: Was hindert diese Personas am Teilen? Und: Was brauchen diese Personas, um am Pädagogischen Tag gut zu lernen? Die Antworten wurden auf Post-Its gesammelt und geclustert. In zwei Runden schwärmten Gruppenmitglieder dann zu anderen Gruppen aus, um die eigene Sammlung zu beiden Fragen ergänzen zu können.

Als letzte Aktivität vor der Pause regte ich eine Praxisübung in wertschätzendem Feedback an. Dazu sollten sich die Teilnehmer*innen überlegen, wessen Beiträge für sie bisher besonders wertvoll gewesen sind und warum. In der Pause konnten sie der jeweiligen Person dann ein Feedback dazu geben.

Nach der Pause ging es um die Ideenentwicklung. Ich hatte zunächst überlegt, dass jede Person hier für sich einen Fortbildungstag konzipiert und dazu Peer-Feedback von anderen erhält. Um mehr Kollaboration und offeneres Denken für vielfältigere Ideen zu ermöglichen, erschien es mir dann aber hilfreicher, zunächst ’nur‘ mögliche Bausteine zu entwickeln, die bei einem Fortbildungstag genutzt werden können. Jede Schulleitung kann sich daraus dann ‚ihren‘ Pädagogischen Tag zusammenstellen.

Um in diesem Sinne in die Ideenentwicklung einzusteigen, starteten wir mit einem mentalen ‚Gallery Walk‘. Die Teilnehmenden sollten sich noch einmal die bisherigen Überlegungen zur Kultur des Teilens und zu den Bedürfnissen ihrer Personas in Erinnerung rufen und für sich vergegenwärtigen, was für sie bei der Gestaltung eines Fortbildungstages zur Kultur des Teilens besonders wichtig ist.

Daran schloss sich die sehr bewährte 1-2-4-Kopfstandmethode an: Zuerst überlegte jede Person für sich, wie ein Fortbildungstag besonders gut das genaue Gegenteil des anvisierten Ziels erreichen, d.h. eine Kultur des Teilens verhindern könnte. Ihre eigene Idee teilten sie mit einer weiteren Person. Die Paare versuchten, aus den beiden entwickelten Ideen, eine noch dümmere Idee zu entwickeln. Und aus den Paaren wurden schließlich Vierer-Gruppen, die gemeinsam eine allerdümmstmögliche Idee überlegten. Ergebnis bei uns: Eine Videokonferenz an einem Samstag mit stundenlangem Vortrag ohne Interaktionsmöglichkeit ;-)

Der anschließende ‚Kopfstand zurück‘ startete mit einer ‚Inspirationsdusche‘. Die Teilnehmenden erhielten einen Zettel mit einer Idee, wie Kultur des Teilens praktiziert werden kann. Ich hatte dazu im Fediverse und auf Twitter nach guter Praxis gefragt. Danke für die vielen Beiträge! Diese Zettel habe ich verteilt:

  • Im Kollegium gibt es eine gemeinsame Dateiablage/ einen kollaborativ bearbeitbaren Moodle-Kurs, wo man Materialien mit anderen teilen kann.
  • Im Kollegium gibt ein Angebot zu Mikrofortbildungen, d.h. Mini-Lernangebote von und für Kolleg*innen. Kolleg*innen verabreden sich, um gemeinsam etwas zu entwickeln oder um sich über anstehende Herausforderungen auszutauschen.
  • Im Lehrer*innenzimmer gibt es eine Pinnwand, auf der Inspirationen geteilt werden können. Oder es gibt eine solche Pinnwand digital.
  • Im Kollegium wird gemeinsam ein Wiki gepflegt mit wichtigen Informationen für alle.
  • Das Kollegium lernt voneinander und miteinander im Rahmen eines Barcamps.
  • Es gibt Zeit und Raum für Teamabsprachen z.B. zu bestimmten Fächern oder Klassen.
  • Es gibt Zeit und Raum für Austausch untereinander.
  • Es gibt die Möglichkeit zu kollegialer Hospitation (= Kolleg*innen besuchen sich gegenseitig in ihrem Unterricht und geben Feedback)
  • Es gibt niederschwellige Austauschmöglichkeiten z.B. via Messenger oder ein anderes Tool.
  • Es gibt feste Strukturen für Austausch, z.B. einmal pro Monat einen ‚Tool-Day‘, an dem jede Person ihr aktuelles Lieblingstool teilt.
  • Wer bei einer externen Fortbildung war, gibt das Gelernte anschließend im eigenen Kollegium weiter.
  • Es gibt einen ‚Tag der offenen Schranktür‘ (= Alle legen in ihren Klassenzimmern ihre besten, ungewöhnlichsten, beliebtesten Lernmaterialien aus und erklären sie den KollegInnen)
  • Es gibt einen Newsletter, in dem zusammengetragen wird, was neu ausprobiert/ gelernt wurde. Alle können etwas beitragen.
  • Immer mal wieder ergreifen Kolleg*innen die Initiative und gestalten ‚Abreißzettel‘ fürs Kollegium mit z.B. Hinweisen auf Tools. Kolleg*innen helfen sich gegenseitig bei Herausforderungen und sind aufmerksam, wer gerade was benötigt.
  • Für die gelingende Schulentwicklung fühlen sich alle gemeinsam verantwortlich.
  • Es gibt transparente Arbeits- und Kommunikationsstrukturen im Kollegium

Die Aufgabe der Teilnehmer*innen war es, sich durch den Raum zu bewegen und miteinander über die jeweiligen Zettel zu sprechen: Wie schätze ich das ein? Wie könnten wir so etwas vielleicht am Pädagogischen Tag beginnen? Danach wurden Zettel getauscht – und ein neues Gespräch wurde gesucht.

Mit so vielen Inspirationen in den Köpfen starteten wir dann ein ‚Brainwriting‚. Zunächst schrieb jede Person für sich bis zu drei Ideen auf, die ihr zu Bausteinen für einen Fortbildungstag zur Kultur des Teilens in den Sinn kamen. Danach wurden die Zettel in insgesamt drei Runden weitergereicht – und andere Personen ergänzten Feedback und weiterführende bzw. alternative Ideen.

In Kleingruppen wurde dann für jede Person ein Baustein aus allen Ideen ausgewählt und für die spätere Vorstellung aufgeschrieben.

Vor der Vorstellung machte ich noch einen kleinen Schlenker zur Farbtupfer-Methode mithilfe eines Gegenstände-Assoziationen-Brainstorming. Die Farbtupfer-Methode ist eine Routine von mir: Immer wenn ich etwas konzipiere oder entwickle, überlege ich mir, wie ich das Ganze noch etwas schöner, weil z.B. spielerischer oder mit mehr Lachen gestalten könnte. Übertragen auf die Konzeption eines Fortbildungstages bedeutete das für die Teilnehmer*innen, sich zu überlegen, was sie nebenher bzw. als ‚Zwischenraum‘ an diesem Tag gestalten könnten. Sie erhielten einen Zufallsgegenstand und entwickelten dazu Assoziationen und darauf aufbauend konkrete Ideen.

Im letzten Schritt haben wir uns dann gegenseitig sowohl die entwickelten Bausteine als auch die Farbtupfer-Ideen vorgestellt.

Fazit

Ich mag Workshops sehr gerne, aus denen etwas entsteht. Das war bei diesem Workshop meiner Beobachtung nach definitiv der Fall. Alle Beteiligten haben sehr aktiv mitgemacht – und ich hoffe, dass dieses Erleben einiges angestoßen hat. Daneben gibt es auch ganz konkret Inhalte und Ideen zum direkten Weiternutzen:

  1. Die grundsätzliche Idee, dass Schulleitungen aus unterschiedlichen Schulen kollaborativ Ideen für Fortbildungstage entwickeln, finde ich großartig. (Und ich hoffe sehr, dass viele von den beteiligten Personen über ihre dann durchgeführten Fortbildungstage berichten werden).
  2. Das Konzept des Workshops habe ich hiermit aufgeschrieben. Da alles weitgehend wie geplant geklappt hat, kann ich es zur Weiternutzung empfehlen.
  3. Im Laufe der nächsten Woche werde ich die entwickelten Bausteine verschriftlichen. Hier habe ich die entwickelten Baustein veröffentlicht. Wir haben uns mit allen Beteiligten dazu entschieden sie als OER (unter CC0 1.0) freizugeben, so dass alle sie möglichst einfach weiternutzen können. (Spoiler vorab: Ich finde, dass großartige Ideen entstanden sind.)

Falls Du die eine oder andere Sache von den hier skizzierten Methoden und Ideen aufgreifst, dann berichte sehr gerne, wie es bei Dir geklappt hat. Denn durch immer mehr kollaborative Praxis und gemeinsames Lernen darüber, können wir eine Kultur des Teilens voranbringen.

Abschließend ein herzlicher Dank an die PoliGenius/ ProGenius Schulen und speziell an Gratian für die Anfrage und Einladung zu diesem Workshop. Mir hat es viel Freude gemacht!


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