Peer-to-Peer Lerntag als niederschwelliges Lernformat für eine Kultur des Teilens

In diesem Blogbeitrag möchte ich das Lernformat ‘Peer to Peer-Lerntag’ vorstellen. Es handelt sich dabei um ein Lernformat, das – bei aller gewünschten Offenheit – durch relativ enge Vorgaben und ausgelagerte Vor- und Nachbereitung einen niederschwelligen Einstieg ins Peer-to-Peer Lernen bietet. Er eignet sich gut, um Organisationen auf den Weg zu einer Kultur des Teilens zu unterstützen und durch konkretes Erleben vielleicht auch eher skeptische/ zögerliche Menschen davon zu überzeugen.

Ich habe das Format für das Pädagogische Landesinstitut in Rheinland Pfalz konzipiert und durchgeführt. Hier teile ich unser Vorgehen – inklusive Textbausteine und Anleitungen zum direkten Weiternutzen. Der Blogbeitrag stellt meine persönliche Auswertung dar.

Wie funktioniert ein Peer-to-Peer Lerntag?

Bei einem Peer-to-Peer Lerntag nimmt sich ein Kollegium einen Tag lang Zeit für eine Fortbildung, zu der keine externen Referentinnen und Referenten für inhaltliche Themen eingeladen werden. Im Vorfeld werden für den Tag ‘Lernwünsche’ gesammelt. Jede Person kann einreichen, für welche Lernherausforderungen sie den Lerntag gerne nutzen will.

Alle Lernwünsche werden von einer Vorbereitungsgruppe gesichtet, wo sinnvoll gruppiert und in möglichst einfache Fragen formuliert (z.B. Wie nutze ich Excel? Wa sind didaktische Ideen zur Tablet-Nutzung? Wie geht HTML in Moodle? …). Die Fragen werden auf drei (oder mehr) Lernzeiten aufgeteilt, die den Kern des Programms darstellen. In jeder Lernzeit gibt es mehrere Fragen parallel, die jeweils in Kleingruppen beraten werden. Die Teilgebenden wählen die Frage aus, die sie am meisten interessiert und/ oder zu der sie am meisten beitragen können. Das muss nicht zwingend der Lernwunsch sein, den sie ursprünglich eingereicht haben.

Der Ablauf in den Kleingruppen erfolgt selbstorganisiert. Hierfür wird ein zeitliches Raster vorgegeben:

  1. CheckIn (5 Minuten): Wer moderiert? Wer schreibt mit? Wer hat die Zeit im Blick? Wer ist hier mit welchem Anliegen? (Letzteres erfolgt in einer 1-Satz Vorstellung: Ich bin — aus — und mein Bezug zur Frage ist —)
  2. Beratschlagung (35 Minuten): Wer kann welche Idee / Erfahrung teilen? Wer hat welche Frage? Wo und wie finden wir weitere Antworten?
  3. CheckOut (5 Minuten): Wollen wir gemeinsam weiterlernen? Wenn ja: Wie? Was brauchen wir von unserer Institution zum Weiterlernen?

Natürlich können Gruppen von diesem Raster abweichen. Da es aber – anders als beim Barcamp mit Sessiongeber:innen – keine Verantwortlichen für die jeweilige Frage gibt, ist es durchaus empfehlenswert, sich an diesem Raster zu orientieren.

Wie sieht der Ablauf eines Peer-to-Peer Lerntages aus?

Der gesamte Fortbildungstag startet nicht direkt mit einer ersten Lernzeit. Zuerst sollte man sich Zeit nehmen, um das Format und den Ablauf des Tages zu erklären. Nach den Lernzeiten treffen sich noch einmal alle gemeinsam im Plenum und werten den Tag aus. Hier kann dann auch ’eingesammelt’ werden, was sich im Kollegium für zukünftige Peer-to-Peer Lernprozesse gewünscht wird.

Insgesamt kann der Ablauf eines solchen Tages also z.B. folgendermaßen aussehen:

  • 9.00 Uhr: Ankommen
  • 9.30 Uhr: Begrüßung, Einführung und Erläuterung
  • 10.30 Uhr: Pause
  • 11.00 Uhr: Lernzeit 1
  • 11.45 Uhr: Mini-Pause
  • 12.00: Lernzeit II
  • 12:45 Uhr: Mittagspause
  • 14.00 Uhr: Lernzeit III
  • 14:45 Uhr: Mini-Pause
  • 15.00 Uhr: Gemeinsamer Abschluss und Auswertung

Warum ist dieses Format hilfreich? Wo liegen Potentiale?

Ich mag das Format vor allem aufgrund der niederschwelligen Beteiligungsmöglichkeiten, dem Fokus auf echte und damit oft auch kleinere Lernherausforderungen, dem praktischen Erleben einer Kultur des Teilens und weil sich damit wunderbar weiterplanen lässt, was es an der jeweiligen Institution zur Unterstützung von Peer-to- Peer Lernen braucht. Außerdem kann damit sehr gut ein bereichsübergreifender Austausch angeregt werden.

1. Niederschwellige Beteiligung

Das Format ermöglicht es sehr einfach, einen ‘Lernwunsch’ einzureichen, der an diesem Tag berücksichtigt wird. Für die einreichenden Personen entstehen dadurch keine weiteren Verpflichtungen: Sie müssen später ihren Lernwunsch nicht im Programm auswählen. Vor allem aber werden sie durch die Einreichung des Lernwunsches nicht automatisch verantwortliche Person für die Frage in der Lernzeit. So können sich auch die Menschen mit ihren Themen beteiligen, die sich nicht unbedingt zutrauen, Verantwortung für eine Session zu tragen.

2. Fokus auf ’echte’ Lernherausforderungen:

Durch die sehr niederschwellige Beteiligung entsteht ein sehr realistisches Bild zu allen Lernherausforderungen, die tatsächlich im Kollegium bestehen. Damit setzt dieses Lernformat einen anderen Fokus, als ein Barcamp: Während bei einem Barcamp oft diejenigen im Fokus stehen, die etwas weiterzugeben haben, etwas berichten oder zeigen wollen, wird das Programm bei diesem Format eher von denjenigen gestaltet, die Fragen haben. (Damit will ich nicht sagen, dass das Format besser sei als ein Barcamp. Es ist anders – und ich glaube, dass je nach Situation ausgewählt werden sollte, was gerade hilfreicher oder besser passend ist).

3. Kultur des Teilens erleben

Bei unserer Durchführung am Pädagogischen Landesinstitut in Rheinland-Pfalz war festzustellen, dass viele vermeintlich ’einfache’ Lernwünsche eingereicht wurden. Beispielsweise Fragen zur neuen Telefonanlage oder Ideen für besseres Zeitmanagement. Am besten lassen sich diese Lernwünsche vielleicht als ‘Alltagslernen’ charakterisieren – also als Herausforderungen, auf die man immer wieder im Alltag stößt. Gerade hier bietet es sich dann an, dass gelernt wird, ‘sich selbst zu helfen’, d.h. zu lernen, dass und wie man gemeinsam mit Kolleg:innen nach Lösungen suchen kann, anstatt auf eine externe Fortbildung zu warten. Oder auch die eigenen Fragen mit Kolleg:innen sehr konkret zu formulieren, so dass dann zielgerichtet mit externer Expertise geholfen werden kann. Auf diese Weise kann während dieses Lernformats eine Kultur des Teilens sehr konkret erlebt und eingeübt werden.

4. Weiterplanung und strukturelle Veränderungen

Das konkrete Erleben einer Kultur des Teilens bietet die Basis, um auch im Anschluss voneinander und miteinander weiterzulernen. Neben dem konkreten Lernen ermöglicht das Format zugleich in der Abschlussrunde, die dazu nötigen Bedarfe zu erfragen. Diese können dann als ‘Hausaufgaben’ für eine dafür verantwortliche Gruppe oder die Leitungsebene mitgenommen werden, um passende, zielgerichtete strukturelle Änderungen in der Organisation vorzuschlagen.

5. Bereichsübergreifender Austausch

Bei unserer Durchführung am Pädagogischen Landesinstitut waren Menschen mit unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen beteiligt: etwa aus der Pädagogik, der Verwaltung, der Öffentlichkeitsarbeit oder dem Veranstaltungsmanagement. Durch die niederschwellige Einreichung von Fragen wurde hier in sehr vielen Fällen ein bereichsübergreifender Austausch angeregt.

Was sind hilfreiche Tipps zur Umsetzung?

Bei der Durchführung am Pädagogischen Landesinstitut in Rheinland-Pfalz haben sich vor allem die folgenden Aspekte als hilfreich herausgestellt:

1. Einfacher Aufruf zur Lernwunsch-Einreichung

Wir haben die Lernwünsche der Teilnehmenden einfach als Kommentare unter einem Beitrag gesammelt. Zur Erläuterung haben wir (neben einem kurzen Intro-Video) folgendes geschrieben:


Der Lerntag ist ein Angebot an Dich, um selbstbestimmt und gemeinsam mit Kolleg:innen zu lernen und Dich auszutauschen. Du profitierst besonders gut von dem Tag, wenn Du Deine eigenen Themen mitbringst.

Überlege Dir also vorab:

  • Für welche Lernherausforderung möchtest Du den Tag nutzen?
  • Wozu möchtest Du gemeinsam mit anderen lernen?
  • Worüber möchtest Du Dich austauschen?

Du erleichterst unsere Planungen, wenn Du Deinen Lernwunsch bis spätestens xxx hier als Kommentar einträgst. Vielen Dank!


Die Lernwünsche konnten anonym oder mit Namen eingetragen werden.

2. Freiwilligkeit bei der Teilnahme

Die Teilnahme war in unserem Fall freiwillig, wurde aber durch mehrere Faktoren unterstützt:

  • Die Leitung begrüßt das Format und empfiehlt die Teilnahme.
  • Mehrere Personen aus der Organisation sind aufgeschlossen, an der Vorbereitung beteiligt und machen Werbung.
  • Es gibt an dem Tag keine Konkurrenz-Aktivitäten.
  • Die Idee wird im Vorfeld einfach kommuniziert – z.B. durch ein kurzes Vorstellungsvideo.
  • Allen wird (insbesondere zeitlich) eine Teilnahme ermöglicht.

Diese Kriterien lassen sich auch dadurch unterstützen, dass nicht zu einen ‘Fortbildungstag’ eingeladen wird. Stattdessen bekommen alle, die möchten ‘gemeinsame Lernzeit geschenkt’.

3. Kollaborativer Mitschrieb

Für jede Frage haben wir einen kollaborativen Mitschrieb in Form eines Etherpads eingerichtet. Die Vorstruktur orientierte sich dabei am vorgegeben zeitlichen Raster der einzelnen Lernzeiten.

❓FRAGE

  • Moderation:
  • Mitschrieb:

🗨️ Das haben wir besprochen/ gelernt / diskutiert / gefunden:

💡 Das ist uns fürs Weiterlernen wichtig:

⭐ Weitere Notizen:

Dieser Mitschrieb ist sowohl für die Nachbereitung der Leitungsebene bzw. der verantwortlichen Gruppe für das Peer-to-Peer Lernen hilfreich. Außerdem können Teilnehmende die Diskussionen und geteilten Informationen nachlesen.

4. Strukturierte Einführung mit Ausprobieren

Zum Auftakt in den Tag, war es uns wichtig, dass wir die Idee und das Vorgehen möglichst einfach erklären. Wir sind dabei so vorgegangen, zunächst drei Regeln zu formulieren, dann einen Ablauf in einer Lernzeit, dann den oben erwähnten kollaborativen Mitschrieb – und dies alles dann vor allem auch praktisch auszuprobieren.

Die Regeln setzten den Rahmen für den Tag:

  1. Es gilt das pädagogische Du
  2. Wir lernen von- und miteinander
  3. Wenn niemand eine Antwort hat, machen wir uns gemeinsam auf die Suche.

Auch die Anleitung zum Vorgehen in einer Lernzeit haben wir möglichst einfach formuliert:

  1. Jeweils zur vollen Stunde wählst Du die Frage, die Dich am meisten interessiert.
  2. Du betrittst den entsprechenden Breakout Raum pünktlich (gerne schon ein paar Minuten vorher).
  3. Du beteiligst Dich am gemeinsamen Lernen.
  4. Spätestens und ‘zehn vor um’ wird der BreakOut Raum geschlossen
  5. Du nimmst Dir eine Pause – und startest wieder bei 1.

Das Ausprobieren gestalteten wir so, dass wir 8 Smalltalk-Fragen (z.B. Was gab es zum Frühstück? Worauf freue ich mich im Sommer? Was läuft im Kino? …) formulierten und diese als exemplarische Lernzeit einblendeten. Lernende waren eingeladen, die Frage zu wählen, die sie am meisten interessierte, dazu den entsprechenden BreakOut Raum zu betreten – und CheckIn und Mitschrieb auszuprobieren. Das war nicht nur eine kleine Auflockerung und Kennenlernen, sondern zugleich Lernen, so dass sich alle im weiteren Verlauf des Tages gut zurechtfanden.

5. Einfache Technik

Wir haben den Tag als Online-Angebot durchgeführt. Im Vorfeld des Tages haben wir die Lernwünsche über eine einfache WordPress-Kommentarfunktion gesammelt. Auf der gleichen Seite wurde dann im Vorfeld auch das Programm veröffentlicht. Als Videokonferenzsystem haben wir Big BlueButton genutzt. Während der Lernzeiten haben wir BreakOut Räume eingerichtet. Die Teilnehmenden konnten selbst auswählen, welchen BreakOut Raum sie betreten wollen. Vor Beginn der BreakOut Runden wurden die Links zu den kollaborativen Mitschrieben in den Chat gestellt und auf einer Folie die angebotenen Fragen zur Auswahl angezeigt. Auf diese Weise reichte es für den Tag, dass die Teilnehmenden nur den einen Link zur Videokonferenz parat haben mussten. Alle anderen Informationen erhielten sie dort.

6. Spielerische Motivation zum Mitmachen

Um aktives Lernen zu stärken, haben wir am Morgen des Fortbildungstages zehn Ideen zur Sammlung von ‘Karma-Punkten’ während des Tages verschickt. Die Teilnehmenden konnten sich diese Liste ausdrucken – und immer abhaken, wenn sie eine Herausforderung gemeistert hatten.

  • Ich habe meine Kolleg:innen freundlich im Chat begrüßt
  • Ich habe mich für die Moderation einer Lernzeit gemeldet.
  • Ich habe mich für den Mitschrieb in einer Lernzeit gemeldet.
  • Ich habe einer anderen Person geholfen, die verloren war.
  • Ich habe eine Erfahrung/ Wissen in einer Lernzeit geteilt.
  • Ich habe nachgefragt, wo mir etwas unklar war.
  • Ich habe mich in den Pausen gut um mich selbst gekümmert.
  • Ich habe mich für einen für mich hilfreichen Beitrag bedankt.
  • Ich habe mich an der Auswertung zum Abschluss beteiligt.
  • Ich habe ____ gemacht und damit einen Beitrag zum Lerntag geleistet.

Feedback und Kritik

Insgesamt wurde der Lerntag von den Teilnehmenden positiv aufgenommen. Hervorgehoben wurde die einfache Beteiligung, das gute Miteinander und der spannende und weiterführende Austausch in vielen Lernzeiten. Zur Verbesserung wurde insbesondere angeregt, ob es nicht stärker unterstützt werden können, dass zu einzelnen Fragen doch auch Expert:innen anwesend sein können, da es sonst eher frustrierend und wenig zielführend sein kann, sich ausschließlich selbst auf die Suche nach Antworten zu machen. Hier gilt es aus meiner Sicht abzuwägen zwischen dem Ziel des direkten Lernerfolgs und des übergreifenden Ziels der Stärkung der Selbstlernkompetenz.

Fazit: Ausprobieren!

Mir hat die Konzeption und Durchführung des Formats sehr viel Freude gemacht. Ich empfehle es zum Nachmachen für alle Organisationen, die eine Kultur des Teilens verankern wollen. Den Weg, diese konkret zu erleben und dabei allen eine niederschwellige Beteiligung anzubieten, halte ich für sehr zielführend. Wenn Du Fragen dazu hast oder ähnliches in Deiner Organisation umsetzen willst, dann maile mich gerne an. Ich freue mich auch über Deine Erfahrungen/ Weiterentwicklungen zu lesen. Diskussionen/ Rückmeldungen dazu gerne unter diesem Tweet.


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