In den letzten Wochen gab es massenhaft corona-bedingte Geschenke für die Bildung: zeitlich begrenzte Gratis-Zugänge zu Lernplattformen, befristete Öffnung von Material-Sammlungen oder Gutscheine für Online-Tools. Ausprobieren und nutzen schadet in vielen Fällen sicher nicht. Für gute und vor allem nachhaltige Bildung empfehle ich aber insbesondere diejenigen Akteure und Anbieter in den Blick zu nehmen, die Offenheit auch schon vor und unabhängig von Corona als Grundlage des Lehren und Lernens gesehen haben. Die folgende Zusammenstellung umfasst hilfreiche Suchstrategien, Best-of Anlaufstellen und möglichen Aktivitäten hin zu einer Kultur der Offenheit und des Teilens. Sie ist insbesondere gedacht zur Weitergabe an Kolleginnen und Kollegen, die sich bisher nur wenig mit Open Educational Resources (OER) oder Open Source Software auseinander gesetzt haben. Ich betrachte zum einen die Frage der Inhalte/ Materialien und zum anderen die Frage nach Tools.
Was sind offene Materialien und wie finde ich sie?
Es gibt im Internet eine Vielzahl an Materialien, die man gratis abrufen kann. Doch in den meisten Fällen finde ich die Bezeichnung ‘offen’ für sie nicht passend. Denn Offenheit ist mehr als nur ein ‘Abruf’ eines Materials ohne Bezahlung. Offenheit heißt vielmehr, dass auch die weitere Nutzung offen erlaubt ist: Ich sollte das Material z.B. verändern und anpassen dürfen und vor allem auch erneut veröffentlichen und verbreiten. Für funktionierendes Online-Lernen ist das meist unerlässlich.
Die Möglichkeit zu dieser Art einer umfassenden Weiternutzung ist bei Open Educational Resources (OER) gegeben. Es handelt sich dabei um offene Materialien auch in Hinblick auf die Nutzung, weil sie unter einer offenen Lizenz veröffentlicht sind. Im Bildungsbereich nutzen wir als offene Lizenz meist die Creative Commons Lizenzen – abgekürzt mit CC. Offene Lizenz bedeutet, dass die Person, die das Material erstellt hat, für alle und grundsätzlich erlaubt, dass das Material weitergenutzt werden darf. (Die urhebende Person schreibt mit einer offenen Lizenz zu dem Inhalt sinngemäß hinzu: ‘Nutzt das gerne weiter! Ich möchte nicht, dass mein erstellter Inhalt in den engen Schranken des Urheberrechts gefangen bleibt.‘)
Um offene Materialien zu finden, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Die erste und meist sehr umfangreiche ist eine Google-Suche mit der Festlegung unter Einstellungen -> erweiterte Suche -> Nutzungsrechte -> frei zu nutzen, weiterzugeben und zu verändern (auch für kommerzielle Zwecke). Mit dieser Einstellung bekomme ich die Inhalte zu meinem Suchbegriff angezeigt, zu denen die Website-Ersteller/innen für eine maschinenlesbare offene Lizenz ihrer Angebote gesorgt haben – und das sind meist ganz schön viele! Direkt erreichbar ich diese Suche übrigens über diesen Link.
Wer gezielt nach Bildungsmaterialien unter einer offenen Lizenz sucht, nutzt am besten das OERhörnchen – hier wird nicht das gesamte Netz durchsucht, sondern speziell die redaktionell gestalteten Sammlungen von OER-Plattformen im deutschsprachigen Raum.
Und wer nicht erst lange auf einer Meta-Ebene suchen will, dem empfehle ich für den Einstieg die folgenden drei Best-Of Plattformen:
- die ZUM – umfassende Sammlungen von Bildungsinhalten von Lehrer/innen für Lehrer/innen. Seit einiger Zeit auch inklusive einer filterbaren Sammlung von interaktiven Online-Übungen mit der Software H5P.
- die OER-Sammlung der Edulabs – eine von der Community kuratierte Samnmlung von OER-Lernideen – sortiert und kategorisiert anhand der KMK-Empfehlung zu Bildung in einer digitalen Welt.
- die OER-MOOCs von oncampus – offene Online-Kurse zu unterschiedlichsten Themen. In den meisten Fällen lassen sich die entwickelten Inhalte auch nach dem Ende eines Kurses zum Selbstlernen nutzen.
Weitere Entwicklungen und Veröffentlichungen rund um OER im deutschsprachigen Raum erfährt man über den Hashtag #OERde auf Twitter.
Was sind offene Tools und wie finde ich sie?
Gratis-Tools im Internet boomen gerade fast noch mehr als ‘Gratis-Inhalte’ – und es ist dementsprechend schwer, eine gute Auswahl zu treffen. Empfehlenswert finde ich vor allem Tools, die im Browser ohne Registrierung zu nutzen und Open Source sind und die man deshalb theoretisch auch selbst hosten könnte (In den meisten Fällen muss man das aber nicht, denn es gibt sehr viele Akteure, die dankenswerterweise offen nutzbare Installationen zur Verfügung stellen – und es ist hier immer eine gute Idee, hierfür Danke zu sagen und Unterstützung zu überlegen). Ausführlich habe ich wichtige Kriterien wie Souveränität über doie Inhalte, Export- und/ oder Teilen-Funktion sowie Remix-Möglichkeiten hier beschrieben.
Meine Suchstrategien zum Finden von empfehlenswerten Tools und Angebote sind insbesondere die folgenden:
- mit Menschen zusammenarbeiten oder ihre Aktivitäten zu beobachten, die Ahnung haben von Open Source und Offenheit. Dazu gehören zum Beispiel mehrere Projekte der Open Knowledge Foundation oder Organisationen wie die Mozilla Foundation.
- Schlagwortsuchen in Software-Plattformen wie z.B. Gitlab oder Github. Oder auch Übersichtsseiten wie alternativeto.net, wo man zu Alternativen nach einem bestimmten Tool suchen kann – und dann auch nach Open Source auswählen kann.
- Schließlich ist auch hier Twitter eine gute Informationsquelle. Zum Beispiel über den Hashtag #OpenSource.
Diese Suchstrategien funktionieren gut – aber sie sind leider zeitlich ziemlich aufwändig. Deshalb teile ich zugleich meine aktuelle Best-Of Liste mit Tools. (Ich stelle immer wieder fest, dass oft die einfachsten Tools, die besten sind – und es insgesamt nur wenig Tools braucht um online zu lehren und zu lernen). Ich verwende zum Lernen und Lehren Tools aus sechs Bereichen.
1. Tools für eine kollaborative Lernumgebung (zur Bereitstellung von und zur gemeinsamen Arbeit an Inhalten):
- im einfachsten Fall als Etherpad (nur Text, z.B. über yourpart.eu)
- etwas komplexer, weil markdownbasiert via CodiMD (hier lassen sich auch Bilder, Videos etc. einbetten und in verschiedenen Ansichten darstellen). Nutzbar ist CodiMD z.B. via hackmd.okfn.de
- mit allem, was man sich wünschen kann, aber voraussetzungreicher, weil Code-basiert via glitch.com
2. Tools für Sammeln, Bewerten, Priorisieren (gut für den Einstieg oder einen Abschluss beim Lernen)
- Ich nutze hierzu sehr gerne das Wall-Tool von Flinga.fi oder Oncoo
- In größeren Gruppen leistet das proprietäre Mentimeter gute Dienste.
3. Tools für Video-Konferenz-Lösungen für snychrone Treffen (die ich möglichst kurz halten würde)
- Ich nutze hier Jitsi Meet, was bis ca. 14 Personen stabil funktioniert und den großen Vorteil hat, das es sehr einfach zum Einrichten und zum Nutzen ist. (Und wenn es mehr Personen sind, finde ich eine Aufzeichnung, die asynchron genutzt werden kann, meist den besseren Weg.) Einen nicht-überlasteten Jitsi Server findet man via jitsi.random-redirect.de. Im Community Wiki von Jitsi findet sich eine umfassende Liste von offenen jitsi-Servern. Wichtig bei der Benutzung: Am besten klappt es mit der App. Oder mit einem auf Chromium basierenden Browser.
- Mögliche Alternative: BigBlueButton (siehe Kommentar unten)
4. Tools für eine direkte und schnelle zusätzliche (Meta)-Ebene der Kommunikation
- Ich mag hier die Gruppenfunktion beim Messenger Telegram und finde es sehr hilfreich, dass ich das Tool auch im Browser aufrufen kann – nicht nur in der App auf dem Smartphone.
- In vielen Lerngruppen funktioniert hierzu auch die klassische Mail.
5. Tools zur Gestaltung von Input zur Orientierung/ Navigation/ Unterstützung / Erklärung (= Lehrtools – alle anderen in dieser Liste würde ich primär als Lerntools verstehen)
- Mein Lieblingstool ist hierzu H5P. Es lassen sich damit nicht nur ‘Abfrageaufgaben’ erstellen, sondern insbesondere auch Inhalte präsentieren. Der große Vorteil ist, dass ich und andere einmal erstelle Inhalte überall einfügen können und sie sich auch sehr leicht anpassen lassen. Einen Einstieg in H5P findest Du hier.
- Viel nachgefragt und gerne genutzt werden Screencasts oder Videos. Ich habe diese früher mit recordscreen.io direkt im Browser aufgezeihnet oder mit der Open Source Software Kazam. Für etwas mehr Funktionalität kann ich inzwischen auch das ‘Open Broadcast Studio’ (ebenfalls Open Source) empfehlen.
6. Zusatz- / Bonus-Tools für Erkunden/ Spielen/ Machen
Hier kann soviel rein, wie man mag und was Spaß macht. Ich nutze z.B. gerne das Kreislauftool oder den Emojisimulator für Erkundungsaufgaben zum vernetzten Denken und Verstehen von Systemen, Bitsy zur Gestaltung einfacher Browser Spiele oder Twine zur Erstellung interaktiver Geschichten.
Corona kann zudem ein guter Anlass sein, um eigene digitale Infrastruktur zum Lernen und Lehren aufzubauen. Das bedeutet praktisch, sich einen Hosting-Anbieter zu suchen, über den man einen Server mietet und meist auch eine URL für seine Website registriert (Ich nutze z.B. Hetzner.) Auf diesem Server kann dann potentiell alles installiert werden, was man an Software nutzen möchte. Gut geeignet zum Einstieg finde ich das Open Source Content Managment System WordPress – insbesondere, weil man dann durch Installation des Plugins auch H5P darüber nutzen kann.
Wer vielfältige Funktionen (Videokonferenz, kollaboratives Schreiben, Kalender, Dateiablage u.v.m.) sucht, dem empfehle ich die Nextcloud. Digitalcourage hat hier eine Liste von Nextcloud-Hosting-Anbietern veröffentlicht.
Fazit: Nutzen und mitmachen
Offenheit – sowohl bei Tools, als auch bei Inhalten – funktioniert durch Beteiligung. Du kannst mitmachen und unterstützen, indem Du Deine Inhalte, Dein Wissen und deine Erfahrungen teilst.
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