Fake-News und Faktencheck: 4 Techniken zur Kontextualisierung und ‚Netz-Befragung‘

Fake-News sind ein beliebtes und viel diskutiertes Thema in der Medienkompetenz-Debatte. Neu veröffentlicht ist dazu der englischsprachige Online-Kurs ‘Check, please!’. Der Kurs räumt mit weit verbreiteten Auffassungen zum Faktenchecken auf. Er verfolgt stattdessen einen sowohl aktuellen als auch praktikablen Ansatz. Denn erstens orientiert er sich an den Anforderungen in einer vernetzten Gesellschaft mit potentiell unbegrenzter Konfrontion mit Inhalten; zweitens schägt er einfach erlernbare Handlungsroutinen zur Informationsbewertung vor.

Die wesentlichen Inhalte und Aussagen fasse ich im folgenden zusammen:

Checklisten sind kein sinnvoller Ansatz zum Faktencheck

Zur Überprüfung und Einordnung von Online-Inhalten werden häufig Checklisten empfohlen. Beispiele hierfür sind das professionelle Aussehen einer Website, die wissenschaftlichen Sprache oder das Fehlen von Rechtschreibfehlern. Kurz gefasst lautet die Vorgabe: Je ‘besser’ eine Website ist, desto vertrauenswürdiger. Dem ist aus drei Gründen zu widersprechen:

  • Bedeutungslosigkeit: Solche ‘vertrauenswürdigen Äußerlichkeiten’ lassen sich sehr leicht faken sind also bedeutungslos. Der Checklisten-Ansatz führt zudem noch dazu, dass viele Lernenden anfällig für Regeln sind, die ebenfalls nicht stimmen (z.B. eine .com Endung bei einer Website wird als weniger vertrauenswürdig als eine .org-Endung eingeordnet)
  • Kompliziertheit: Die intensive Prüfung einer Quelle nach mehreren Kriterien stammt noch aus einer überwiegend analogen Zeit, in der ich z.B. entscheiden musste, welchen von fünf Artikeln ich in meiner Hausarbeit zitieren will. In einer digitalisierten und vernetzten Gesellschaft, in der ich potentiell mit massenhaft und zum Teil auch sehr kurzen Informationen (z.B. ein Social Media Clip) konfrontiert bin, werden Faktencheck-Routinen benötigt, die schnell und einfach sind. Ansonsten lassen es viele Menschen wahrscheinlich eher ganz mit dem Faktencheck …
  • Einerseits/ anderseits: Checklisten drohen einen zu erschlagen und dazu zu führen, dass man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht: Das eine Kriterium trifft zu, das andere nicht, das dritte kann ich nicht einschätzen … Wie soll da eine Entscheidung getroffen werden? Anders ausgedrückt: Da bei Checklisten Relevanz-Einschätzungen meist fehlen, erschweren sie eher die Entscheidung über die Quelle, anstatt zu helfen.

Handlungsroutinen zur Kontextualisierung helfen beim Faktencheck

Anstelle von Checklisten sind deshalb Handlungsroutinen der bessere Weg zum Faktencheck. Diese müssen leicht verständlich und durchführbar sein. Vier ‘Moves’ sind dazu empfehlenswert:

  1. Innehalten/ Stopp: Bevor man irgend etwas mit einer Information macht, hilft es, kurz inne zu halten und zu überlegen, wie die eigene Einschätzung zu der Information ist. Insbesondere hilft das Innehalten auch beim Surfen, bei dem ‘immer weiter Klicken’ oder ‘das erste Suchergebnis anklicken’ zwar manchmal hilft, um möglichst viel zu einem Thema und seinen Vernetzungen zu erfahren, aber oft auch dazu führen kann, dass man sich in irgend etwas verrennt und sein ursprüngliches Ziel aus den Augen verliert.
  2. Quellen überprüfen: Mit Quellenüberprüfung ist keine intensive Recherche gemeint, sondern eine simple Einschätzung, woher die Information stammt (Schreibt McDonalds über die Anforderungen an eine gesunde Ernährung oder der Bundesverband der Veganer/innen? Beide müssen nicht recht haben, aber wenn ich weiß, von wem die Information stammt, kann ich sie von Anfang an besser einordnen).
  3. Umfassende Informationen finden: Oft ist es gar nicht die Quelle, die wichtig ist, sondern es interessiert, was von einer bestimmten Aussage in einer Information zu halten ist. In diesem Fall hilft es herauszufinden, was andere dazu sagen bzw. was man sonst noch dazu findet: Handelt es sich bei der Aussage um einen wahrscheinlichen, gesellschaftlichen Konsens, um eine Minderheitenposition oder ist es ein Streitpunkt? Damit ist noch nicht entschieden, wie ich mich dazu positionieren, aber es hilft mir bei der Einschätzung. Und hilfreich ist für mich vor allem eine Quelle, die die unterschiedlichen Positionen möglichst gut abdeckt und darstellt.
  4. Ursprünglichen Kontext recherchieren: Informationen werden fast immer nur in Ausschnitten präsentiert. Es wird ‘über etwas’ geschrieben. Es hilft zu recherchieren, was der Kontext ist: Was ist bei einem Video davor und danach passiert? Woher stammt ein Bild? Was fehlt in einem Text, was vielleicht zur Einordnung ebenfalls wichtig wäre? Um diese Fragen zu beantworten, lohnt es sich nach den Original-Informationen zu recherchieren.

Aus den englischsprachigen Bezeichnungen dieser ‘Moves’ (Stop, Investigate the source, Find better coverage, Trace claims, quotes and media to the original context) ergibt sich das Akronym SIFT. Zusammenfassend lässt sich SIFT als Versuch der Kontextualisierung von Informationen einordnen, was dann die Bewertung erleichtern kann. Wie aber funktionieren diese Handlungsroutinen praktisch?

Tipps und Techniken zur ‘Netz-Befragung’

Auf den ersten Blick klingen die vier dargestellten ‘Moves’ fast ebenso kompliziert, wie das Durcharbeiten irgendwelcher Checklisten. Für die Praxis gibt es hier jedoch hilfreiche Techniken (die vielleicht für manche schon fast zu einfach erscheinen, aber tatsächlich wirkungsvoll sind).

Die grundlegende Herangehensweise dabei ist die Frage: Was sagt das Netz dazu? Der traditionelle Ansatz zur Bewertung einer Information wäre dagegen: Was findest Du in der jeweiligen Quelle? Beispielsweise könnte traditionell gefragt werden ‘Schau nach, ob es auf einer Website ein Impressum gibt und wer im Impressum steht’ oder ‘Überprüfe, ob ein Bild manipuliert wurde’. Mit dem Kontextualisierungsansatz sucht man stattdessen nach der Website/ der Information/ dem Bild im Netz – und nimmt auf dieser Grundlage eine Einordnung/ Bewertung dazu vor.

Hilfreich sind dazu die folgenden Suchstrategien:

  1. ‘Einfach Wikipedia hinzufügen’: Der meist beste Einstig zur Informationsbewertung ist es, einen neuen Tab zu öffnen und in die Suchleiste die URL der Website / den Organisationsname / den Namen der Person eintragen und dahinter Wikipedia zu ergänzen. Wenn es über diese Information etwas Relevantes zu erzählen gibt, dann kann ich mir ziemlich sicher sein, dass es mir mit diesem ‘Wikipedia-Trick’ als Wikipedia-Artikel angezeigt wird. Und nicht nur das: Zugleich erhalte ich Quellen, um das zu überprüfen (Denn natürlich ist nicht alles richtig, was in der Wikipedia steht …). Und auch wenn ich keine Wikipedia-Treffer dazu finde, hilft mir das für die Einordnung.
  2. Reichweite der Information prüfen: Handelt es sich bei dieser Information um eine Einzelmeinung oder berichten mehre davon? Hilfreich zur Beantwortung dieser Frage kann es sein, die Information z.B. auch in eine News-Suche einzugeben (Was gibt es dazu aktuell zu berichten?). Im wissenschaftlichen Kontext kann via Google Scholar überprüft werden, inwieweit ein bestimmter Autor zitiert wird. (Noch einmal: Es bedeutet dann nicht, dass er Recht hat – aber ich habe einen Anhaltspunkt zur Einordnung).
  3. Bilder-Rückwärtssuche: Bei Bildern ist eine Rückwärtssuche oft deutlich einfacher, als eine eigenständige Überprüfung des Bildes an sich. Umso mehr, da sich Fake-Bilder immer professioneller gestalten lassen. Sehr oft hat aber schon irgendwer die Arbeit für mich gemacht – und es gibt über das Bild einen Bericht/ Hintergrundwissen. Oft ist ein Bild auch real, aber wird in einem völlig anderen Kontext wiedergegeben und damit eine falsche Information transportiert. Das lässt sich dann über die Rückwärtssuche leicht herausfinden. (In diesem kurzen Screencast habe ich die Bilder Rückwärtssuche erklärt)
  4. Zum Ursprung der Information durchklicken: Die meisten Inhalte im Netz sind Erzählungen von jemandem über etwas. Sobald aber über etwas berichtet wird, wird etwas weggelassen/ überspitzt/ verfälscht. Für eine Meinungsäußerung kann das in Ordnung sein. Wenn ich aber erst einmal wissen will, was die eigentliche Information ist, dann macht es das für mich schwierig. Aktuelles Beispiel dazu: die Linnemann-Debatte, bei der aus der Forderung nach einer ‘Rückstellung’ ein ‘Grundschulverbot’ wurde für Kinder die schlecht Deutsch sprechen. (Ich halte beides für verfehlt, aber für die Einordnung der Information wäre es hilfreich, erst einmal zu wissen, was er ursprünglich gesagt hat; Sascha Lobo hat dazu übrigens einen schönen Kommentar geschrieben: Anatomie eines deutschen Shitstorms). Um zum Ursprung der Information zu gelangen gibt es keinen simplen Trick: Die Technik sollte sein, zu schauen, auf was sich etwas bezieht – und sich dann immer weiter zum Ursprung durchzuklicken. Dieses Innehalten und Rückverfolgen ist gerade in sozialen Netzwerken wichtig, wo sehr viel Erzählungen über etwas und bewusste Zuspitzungen statt ursprüngliche Informationen sind.

Weiterlernen: den Online-Kurs Check, Please! nutzen …

Die oben dargestellten Eckpunkte stellen lediglich eine sehr komprimierte Zusammenfassung der Inhalte des Online-Kurses ‘Check, Please!’ dar. Insgesamt besteht der Kurs aus 5 Einheiten mit je ungefähr 30 Minuten Lernzeit. Hilfreich ist vor allem, dass zahlreiche praktische Beispiele und Übungen enthalten sind, die direkt erkundet werden können. Weitere Ergänzungen sind hier angekündigt.

Angelegt ist der Kurs in einem Selbstlern-Format. Die Inhalte sind auch ohne Registrierung oder Anmeldung nutzbar. Lernende mit Englischkenntnissen können den Kurs somit einfach in ihrem eigenen Tempo durcharbeiten. Hier kannst Du mit dem Kurs direkt starten. Zugleich ist der Kurs auch dazu gedacht, als Teil eines größeren Bildungsprojektes (z.B. als vorbereitende Flipped Classroom Aufgabe) durchgeführt zu werden.

… und remixen

Was fehlt: Die verwendeten Übungen und Beispiele stammen alle aus dem englischsprachigen Raum. Auch darüber hinaus könnte eine deutsche Übersetzung des englischsprachigen Kurses die Verbreitung und Nutzung im deutschsprachigen Raum erleichtern.

Da mir der Kurs inhaltlich sehr gut gefällt, ist mein Vorschlag deshalb eine Übersetzung und vor allem auch Anpassung des Kurses. Ich könnte mir das als ein sehr lohnendes Projekt für die anstehenden OERcamp-Werkstätten vorstellen. In den drei Werkstatt-Tagen wäre es aus meiner Sicht realistisch leistbar in einer kleineren Gruppe gemeinsam auf Basis des jetzigen Kurses einen neuen Kurs zu remixen: mit übersetzten Texten und aus dem deutschsprachigen Raum recherchierten bzw. neu gestalteten Übungen. Zugleich könnten dank der verfügbaren Expert/innen während der Werkstatt weiterführende Tools erlernt und ausprobiert werden, um den Kurs rund zu machen (z.B. kurze Erklärvideos erstellen, einzelne H5P-Übungen ergänzen … etc.). Von der Grundstruktur ist der Kurs zum Remix ausgelegt: Rechtlich ist er als OER veröffentlicht; technisch kann er einfach kopiert und beliebig verändert werden.

Du hast Interesse? Melde Dich gerne bei mir und reserviere Dir unbedingt einen Platz bei einer der beiden OERcampWerkstätten (entweder bei Berlin im November oder kommendes Jahr im Schwarzwald). Das gilt natürlich auch, wenn Du digitale Bildungsmaterialien zu einem anderen Thema erstellen willst und dazu Expert/innen-Input und Peer-to-Peer-Austausch suchst :-)


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