Edumail #87: Fragend voranschreiten

Hallo und herzlich willkommen!

Fragend voranzuschreiten bedeutet in der Bildung, sich gemeinsam mit anderen auf einen offenen und partizipativen Prozess des Erkundens, Ausprobierens und Fehler-Machens einzulassen – mit dem Ziel, Lernen besser zu gestalten. In diesem Prozess helfen uns Fragen mehr als Antworten. Sie ermöglichen es uns, Gewohntes zu hinterfragen, neue Wege beim Voranschreiten entstehen zu lassen und auf diese Weise Bildung Schritt für Schritt zu verändern.
In dieser Edumail findest du eine Auswahl an Fragen, die genau das anstoßen können – ergänzt durch praktische Ideen, Methoden und Impulse.

Viel Freude beim Reflektieren und Ausprobieren!

Nele Hirsch | eBildungslabor
🌟 Nordstern-Frage: Wie ermögliche ich Lernenden ‚Lernmächtigkeit‘? (= Eine Mini-Audio-Erklärung zu Agency)
Agency ist aus meiner Sicht ein sehr hilfreicher Nordstern ist, um von fremdbestimmtem Unterricht zu selbstbestimmtem und sozialem Lernen zu gelangen. Aber was bedeutet Agency eigentlich genau? Es gibt für den Begriff keine direkte deutschsprachige Übersetzung. Mir gefällt „Lernmächtigkeit“ am besten. Viel wichtiger als eine direkte Übersetzung ist aus meiner Sicht aber, dass Agency beim Lernen drei Aspekte umfasst:
Agency beim Lernen bedeutet handlungsorientiertes Lernen mit Selbstbestimmung.
Agency beim Lernen bedeutet Selbstwirksamkeit – mit dem Fokus auf die damit verbundenen Aushandlungsprozesse, weil Lernen ein sozialer Prozess ist.
Agency beim Lernen bedeutet ganzheitliches Lernen.
Wenn du dich in diesem Sinne bei der Gestaltung von Lernen an Agency orientieren und Bildung auf diese Weise besser machen willst, kannst du dir immer diese Nordstern-Frage stellen:
Wie kann ich Lernende dabei unterstützen, für sich Lernmächtigkeit zu entwickeln?
Am besten reflektierst du darüber gemeinsam mit Kolleg*innen. Zur Unterstützung kann Euch vielleicht diese 3minütige Mini-Audio-Erklärung zu Agency helfen.
Zur Audioerklärung
🌨️ Initial-Frage: Was kann weg? (= Methodentipp: Schneeballschlacht)
Immer wieder erlebe ich, dass Transformation in der Bildung blockiert wird, weil ein erster wichtiger Schritt vergessen wird: das Verlernen oder der bewusste Abschied von überholten Konzepten!
Das führt dann zum Beispiel zu der Situation, dass eine Lehrkraft feststellt, dass sie für eine personalisierte Lernbegleitung, wie es eigentlich wünschenswert wäre, keine Zeit hat, weil sie ja vor der Klasse stehen und Stoff vermitteln muss. Wenn stattdessen zuerst gefragt worden wäre, von was es eigentlich weniger braucht oder was weg kann, dann wäre vielleicht durchaus gerade diese Stoffvermittlung durch Freiarbeit ersetzt worden. Dann wäre mehr Raum für personalisierte Lernbegleitung vorhanden.
Um die Herausforderung des Verlernens in einer Gruppe partizipativ und mit viel Bewegung anzugehen, kannst du zum Einstieg eine Runde ‚Was kann weg?‘-Schneeballschlacht spielen.
Das geht so:
Alle tauschen sich mit Nebensitzer*innen aus und notieren auf einem DinA4-Zettel eine möglichst konkrete Sache, die weg kann. Dann zerknüllen sie den Zettel und werfen ihn durch den Raum.
Wer einen anderen ‚Schneeball‘ auffängt, öffnet den Zettel, kommentiert oder liked den Eintrag, ergänzt einen weiteren Eintrag – und zerknüllt den Zettel wieder und wirft ihn weiter.
Am Ende landen alle Schneebälle vorne gut sichtbar in einem Papierkorb.
Durch den weiteren Workshop begleitet die Gruppe dann das Gefühl, dass es viel Raum für Neues gibt. Ausführlich habe ich die Methode in meinem Blog beschrieben.
Zum Blogbeitrag
👥 Team-Frage: Wie können wir im Kontext von KI Zusammenarbeit gut gestalten? (= das 3P-Modell für gute Kollaboration im Kontext von KI)
Ich habe mich im letzten Monat insbesondere mit der Frage beschäftigt, wie wir im Kontext von KI Zusammenarbeit gut gestalten können. Dazu habe ich das 3P-Modell entwickelt, was im Kern drei Fragen zum Weiterdenken beinhaltet:
Wie können wir Mensch-Maschine Interaktion (= die neue Form von Zusammenarbeit im Kontext von KI im Sinne von Prompting) ausgestalten?
Wie können wir es mit proaktiver Transparenz schaffen, dass menschliche Zusammenarbeit durch die Existenz von KI nicht durch Irritationen und Misstrauen gestört, sondern dadurch gestärkt wird?
Wie schaffen wir mehr Raum für Präsenz, was in einer zunehmend KI-geprägten Welt immer wichtiger wird?
Ausführlich habe ich diese drei Ebenen mitsamt ersten Ideen zum Ausprobieren in meinem Blog veröffentlicht. Du findest dort auch einen interaktiven Lerninhalt als OER zum Weiternutzen.
Zum Blogbeitrag
Herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit an den Virtuellen Campus Rheinland-Pfalz. Im Rahmen eines dort angebotenen Lernangebots entstanden diese Inhalte. Am 27. März geht es direkt weiter – dann mit einem Online-Workshop zu Kreativität und KI. Du kannst dich bei Interesse hier kostenfrei anmelden!
🖥️ Technologie-Frage: Macht Technologie das Lernen ärmer oder bietet sie neue Möglichkeiten? (= drei Fragen zur Reflexion aus unterschiedlichen Bereichen)
Wenn über Technologie-Einsatz in der Bildung gesprochen wird, dann ist die Perspektive darauf häufig eine Verlust- und Gefahren-Perspektive. Diese Perspektive lässt ein mögliches emanzipatorisches Potential von Technologie außen vor. Vor diesem Hintergrund habe ich drei Fragen zur Reflexion formuliert:
Wird Lernenden etwas weggenommen oder erhalten sie neue Möglichkeiten?
Werden die Daten von Lernenden geklaut oder können sie die von ihnen generierte Daten für ihr Lernen nutzen?
Bringen wir durch Technologie-Nutzung in der Bildung (ungewollt) Produkte für die anbietenden Unternehmen voran oder machen wir Technologie für uns alle besser?
Durch diese jeweils zusätzliche Perspektive kann ein gestaltender Blick auf Technologie entwickelt werden. Ausführlich habe ich diese Überlegungen inklusive konkreter Beispiele in einem Blogbeitrag aufgeschrieben.
Zum Blogbeitrag
💡 Praxisfrage: Was kann ich ausprobieren? (= viele Impulse und Ideen zum Weiternutzen)
Ich habe in den letzten Wochen einiges neu ausprobiert und gestaltet. Wenn du dir also die Frage stellst, was du erkunden könntest, um fragend voranzuschreiten, kommen hier ein paar Anregungen zum Weiternutzen:
1. Schnipsel-Präsentationen:

Eine alternative Form der Präsentation, die ich im Online-Kontext ausprobiert habe und die es mir ermöglicht hat, auf das Teilen meines Bildschirms zu verzichten (= sehr oft der Moment, in dem die Neben-Beschäftigungen starten), ist eine Schnipsel-Präsentation. Du benötigst dazu nur Schere und (am besten buntes) Papier. Vorab überlegst du dir für jeden Teil deines Impulses ein möglichst gut passendes und einfaches Symbol. Während du den jeweiligen Teil während der Präsentation erläuterst, schneidest du live das Symbol aus und hältst es in die Kamera. Bei meiner Schnipsel-Präsentation ging es um eine Kultur des Teilens. Mehr dazu steht in diesem Blogbeitrag.
2. Kreation 2.0

Ich habe meine Challenge Kreation 2.0 zur Erkundung neuer Interaktionsformen zwischen Mensch und Maschine fortgesetzt. Besonders viel Freude hatte ich mit einem Spiel, das dabei hilft, sich originär menschlicher Werte bewusster zu werden. Dazu fordert man ein KI-Sprachmodell heraus, eine möglichst konkrete Handlung zu nennen, die ein Mensch ausführen kann, aber eine Maschine nicht. Anschließend kann man versuchen, dem KI-Modell zu beweisen, dass eine Maschine es doch kann – oder es selbst ausprobieren. Besonders gut funktioniert das in Gruppen.
Hier ist der von mir genutzte Prompt beschrieben.

In eine ähnliche Richtung weist das Spiel „Begriffe erklären“, das nur in einer Gruppe gespielt werden kann und für das man am besten ein KI-Sprachmodell mit Audio-Funktion nutzt. Reihum muss jede Person den anderen in der Gruppe einen selbst gewählten Begriff erklären, ohne diesen direkt zu nennen. Der Clou: Die Gruppe bekommt nur dann einen Punkt, wenn das KI-Sprachmodell den Begriff nicht zuvor errät! Auf diese Weise wird allen in der Gruppe deutlich, welche gemeinsamen Erfahrungen sie verbinden.
Hier ist das Spiel beschrieben.
3. Mini-Mitgebsel für mehr Präsenz:

Im Kontext von KI werden originär menschliche Möglichkeiten wie Resonanz oder Intuition immer wichtiger. Denn ohne eine Verbindung zu uns selbst, zu anderen und zur Welt bleibt auch die KI-Nutzung wenig sinnstiftend. Vor diesem Hintergrund verteile ich in meinen KI-Workshops vor Ort zum Abschluss gerne Teebeutel als Mini-Mitgebsel an die Teilnehmenden, damit sie sich daran erinnern. Die Teebeutel sind mit folgendem Text bedruckt: „Nimm dir Zeit für einen Tee – mit dir selbst und mit anderen! Je mehr du deine Intuition entwickelst, desto besser kannst du KI nutzen. Dafür musst du in Resonanz mit dir und der Welt treten – und das braucht bewusste Zeit.“ 🙂
Bedruckte Teebeutel
4. KI erkundend erklären!
Ich nutze gerne drei Online-Tools, um KI in Workshops erkundend zu erklären. Da das eigentlich immer wieder sehr gut funktioniert, möchte ich das als eine mögliche gute Praxis gerne weiterempfehlen:
a) Autodraw: Teilnehmende kritzeln lassen und gemeinsam überlegen, was hier wohl „unter der Haube“ abläuft.
b) Teachable Machine: Ein KI-Modell live bauen und ausprobieren – und dabei erklären, dass „Training“ bedeutet, dass das Tool selbst nach Mustern in den bereitgestellten Daten sucht (und dass dabei auch Fehler auftreten können).
c) Das didaktische Sprachmodell SoekiaGPT: Erst zeigen und erklären (= Sprachmodelle geben Output auf Grundlage einer Datenbasis, Wahrscheinlichkeitsberechnung und gewählten Vorgaben), dann die Teilnehmenden selbst erkunden lassen.
5. Interaktion auf einem kollaborativen Whiteboard, z. B. in BigBlueButton
Bei Online-Workshops lässt sich als einfache Interaktion das Spiel „1, 2 oder 3“ einbauen. Dafür brauchst du drei Optionen-Kästen auf einer Folie. Daneben steht der Satz „Ob ihr wirklich richtig steht, seht ihr, wenn das Licht angeht!“ Dann wird eine Frage oder ein Beispiel erzählt, und die Teilnehmenden ordnen sich mit ihrem Mauszeiger der passenden Antwort auf der Folie zu. Das „Licht einschalten“ erfolgt durch die Aktivierung des kollaborativen Whiteboards – damit werden auf einen Schlag alle Mauszeiger sichtbar. Anschließend kann direkt aufgelöst und in den Austausch gegangen werden.
🤖 KI-Check-Frage: Kann ich Lernenden meine KI-Nutzung in der Lehre überzeugend begründen? (= eine einfache Selbstüberprüfung)
Viele Pädagog*innen experimentieren zurzeit mit dem Einsatz von KI in ihrer Lehre. Das kann sehr viel Freude machen. Zugleich kann es aber auch mit Unsicherheiten verbunden sein, weil man die eigene pädagogische Rolle zum Teil neu definieren muss und sich immer wieder hinterfragt, welche KI-Nutzung eigentlich wie sinnvoll sein kann. Mir hat in dieser Situation eine eigentlich sehr einfache Frage geholfen, um für mich mehr Klarheit zu erhalten. Diese Frage lautet:
„Kann ich Lernenden überzeugend erklären, warum und wie ich KI in meiner Lehre einsetze?“
Auf diese Frage gibt es weniger überzeugende Antworten (z. B. „Ich möchte es mir selbst möglichst einfach machen.“), adultistische Antworten (z. B. „Das braucht dich nicht zu interessieren!“) und auch ehrliche Antworten (z. B. „Ich bin gerade noch dabei, das herauszufinden.“).
Wenn man keine Antwort geben kann oder mit der gefundenen Antwort selbst nicht zufrieden ist, sollte man seinen KI-Einsatz wahrscheinlich noch einmal überdenken.
Für mich würde ich unter anderem diese Antworten geben:
Ich versuche, mit KI meine Lehre vielfältiger zu machen und z. B. blinde Flecken in meiner Lerngestaltung mithilfe von KI gezielt aufzuspüren.
Ich kann durch KI-Nutzung mehr und vielfältigere Impulse für Lernende kuratieren und professioneller aufbereitet zur Verfügung stellen. Damit kann z. B. selbstbestimmtes Lernen an Stationen oder können Flipped-Lernphasen besser gestaltet werden.
Ich kann im Rahmen von Lehre selbst auch Lernende sein und KI nutzen, um mir neue Themen zu erschließen. Ich kann mithilfe von KI gezielt Impulse für Austausch generieren lassen, z. B. Zufallsgeneratoren im Design Thinking oder fiktive Zitate zum Einstieg.
Es macht mir sehr viel Freude, mit KI zu experimentieren und dabei immer auch mit einem kritischen Blick zu reflektieren. Ich hoffe, dass sich solch eine erkundende Haltung auf Lernende überträgt und sie von mir lernen, aktiv gestaltend auf Veränderungen zu reagieren.

Und Du? Kannst du für dich eine Antwort formulieren, die deine Lernenden überzeugen könnte? (Die Frage kann übrigens auch umgedreht und an Lernende gestellt werden: „Kannst du mir überzeugend erklären, warum und wie du KI zum Lernen nutzt?“)
Für eine umfangreichere Diskussion über gute KI-Nutzung habe ich ein Workshopmaterial mit drei Leitfragen formuliert:
Regenerativ: Wie kann ich KI so nutzen, dass sie mir Energie gibt, mich mit anderen Menschen und der Welt verbindet, meine Arbeit und mein Lernen als sinnstiftend erlebbar macht und mich nicht auslaugt?
Transformativ: Wie kann ich KI so nutzen, dass ich wo nötig neue Schwerpunkte setze, überholte Praktiken ablege und antizipiere, welche veränderten Ansätze in einer KI-geprägten Welt an Bedeutung gewinnen?
Wachstumsorientiert: Wie kann ich KI so nutzen, dass ich langfristig nicht verdumme oder meine Fähigkeiten verkümmern, sondern ich durch kreative Mensch-Maschine-Interaktion klüger und kompetenter werde?
Zum Workshopmaterial
👉 Deine Frage: Wie kommen wir in der Bildung von … zu … trotz … ? (= Gemeinsam relevante Fragen zur Transformation entwickeln)
Jetzt habe ich dir in dieser Edumail schon viele Fragen zur Reflexion vorgeschlagen. Am besten kannst du aber wahrscheinlich fragend voranschreiten, wenn du eigene, für dich relevante Fragen entwickelst. Sehr gut kann dabei dieser offene Lückentext helfen: „Wie kommen wir in der Bildung von … zu … trotz …?“ Mit dem Ausfüllen wird klar(er), wo man aktuell steht, wo man hinwill und welche Herausforderungen es dabei zu bewältigen gibt. Ich nutze diesen Lückentext vor diesem Hintergrund gerne als Zwischeninteraktion bei Vorträgen zur Transformation in der Bildung oder auch in Workshops.  
👋 Abschlussfrage: Welche Frage nimmst du dir als erstes vor?
Zum Abschluss dieser Edumail stelle ich dir wie gewohnt meine üblichen Fragen: War die Edumail hilfreich? Welches Feedback hast du? Was möchtest du mir sonst mitteilen? Du kannst einfach auf diese Mail antworten. Mache das gerne auch dann, wenn du Lust hast, ein spannendes Bildungsprojekt gemeinsam umzusetzen.
Und um nicht nur zu lesen, sondern wirklich fragend voranzuschreiten, schlage ich außerdem vor, dass du dir am besten direkt jetzt eine der vielen Fragen aussuchst und mit der Reflexion sowie dem Erkunden beginnst.

Viel Freude, alles Gute und bis zur Edumail Ende März! 🙂

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