Der heutige Tag fällt in die Kategorie: „Wow! Das hat alles so viel Freude gemacht und einfach perfekt geklappt!“ 🙂
Ich war bei der Alice-Salomon-Schule in Hannover zu einem Lerntag zur Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). Ich kannte das Kollegium bereits von meinem letzten Besuch dort. Dieser war im Februar, und damals haben wir das Thema Künstliche Intelligenz erkundet. Ich wusste somit, dass ich es mit einem sehr aufgeschlossenen und kollaborativ arbeitenden Kollegium zu tun hatte. Dementsprechend haben wir in der Vorbereitungsgruppe den Tag sehr interaktiv und vielfältig angelegt.
Meine Challenge: eine komplett papierfreie Konzeption
Ich hatte Freude daran, in der Konzeption und Vorbereitung viele Dinge neu auszuprobieren. So etwas traue ich mich vor allem dann, wenn ich die Teilnehmenden einer Veranstaltung als sehr ‚fehlerfreundlich‘ einschätze. Insbesondere habe ich mir die persönliche Challenge gestellt, den Austausch und das Lernen ganz ‚papierfrei‘ zu gestalten, was mir zum Thema BNE sehr passend erschien. Dabei wollte ich digitale Tools so einsetzen, dass nicht alle isoliert vor ihren Geräten sitzen, sondern dass die Tools immer mit einer Aufforderung zum Austausch konzipiert sind.
Demzufolge gibt es nun – neben der Konzeption, die ich in diesem Blogbeitrag teile – viele gestaltete Mini-Tools. Sie können direkt ohne weitere Änderungen auch in anderen Lernangeboten verwendet werden. Empfehlenswerter finde ich jedoch, die Tools gezielt für die jeweilige Lernsituation anzupassen. Technisch versierte Menschen können das direkt angehen. Für alle anderen schreibe ich dazu noch eine Anleitung.
Unser Rahmen: Winkgewusel
Von meinem Besuch in Rostock am Samstag habe ich das ‚Winkgewusel‘ für Einstieg und Abschluss abgeschaut. Dabei steht die Vorbereitungsgruppe auf der Bühne und stellt Fragen, um in den Tag einzuleiten oder den Tag abzuschließen. Beispiele: Wer ist heute Morgen mit dem ÖPNV gekommen? Oder zum Abschluss: Wer nimmt eine konkrete Unterrichtsidee zu BNE vom heutigen Tag mit? Die Personen, auf die die Frage zutrifft, winken.
Ich mag die Methode, weil sie mehrere Fliegen mit einer Klappe schlägt:
- Die Vorbereitungsgruppe steht gemeinsam auf der Bühne. Alle wissen, wer verantwortlich ist, aber man hat nicht eine oft eher langwierige Vorstellungsrunde von allen.
- Die Teilnehmenden werden inhaltlich eingeführt und sind direkt aktiv.
- Die Gruppe lernt sich untereinander ein bisschen kennen und findet erste Orientierung.
Interaktiver Murmelrunden-Vortrag: Was ist BNE?
Im Anschluss an das Winkgewusel hatte ich die Aufgabe, in das Thema BNE einzuführen. Mir ist bei solchen grundlegenden Einstiegen immer wichtig, dass ich die Teilnehmenden nicht mit ganz vielen Inhalten ‚erschlage‘, sondern ihnen sehr zugänglich die wichtigsten Aspekte mitgebe und ihnen in einer Murmelrunde direkt die Möglichkeit zur Rekapitulation und Ergänzung gebe. Für das Thema BNE habe ich diese fünf Aspekte vorgestellt:
- Die Herkunft des Begriffs Nachhaltigkeit aus der Forstwirtschaft: Nicht mehr Bäume fällen, als nachwachsen.
- Die 17 Ziele der Vereinten Nationen als grundsätzliche inhaltliche Grundlage.
- Das Dreieck der Nachhaltigkeit zum Umgang mit Zielkonflikten.
- Die Unterscheidung zwischen Mikro-, Meso- und Makro-Ebene als unterschiedliche, miteinander verbundene Handlungsebenen.
- Der Fokus auf die Gestaltungskompetenz in der Bildung für nachhaltige Entwicklung.
Quiz zu Gestaltungskompetenz
Den Aspekt der Gestaltungskompetenz haben wir anschließend noch weiter vertieft. Zunächst habe ich dazu die wichtigsten BNE-Gestaltungskompetenzen nacheinander ganz kurz vorgestellt:
- Weltoffen und neue Perspektiven integrierend Wissen aufbauen.
- Vorausschauend Entwicklungen analysieren und beurteilen können.
- Interdisziplinär Erkenntnisse gewinnen und handeln.
- Risiken, Gefahren und Unsicherheiten erkennen und abwägen können.
- Gemeinsam mit anderen planen und handeln können.
- Zielkonflikte bei der Reflexion über Handlungsstrategien berücksichtigen können.
- An kollektiven Entscheidungsprozessen teilhaben können.
- Sich und andere motivieren können, aktiv zu werden.
- Die eigenen Leitbilder und die anderer reflektieren können.
- Vorstellungen von Gerechtigkeit als Entscheidungs- und Handlungsgrundlage nutzen können.
- Selbstständig planen und handeln können.
- Empathie für andere zeigen können.
Anschließend waren die Teilnehmenden zu einem Gestaltungskompetenz-Quiz eingeladen. Sie konnten sich dazu eine fiktive pädagogische Situation anzeigen lassen und dann mit Nebensitzer*innen beratschlagen, zu welcher Gestaltungskompetenz diese Situation passt. Die Situationen waren dabei sowohl so formuliert, dass die jeweilige Gestaltungskompetenz sehr gut umgesetzt wurde, als auch gar nicht.
An vielen Stellen ließen sich die pädagogischen Situationen natürlich auch mehreren Gestaltungskompetenzen zuordnen. Darum war das ‚Quiz‘ auch eher mit einem Augenzwinkern gedacht. Das Ziel war weniger die ‚richtige‘ Zuordnung, als vielmehr die Reflexion über die Kompetenzen.
Meine fiktiven pädagogischen Situationen zur Gestaltungskompetenz habe ich für die berufliche Bildung formuliert, da die Alice-Salomon-Schule eine berufliche Schule ist. Für diesen Bereich lässt sich das Gestaltungskompetenz-Quiz direkt weiterverwenden. Für allgemeinbildende Schulen habe ich eine Remix-Version erstellt.
Troika-Consulting zu BNE-Bedenken
Im dritten und letzten Teil des interaktiven Murmelrunden-Vortrags bin ich auf mögliche Bedenken zu BNE eingegangen, die sich im Kollegium stellen können. Meine vorgestellten Bedenken waren:
- “Ich bin in der Schule politisch neutral!”
- “Das hat mit meinen Fächern nichts zu tun!”
- “Meine Aufgabe ist es, Lernende auf ihre Prüfungen vorzubereiten.”
- “Dazu habe ich keine Zeit!”
- “Davon habe ich keine Ahnung!”
Ich mag es sehr gerne, fiktive Personen, denen ich solche Bedenken in den Mund lege, im Pixar-Stil darzustellen. Hier ist ein Beispiel:
Anschließend waren die Teilnehmenden eingeladen, zunächst für sich selbst ihre Bedenken zu formulieren (oder in eine fiktive Rolle zu schlüpfen). Über diese Bedenken wurde dann in einer Troika-Beratung gesprochen:
- Die erste Person stellte ihre Bedenken vor, drehte sich dann weg und hörte nur noch zu.
- Die anderen beiden berieten, was die Person vielleicht doch von BNE überzeugen könnte.
- Danach waren Person 2 und Person 3 mit der Vorstellung ihrer Bedenken an der Reihe.
Ich mag die Troika-Beratung (neben vielen weiteren möglichen Einsatzzwecken) sehr gerne auch in dieser Situation, weil man hier sehr gut aus unterschiedlichen Perspektiven auf mögliche Bedenken blicken kann und mit dem Wegdrehen in der Beratung eine recht offene Kommunikation ermöglicht wird.
Reflexion zu ‚Wie können wir‘-Fragen?
Im nächsten Schritt wollten wir das Thema BNE unter einer breiteren Perspektive betrachten. Es war ein expliziter Wunsch in der Vorbereitungsgruppe, dass das Thema in Kombination mit verbindenden Themen wie Digitalisierung, Offenheit oder Future Skills betrachtet wird. Wir hatten dazu im Vorfeld mehrere Leitfragen als ‚Wie können wir …‘-Fragen überlegt:
- Wie können wir gemeinsam mit anderen Lernen entwickeln, d. h. Teamplayer sein statt Einzelkämpfer?
- Wie können wir in unserer pädagogischen Haltung auf ein Growth Mindset orientieren? (Nicht: Das kannst du nicht, sondern: Das kannst du noch nicht.)
- Wie können wir auf die Ideen und Inhalte von anderen aufbauen, anstatt das Rad immer wieder neu zu erfinden?
- Wie können wir eine positive Fehlerkultur vorleben und auch umsetzen?
- Wie können wir uns mit anderen Schulen und Kolleg*innen vernetzen und voneinander lernen?
- Wie können wir die digitale Lebenswelt unserer Schüler*innen beim Lernen aufgreifen und berücksichtigen und zugleich auf digitale Mündigkeit und Medienkompetenz orientieren?
- Wie können wir für uns und mit unseren Schüler*innen einen gestaltenden Blick auf Veränderungen entwickeln?
Um eine intensive Diskussion zu ermöglichen, wurde jede Frage zweimal angeboten und jeweils von einer Person aus dem Kollegium betreut. Die Teilnehmenden konnten bei der Frage mitdiskutieren, die sie am meisten ansprach.
Ich mag solche Programmpunkte, bei denen ganz bewusst deutlich gemacht wird: Es gibt hierzu keine feststehende Antwort. Wir müssen selbst die für uns passenden Antworten entwickeln!
Die Ergebnisse der Diskussionen wurden protokolliert und werden nun von der BNE-Gruppe an der Schule ausgewertet.
BNE-Quartett zur Entwicklung von Unterrichtsideen
Nach einer Kaffeepause teilten sich die Teilnehmenden selbstständig in kleinere Gruppen mit ca. fünf Personen auf. Man sollte sich dabei mit Menschen zusammenschließen, mit denen man gemeinsam eine Unterrichtsidee zu BNE erarbeiten und umsetzen wollte. Das konnten somit fachlich homogene Gruppen oder auch bewusst fächerübergreifende Gruppen sein. Als Material erhielten die Teilnehmenden ein digitales BNE-Quartett.
Hier gab es vier Kartenstapel:
- zu inhaltlichen Themen
- zu Gestaltungskompetenzen
- zu Ressourcen
- und zu Lernformaten.
Jede Person war für einen Kartenstapel verantwortlich und konnte darin beliebig nach Karten suchen und diese ausspielen. Die anderen machten das mit ihren Kartenstapeln genauso. Das Ziel war es, gemeinsam Unterrichtsideen zu entwickeln, in denen möglichst Karten von allen Stapeln berücksichtigt wurden und dabei über unterschiedliche Möglichkeiten miteinander ins Gespräch zu kommen.
Wir hatten für diesen Teil eine gute Stunde Zeit. Ich hatte den Eindruck, dass hier am konkretesten gearbeitet wurde. Von vielen habe ich gehört, dass sie direkt umsetzbare Ideen mitnehmen und in den nächsten Wochen ausprobieren wollen.
Wenn man diese Methode individuell nutzen will, dann lässt sich solch ein BNE-Quartett auch sehr gut mit H5P umsetzen:
Kartenaustausch zum Whole School Approach
Nachdem am Vormittag der Fokus eher auf die Unterrichtsentwicklung lag, betrachteten wir nach der Mittagspause das Thema Schulentwicklung und BNE. Dazu nahmen wir den sogenannten Whole School Approach in den Blick.
Ich hatte mit meinem bereits schon länger entwickelten Kartenaustausch-Tool einen Kartenaustausch zum Whole School Approach unter Berücksichtigung der beruflichen Bildung vorbereitet. Das Tool passte zu meinem ‚papierfreien‘ Anspruch hier ausgezeichnet. Die Teilnehmenden erhielten einen guten Eindruck davon, was alles zum Whole School Approach gehört – und kamen nun auch noch einmal mit mehr Personen aus dem Kollegium in Austausch.
Ideenentwicklung: Kopfstand + Triz + Troika
Ich bin ein großer Fan von Methoden-Mixing. Das habe ich beim heutigen Tag wieder einmal gemacht. Dieses Mal mixte ich die Kopfstand-Methode (= Was wäre die dümmstmögliche Idee?), mit der TRIZ-Methode (= Was machen wir vielleicht schon ein bisschen in diese dumme Richtung, und wie könnten wir das ändern?) und der Troika-Beratung (wie oben beschrieben).
Praktisch sah die Methode dann folgendermaßen aus:
- Jede Person überlegte für sich eine dümmstmögliche Idee, was man tun könnte, um den Whole School Approach garantiert scheitern zu lassen. Sie stellte ihre Idee zwei anderen Personen vor und drehte sich dann weg.
- Die beiden Personen beratschlagten darüber, was von dieser dümmstmöglichen Idee vielleicht schon ein bisschen gemacht wird und wie man das ändern könnte.
- Dann folgten die nächsten beiden Runden.
Das Zuhören und Beratschlagen bereitete auf den nächsten Schritt vor: die Entwicklung eigener Ideen zum Whole School Approach.
BrainstormRank: Ideen sammeln und sich dazu austauschen
Im letzten Schritt ging es um eine eigene Ideenentwicklung. Mein Ziel war es hier, nicht einfach nur Ideen digital zu sammeln und dann individuell bewerten zu lassen, sondern die Bewertung mit einem intensiven Austausch zu verbinden. Ich habe dazu das Tool BrainstormRank entwickelt, das wir heute als Prototyp getestet haben.
Kurz erklärt funktioniert das Tool folgendermaßen:
- Die Nutzenden gelangen zunächst zu einer Startseite, auf der sie aufgefordert werden, eine Idee einzutragen.
- Wenn sie die Idee einsenden und zu den ersten 20 Personen mit einer Einreichung gehören, werden sie zunächst noch aufgefordert zu warten, bis mehr Ideen da sind.
- Ab 20 eingereichten Ideen startet das Voting. Die Nutzenden bekommen per Zufall eine der eingereichten Ideen angezeigt. Die Aufgabe ist es, sich mit einer anderen Person auszutauschen, die ebenfalls eine Idee angezeigt bekommt.
- Gemeinsam überlegt man sich, welche Idee besser und welche schlechter ist, oder entscheidet sich für unentschieden.
- Nach dem Voting wird eine neue Zufallsidee angezeigt, und ein neues Gespräch zur Bewertung wird gesucht.
Ich mag an diesem Tool vor allem die Besser/Schlechter-Eingruppierung von Ideen. Dadurch erhält der Austausch einen spielerischen Charakter, weil Teilnehmende natürlich zunächst immer versuchen, für die bei ihnen angezeigte Idee zu werben.
Zum Abschluss können die 10 bestplatzierten Ideen angezeigt werden. Über ein Admin-Panel können alle eingereichten Ideen heruntergeladen und weiter bearbeitet werden.
Du kannst dir das Tool hier anschauen, es testweise ausprobieren und auch dein eigenes Tool remixen. Auf der To-Do-Liste steht noch, die Anzeigen gleichmäßiger zu gestalten und die Berechnungen für die Platzierungen noch einmal zu überprüfen. Trotz dieser noch bestehenden Fehler war dieses Tool mein Tages-Highlight, weil ich es eine sehr coole Sache finde, Ideensammlung und Bewertung auf diese Weise mit einem spielerischen Austausch zu verbinden.
Fazit
Beim abschließenden ‚offenen Mikro‘ gab es durchweg begeisterte Stimmen. Gelobt wurden die Methodenvielfalt, die Kurzweiligkeit, die Ergebnisorientierung und die weiter nutzbaren Tools. Mir hat der Tag auch sehr viel Freude gemacht. Herzlichen Dank an alle Beteiligten! Ich freue mich über Anfragen von weiteren experimentierfreudigen Teams – und natürlich auch solchen, die das erst noch werden wollen 🙂
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