Wie kommen wir von einem „betreuten Powerpoint-Vorlesen“ zu einem „Co-Learning Space mit individueller Unterstützung bei Bedarf“?

Ich komme gerade sehr begeistert aus einem Online-Workshop, der ganz wunderbar geklappt hat. Beauftragt hatte mich das Franklin-Institut, da das Team auf der Suche nach methodischen Ideen zur besseren Gestaltung ihrer Kurse in der beruflichen Erwachsenenbildung war. Sie stehen dabei vor der Herausforderung, dass sie die Kurse erstens rein online gestalten und dass sie zweitens mit einer großen Heterogenität der Lernenden zu tun haben.

Ich war zuerst unsicher, wie grundsätzlich ich den Workshop angehen soll: Stelle ich ihnen einfach ein paar methodische Ideen und Spielereien vor oder öffne ich die Diskussion und orientiere auch auf eine Veränderung der Lernkultur? Ich habe mich für Variante 2 entschieden. Im Rückblick kann ich sagen, dass das genau die richtige Entscheidung war!

Hier ist ein kurzer Überblick zu meinem Aufbau des Workshops:

Wir haben trotz der Entscheidung für die ‚große Perspektive‘ zunächst mit den Grundlagen gestartet. Dazu waren drei Fragen ausschlaggebend, die egal in welchem Lernsetting wichtig sind:

  • Ich: Was muss ich bei mir selbst beachten? (Wir haben hier auch so Basics besprochen, wie Präsenz zeigen, indem man in die Kamera blickt.)
  • Du: Was muss ich bei den Lernenden beachten? (Knackpunkte waren hier Vielfalt, kurze Aufmerksamkeit und Interesse)
  • Wir: Wie erreichen wir eine gute Lernsituation? (Hier sind wir auf das Silent Writing eingegangen, um allen gute Beteiligung zu ermöglichen, auf das Ziel von möglichst wenig SchnickSchnack bei der Gestaltung und auf die Herausforderung gerade im reinen Online-Lernen einen guten Lernraum zu gestalten, z.B. durch soziale Angebote oder bewusst gestaltete Zwischenräume)

Die Bearbeitung der Fragen erfolgte mit Ausprobieren und Erkunden, d.h. ganz ohne klassischen Vortrag.

Anschließend haben wir uns ausgehend von einer Auswahl der didaktischen Schieberegler, erstens gefragt, wo das Team aktuell steht und zweitens, was daran hindert, sich weiter nach links zu bewegen.

Das hier war meine Auswahl der Schieberegler:

  • So viel Vertrauen und Freiheit wie möglich. So viel Kontrolle und Struktur wie nötig.
  • So viel asynchrone Kommunikation wie möglich. So viel synchrone Kommunikation wie nötig.
  • So viel offene Projektarbeit wie möglich. So viel kleinschrittige Übungen wie nötig.
  • So viel Peer-Feedback wie möglich. So viel Feedback von Lehrenden wie möglich.

Wir machten eine ‚Handabstimmung‘ wo auf einer Skala von 1-5 man sich gerade in diesen Skalen befindet. Das Ergebnis war: Eher auf der rechten Seite, weil es schwierig ist, die linke Seite umzusetzen. Hindernisse sind z.B. eine andere Erwartungshaltung der Lernenden oder fehlende Kompetenz zur Selbstorganisation.

Um konkreter zu zeigen, wie ein Lernen auf der linken Seite aussehen könnte, gab es dann eine Impulsedusche mit diesen 5 Ideen:

  1. Daily Stand Up und Selbstlernen: Ein Lerntag beginnt mit einem kurzen foikussierten Treffen, wo jede Person gerade im Lernen steht und was sie sich für den Tag vorgenommen hat. Zur weiteren Bearbeitung können Kleingruppen gebildet werden. Die lehrende Person steht als Ansprechperson für Fragen im Chat oder in einem Videokonferenzraum zur Verfügung bzw. kann Lernende auch gezielt ansprechen.
  2. Dezentrale Präsentationen / Stationen zum Selbstlernen: Es werden Vorkenntnisse zu einem Thema abgefragt und die Lernenden in gemischte BreakOut Räume in Kleingruppen zugeteilt. Alle erhalten eine ’stumme Präsentation‘ mit den wichtigsten Fakten zum Thema. Gemeinsam klickt die Gruppe sich durch und notiert alle Fragen, die sie nicht untereinander klären können. Die noch offenen Fragen werden dann später im Plenum beantwortet.
  3. Lerntagebücher führen und kommentieren: Die Lernenden führen ein Lerntagebuch, in dem sie ihre Gedanken, Erkenntnisse und Fragen festhalten. Dies kann regelmäßig geteilt und von anderen kommentiert werden, um den Lernprozess zu dokumentieren und zu vertiefen und auch, um mit anderen dazu in Austausch zu kommen.
  4. Troika Consulting als Peer-to-Peer Beratung: BreakOut-Räume mit je drei Personen einrichten. Eine Person davon schildert eine Herausforderung, vor der sie steht, stellt sich dann stumm und macht die Kamera aus. Die beiden anderen überlegen sich (ohne direkte Intervention der ersten Person), was für sie mögliche Lösungen wären. Zum Abschluss gibt die erste Person kurz Feedback, was sie aus dem Gespräch der beiden für sich mitnimmt.
  5. Mini-Barcamp zu individuellen Fragen: Im Chat werden Ideen/ Fragen/ Themen gesammelt, über die die Teilnehmer*innen sich austauschen wollen. Daraus wird ein ‚Sessionplan‘ mit z.B. 3×8 Minuten gestaltet. Zur Diskussion werden BreakOut-Räume mit entsprechender Zeitbegrenzung eingerichtet. Das garantiert sehr schnellen, fokussierten Austausch.

Ideen, um die Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die sich bei einer Bewegung nach links ergeben, haben wir dann mithilfe einer Persona-Gestaltung und Troika-Beratung entwickelt.

Am Ende hat jede Person für sich festgehalten

  • … was sie für sich selbst als konkreten, ersten Schritt mitnimmt.
  • … was aus ihrer Sicht für die Organisation ein erster, konkreter Schritt sein könnte.

Meine Learnings bzw. was ich mitnehme

  • Ich habe heute sehr konsequent jede Stunde 10 Minuten Pause gemacht. Es gab also bei einem dreistündigen Workshop 2 Pausen. Normalerweise hätte ich eher eine etwas längere Pause in der Mitte gemacht, auch wenn ich von der Theorie her weiß, dass alles, was online über eine Stunde ist, eigentlich zu lang ist. Das werde ich in jedem Fall beibehalten.
  • Ich habe eine gute Mischung zwischen Impulsen und Unterstützung bei der Selbsterkenntnis gefunden. (Gerade, wenn es um das Thema Lernkultur geht, neige ich durchaus dazu, zu agitieren. Um wirklich zu Veränderung zu kommen, ist es aber ja viel besser, dass Menschen selbst herausarbeiten und entwickeln, was sich warum verändern muss. Der Knackpunkt war dabei heute, dass die Teilnehmer*innen in der Diskussion erkannt haben, dass ein Mischmasch zwischen ‚Lernende übernehmen Verantwortung für ihren Lernprozess‘ und ‚Wir als Lehrende kontrollieren das Lernen‘ viel schwieriger ist, als wenn man Lernenden ganz klar und transparent die Verantwortung für ihren Lernprozess übergibt)
  • Ich mag die heute genutzte Leitfrage in der Ideenwerkstatt: Wie können wir Lernende befähigen, Verantwortung für ihren Lernprozess zu übernehmen?
  • Gute Lernangebote brauchen keine Folien :-)
  • Ich habe erkannt, dass es bei strategischer Beratung auch wichtig sein kann, Menschen, die sich auf den Weg machen wollen, darin zu bestärken!
  • Ganz im Kleinen und damit für alle sehr nachvollziehbar zu starten, ist ein guter Einstieg.

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass sich dieser Nachmittag sehr gelohnt hat und bin gespannt, was bei den Kolleg*innen jetzt weiter daraus entsteht 🙂

PS. Heute Vormittag hatte ich mit dem Abschluss eines KI-Workshops direkt noch ein zweites Erfolgserlebnis: Wir hatten den Workshop so konzipiert, dass er drei Teile umfasste: einen grundlegenden Einstiegsvortrag mit Murmelrunden, eine Werkstatt mit Erkundungsaufgaben zum Ausprobieren und den heutigen Abschluss zur Klärung noch offener Fragen. Von den Teilnehmenden gab es für diesen Aufbau durchweg positives Feedback.