Open Prompting

Generative KI-Tools können uns in der Bildung auf vielfältige Weise unterstützen. Zum Beispiel können wir sie nutzen, um einen Text zu einem bestimmten Thema zu schreiben, uns in ein Thema vertiefter einzuarbeiten, eine erste Gliederung für eine Hausarbeit zu erstellen oder passende Illustrationen für Bildungsinhalte zu entwickeln. Für diese und viele andere pädagogische Herausforderungen ist ein gutes und gezieltes Prompting wichtig. Denn das jeweils genutzte KI-Modell weiß nicht, was der Kontext der jeweiligen Herausforderung ist. Deshalb müssen wir den Prompt (also die Eingabe für das KI-Modell) so formulieren, dass darin möglichst genau und umfassend beschrieben wird, was wir für wen und wie erreichen wollen, um ein möglichst passendes Ergebnis zu erhalten. Dabei sollten wir auch lernen, nachzuprompten (quasi mit der KI Pingpong zu spielen), wenn das Ergebnis noch nicht passt. Um solch ein gezieltes Prompting zu unterstützen, gibt es viele Regeln, Tipps und Empfehlungen sowie zahlreiche ausgearbeitete Schemata, an denen man sich orientieren kann.

In diesem Blogbeitrag möchte ich jedoch einen anderen Ansatz vorstellen, wie generative KI-Modelle in der Bildung genutzt werden können: Nicht mit dem Fokus auf die Entwicklung von Antworten, sondern auf die Entwicklung von Fragen und das bewusste Öffnen des eigenen Denkens. Dafür braucht es weniger regelhaftes Prompting, sondern eher Experimentierfreude und auch ein bisschen Chaos. Ich nenne diesen Ansatz „Open Prompting“.

Was genau ist Open Prompting?

Als ‚Open Prompting‘ bezeichne ich eine bewusst offene Form von Eingaben an generative KI-Modelle. Ziel ist es, zu neuen Ideen zu gelangen und dabei immer offen für unerwartete Perspektiven zu sein. Man nutzt dazu zum einen die riesige Datenbasis, auf die generative KI-Sprachmodelle Zugriff haben, und zum anderen das Prinzip des Zufalls. Mein Ziel beim Open Prompting ist es also nicht, den Prompt so zu formulieren, dass ein möglichst gut passendes Ergebnis für meine Herausforderung entsteht – und alles, was nicht passt, als störend empfunden wird. Stattdessen möchte ich eine Ausgabe, die möglichst irritierend ist und mich dadurch auf neue und ungewöhnliche Ideen bringt.

In der Bildung ist diese Perspektive relevant, weil wir in einer Zeit leben, in der sich vieles schnell verändert und es an vielen Stellen neue Lösungen braucht, weil wir mit früheren Antworten an Grenzen stoßen. Genau darum gilt Kreativität (= die Fähigkeit, neu zu denken), auch als Schlüsselkompetenz im 21. Jahrhundert.

Zum Open Prompting kam ich unter anderem durch die Beobachtung meiner Tochter, wie sie mit einem KI-Sprachmodell interagierte. Sie wusste ungefähr, was diese Technologie ist, ging aber völlig unvoreingenommen in die ersten Chats. Das Ergebnis war ein buntes Experimentieren: Vom lockeren „Hallo mein Freund, sprichst du auch Deutsch?“ über ein langes Geplapper und die Folgefrage „Na, was sagst du dazu?“, bis hin zu Quatsch-Anfragen wie „Rezept für vietnamesische Kürbis-Canelloni mit Spargel-Eintopf in Blumenwiesen-Ragout“ oder einer Diskussion über den besten Namen für das KI-Modell …

Diese Herangehensweise erinnert mich an das Spielen im Sandkasten: Man beginnt einfach, probiert etwas aus, verwirft es wieder und baut weiter – immer mit einer großen Offenheit gegenüber dem, was dabei herauskommen könnte. (Kinder können sich oft viel besser auf solch ein spielerisches und offenes Erkunden einlassen als Erwachsene.)

In Bildungsprozessen wird dieses Prinzip beispielsweise im Design Thinking angewendet, wo wir von divergentem Denken sprechen. Hier geht es darum, durch bewusste Offenheit und Irritationen Ideen zu entwickeln, die auf den ersten Blick absurd erscheinen mögen. In der darauffolgenden Phase, dem konvergenten Denken, werden diese Ideen dann sortiert, überprüft und weiterentwickelt. Wenn man den ersten Teil des divergenten Denkens überspringen würde, wären die entwickelten Ideen wahrscheinlich deutlich weniger kreativ (und der Prozess viel weniger unterhaltsam).

Klassisches Prompting mit Regeln, Schemata und klaren Anleitungen unterstützt das konvergente Denken. Open Prompting hingegen fördert das divergente Denken – und wird meiner Meinung nach bisher viel zu wenig erkundet.

Wie lässt sich Open Prompting praktisch gestalten?

Da Open Prompting bewusst Offenheit im Umgang mit KI-Sprachmodellen fördern soll, wäre es widersprüchlich, hierfür eine starre Schritt-für-Schritt-Anleitung zu formulieren. Stattdessen möchte ich drei Herangehensweisen vorstellen, mit denen ich gute Erfahrungen mache:

1. Generierung ungewöhnlicher Assoziationen versuchen

Ungewöhnliche Assoziationen zu erzeugen ist vermutlich der naheliegendste Weg, um Offenheit beim Einsatz von generativen KI-Modellen zu erreichen – und es lässt sich auch sehr einfach umsetzen. Ich frage KI-Sprachmodelle beispielsweise gerne nach einer Liste von 20 ungewöhnlichen und unerwarteten Assoziationen zu einem bestimmten Thema. Die erste generierte Liste ist oft noch recht konventionell, aber mit einem Folgeprompt wie „Das ist noch zu offensichtlich und nicht kreativ genug. Versuch es nochmal!“ kommen oft wirklich verrückte Ideen heraus.

Ein Beispiel dazu ist das Thema „OER und KI“. Während die ersten erfragten ‚ungewöhnlichen und unerwarteten Assoziationen‘ recht bodenständig waren, kamen beim Nachprompten absurde Ideen wie:

  • Eine KI, die versucht, jedes Thema aus den OER in einem einzigen explosiven Haiku auszudrücken, das plötzlich aus deinem Bildschirm aufsteigt wie ein Geysir.
  • OER-Inhalte präsentiert durch eine virtuelle KI-Zirkustruppe, die Wissen nur während waghalsiger Kunststücke auf Einrädern weitergibt.
  • Eine KI, die OER-Inhalte durch flüsternde Zimmerpflanzen vermittelt, die nur zu dir sprechen, wenn du ihnen schüchterne Komplimente machst.

Solch scheinbar unsinnige Ideen regen im eigenen Kopf oft weitere kreative Gedanken an und können letztlich zu innovativen Lernangeboten führen. (Beim OERcamp in Essen wirst du das live erleben können: Die oben beschriebenen KI-Chats dienten als Grundlage für eine, wie ich finde, äußerst inspirierende Gestaltung einer dort nun geplanten Community-Beratschlagung zu OER und KI. Du musst aber keine Sorge haben: Wir haben natürlich noch ein konvergentes Denken angeschlossen und werden deshalb weder Zirkus-Akrobatik machen, noch Haikus dichten, noch mit Zimmerpflanzen sprechen 🙃)

Inzwischen habe ich mir solch eine Quatsch-Generierung von unerwarteten Assoziationen fast schon als Standard angewöhnt, wenn ich Anfragen zu neuen Themen erhalte. Besonders wertvoll wird sie, wenn man sich bewusst die Offenheit bewahrt, beim Durchlesen der mit dem Open Prompting generierten Ideen in ungeplante Richtungen weiterzudenken, die auf den ersten Blick nichts mit der eigentlichen Anfrage zu tun haben. Gerade dann entstehen oft die besten Ideen.

2. Kreativitätstechniken als Prompts formulieren

Eine strukturiertere Form des Open Promptings ist der Einsatz von Kreativitätstechniken. Kreativitätstechniken sind oft einfache, aber äußerst wirkungsvolle methodische Ansätze, die darauf abzielen, das Denken zu öffnen und neue Ideen zu fördern. Sie funktionieren besonders gut in Gruppen, da durch die Zusammenarbeit von vielen oft deutlich mehr kreative Impulse entstehen, als wenn man allein arbeitet. Generative KI-Sprachmodelle können hier eine spannende Ergänzung sein, denn sie ermöglichen es, diese Kreativitätstechniken sowohl allein als auch im Team anzuwenden, wodurch sie noch vielseitiger und zugänglicher werden.

Hier sind ein paar Beispiele, wie solche Kreativitätstechniken in der Praxis aussehen können:

  • Kopfstand-Technik: Beschreibe einem KI-Sprachmodell, was du erreichen möchtest, und lass es dann 10 Ideen entwickeln, mit denen dein Ziel garantiert grandios scheitern würde.
  • ABSURD-Technik: Formuliere eine Herausforderung und frage nach, wie man sie vielleicht vor hundert Jahren gelöst hätte, wie sie in der Zukunft gelöst werden könnte, wie man sie lösen würde, wenn Geld keine Rolle spielt, was eine freiberuflich arbeitende Pädagogin im Digitalisierungskontext auf keinen Fall tun würde (meine persönliche Lieblings-Variante von ABSURD!) oder was möglich wäre, wenn eine Fee einem drei Wünsche erfüllen würde …
  • Kombi-Technik: Frage, was herauskommen könnte, wenn man ein Thema mit einem anderen völlig unterschiedlichen Thema kombiniert (oder ein Thema mit einem zufälligen Gegenstand, z.B. OER und eine Stechmücke).

Grundsätzlich funktioniert hier alles, was an Kreativitätsmethoden zur Öffnung des Denkens im Internet kursiert (oder was dir ein KI-Sprachmodell dazu vorschlagen kann). Und es macht sehr viel Freude, damit zu experimentieren.

3. Bewusst unsystematische Prompts mit einer offenen Haltung schreiben

Die dritte Möglichkeit ist ein bewusst unsystematisches Prompting. Während du beim klassischen Prompting, d.h. zur Entwicklung von Antworten oft Schemata und klare Regeln nutzen kannst (zum Beispiel: Längere Prompts führen zu besseren Ergebnissen! Definiere klar das gewünschte Format des Outputs! Weise der KI eine spezifische Rolle zu, die sie übernehmen soll! …), geht es beim offenen Prompting darum, diese Regeln bewusst außer Acht zu lassen und einfach mal zu sehen, welche Ergebnisse die KI auf eine spontane Eingabe liefert. Vielleicht probierst du es aus, indem du nur Stichpunkte eingibst, eine lange und noch sehr unsystematische ‚Sprachnachricht‘ einsprichst oder die eigentliche Herausforderung absichtlich sehr vage hältst.

Ich mag es zum Beispiel gerne, gefundene Inhalte (z.B. einen Blogbeitrag oder ein Podcast-Transkript) ohne weiteren Kontext oder spezifische Fragen in ein KI-Sprachmodell einzugeben und zu beobachten, was es daraufhin ‚plappert‘. Manchmal kommen dabei durchaus bedenkenswerte und weiterführende Inhalte heraus, manchmal interessante Rückfragen zum Inhalt und manchmal auch einfach nur eine Wiederholung des Inhalts in anderen Worten. In jedem Fall bietet die Technik eine gute Gelegenheit, den ursprünglichen Inhalt aus einer neuen Perspektive zu betrachten.

Im Kontext der KI-Bildgenerierung gehe ich ähnlich vor und frage bewusst nach Visualisierungen zu abstrakten Begriffen – gerade wenn es sich um weniger verbreitete Begriffe handelt, bei denen die KI auf keine standardisierte Darstellung zurückgreifen kann.

Ein Beispiel dazu: Wenn ich eine Visualisierung des Begriffs ‚Wissenstransfer‘ suche, würde ich normalerweise in einem Prompt für ein KI-Bildgenerierungstool genau beschreiben, was auf der Darstellung zu sehen sein soll. Ein möglicher, präziser Prompt könnte etwa lauten: ‚Menschen, die Samen in ein Feld pflanzen‘, um das Konzept des Wissenstransfers bildlich darzustellen. Alternativ und im Kontext eines Open Prompting könnte ich aber auch einfach ‚Wissenstransfer im bunten Comic-Stil‘ eingeben und mich überraschen lassen, was dabei herauskommt.

In meinem Fall war es dieses Bild:

Von Midjourney generiertes Bild zum Prompt: knowledge transfer in colorful cartoon style

Das ist ganz sicher keine geeignete Visualisierung, die ich zum Beispiel in einem Online-Kurs zu Wissenstransfer als Teaser-Bild verwenden könnte. Aber sie eignet sich hervorragend, um mich oder andere, mit denen ich zu diesem Thema lernen möchte, zum Nachdenken und ins Gespräch zu bringen. Ich könnte mich fragen: Was hat Wissenstransfer mit Monstern zu tun? Warum zerfließen die Farben? Wofür stehen die Glubschaugen, die Zähne und die Rüssel? …

In einer Lernveranstaltung könnte ich dieses Bild zum Einstieg im Rahmen eines Speed-Datings präsentieren. Die Frage dazu könnte lauten: ‚Auf dem Bild seht ihr, wie Midjourney Wissenstransfer visualisiert hat. Was erinnert euch dabei an die Art und Weise, wie ihr Wissenstransfer in eurer Arbeit erlebt?‘

Fazit

Open Prompting bereitet mir schon seit längerem große Freude, und ich plane, es künftig noch häufiger auch bewusst als Inhalt in KI-Lernangeboten zu thematisieren und damit zu experimentieren. Vielleicht inspiriert dich dieser Blogbeitrag ebenfalls dazu. Wenn du eigene Ideen oder Erfahrungen zum Open Prompting hast, freue ich mich sehr, davon zu lesen.


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