Buchnotizen: The Children’s Machine

Ich habe das Buch ‚The Children’s Machine‘ von Seymour Papert gelesen. Es ist 1993 erschienen und trägt den Untertitel: ‚Rethinking School in the Age of the Computer.‘

Für mich fand ich das Buch sehr, sehr hilfreich. Weniger aufgrund der zum Teil sehr detaillierten Betrachtungen zu den damaligen technischen Möglichkeiten (Seymour Papert hat in den 80er Jahren die Programmiersprache Logo entwickelt und mit Lego gekoppelt – woraus später das Lego Mindstorms Projekt wurde), sondern wegen der sehr anschaulichen Reflexionen zum Lernen und der möglichen Rolle von Technologie darin.

Ich habe mich in der grundsätzlichen Orientierung sehr gut wiedergefunden. Ganz kurz lässt sich diese wahrscheinlich wie folgt beschreiben: Wir sollten als Lehrende nicht überlegen, wie wir Lernende dazu bringen, etwas Bestimmtes zu tun – sondern vielmehr, sie in ihren Lernprozessen ermächtigen. Mathetik (= die Kunst des Lernens) ist wichtiger als Didaktik (= die Kunst des Lehrens).

Viele Aspekte waren mir nicht wirklich neu, aber Seymour Paperts Darstellung wirkte in meinem Kopf oft ergänzend und klärend. Das betraf vor allem diese Punkte:

  1. Lernen ist ein natürlicher Prozess, in dessen Verlauf mehr und immer differenziertere Verbindungen hergestellt werden. Der grundsätzliche Fehler im formalen Bildungssystem ist oft, dass wir diesen natürlichen Prozess nicht unterstützen und befördern – sondern alternativ und isoliert auf abprüfbares Faktenwissen orientieren. Das wird insbesondere in einer immer komplexeren Welt zu einem Problem, weil es hier viel weniger Eindeutigkeit gibt.
  2. Im Informationszeitalter, in dem wir leben, passt nur ein minimaler Bruchteil unseres Wissens in Lehrpläne. Kriterium für die Auswahl sollte sein: Was brauchen Lernende, um sich mehr erschließen zu können?
  3. Technologie kann – sinnvoll genutzt – das fehlende Puzzlestück sein, mit dem wir endlich Lernendenorientierung in der Bildung umsetzen können. Bisher ging es oft nicht um ‚literacy‘, sondern um ‚letteracy‘: Kinder lernten Wörter zu lesen, aber nicht die Welt zu lesen.
  4. Technologie wird in der Bildung leider meist als ‚Eindringling‘ gesehen: Das Bildungssystem verleibt sie sich ein – und macht sie so ‚unschädlich‘. (Dieses Prinzip war ursprünglich auch die Idee der Perestroika: Umbau für Erhalt!) Man sieht das zum Beispiel daran, dass die Antwort auf eine neue Technologie oft ein Kompetenzmodell oder Curriculum dafür ist. Stattdessen braucht es eine veränderte Lernkutur: ganzheitlich, vernetzend und entwicklungsorientiert. Wir brauchen (in Anlehnung an ‚Dirty Dancing‘) mehr ‚dirty teaching‘.
  5. Es braucht Imaginationskraft für das Morgen, wenn dieses nicht das Gefangene des Gestern sein soll. Ein Beispiel ist der erste Flug, der lächerlich war angesichts der damals schon bestehenden anderen Möglichkeiten zur Fortbewegung. Aber es gab Menschen, die darin mehr sahen und sich dafür begeisterten.

Insgesamt handelt es sich um ein sehr technikoptimistisches Buch. Aus heutiger Perspektive wirkt das dann natürlich oft ein wenig ernüchternd. Denn wenn so viele kluge Ideen schon vor über zwanzig Jahren aufgeschrieben wurden, warum sind wir dann heute in der Bildung nicht deutlich weiter? Insgesamt fand ich das Buch aber trotzdem viel mehr motivierend, als frustrierend. Es war schön mir auf diesem Weg einen ‚Bündnispartner‘ aus einer anderen Zeit lesend zu erschließen. Ich kann sehr vieles daraus in die heutige KI-Debatte in der Bildung übertragen.

Hier sind meine gekritzelten Buchnotizen:


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