Edumail #81: Alles nur geklaut?

Hallo und willkommen zur Edumail Ende Mai 👋

Für meine Arbeit ist es grundlegend, dass ich mich immer erst einmal frage, ob und wie ich auf den Arbeiten von anderen aufbauen kann, statt das Rad ständig neu zu erfinden. Negativ gewendet könnte man daraus den Vorwurf ableiten, dass ich dann ja gar nichts selber mache, sondern alles nur von anderen klaue. Stimmt das?

Ich finde ‚Nein‘. Denn was ich mit meinem ‚auf den Arbeiten von anderen aufbauen‘ versuche, ist erstens Teilen im Sinne eines ‚Sharing is caring‘. Das bedeutet, dass ich nicht vortäusche, dass ich diese Inhalte gestaltet hätte. Stattdessen weise ich auf die entwickelnden Personen hin (= ich gebe Credits) und zeige dadurch Wertschätzung für ihre Arbeit.

Zweitens geht es mir um Remix. Das bedeutet, dass ich die Inhalte nicht einfach nur nutze, sondern (manches Mal kleiner, anderes mal größer) mit meiner eigenen Perspektive, meinen Erfahrungen und meinen Ideen anreichere und sie dann erneut teile.

Die heutige Edumail ist ein praktisches Beispiel für solch ein Teilen und Remix. Nichts davon habe ich ursprünglich selbst gemacht. Alles baut auf den Ideen, Inhalten, Methoden und Tools von anderen auf. Ich hoffe dass du auf diese Weise nicht nur von den eigentlichen Inspirationen profitieren kannst, sondern auch ermutigt und unterstützt wirst, solch ein Teilen und einen Remix mit gutem Gewissen auch in deiner eigenen Arbeit viel mehr umzusetzen. Denn ich bin davon überzeugt, das Teilen und Remix uns alle weiterbringen kann! 🙂

Herzliche Grüße und alles Gute

Nele Hirsch | eBildungslabor
😍 Besseres Lernen dank Liberating Structures: die Methode Troika Consulting!
Die Liberating Structures sind eine Sammlung von Methoden, die auf echte Zusammenarbeit zielen. Damit ist gemeint, dass alle sich mit ihren jeweiligen Perspektiven einbringen können. Ich nutze die Liberating Structures in meinen Workshops sehr viel und sehr gerne. Eine meiner Lieblingsmethoden ist das so genannte Troika-Consulting:

Immer drei Personen finden sich in einer Kleingruppe zusammen.
Eine Person in der Gruppe nimmt im ersten Durchlauf die Rolle einer fragenden Person ein. Sie stellt den anderen beiden z.B. eine Herausforderung vor, vor der sie aktuell steht.
Nach der Vorstellung der Herausforderung dreht sie sich mit dem Rücken zu den beiden anderen (oder schaltet im Online-Kontext ihre Kamera und ihr Mikro aus). Das bedeutet, dass sie nicht mehr aktiver Teil der Kommunikation ist, aber zuhört und sich Notizen machen kann.
Die anderen beiden haben eine festgelegte Zeit (z.B. 4 Minuten) zur Verfügung, um zu der Herausforderung zu beratschlagen. 
Nach Ablauf der Zeit dreht sich die fragende Person zurück und kann ein kurzes Feedback geben, was sie sich aus der Beratschlagung jetzt mit nimmt.

Das strikte Timing in der Methode und vor allem auch das Wegdrehen stößt bei vielen Menschen erst einmal auf Irritation. Gerade diese Aspekte sind es aber, die die Methode für alle Beteiligten so gewinnbringend machen.  Ich habe sehr viele Einsatzmöglichkeiten und Remix-Varianten ausprobiert. Zum Beispiel in der kollegialen Beratung, in Kombination mit einer Persona-Gestaltung (= Was braucht diese fiktive Person zum Lernen?), mit einer Vermischung mit vorab festgelegten Positionen oder mit der Entwicklung eines ersten, konkreten Schritts am Ende eines Lernangebots. Ausführlich habe ich diese und viele weitere Möglichkeiten in meinem Blog beschrieben. Ich kann sehr empfehlen, die Methode auszuprobieren – sei es im Rahmen von Lernangeboten oder in Arbeitszusammenhängen.
Zum Blogbeitrag
🧠 Kritisches Denken mithilfe von Quanten
Ich bin ganz sicher überhaupt keine Expertin für Quantentheorie. Genau darum habe ich mir bei der netzpolitischen Konferenz re:publica, die diese Woche in Berlin stattfand, ganz bewusst zwei Talks dazu angesehen. Nämlich einmal eine Art Einführung von Franz Sitzmann. Anschließend eine sehr spannende Verknüpfung von Quantentheorie und Gender von Celestine Kleinesper.

Ich nehme mit, dass die Beschäftigung mit Quanten (= den kleinsten, möglichen Einheiten einer physikalischen Größe) uns Menschen sehr dazu herausfordern kann, unser Denken weiterzuentwickeln. Das ist dann gar nicht nur für technische Anwendungen wie z.B. Quantencomputer relevant, sondern auch insgesamt für die Art und Weise, wie wir die Welt betrachten.

Das liegt vor allem an einer ziemlich verrückten Eigenschaft von Quanten: der Superposition. Superposition meint, dass Quanten, bevor sie gemessen werden, sich sowohl an dem einen, als auch an dem anderen Ort befinden können bzw. sowohl die eine, als auch die andere Eigenschaft aufweisen können. Bekannt geworden ist diese Eigenschaft durch das Gedankenexperiment von Schrödingers Katze: = eine Katze, die in einem Kasten mit einem Mechanismus sitzt, der sie potentiell töten kann. Wir können in diesen Kasten nicht hineinschauen. Bevor wir den Kasten öffnen, müssen wir in diesem Gedankenexperiment deshalb davon ausgehen, dass die Katze sowohl tot, als auch lebendig ist.

Solche Gedankenexperimente fordern unser Denken heraus. Denn wir neigen dazu, die komplexe Realität, die uns umgibt, zu binarisieren. Für uns ist etwas also meistens entweder gut oder schlecht, entweder richtig oder falsch, entweder schwarz oder weiß … Während solche Binarisierungen häufig durchaus eine Berechtigung haben, um nicht ganz überfordert und handlungsunfähig zu sein, führen sie oft auch zu Verzerrungen und Reduzierungen, die uns nicht weiterhelfen. Denn oftmals ist es durchaus erforderlich, sich mit der Realität in all ihrer Komplexität auseinander zu setzen, anstatt diese einfach weg zu binarisieren, um angemessen mit ihr umgehen zu können. Celestine hat dieses Prinzip am Beispiel Gender aufgezeigt: Hilft es uns weiter, dass wir Menschen in männlich und weiblich einteilen oder müssten wir hier nicht versuchen ‚beyond binary‘ zu gelangen?

Mein Fazit: Ein sehr spannendes Thema und für die Bildung vor allem in Hinblick auf die Schlüsselkompetenz des kritischen Denkens und ein in einer vernetzten Welt benötigtes ‚Sowohl-als-Auch‘-Denken wichtig. Wenn du dich weiter mit dem Thema beschäftigen willst, gibt es auf der Website von Franz Sitzmann eine Zusammenstellung von offen nutzbaren Materialien dazu.
Materialsammlung Quanten
👂 Kurz erklärt: Digitale Mündigkeit und transformatives Lernen
In meinem Mini-Podcast ‚3 Minuten Pädagogik‘, in dem ich Grundbegriffe zu progressiver Pädagogik in maximal drei Minuten zum offenen Weiternutzen erkläre, gibt es zwei neue Folgen. Erstens zum Begriff des transformativen Lernens. Und zweitens zum Begriff der digitalen Mündigkeit. (Und wenn du dich jetzt fragst, was das denn mit Teilen und Remix zu tun hat, dann ist die Antwort darauf ganz einfach: Ich habe mir die Begriffe nicht selbst ausgedacht, sondern Menschen haben sie sich bei mir gewünscht, was für mich in beiden Fällen ein wunderbarer Lernanstoß war. Wenn du dir auch einen Begriff in der Reihe wünschen willst, dann geht das über dieses Formular).
🌉 Fediverse-Bluesky-Brücke: Neue Perspektiven für die Online-Vernetzung in der Bildungs-Bubble!
Ich gestalte meine Online-Vernetzung vorrangig über das Fediverse. Ein dezentrales und demokratisch organisiertes Netzwerk, das einem selbstbestimmten Austausch ermöglicht. Viele andere Menschen haben sich in den letzten Monaten aber (aus meiner Sicht: leider!) nicht für das Fediverse, sondern für Bluesky als ihrem primären Ort der Online-Vernetzung entschieden. Ich habe vor diesem Hintergrund oft den Austausch mit ihnen vermisst! Vor diesem Hintergrund freue ich mich sehr darüber, dass Ryan Barrett eine Art ‚Brücken-Konstruktion‘ zwischen dem Fediverse und Bluesky entwickelt hat, die immer noch in einem sehr frühen Stadium der Entwicklung ist, aber trotzdem schon sehr zufriedenstellend funktioniert. Ich kenne Ryan nicht, aber laut seinem Blog hat er diese (und zuvor auch schon andere Brücken) entwickelt, weil er viel Potential im offenen Web sieht und Austausch unterstützen will. Das finde ich sehr sympathisch. Vielen Dank ❤️ 

Brücke bedeutet, dass die Beiträge nicht einfach in das jeweils andere Netzwerk dupliziert werden (das wäre ein Crossposting). Stattdessen wird der jeweils eigene Account in das andere Netzwerk gespiegelt. Der große Vorteil zu einem Crosspositing ist, dass Austausch untereinander möglich ist. Das bedeutet: Ich kann etwas im Fediverse veröffentlichen, was eine andere Person auf Bluesky lesen kann und worauf sie mir dann auch antworten und/ oder den Beitrag liken kann. Ich erhalte die Reaktionen dann wiederum im Fediverse. Damit das klappt, ist nicht viel zu tun: Wenn Du auf Bluesky bist, musst du dieser Brücke wie einem Account folgen, um deine Bluesky-Inhalte ins Fediverse zu spiegeln. Wenn du im Fediverse aktiv bist und deine Inhalte zu Bluesky spiegeln willst, dann folge: @bsky.brid.gy (Ich habe es von Mastodon aus probiert und es funktioniert).

Wenn du dich mit mir vernetzen willst und im Fediverse beheimatet bist, dann hast du mein hauptsächliches Fediverse-Profil @nele@fedilab.de sicherlich schon gefunden. Wenn du auf Bluesky bist, dann kannst du diesem Profil jetzt ebenfalls folgen. Es ist auf diesem Account gespiegelt.

Ausführlich habe ich über die neue Vernetzungsmöglichkeit in meinem Blog geschrieben. Dort ist auch ein Pad verlinkt, um etwaige Fehler zu sammeln oder Beobachtungen zu teilen, so dass wir die Weiterentwicklung dieser offenen Brücken-Software gemeinsam weiter unterstützen können.
Zum Blogbeitrag
🖼️ Stop Motion Videos im Browser
Das wunderbare Team von kits.blog hat eine neue Anwendung in ihrer ohnehin schon sehr beeindruckenden Sammlung von offenen, browserbasierten Anwendungen veröffentlicht: StopClip! Wie der Name vermuten lässt, lassen sich damit direkt im Browser Stop Motion Filme erstellen und als Gif oder Video speichern und exportieren. Alles wie gewohnt datenschutzkonform und zur offenen Nutzung. Danke! ❤️ Ich arbeite sehr gerne mit Stop Motion Anwendungen. Damit lassen sich angefangen von Quatsch-Gifs bis hin zu ganzen Geschichten z.B. mit Knete oder Lego sehr, sehr viele Inhalte erstellen. Und ich hatte noch keine Lerngruppe, in der die Menschen beim Erstellen von solchen Mini-Filmen nicht ganz viel Freude hatten! Hier kannst du das Tool ausprobieren (vorerst ist es in Beta-Version. Bei meinen Tests hat es perfekt funktioniert!):
Zum Tool
Quatsch-Selfie-Gif aufgenommen mit StopClip
😎 Bessere Zusammenarbeit dank Pre-Empathie
Ebenfalls bei der re:publica habe ich mehr über das Prinzip der Pre-Empathie in einem Talk von Jöran Muuß-Merholz gelernt. (Hier gibt es keine Aufzeichnung, aber im Spätsommer soll ein Buch erscheinen, in dem dieses und weitere Prinzipien für gute Zusammenarbeit vorgestellt werden. Mehr Infos hier) Pre-Empathie meint, dass ich bei meinen Handlungen nicht erst in der eigentlichen Interaktions-Situation, sondern bereits im Vorfeld überlege, wie meine Handlung bei meinem Gegenüber ankommt und welche Handlungen dann daraus folgen. 

Einfaches Beispiel: Ich kaufe mir ein Eis! Damit das gut funktioniert, ist es hilfreich, dass ich nicht zuerst meine gewünschten Sorten bestelle, sondern erstmal sage, wie viele Kugeln ich insgesamt will und ob in einer Waffel oder im Becher.  🍨

Übertragen auf die berufliche Zusammenarbeit bedeutet das: Leite ich z.B. eine Mail einfach nur weiter oder schreibe ich dazu, was der Empfänger damit machen soll? Schreibe ich eine Kalendereinladung so, dass der Titel auch im Kalender meines Gegenübers sinnvoll ist? (Das Gegenteil wäre der Fall, wenn ich von jemandem zu einem ‚Brainstorming mit Nele‘ eingeladen werde und das dann in meinem Kalender steht) Nutze ich absolute Zeitangaben (am 30. Mai), statt relativer Zeitangaben (morgen), weil ich nicht weiß, wann mein Gegenüber meine Nachricht liest?) …

Solche Beispiele lesen sich wie das Selbstverständlichste der Welt. Ich habe für mich aber festgestellt, dass es durchaus immer wieder hilfreich sein kann, sich das Prinzip der Pre-Empathie in Erinnerung zu rufen, wenn man mit anderen Menschen zusammenarbeitet. Und noch wichtiger wird das Prinzip wahrscheinlich, wenn man sich klar macht, dass auch das jeweils eigene zukünftige Ich ein potentielles Gegenüber in der Zusammenarbeit ist. Mit dem Prinzip der Pre-Empathie erleichtert man also nicht nur die Zusammenarbeit mit anderen, sondern auch mit sich selbst 🙂. 
💡 Lightning Talks als Veranstaltungsformat
Lightning Talks sind ein Veranstaltungsformat mit mehreren Impulsvorträgen nacheinander, die jeweils nur 5-10 Minuten lang sind. Ich halte das Veranstaltungsformat für unterschätzt und nehme mir selbst vor, es häufiger zu gestalten. Über die Herausforderungen dabei und welche Umsetzungsmöglichkeiten es gibt, habe ich gebloggt.
Zum Blogbeitrag
(Ich teile diesen Beitrag hier auch deshalb, weil er durch eine Einladung an mich für Lightning Talks von OERinfo und dem Bündnis freie Bildung entstanden ist – und ich in meinem Lightning Talk genau die Thesen entwickelt habe, auf die ich diese Edumail nun aufgebaut habe. Nämlich zum einen, dass wir das Rad nicht immer neu erfinden sollten. Und zum anderen, dass Teilen und Remix uns alle weiterbringen kann 🙂)
👋 Tschüss, bis zur nächsten Edumail!
Damit hast du das Ende dieser Edumail-Ausgabe erreicht 🙂. Wenn Du noch mehr lesen willst, dann schaue doch mal in den Bereich ‚Hinter den Kulissen‘ aka ‚Lerntagebuch‘ auf meiner Website. Eine für mich wesentliche Erkenntnis, die ich dort zum Beispiel in der letzten Zeit für mich festgehalten habe, lautet: Positives unterstützen, statt Negatives bekämpfen! Und auch in meinem Blog gibt es noch viele weitere Beiträge – zum Beispiel einen ausführlichen Rückblick zu meinem Besuch auf der re:publica mit gesammelten Anregungen zum Weiternutzen oder den Appell, dass wir beim Lernen auf Automatisieren und Vereinfachen verzichten sollten.

Vom 24. Juni bis 10. Juli mache ich Urlaub und freue mich sehr darauf. (Letztes Jahr habe ich gelernt, dass es super hilfreich ist, wirklich mal ein paar Tage ganz abzuschalten. Du wirst also in dieser Zeit eine Abwesenheitsbenachrichtigung von mir erhalten.) Vorher geht es aber noch zum University Future Festival, für mich auf die Main Stage in Berlin, wo ich einen Vortrag zu Veränderungskompetenz halten werde. Ich bin gespannt und auch aufgeregt. Mehr Infos dazu hier.
(Man kann auch online dabei sein und es gibt auch viele, viele andere spannende Programmpunkte)

Ab Mitte Juli freue ich mich dann auf ganz viele weitere spannende Veranstaltungen, Beratschlagungen, Entwicklungen und Lernen. Wenn du mit mir gemeinsam an der einen oder anderen Stelle gute Bildung voranbringen willst, dann antworte mir gerne einfach direkt auf diese Mail oder stelle hier eine Anfrage!

Viel Freude mit der Edumail und eine gute Zeit.
Nele

PS. Fast den Internetquatsch vergessen, jetzt aber: Mit String kannst Du Saiten kritzeln und darauf spielen! 🙃

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