Ich habe den heutigen Tag mal wieder bei den Kolleg*innen der Europäischen Stiftung für innovative Bildung (EuSiB) in Rostock verbracht. Eigentlich war es erst der dritte Besuch, aber weil dazwischen auch ein paar Online-Termine waren und die Diskussionen jedes Mal sehr intensiv sind, fühlt sich inzwischen alles schon sehr vertraut an.
Das Ziel des heutigen Treffens war eine pädagogische Reflexion zu KI am Pädagogischen Kolleg der Stiftung. Dort startet im Sommer ein neuer kombinierter Ausbildungs- und Studiengang in Pflegewissenschaften. Das ist natürlich eine große Chance, die Konzeption dieses Lernangebots direkt passend für eine zunehmend KI-geprägte Welt zu gestalten. Ich konnte bei dieser Reflexion natürlich wenig spezifisch zum Thema Pflege beisteuern, aber mich dafür eben an der Reflexion über die allgemeine, pädagogische Ausgestaltung beteiligen.
Fertig geworden sind wir in den wenigen Stunden natürlich nicht, was aber auch nicht die Erwartung war. Es gibt auch kein direkt ‚teilbares‘ Ergebnis. Ich möchte aber für mich einige Aha-Momente aus der Diskussion in schlaglichtartiger Thesenform sortieren und hier in meinem Lerntagebuch überwiegend für mich selbst festhalten. Wenn auch andere etwas damit anfangen können und daran weiterdenken wollen, ist das dann ja umso besser. 🙂
Also, los geht es mit meinen Thesen:
- Zur Entwicklung von KI-Literacy gehört insbesondere auch, sich eine eigene Haltung zu KI zu erarbeiten und diese kontinuierlich zu reflektieren. Für eine gute Pädagogik, die nicht primär auf Wissensvermittlung, sondern auf die lernendenorientierte Entwicklung gesellschaftlicher und beruflicher Handlungsfähigkeit sowie auf Persönlichkeitsentwicklung fokussiert, ist dieser Aspekt von KI-Literacy zentral.
- Zu einem umfassenden Verständnis von KI-Literacy zählt, Lernen (und die damit verbundene Anstrengung) als einen positiven Wert zu erkennen. Dies wird in Zeiten zunehmend leistungsfähiger KI-Modelle herausfordernder, da uns diese leicht eine Illusion von Kompetenz vorspielen. Gerade deshalb wird die Frage nach dem Warum des Lernens drängender.
- Ein bedeutsamer Unterschied beim Lernen liegt in der Unterscheidung zwischen schneller, oberflächlicher Neugier und einer forschenden, tiefergehenden Neugier. Dieser Unterschied zeigt sich vor allem in der Tiefe der Aneignung eines Themas, welche sich insbesondere im Spiegel von anderen Menschen erkennen lässt, mit denen man sich in Resonanz begibt.
- KI-Modelle ermöglichen einen Nachteilsausgleich. Menschen mit besonderen Bedürfnissen können damit Herausforderungen bewältigen, die ohne KI vielleicht unüberwindbar wären. Weitergedacht lässt sich sagen: KI kann für alle Menschen wie ein Nachteilsausgleich wirken, indem sie uns unterstützt, menschliche Begrenzungen zu überwinden – etwa beim Verbinden oder bei der Strukturierung großer Datenmengen. Die pädagogische Herausforderung ist in beiden Fällen, KI nicht nur als Möglichkeit zu sehen, lästige Aufgaben loszuwerden, sondern selbst kompetenter zu werden.
- Zwischen fremdbestimmter und selbstbestimmter ‚Überwachung‘ beim Lernen besteht ein großer Unterschied. Selbstbestimmte Überwachung – also wenn Lernende ihr Lernen gezielt von einer KI analysieren lassen, um daraufhin ihre Lernstrategie zu verbessern – steht nicht im Widerspruch zu einer emanzipatorischen Pädagogik. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass Lernende die volle Hoheit und Kontrolle über die im Lernprozess erhobenen Daten behalten.
- Wir erleben als Folge von KI-Nutzung oft eine Standardisierung und Automatisierung. Es gibt aber auch gegenteilige Erfahrungen. Beispiel: Anstelle von Textbausteinen, die in Beurteilungen genutzt wurden, gibt es jetzt dank KI vielfältigere und individualisiertere Formulierungen.
- Die Konzeption von KI-Lernassistenzsystemen im Sinne adaptiven Lernens ist vor allem auch eine pädagogische Aufgabe. Hier kann eine Schieberegler-Logik hilfreich sein: Während ich als Lehrperson zu Beginn eher enge Systeme mit klaren Vorgaben gestalte, sollte ich im Verlauf schrittweise darauf hinwirken, den Lernprozess und damit auch die Art der Interaktion mit dem KI-Lernassistenzsystem zunehmend in die Hände der Lernenden zu legen. Dabei stellt sich die spannende Frage, inwieweit diese pädagogische Steuerung auch teilweise von einem klug gestalteten KI-Lernassistenzsystem selbst übernommen werden kann. Die Perspektive wäre dann eine KI-Lernassistenz, die nicht nur analysiert, was Lernende inhaltlich lernen und wo noch Lücken sind, sondern vor allem auch, wie Lernende mit KI interagieren, um darauf aufbauend die nächsten Lernschritte eher begrenzter oder eher offener zu begleiten.
Vielen Dank für den guten Austausch an die Kolleginnen in Rostock!
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