Ich bin auf der Rückfahrt von Hildesheim, wo ich heute an der HAWK einen Workshop zur Gestaltung einer guten Lern- und Prüfungskultur im Kontext von KI gestaltet habe. Den Tag fand ich sehr lohnend und gelungen – und teile hier deshalb gerne Konzept und Materialien.
Rahmen
Den wahrscheinlich wichtigsten Part für das Gelingen des Workshops hatte ich gar nicht in der Hand, sondern habe ich den Kolleg*innen vor Ort zu verdanken. Sie haben sich darum gekümmert, dass die grundlegenden Aspekte stimmten:
- Die Hochschule greift das Thema generative KI in der Bildung bewusst proaktiv auf. Das bedeutet nicht, dass sie KI bejubelt, sondern dass sie es als ein Thema einordnet, das das Lernen prägt und wahrscheinlich auch zukünftig prägen wird. Deshalb gilt es, sich damit auseinanderzusetzen.
- Die Hochschule ermöglicht ein erkundendes Lernen. Bei allen Beteiligten des Workshops hatte ich den Eindruck, dass sie in den letzten Monaten sowohl ganz praktische Unterstützung erfahren hatten (insbesondere einstiegsorientierte Angebote zur grundsätzlichen Erklärung) als auch mit der HAWKI-Schnittstelle einen hochschulinternen Zugang zur Nutzung eines KI-Sprachmodells.
- Die Servicestelle für Qualität in der Lehre stellt nun das weitere Fortbildungsprogramm auf die Beine. Den Kolleginnen war es gelungen, Multiplikatorinnen von allen Standorten und Fachbereichen sowie mit unterschiedlichen Perspektiven zusammenzubekommen. Die Einladung hatte den Tenor: „Lasst uns gemeinsam lernen und gestalten!“
Insgesamt waren wir beim Workshop rund 25 Personen. Der Zeitrahmen war von 10 bis 16 Uhr.
Meine Konzeption
Ganz grob hatte ich den Tag in drei Teile unterteilt:
- Verstehen: Im ersten Teil ging es um die kollaborative Rekapitulation der Grundlagen, sodass alle auf einer gemeinsamen Grundlage lernen und diskutieren konnten.
- Explorieren: Im zweiten Teil ging es darum, durch bewusst mosaikartig angelegte Methoden in einen vertieften Austausch zu kommen und das Denken zu öffnen.
- Ideen-Entwicklung: Im dritten Teil arbeiteten wir zu konkreten Fragen und entwickelten Ansatzpunkte für erste Schritte.
Im Folgenden beschreibe ich, wie wir genau vorgegangen sind. Vor dem richtigen Start haben wir eine schnelle Speed-Dating-Runde gemacht: Alle liefen durch den Raum, stellten sich gegenseitig vor und versuchten dann, ihre Plätze so zu wählen, dass an jeder der Tischinseln möglichst viele unterschiedliche Perspektiven vertreten waren.
Teil 1: Verstehen
Der erste Part war als Murmelrundenvortrag angelegt. Ich habe meinen nun schon häufiger genutzten Vortrag zum grundlegenden Einstieg genutzt. Dabei geht es mir zuerst immer darum, die grundsätzliche Funktionsweise von KI-Sprachmodellen zu verdeutlichen und allen in Erinnerung zu rufen, dass es sich dabei um gestaltbare Technik und nicht um Magie handelt. Ich nutze dazu gerne das Bild des „stochastischen Papageis“ von Emily Bender – und erkläre dann die Weiterentwicklung des Transformer-Modells, bei dem wir es nicht mehr mit einfacher Satzvervollständigung, sondern mit einer deutlich komplexeren Wahrscheinlichkeitsberechnung zu tun haben, die es ermöglicht, dass der Kontext mitberücksichtigt wird und auf Eingaben zum Teil sehr gute Ausgaben generiert werden können.
Von Andreas Dengel habe ich hier das schöne Beispiel zur Illustration gelernt, das man direkt mit der Gruppe ausprobieren kann:
- Man fragt zunächst, wie der Satz weitergeht: „Süßes oder…?“ Gerade kurz nach Halloween werden alle sehr wahrscheinlich mit „Saures“ antworten.
- Dann erzählt man die Geschichte, dass man mit Freunden im Kino war, zum Popcorn-Stand ging und vorher fragte, welches Popcorn sie möchten: „Süßes oder…?“ Sehr wahrscheinlich werden die Zuhörenden nun richtigerweise mit „Salziges“ antworten. Genau diese Kontext-Berücksichtigung haben inzwischen auch große Sprachmodelle gelernt.
An diese erste Erklärung schließt sich direkt eine Murmelrunde an: Alle sind eingeladen, ihre Definitionen zu KI mit Nebensitzer*innen zu besprechen.
Weiter geht es dann mit einer Darstellung der Widersprüchlichkeit von KI in der Bildung. Es ist zum Beispiel gleichermaßen richtig, dass KI zur Verdummung von Menschen beitragen kann, wie auch dass es super lernförderlich sein kann. Es kommt immer darauf an, wie man es gestaltet. „Sowohl als auch“ hilft in der Regel deutlich besser weiter als „Entweder-Oder“. Ich nenne das auch Shruggie-Haltung. ¯\_(ツ)_/¯
An diesen Part schließt sich die nächste Murmelrunde an, in der die Teilnehmenden solche Widersprüche selbst erkunden können. Dazu nutzte ich meine Widerspruchskarten von KI-Orientierung.
Zum Abschluss habe ich noch fünf grundsätzliche Orientierungen vorgestellt, die mir für den weiteren Workshop und bei der Gestaltung von KI in der Bildung insgesamt wichtig erscheinen:
- Wertequadrat zwischen Aufgeschlossenheit für Neues und kritischer Reflexion gut ausbalancieren.
- Fokus auf die Veränderung der Lern- und Prüfungskultur im Kontext von KI legen und nicht nur auf Lernen mit KI.
- Freiräume zum Erkunden und Experimentieren einfordern und nutzen.
- Auf eine pädagogische Haltung von Zutrauen und Wachstum orientieren.
- Mehr digitale Mündigkeit als Ziel setzen.
Nach diesem kurzen Einstieg und ersten Austauschphasen ging es in die Exploration.
Teil 2: Exploration
Bei der Exploration ging es darum, das Thema KI in der Bildung aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten, das Denken zu öffnen und in einen intensiven Austausch untereinander zu kommen. Ich habe dazu die folgenden drei Methoden genutzt:
Methode 1: Wozu sollten wir lernen, was Maschinen besser können?
Die Frage „Wozu sollten wir lernen, was Maschinen besser können?“ ist insbesondere von Beat Döbeli Honegger in die KI-Debatte in der Bildung gebracht worden. Ich habe die Teilnehmenden zunächst zu einem offenen Brainstorming dazu eingeladen. Anschließend haben sie die 3–5 wichtigsten gesammelten Aspekte an jeder Tischinsel an einer Pinnwand geteilt.
Methode 2: Future Wheel
Aus dem Methodenkasten des Design Futuring stammt das „Future Wheel“. Es funktioniert so, dass in die Mitte eines großen Papiers ein beobachtbarer Trend geschrieben wird. Bei uns war das: „Generative KI prägt zunehmend die Bildung.“ Um diesen Mittel-Kreis herum wurden alle Aspekte festgehalten, die den Teilnehmenden damit verbunden einfielen, was den zweiten Kreis des Rades ergab. Spätestens ab da wurde es dann immer spannender, weil es nun zu reflektieren galt, was jeweils aus diesen gesammelten Aspekten folgen könnte. So konnte man sich langsam von innen nach außen vorarbeiten. Alle erhielten so einen Eindruck davon, was mit generativer KI in der Bildung alles potenziell in Bewegung gerät.
Methode 3: Persona-Gestaltung mit Troika-Consulting
Die dritte Methode war dann noch eine Persona-Gestaltung. Hier ging es um die Entwicklung einer fiktiven Person an der Hochschule, deren Perspektive den Beteiligten wichtig war. Jeder kritzelte und beschriftete eine solche Persona.
Danach kamen die Beteiligten in Dreier-Gruppen zusammen. Die erste Person begann und stellte vor, was der Blick ihrer Persona auf das Thema KI sei und welchen Wunsch sie zum Umgang mit dem Thema hätte. Dann drehte sie sich weg und die anderen beiden beratschlagten über diesen Wunsch.
Anschließend waren die nächsten beiden Personen an der Reihe.
Abschluss der Exploration: Relevante und offene Nordsterne!
Zum Abschluss der Explorations-Phase kamen alle wieder an ihre Tischinseln zurück und beratschlagten gemeinsam, was aus ihrer Sicht im Ergebnis der getätigten Erkundungen wichtige Nordsterne im Kontext von KI in der Bildung sind. Diese wurden auf Karten geschrieben – und nach Absprache mit mindestens einer Person aus einer anderen Gruppe – in einem Koordinatensystem einsortiert. Dieses hatte als erste Achse die Relevanz: Wie wichtig ist uns dieser Nordstern? Die zweite Achse war die Offenheit: Wie wenig Antworten haben wir darauf bis jetzt / wie offen sind wir noch in unseren Erkundungen?
Diese Koordinatenachsen-Variante habe ich zum ersten Mal so genutzt und fand es sehr zielführend, um im oberen Quadranten die Themen identifizieren zu können, bei denen Beratung als besonders herausfordernd und wichtig angesehen wird.
Nach diesem Zwischenfazit gingen wir alle mit sehr viel Inspiration in den Köpfen in die Mittagspause.
Teil 3: Ideenentwicklung
In die Ideenentwicklung starteten wir so, dass wir zunächst gute und möglichst konkrete Fragen entwickelten. Dazu orientierten wir uns an der Question Formulation Technique:
- Erster Schritt: Alle Gruppen schrieben in vier Minuten so viele Fragen wie möglich auf, die ihnen zur Gestaltung guter Bildung im Kontext von KI in den Sinn kamen. Wichtig war: Alles aufschreiben, noch nicht diskutieren!
- Zweiter Schritt: Die Fragen wurden, wo nötig, weiter qualifiziert und offener bzw. mit mehr Gestaltungsperspektive formuliert. Ich habe als Anregung den Frageanfang „Wie können wir …?“ mitgegeben.
Von dieser Frageformulierung gingen wir in ein Mini-Barcamp über, wozu wir eine Art zweistufige Sessionplanung gestalteten:
- Erste Phase: Alle notierten die Fragen, die ihnen besonders wichtig waren, auf Karteikarten und brachten sie an eine Pinnwand. Ich sortierte die Karten grob in drei Slots ein.
- Zweite Phase: Da wir viele, vor allem sehr wichtige Fragen entwickelt hatten, waren in jedem Slot nun zu viele „Sessions“. Deshalb konnten Freiwillige nach vorne kommen, sich eine Frage auswählen, sie nochmals vorlesen und dazu einladen, diese gemeinsam zu diskutieren. Dabei wurde zugleich angekündigt, an welcher Tischinsel die Diskussion stattfinden sollte.
Auf diese Weise führten wir drei Slots mit je 20 Minuten Zeit durch. Das ermöglichte sehr intensive Diskussionen. Dokumentiert wurde auf Karteikarten, die anschließend mitsamt der Fragekarte in einen Umschlag gesteckt und an mich zur Aufbereitung übergeben wurden.
Konkretisierung durch Brainwriting
Nach dem Mini-Barcamp wollten wir noch einmal konkreter werden. Dazu führten wir ein Brainwriting durch:
- Jede Person erhielt ein DIN-A4-Blatt, das so gefaltet war, dass es neun Felder hatte. Auf der Rückseite wurde der eigene Name notiert.
- In die erste Zeile schrieb jede*r drei Ideen, was erste mögliche Schritte sein könnten, die sofort angegangen werden könnten.
- Anschließend wurde der Zettel nacheinander an zwei weitere Personen weitergegeben, die die ursprünglichen Ideen kommentierten und so weiter qualifizierten. Danach ging der Zettel wieder an die ursprüngliche Person zurück, die ihre Lieblingsidee auswählte und mit Konkretisierung auf eine Karteikarte schrieb.
35er-Austausch
Mit der Karteikarte in der Hand bewegten sich alle durch den Raum. Wenn sie eine andere Person trafen, stellten sie sich gegenseitig ihre Ideen vor und verteilten dann 7 Punkte auf die Ideen (z. B. eine Idee bekommt 4 Punkte, die andere 3 Punkte). Die Punktezahl wurde auf die Rückseite der Karte notiert. Anschließend wurden die Karten getauscht, und das nächste Gespräch begann. Insgesamt gab es fünf Runden, sodass eine Karte maximal 35 Punkte erhalten konnte.
Abschluss: Präsentation der besten Ideen
In einem Countdown wurden die zehn „besten“ Ideen im Plenum vorgestellt. Natürlich nicht, ohne darauf hinzuweisen, dass alle Ideen wertvoll sind und dass die Auswahl relativ zufällig ist. Trotzdem schafft solch eine Vorstellung ein sehr schönes, verbindendes und motivierendes Moment zum Schluss.
Fazit
Zum Abschluss des Tages machten wir noch eine schnelle Blitzlichtrunde. Ich freute mich über sehr viel Begeisterung zum Konzept!
Vor mir liegt nun die Herausforderung der Verschriftlichung der Ergebnisse. Von dem, was ich vor Ort mitbekommen habe, sind sehr gute und vielfältige Sachen zusammengekommen, weshalb ich mich darauf sehr freue. Auch diese inhaltlichen Ergebnisse werden wir dann teilen.
Für mich ist der heutige Tag ein wunderbares Beispiel dafür, wie Lernen zu KI im Kontext der Bildung viel mehr aussehen sollte: Räume schaffen, um sich auszutauschen, gemeinsam zu lernen und daran anschließend zu gestalten.
Vielen Dank an die Kolleginnen von der Servicestelle Qualität in der Lehre, insbesondere an Cornelia Roser, für die Einladung und Beauftragung. Die Konzeption und Durchführung dieses Tages hat mir sehr viel Freude gemacht!
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