Edumail #83: Mache den ersten Schritt!

Hallo und willkommen,

der Herbst ist da! Eine gute Zeit, um frischen Wind in unsere Köpfe zu bringen und neue Wege in der Bildung zu gehen. 🙂
In dieser Edumail stelle ich dir 10 mögliche, erste Schritte vor, wie du Lernen offener, spannender, kreativer, wirkungsvoller oder in anderer Weise besser gestalten kannst. So könntest du beispielsweise mit Kolleg*innen Ideen zur Veränderung der Lernkultur im Kontext der KI-Debatte entwickeln, die Selbstlernkompetenz von Lernenden stärken, einen Einstieg in Moodle finden oder eine Methode für gleichberechtigtere Beteiligung in Lernangeboten ausprobieren.

Meine Empfehlung für dich:
Lies dir die 10 Vorschläge durch.
Wähle den Vorschlag aus, der dich am meisten anspricht.
Und setze den ersten Schritt dazu um. 😎

Ich wünsche dir viel Freude und einen bunten Herbst! 🎨

Herzliche Grüße
Nele Hirsch | eBildungslabor
1. Wie wäre es, auf mehr Selbstlernkompetenz in der Bildung zu orientieren?
Selbstlernkompetenz ist für mich die wahrscheinlich wichtigste Schlüsselkompetenz im 21. Jahrhundert. Zu Selbstlernkompetenz gehört es dazu, lernen zu können, lernen zu wollen und das eigene Lernen zu reflektieren. Selbstlernkompetenz entwickelt sich beim Lernen. Das kann und sollte unterstützt und begleitet werden.
Wichtig scheinen mir vor allem …
… relevante Lernherausforderungen.
… guter Rahmenbau.
… gezielte Unterstützung.
… Begleitung und Beratung
… ganz viel Zutrauen.

Diese und weitere Aspekte habe ich in einem Mini-Lernimpuls zusammengefasst. Als ersten Schritt könntest du den Impuls für dich oder gemeinsam mit Kolleg*innen ansehen und darüber reflektieren, wie ihr Lehre verändern könnt, um die Entwicklung von Selbstlernkompetenz zu fördern.
Zum Lernimpuls
2. Wie wäre es, ein Experiment mit unterschiedlichen KI-Modellen zu starten?
Die Datenbasis, Filtermechanismen und auch grundlegende Einstellungen und Eigenschaften von KI-Sprachmodellen werden von den anbietenden Organisationen und Unternehmen je nach Modell unterschiedlich ausgestaltet. Bei einem KI-Modell in öffentlicher Verantwortung würde über solche Fragen demokratisch entschieden. In der Realität haben wir es aber überwiegend mit proprietären Anbietern zu tun. Umso wichtiger ist es in dieser Situation, darüber aufzuklären und zu lernen, dass KI-Sprachmodelle eben nicht ’neutral‘ sind.

In der Bildung ist es vor diesem Hintergrund sinnvoll, immer mal wieder unterschiedliche KI-Sprachmodelle zu nutzen und die generierten Aussagen miteinander zu vergleichen. Es kann auch spaßig sein, unterschiedliche KI-Sprachmodelle gegeneinander antreten zu lassen. In diesem Fall würde ein KI-Sprachmodell einen Output zu einer Frage generieren. Den Output würde man dann in ein anderes KI-Sprachmodell eingeben und den Prompt ergänzen, ob diese Aussagen korrekt sind, ob hier Bias erkennbar ist, ob die Aussage korrigiert werden sollte …

Einen niederschwelligen Zugriff zu unterschiedlichen KI-Sprachmodellen bietet der AI-Chat der Suchmaschine DuckDuckGo, der über duck.ai erreichbar ist. Ich nutze diesen auch gerne in Einstiegsveranstaltungen zu KI, weil hier keine Registrierung für ein erstes Ausprobieren erforderlich ist.

Um die unterschiedlichen Gestaltungen von KI-Sprachmodellen zu untersuchen, habe ich ein Mini-Experiment zu den Positionierungen von KI-Sprachmodellen zu generativer KI durchgeführt – und dabei teils sehr deutlich unterschiedliche Antworten erhalten. Vielleicht hast du Lust ein ähnliches Experiment zu starten und/ oder zumindest als erster Schritt immer mal wieder unterschiedliche KI-Sprachmodelle zu nutzen und diese Möglichkeit auch in deinen Lernangeboten vorzustellen.
Beschreibung meines Experiments
3. Wie wäre es, ‚körperliche Intelligenz‘ als Alleinstellungsmerkmal von Menschen gegenüber Maschinen bewusst weiter zu entwickeln?
Die Aussage von Jack Ma, wonach wir nichts lehren sollten, was Maschinen besser können, begleitet mich bei der Gestaltung guter Bildung schon seit vielen Jahren. Im Kontext von künstlicher Intelligenz erhält sie neue Relevanz.  Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen uns Menschen und Maschinen wie z.B. KI-Modellen ist unsere Körperlichkeit. Wir können also etwas ausbilden, was man als ‚körperliche Intelligenz‘ bezeichnen könnte. Dazu gehört ein gutes Bauchgefühl, aber auch so etwas wie das Empfinden von Resonanz. Ein erster Schritt, um Resonanz zu erleben und zu entwickeln, ist die folgende Übung, die du in Gruppen ab ca. 8 Personen (bis hin zu Großgruppen) sehr einfach durchführen kannst.

Alle bewegen sich ohne zu sprechen durch den Raum.
Die Aufgabe ist es, dass alle irgendwann stehen bleiben, ohne dass es ein zentrales Signal dazu gibt.
Wenn alle stehen, wird gemeinsam applaudiert. 

Ich habe solch einen ‚Resonanzlauf‘ inzwischen schon mehrmals durchgeführt und bin immer wieder begeistert, von der tatsächlich fühlbaren Resonanz im Raum, die entsteht, weil alle gegenseitig aufeinander achten. Ich kann die Übung als ersten Schritt zur Entwicklung von körperlicher Intelligenz (bzw. mindestens, um das Thema überhaupt zu reflektieren), sehr empfehlen. 
4. Wie wäre es, mit dem Silent Writing eine gelingsichere Methode für gleichberechtigtere Beteiligung auszuprobieren?
Du kennst das sicher auch: Manche Menschen sind sehr schnell damit, in Gruppen zu sprechen und etwas von sich zu teilen. Andere Menschen sind stiller und brauchen mehr Zeit, um erst einmal für sich zu reflektieren. Die Folge ist dann oft, dass ein Austausch von den ‚lauteren‘ Menschen dominiert wird und sich die ’stilleren‘ Menschen zurück ziehen. Abhilfe kann hier die Methode des Silent Writings schaffen. Sie funktioniert denkbar einfach. Bevor es in den Austausch geht, wird in einem ersten Schritt die Frage für alle formuliert, über die man sich anschließend austauschen will. Dann haben alle 3-5 Minuten Zeit, um für sich Stichpunkte zur Frage zu notieren. Erst danach startet der Austausch. Dieser wird dann sehr wahrscheinlich deutlich gleichberechtigter und perspektivenreicher ablaufen.

Du kannst die Methode in Team-Meetings, Beratschlagungsrunden und Lernangeboten gleichermaßen einsetzen. Eine offen nutzbare Vorlage, die mithilfe des Silent Writings darauf abzielt, dass alle für sich zu Beginn eines Lernangebots eine eigene Lernfrage entwickeln, habe ich in meinem Blog veröffentlicht.
Silent Writing Vorlage
5. Wie wäre es, gemeinsam mit Kolleg*innen ganz konkrete Ideen zur Veränderung der Lernkultur im Kontext der Digitalisierung zu entwickeln?
Auf meiner Website habe ich ein Mini-Lernangebot veröffentlicht, das dich gemeinsam mit Kolleg*innen dabei begleitet, in rund 45 Minuten konkrete Ideen zur Veränderung der Lernkultur im Kontext der Digitalisierung und der aktuellen KI-Debatte zu entwickeln. Genutzt wird dazu die Methode des Troika Consulting, die du nicht vorab kennen musst, sondern die in dem Material beschrieben wird. Als inhaltliche Impulse gibt es Audio-Erläuterungen zu den 4K (= Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken), zu Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), zu den Future Skills und zu Reformpädagogik. Das bedeutet für dich: ein paar Kolleg*innen suchen, die auf eine Mini-Werkstatt Lust haben, das Material öffnen und gemeinsam loslegen.
Zum Lernangebot
6. Wie wäre es, endlich mal einen Einstieg in Moodle zu finden?
Moodle ist das wahrscheinlich am weitesten verbreitete Learning Management System. Du kannst damit Online-Kurse erstellen oder auch Lernen vor Ort digital begleiten. Vielleicht gibt es auch an deiner Organisation eine Moodle-Instanz, aber du schiebst es immer ein bisschen vor dir her, dich damit zu beschäftigen? Dann hast du jetzt die Möglichkeit für einen ersten Schritt: Nimm dir eine Stunde Zeit und gestalte mit Unterstützung dieses Einstiegsmaterials ein erstes Moodle-Lernangebot. Falls du Moodle schon gut kennst und damit arbeitest, kann es hier ein guter Schritt sein, dieses Material an Kolleg*innen weiterzugeben, für die es vielleicht hilfreich ist.
Selbstlernmaterial Moodle
7. Wie wäre es, Flipped-Materialien im Vorfeld eines Lernangebots als weiternutzbare Website aufzubereiten?
Bei Lernangeboten ist es oft hilfreich, begleitende Materialien online zur Verfügung zu stellen. Diese können zum Beispiel als Flipped-Material im Vorfeld oder auch zur Nachbereitung genutzt werden. Es gibt sehr viele Möglichkeiten, solche Materialien online zu stellen. Wenn man über einen eigenen Blog oder die Organisation über eine Website dafür verfügt, ist das oft die naheliegendste Variante. Andere nutzen z.B. eine Taskcard oder ein Padlet. Ich mag sehr gerne auch die Möglichkeit einer Website. Den großen Vorteil sehe ich hier darin, dass das Online-Angebot erstens vielfältig gestaltet und zweitens auch gut lizenziert, weitergenutzt und auffindbar gemacht werden kann. Genutzt werden können dafür Plattformen wie Github oder Codeberg, die eigentlich zur kollaborativen Software-Entwicklung gedacht sind.

Um so etwas auszuprobieren, musst du keine technischen Vorkenntnisse in der Programmierung mitbringen. Ich habe eine einfache Anleitung geschrieben, mit der dir diese Herausforderung dennoch gut gelingt. Wie wäre es einen ersten Schritt zu machen und mal solch einen Weg zur Online Bereitstellung von Materialien auszuprobieren? Wenn du das Prinzip einmal ausprobiert, kennen gelernt und verstanden hast, eröffnen sich dir damit ganz viele weitere Möglichkeiten zur (auch kollaborativen) Gestaltung und Veröffentlichung von Online-Inhalten.
Zur Anleitung
8. Wie wäre es, bestehende Inhalte mithilfe von KI-Tools für mehr Menschen zu öffnen und weiterzunutzen?
In der KI-Debatte sehe ich ein großes Potenzial darin, bestehende Inhalte mit einem dazu passenden Prompt in KI-Sprachmodelle einzugeben und sie auf diese Weise weiterzunutzen und zu öffnen, weil sie einfacher erschlossen werden können. In meinem Blog habe ich dazu 5 Möglichkeiten mit praktischen Beispielen vorgestellt:

Inhalte anteasern / Auseinandersetzung mit Inhalten vorbereiten.
Anker im Kopf setzen und so vertieftes Verständnis ermöglichen
Inhalte in ein Format transformieren, was einem einfacher zugänglich ist.
Inhalte in einem Chat erkunden.
Selbstüberprüfungen zu Inhalten erstellen.

Du kannst diese Möglichkeiten sowohl für dich selbst zum Lernen ausprobieren, als auch mit Lernenden in Workshops zu KI erkunden.
Zum Blogbeitrag
9. Wie wäre es, eine Raumaufstellung durch ein partizipatives Element zu ergänzen?
Vielleicht nutzt du – gerade bei etwas größeren Gruppen – auch gerne die Methode der Raumaufstellung. Sie funktioniert sehr einfach: Von der Moderation werden Fragen gestellt und Antwortmöglichkeiten im Raum definiert. Die Teilnehmenden bewegen sich dann im Raum an die Stelle, deren Antwortmöglichkeit auf sie zutrifft. Solch eine Raumaufstellung lässt sich gut um ein partizipatives Element erweitern. Dazu wird in der letzten Runde eine möglichst offene Frage gestellt (z.B. ‚Was erwartest du von der heutigen Veranstaltung?‘). Zugleich werden große Karten und Filzstifte zum Beschriften verteilt. Die Teilnehmenden können damit selbst Antwortmöglichkeiten definieren und die Teilnehmenden dazu einladen, sich bei ihnen zu positionieren. Ausführlich mit einem konkreten Beispiel habe ich die Methode in meinem Blog beschrieben. Vielleicht hast du Lust, sie bei einer deiner nächsten Veranstaltungen auszuprobieren.
Anleitung partizipative Raumaufstellung
10. Wie wäre es, nicht nur über ‚das Internet‘ zu schimpfen, sondern auch mal ‚Danke, Internet‘ zu sagen?
Letzte Woche war ich bei dem vom CCC organisierten Datenspuren-Festival in Dresden und habe in der Reihe Digital Fight Club zu der schönen Frage gesprochen: Was hat das Netz eigentlich je Gutes für uns getan? Meine 10 Punkte, warum ich ‚Danke, Internet!‘ sage (und warum ich das wichtig finde!) kannst du dir in der Aufzeichnung oder in meiner Aufbereitung anschauen. Und vielleicht willst du auf der Website „Danke, Internet“ auch deine eigene Einschätzung teilen.
Aufbereitung und Aufzeichnung
PS. ‚Danke, Internet!‘ sage ich natürlich auch für internetquatschige Websites wie z.B. diese:

Finde heraus, wie das Wetter an dem Tag war, an dem du geboren wurdest. Bei mir: ein sonniger Wintertag! Los!
Baue mit an einer kollaborativen Emoji-Wall mit 1 Million Emojis (wenn du runterscrollst, gibt es noch offene Plätze). Los!
Wähle dir einen von zwei Zählern aus und hilf durch Klicken mit, dass er gegen den anderen Zähler gewinnt. Los!  
👉 Jetzt bist du dran!
War bei den 10 Vorschlägen etwas dabei, was dir spannend erscheint? Und/ oder ist Dir beim Lesen etwas ganz anderes eingefallen, dass du schon immer einmal beginnen/ erkunden/ ausprobieren wolltest? Dann mache am besten jetzt direkt einen ersten Schritt zur Umsetzung.

Zum Beispiel könntest Du …

… in deinem Kalender ein Zeitfenster suchen, in dem du dich mit dem ausgewählten Thema beschäftigen willst und es dir als Termin eintragen.
… Kontakt zu einer Kollegin/ einem Kollegen aufnehmen und vorschlagen, deine ausgewählte Idee gemeinsam anzugehen.
… teilen, was du vorhast z.B. via Social Media, in deinem Blog oder auch erst einmal nur mit Freund*innen, Bekannten oder Kolleg*innen. (Solch ein öffentliches Teilen funktioniert ganz großartig als Selbstverpflichtung, den Plan dann auch wirklich anzugehen. Außerdem profitierst du vielleicht von weiteren Perspektiven und Tipps von anderen.) 

Wenn für dich selbst gar nichts Spannendes oder Neues dabei war, dann kann es ein mindestens ebenso guter Schritt zu besserer Bildung sein, wenn du Kolleg*innen dabei unterstützt, eines dieser oder ein anderes Thema für sich anzugehen. 🙂

Ich verabschiede mich damit erst einmal bis zur Edumail Ende Oktober, sage ‚Tschüss‘ und wünsche alles Gute!

Nele

PS. Der im letzten Monat gestartete Edubuchklub geht in die zweite Runde. Im Oktober lesen wir ‚Mythos Bildung‘ von Aladin El-Mafaalani. Wir freuen uns über alle, die Lust zum Mitlesen haben. Unsere Lektüre im September (Bildung als Praxis der Freiheit von bell hooks) hat mich übrigens dazu gebracht in einem Blogbeitrag meine eigene Bildungsbiographie vor dem Hintergrund der aktuellen KI-Debatte zu reflektieren. Falls du zum Abschluss dieser Edumail also noch etwas lesen möchtest, hier der Link:
🔗 Bildung und KI: Wozu noch lernen?
Edumail abonnieren? Hier eintragen: