Klausurtag ohne Input-Vortrag

Ich bin auf der Rückfahrt von einem ganztägigen Workshop im Gustav Stresemann Institut in Bonn. Eingeladen haben mich die Kolleg*innen von der Abteilung Politische Bildung. Ihr Wunsch war die Konzeption und Durchführung eines Klausurtages für das Team, der kreative und beteiligungsorientierte Methoden und Formate der Bildung zum Thema hat, wobei es eine Mischung von Ausprobieren und Workshop geben sollte.

Solche Anfragen finde ich großartig – und entsprechend viel Freude hatte ich bei dem Projekt. In diesem Blogbeitrag schreibe ich für die beteiligten Kolleg*innen des GSI eine Zusammenfassung der Konzeption. Ich mache das öffentlich, damit auch andere Interessierte Einblicke erhalten können. Falls die Konzeption und die Materialien für dich von Interesse sind, dann nutze sie ebenfalls gerne weiter.

Ablauf im Überblick

Am Vormittag ging es nach einem Einstieg und Sensibilisierung für das Thema erstens um das Kennenlernen von Grundprinzipien guter Bildung. Zweitens um beteiligungsorientierte Lernformate. Klassisch hätte man beides in Form von Input weitergeben können. Wir haben stattdessen Methoden genutzt, die es uns erlaubt haben, insbesondere die Grundprinzipien gemeinsam und spielerisch zu erkunden. Für den Part der Lernformate habe ich alternative Formen von Inputweitergabe vorbereitet, sodass auch dazu Methoden kennengelernt werden konnten.

Am Nachmittag schloss sich dann – basierend auf und unter Nutzung der Erfahrungen des Vormittags – eine Mini-Ideenwerkstatt an, in der die Kolleg*innen Formate für ihre zukünftige Bildungsarbeit entwickeln konnten.

Die Klausurtagung endete mit einer Rekapitulation der Inhalte und einem gemeinsamen Abschluss.

Praktische Gestaltung

Im folgenden stelle ich die Durchführung der einzelnen Blöcke des Klausurtages vor.

1. Auftakt und Sensibilisierung

Zum Einstieg gab ich kurz den geplanten Ablauf wie oben erläutert bekannt, Dabei ging ich unter anderem auf das Prinzip des Timeboxing ein, das uns den Tag über begleiten würde (= für jede Aufgabe steht immer nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung, die gestoppt und dann abgeklingelt wird. So arbeiten alle sehr fokussiert.)

Anschließend sind wir direkt inhaltlich eingestiegen mit der Impulsfrage „Was macht für dich gutes Lernen aus?“ und mit Lego. Die Teilnehmer*innen konnten ihre Ideen bauend entwickeln und sich dann in Kleingruppen gegenseitig davon erzählen. Das ist immer wieder ein guter Einstieg und ich kann es uneingeschränkt empfehlen.

Auftakt mit Lego: Was ist für Dich gutes Lernen?

Die zweite Einstiegsmethode war ‚Zuhörer*in/Redner*in‘. Die Teilnehmer*innen erhielten einen Zettel, auf dem entweder das eine oder das andere draufstand. Alle bewegten sich dann durch den Raum. Auf ein Signal hin hoben die Redner*innen ihre Karten in die Höhe und alle Zuhörer*innen stellten sich zu einer Redner*in. Dann hatten die Redner*innen 1 Minute Zeit, um die Frage zu beantworten, wie sie dazu beitragen wollen, dass der heutige Tag für sie und andere erfolgreich wird. Danach wurden die Karten getauscht und noch zwei weitere Runden mit der gleichen Frage durchgeführt.

Die Methode ‚Zuhörer*in/ Redner*in‘ habe ich schon häufig verwendet. Mir gefiel heute vor allem die gewählte Frage, weil somit direkt der Fokus des Tages darauf geschärft war, dass wir alle gemeinsam Verantwortung für das Gelingen tragen.

2. Grundprinzipien guter Bildung

Im nächsten Block wurde es spielerisch-experimentell. Als wichtige Grundprinzipien guter Bildung hatte ich mich für Beteiligung, Kollaboration und Kreativität entschieden. Jedes dieser Grundprinzipien lernten wir nun in unterschiedlichen Übungen kennen.

Den Anfang machte das Prinzip der Beteiligung. Hierzu wurden Kleingruppen gebildet, die sich an Tischen zusammenfanden und Malutensilien erhielten. Gemeinsam sollte jeweils das Bild einer schönen Sommerwiese gestaltet werden, wobei sich der genaue Auftrag in den Kleingruppen unterschied. Zum einen gab es einen sehr offenen Auftrag; zum anderen einen sehr detaillierten.

Die Gruppen hatten vier Minuten Zeit. Anschließend reflektierten wir über den Malprozess und die Ergebnisse.

Bildergebnis bei offenem Auftrag
Bildergebnis bei detailliertem Auftrag

Wie man an den Bildern sieht, war es für die Gruppe, die keine detaillierten Vorgaben erhielt, deutlich einfacher, ein gemeinsames und in sich zusammengehörendes Bild zu zeichnen. Die Gruppe mit den detaillierten Vorgaben hatte dagegen einen deutlich stressigeren Malprozess, und man sieht auf dem Bild, dass verständlicherweise einfach die einzelnen Elemente ’nebeneinander‘ abgearbeitet wurden.

Man kann diese Übung als schönes Beispiel dafür nutzen, dass es oft besser ist, sich als Pädagog*in zurückzunehmen und den Raum zu schaffen, dass Lernende sich beteiligen und ihre Lösungen gemeinsam finden können, als den Lernprozess durch sehr rigide Vorgaben vorzugeben und damit bis zu einem gewissen Grad auch abzuwürgen.

Zum nächsten Prinzip der Kollaboration nutzten wir gleich zwei Übungen. (Es kam uns hier zugute, dass wir dafür den grünen Innenhof des Instituts) mit viel Platz nutzen konnten.

  • Für die erste Übung stellten sich alle Teilnehmer*innen in ungefähr gleichen Abständen an einem ca. 6 Meter langen Seil auf, das auf den Boden ausgelegt war. Sie wurden aufgefordert, die Augen zu schließen und das Seil in die Hand zu nehmen. Die Aufgabe der Gruppe war nun, sich so zu bewegen, dass mit dem Seil ein Quadrat gebildet wurde. Es durfte dabei geredet werden. Alle Beteiligten mussten das Seil immer festhalten. Wenn die Gruppe der Auffassung war, dass das Quadrat gelungen war, konnte sie das Seil ablegen, die Augen wieder öffnen und ihr Ergebnis begutachten.
  • Bei der zweiten Übung stellten sich die Teilnehmer*innen in zwei Gruppen gegenüber und streckten ihre Hände mit den Fingerkuppen nach oben nach vorne. Darauf wurde ein ca. 3 Meter langer Stab gelegt. Die Aufgabe war nun, den Stab gemeinsam auf den Boden zu legen, wobei alle durchgängig Kontakt zum Stab mit den Fingerkuppen halten mussten. (Anmerkung für Menschen, die nicht dabei waren: Das klingt deutlich leichter, als es sich anhört. Probiert es aus!)
Der benötigte Stab lässt sich übrigens sehr einfach aus einem Flipchartpapier basteln, das man einmal längs durchschneidet und dann in zwei Rollen dünn rollt, die man ineinandersteckt bzw. verklebt

Beide Übungen konnten nur dann erfolgreich durchgeführt werden, wenn alle gemeinsam Verantwortung übernahmen, d.h. die Grundidee von Kollaboration erfüllt war.

Schließlich ging es noch um das dritte Prinzip der Kreativität. Bei der genutzten Übung war das Ziel zum einen zu zeigen, dass es in der Bildung oft Herausforderungen gibt, für die es noch keine fertige Lösung gibt, sondern diese gemeinsam entwickelt werden muss. Zum anderen wurde mit dem Gegenstände-Brainstorming zugleich eine Methode gezeigt, um mit relativ wenig Aufwand auf neue Ideen zu kommen. Hierzu erhielt jede Person einen zufälligen Gegenstand (eine Tube Sonnencreme, ein Kuscheltier, ein Teebeutel, ein Massageball …). Und die Teilnehmer*innen fanden sich in Kleingruppen zusammen. Jede Kleingruppe erhielt einen Herausforderungszettel (Wie erreichen wir mehr Inklusion? Wie schaffen wir es, dass sich auch stillere Menschen an Lernangeboten aktiv beteiligen? …). Die Aufgabe war es nun, durch Assoziationen zu den erhaltenen Gegenständen in 5 Minuten so viele Ideen wie möglich zu den Herausforderungen zu finden.

Zum Abschluss der Behandlung der drei Prinzipien wurden diese mit der Methode ‚Stille Post-Gruppenedition‘ noch einmal wiederholend bearbeitet. Es wurden dazu drei Gruppen gebildet. Jede Gruppe erhielt einen Zettel mit einem der drei Prinzipien. Gemeinsam überlegte sie, was ihnen an dem Prinzip wichtig ist. Dann geht je eine Person aus jeder Gruppe samt Zettel im Uhrzeigersinn zur nächsten Gruppe – und stellt die bisherigen Überlegungen vor und fragt nach Ergänzungen. Danach wird noch einmal weitergegangen. So haben sich alle noch einmal mit allen Prinzipien beschäftigt und die Überlegungen im Lauf durch alle Kleingruppen immer weiter qualifiziert.

3. Beteiligungsorientierte Lernformate

Der nächste thematische Block nach einer kurzen Pause waren dann beteiligungsorientierte Lernformate. In der relativ kleinen Gruppe, die wir waren, und in der nur begrenzt zur Verfügung stehenden Zeit, ließen sich diese natürlich nicht alle gemeinsam ausprobieren, so wie wir das bei den Methoden gemacht hatten. Deshalb hatte ich mich für eine ‚Walk & Talk Inspirationsdusche‚ entschieden. Die Teilnehmer*innen brachen paarweise zu einem halbstündigen Spaziergang auf. Dazu erhielten sie eine ‚Wundertüte‘, in der Zettel mit kurzen Beschreibungen zu unterschiedlichen Lernangeboten (und ein paar Bonbons zur Stärkung zwischendurch) enthalten waren. Die Aufgabe war es, sich die Zettel durchzusehen und gemeinsam zu reflektieren, wie man die vorgestellten Formate einschätzt.

Beispiel für eine Wundertüte als Inspirationsdusche

Ich mag die Walk & Talk Methode sehr gerne, weil ‚Kopf lüften‘ und ‚in Bewegung sein‘ gerade bei langen Workshoptagen eigentlich immer eine gute Idee ist. In Kombination mit der ‚Wundertüte‘ als Inspirationsdusche fand ich die Methode eine ganz wunderbar gelungene Form von alternativer Input-Weitergabe.

Anschließend wollte ich aber zumindest ein Lernformat auch noch praktisch ausprobieren. Meine Wahl war hier auf das Barcamp gefallen – und wir erprobten, dass sich dieses Format durchaus auch in Miniatur durchführen lässt. Dazu schrieb jede Person eine Frage auf, die sich ihr nach dem bisherigen Lernweg stellt oder etwas, das sie anderen Teilnehmenden noch zeigen will. Wir packten die Zettel in einen Mini-Sessionplan und nahmen uns dreimal 6 Minuten Zeit, um die eingereichten ‚Sessions‘ zu bereden.

Dieses Miniatur-Barcamp hat aus meiner Sicht wunderbar geklappt. Gut fand ich, dass die Teilnehmer*innen sowohl eigene Themen einbringen konnten (z. B. die Methode Zukunftswerkstatt), als auch noch offene Fragen geklärt werden konnten. Hier war es mir als Referentin unkompliziert möglich, mich an den Sessions zu beteiligen, wo ich dachte, dass Input von mir zu einer Frage noch hilfreich sein könnte.

4. Ideenwerkstatt zur Gestaltung eigener Formatideen

Nach der Mittagspause starteten wir in eine Ideenwerkstatt. Den Auftakt machte hier ein Klassiker unter den Energizern: die Marshmallow-Challenge. Ich mag sie, weil sie sehr viel Kollaboration einfordert, kreatives Denken anstößt und einfach immer wieder sehr spaßig ist.

Wer sie nicht kennt, die Erklärung in Kurzform: Jedes Team erhält zwanzig Spaghetti, einen Marshmallow, einen Meter Schnur und einen Meter Klebeband. Die Aufgabe ist es, eine Konstruktion zu bauen, bei der der Marshmallow so hoch oben wie möglich gehalten wird. Die Gruppe mit dem höchsten Marshmallow gewinnt. (Viele Teams planen hier zu lange, anstatt einfach mal auszuprobieren – und stellen dann oft erst ganz am Ende fest, dass ihre gestaltete Konstruktion den Marshmallow gar nicht hält).

Nach dieser Spielerei nutzten wir ganz klassisch eine Persona-Gestaltung (= eine mögliche, fiktive Person der Zielgruppe). Alle entwickelten zunächst eine Persona für sich selbst und stellten sie sich dann gegenseitig vor. Mit dieser ‚Zielgruppe‘ im Blick überlegten wir uns dann mit der Kopfstand-Methode, was für diese Zielgruppe das dümmstmögliche Format wäre: zunächst jede Person für sich, dann zu zweit und dann zu viert. Der ‚Kopfstand zurück‘ erfolgte dann in Form eines Brainwritings. Jede Person schrieb für sich drei Ideen auf, die anschließend in drei Runden von den Kolleg*innen mit ‚Ja, und …‘ oder ‚Ja, oder …‘ ebenfalls schriftlich kommentiert wurden.

(Beide Vorlagen sind unter der Lizenz CC0 1.0 zur offenen Weiternutzung freigegeben)

Anschließend erhielten die Teilnehmer*innen ihren ursprünglichen Zettel zurück, lasen sich die Kommentierungen durch und fanden sich dann in Kleingruppen zusammen. Die Aufgabe war es nun, für jede Person der Kleingruppe eine Idee für ein Format gemeinsam zu überlegen. Grundlage waren hierzu die Brainwriting-Überlegungen. Es war den Kleingruppen aber freigestellt auch ganz neue Ideen zu entwickeln.

Den Abschluss des Ideenentwicklungs-Prozesses bildete eine Abwandlung des Troika-Consulting der Liberating Structures. Während beim Troika-Consulting eine Person mit einem Anliegen auf zwei Kolleg*innen zukommt, die darüber dann beraten, während sich die fragende Person wegdreht, d.h. nicht Teil der Kommunikation ist, kombinierte ich die Beratungsanfrage bei diesem Klausurtag mit einer Diskussion mit den 6 Denkhüten von de Bono – einer Methode, bei der jede Person einen ‚Denkhut‘ in einer anderen Farben erhält, der jeweils für eine bestimmte Perspektive steht, aus der die Person dann argumentieren soll.

Das sah konkret so aus: In einem Stuhlkreis gab es sechs Plätze. Auf jedem Stuhl lag eine Farbmarkierung mit Erläuterung zu den Denkhüten von de Bono. Sechs Personen konnten im Stuhlkreis Platz nehmen und sich dabei eine Farbe aussuchen. Eine weitere Person stand außen und trug ihre Idee vor. Dann drehte sie sich weg. Die Menschen im Stuhlkreis hatten dann vier Minuten Zeit, um die Ideen unter Beachtung ihrer jeweiligen Denkhut-Farbe zu diskutieren. Anschließend kam wieder die vortragende Person der Idee zu Wort und sagte, was sie aus der Diskussion mitnahm.

‚Denkhut‘ in gelb mit Lego gestaltet – und in dieser Form einfach zum Platzieren auf den Stühlen

Auf diesem Weg konnten alle, die wollten, ihre Ideen einer Überprüfung aus vielfältigen Perspektiven unterziehen und auf diese Weise weiter entwickeln.

Ich war positiv überrascht, wie gut das klappte. Die Diskussionsrunden waren gleichermaßen weiterführend, wie spaßig. Besonders hilfreich fand ich, dass irgendwer immer den ’schwarzen Hut‘ aufhatte. So musste Kritik geäußert werden – aber nicht von der Person selbst, sondern von der Rolle, die sie gerade spielte. Das machte es deutlich einfacher, als es ohne solch eine Rolle wahrscheinlich gewesen wäre.

Damit war dann die kleine Ideenwerkstatt abgeschlossen.

5. Rekapitulation und Abschluss

Um zum Abschluss noch einmal den ganzen Tag Revue passieren zu lassen und den Teilnehmer*innen zu ermöglichen, sich ihre eigene Struktur und Ordnung dazu zu gestalten, wurden wieder Kleingruppen gebildet. Jede Kleingruppe sammelte sich vor einer Pinnwand und erhielt ein Set an Begriffen, die im Laufe des Tages eine Rolle gespielt hatten. Die Aufgabe war nun, diese Begriffe, gerne mit weiteren Ergänzungen, als Mindmap auf der Pinnwand zu gestalten. Dabei gab es natürlich nicht die eine richtige Lösung, sondern die Teilnehmer*innen konnten im Gespräch miteinander ihre eigene Ordnung entwickeln. Anschließend stellten sich die Teilnehmer*innen ihre Ergebnisse gegenseitig vor.

Eine Möglichkeit einer Mindmap
… und eine andere Möglichkeit

Den Abschluss des Tages bildete dann noch ein Blitzlicht zu den Fragen: Wie geht es mir? Was will ich jetzt angehen? Was will ich zum heutigen Tag noch loswerden?

Fazit

Ich fand es einen richtig gelungenen Tag. Insbesondere die Walk & Talk Inspirationsdusche, die Übungen zu Kollaboration mit Seil und Stab und das abgewandelte ‚Troika-Consulting‘ mit den ‚de Bono‘-Denkhüten werde ich sicherlich noch häufiger verwenden. Von den Teilnehmer*innen gab es ebenfalls durchweg positives Feedback – und Vorfreude auf die weitere Ausarbeitung ihrer entwickelten Formatideen. Vor diesem Hintergrund kann ich die Konzeption bzw. auch nur einzelne Methoden daraus sehr zum Nachmachen empfehlen. Bei den Kolleg*innen der GSI bedanke ich mich für die spannende Anfrage und die gute Zusammenarbeit! Frage mich gerne an, wenn Du Lust hast, zu diesen oder ähnlichen Herausforderungen auch in Deiner Organisation einen Klausurtag mit mir durchzuführen :-)


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