Wenn im Bildungsbereich Videokonferenzen stattfinden, d.h. synchrone Online-Treffen in einem Videokonferenzraum, dann hört und liest man für sie häufig die Bezeichnung ‘Webinare’. Das suggeriert Einheitlichkeit. Tatsächlich sind ‘Webinare’ aber sehr unterschiedlich im Hinblick darauf, wie gelehrt und gelernt wird. Im folgenden stelle ich einige ‘Webinar’-Formate vor, die ich in den letzten Wochen gestaltet und/ oder an denen ich mich beteiligt war. Für jedes Format ergeben sich unterschiedliche Möglichkeiten, um es inerhalb eines Lernprozesses zu nutzen. Ich halte jeweils fest, was aus meiner Sicht bei der Gestaltung des Formats entscheidend ist.
1. Input
Beim Input stellt die lehrende Person ein Thema vor. Dazu wird häufig eine Präsentation verwendet, die über Bildschirmfreigabe mit Teilnehmenden geteilt wird. Anschließend besteht die Möglichkeit zu Nachfragen. Diese Input-Variante eignet sich gut, um sich als lernende Person schnell und komprimiert über ein Thema zu informieren bzw. als lehrende Person Erfahrungen weiterzugeben. Das Input-Format wird aktuell z.B. bei den OERcamp Webtalks genutzt. Es eignet sich gut als Teil eines umfangreicheren Online-Angebotes. Es ist auch im Anschluss gut möglich, die Aufzeichnungen als Inhalte z.B. in Online-Kursen weiter zu nutzen.
Erfolgskriterien für das Input-Format:
- ‘Von der Aufzeichnung her denken’: zuerst Input geben, anschließend Fragen und Antworten. Der Input-Teil kann aufgezeichnet werden, so dass ihn anschließend noch mehr Menschen nutzen können.
- Falls vorhanden den ‘Webinar-Modus’ des Videokonferenztools nutzen, d.h. Teilnehmende müssen freigeschalten werden, um sich aktiv einbringen zu können. In der Regel hören und schauen sie lediglich zu. Die technische Hürden sind vor diesem Hintergrund nur gering.
- Den Chat erklären und aktiv nutzen: hier können Teilnehmende Fragen stellen und sich auch untereinander austauschen.
- Neben der inputgebenden Person eine moderierende Person dazu ziehen, die den Chat im Auge behält und die Fragen an die inputgebende Person weiter gibt.
- Die reine Inputphase möglichst nicht zu lang machen (max 30 Minuten), danach flexibel und je nach Bedarf Zeit für Fragen und Antworten nehmen (Teilnehmende können dann solange bleiben, solange sie möchten – allen sollte es aber möglich sein, mindestens den Input mitzubekommen.)
- Für die inputgebende Person ist das Format herausfordernd, weil man ‘ins Schwarze spricht’ und keine Reaktionen erhält. Meine Erfahrung ist, dass man sich daran mit der Zeit gewöhnt.
2. Kennenlernen/ Gruppenbildung
Beim Kennenlernen steht soziale Präsenz im Vordergrund. Teilnehmende sind die gesamte Zeit über aktiv gefordert und alle sollten nach Möglichkeit mit Kamera zugeschaltet sein. Ich nutze dieses Format gerne zum Einstieg in einen anschließenden Online-Kurs mit Selbstlern- und asynchronen Austauschphasen. Denn je besser sich die Teilnehmenden hier zunächst kennenlernen, desto erfolgreicher verläuft das anschließende gemeinsame Weiterlernen.
Erfolgskriterien für das Input-Format:
- Es ist wichtig, im Vorfeld zu kommunizieren, dass die Teilnehmenden kein Input erwartet – und dass passives ‘Nebenbei-Zuhören’ nicht möglich ist.
- Bei technisch ungeübten Menschen empfiehlt sich ein Vorab-Technik-Check, weil Kamera und Audio zur Beteiligung gebraucht wird.
- Partizipative Möglichkeiten mit Energizern, ‘Gruppenaufstellung’, Umfragen via Chat oder Handzeichen in die Kamera … nutzen. Nicht nur nacheinander reden.
- Bei größeren Gruppen BreakOut-Räume nutzen. Eine gute Anzahl pro BreakOutgruppe sind 3 Personen. Schöne Kennenlern-Aktivitäten sind z.B. ‘Überlegt Euch drei Superkräfte, die ihr gerne für die erfolgreiche Bewältigung des Online-Kurses hättet’, ‘Findet drei nicht offensichtliche Gemeinsamkeiten unter Euch’ etc.
- Da aktive Beteiligung gefragt ist, sollte der zeitliche Rahmen im Vorfeld gut kommuniziert und dann nicht überschritten werden. 45 Minuten sind meist ausreichend.
3. Austausch
Beim Austausch können unterschiedliche Ziele verfolgt werden. Etwa kann ein Lernprozess reflektiert und Schlussfolgerungen festgehalten werden oder man kann sich gemeinsam über ein Thema/ eine Fragestellung austauschen. Herausfordernd ist hieran vor allem, dass alle sich einbringen können und die Diskussion für alle gewinnbringend strukturiert wird.
Erfolgskriterien für das Austausch-Format:
- Eine Moderation, die auch aus der Gruppe heraus bestimmt werden kann, ist hilfreich.
- Zu Beginn Diskussionsregeln und Klärungen zur Beteiligung festlegen, die von der moderierenden Person dann eingehalten werden (z.B. Wie meldet man sich zu Wort? Gibt es eine Redezeitbegrenzung? etc.)
- Es kann hilfreich sein nonverbale Diskussions-Handzeichen vorzustellen und während des Austausches zu nutzen (Hier findet sich eine mögliche Übersicht). Alternativ können entsprechende Karten zur Verfügung gestellt, von den Teilnehmenden ausgedruckt und bei Bedarf in die Kamera gehalten werden.
- Eine Flipped- oder Einstiegs-Brainstorming Sammlung zur Frage “Welche Themen wollen wir besprechen?” kann dabei unterstützen, Themen zu priorisieren und die Diskussion zu strukturieren.
4. Meeting / Socializing
Das Meeting ähnelt von der Gestaltung her ein wenig dem Austausch-Format, aber ist deutlich niederschwelliger angelegt und findet oft wiederkehrend statt. Wichtig kann es bei Remote-Aktivitäten vor allem deshalb sein, weil hier auch auf vermeintlich ‘unwichtige’ Dinge geklärt und besprochen werden können (was im Präsenzkontext einfacher ungeplant nebenher passiert) und so mögliche Konflikte in einer Lerngruppe gar nicht erst entstehen.
Erfolgskriterien für das Meeting-Format:
- Zu Beginn klären, ob aufgezeichnet / Bilder gemacht werden. Gerade in diesem Format ist es oft empfehlenswert ‘unter sich’ zu bleiben, so dass offen gesprochen werden kann.
- Nebenher-Aktivitäten gezielt anregen (‘Holt Euch einen Kaffee / etwas zu essen’). Als wiederkehrender Termin kann ein ‘Bildungsbrunch’ online organisiert werden.
- Falls nicht bekannt: die Gallery-Ansicht im jeweiligen Videokonferenzraum zeigen, d.h. (fast) alle Teilnehmenden können sich gleichzeitig sehen, nicht nur die Person in groß, die gerade redet.
- Stille Personen eventuell gezielt ansprechen, um sie einzubeziehen.
- Der Chat lässt sich als zusätziche Ebene nutzen – gerade auch mit privaten Nachrichten.
- Offenheit zulassen
5. Podiums-Diskussion
Bei der Podiums-Diskussion geht es darum, ein Thema aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Zum einen kann das Format öffentlich gestaltet sein. In diesem Fall gibt es Podiumsteilnehmende und Zuhörende- Letztere melden sich z.B. über den Chat zu Wort oder können sich auch in einer Art Online-Fishbowl-Format zuschalten. Zum anderen können Diskussionen (wie oben beim Input beschrieben) von der Aufzeichnung her gedacht werden. Es handelt sich dann um ‘aufgezeichnete Gesprächsrunden’. Unter anderem habe ich hier eine Gesprächsrunde zum Einstieg in die Wikipedia moderiert.
Erfolgskriterien für das Podiums-Diskussion-Format:
- Eine Person sollte die Diskussion moderieren, d.h. zu Beginn die Diskussions-Teilnehmenden vorstellen und dann Fragen an sie richten.
- Bei der Aufzeichnung sind Kapitelmarken hilfreich bzw. eine Aufbereitung in der Form, dass von den Podiumsteilnehmenden erwähnte Links unter dem Video zusammengestellt werden.
- Um das Ansehen spannend zu gestalten, ist es hilfreich, nicht zu viel vorzubesprechen und zu planen, sondern Spontanität zuzulassen.
- Bei mehreren Diskussionsteilnehmenden kann im Vorfeld vereinbart werden, wie sie jeweils signalisieren wollen, dass sie etwas erwidern/ etwas zu einer Frage beitragen möchten.
6. Coaching/ Support
Beim Coaching/ Support geht es um die Klärung von Fragen. Das Format kann zu zweit oder in sehr kleinen Gruppen durchgeführt werden. Das Ziel ist es, dass Lernende die Möglichkeit haben, ihre spezifischen Fragen zu stellen und Unterstützung bei der Beantwortung zu erhalten. Im Kontext digitaler Bildung geht es dabei häufig um Fragen zu Tools und Technik. In diesenm Fällen bietet es sich an, mit Bildschirmfreigaben zu arbeiten und etwas Schritt für Schritt vorzuführen. Das Coaching/ Support Format eignet sich auch gut in einem Peer-to-Peer Lernkontext, bei dem Lernende sich gegenseitig unterstützen.
Erfolgskriterien für das Coaching-Format:
- Niederschwellige Vereinbarung und Teilnahme muss möglich sein.
- Bei einer Trennung zwischen lehrender und lernender Person: Fragen nicht zu ausufernd beantworten; häufig rückvergewissern, ob das so verstanden wurde. Ermutigung zu auch ‘dummen Fragen’ (die es ja gar nicht gibt).
- Hilfreich bei Tool-Fragen ist es, das Zeigen ‘umzukehren’, d.h. die fragende Person führt vor, wie sie aktuell vorgeht und zeigt dazu ihren Bildschirm; die unterstützende Person erläutert die nötigen Schritte per Audio.
- Soviel Zeit nehmen, wie benötigt wird. Es ist auch in Ordnung und kommt durchaus häufiger vor, dass man schon nach wenigen Minuten fertig ist.
- In Kursen kann ein ‘offener Coaching-Termin’ angeboten werden: In diesem Zeitraum ist der Videokonferenzraum offen – und alle die Fragen haben, können dazu kommen. Bei zahlreichen Teilnehmenden lässt sich das auch mt BreakOut-Räumen verbinden: Fragen sammeln und dann unterschiedliche BreakOut-Räume zur Klärung einrichten.
7. Workshop / Hands-On
Beim Workshop wird gemeinsam etwas erarbeitet/ gestaltet. Das lässt sich auch online umsetzen. Gerade bei einer längeren Zeitspanne wird zum Teil auch von einem ‘Sprint’ gesprochen.
Erfolgskriterien für das Workshop-Format:
- Vorab kommunizieren und klären, was benötigt wird und wie man vorgehen möchte. Falls Teilnehmende Materialien und/ oder Zugänge zu bestimmter Software benötigen, lässt sich das schon vorher einrichten. Alternativ zunächst gemeinsam klären, wie man vorgehen möchte.
- Bei längeren Workshops mindestens jede Stunde eine Pause machen.
- Ich mag bei Workshops ‘gesplittete’ Webinre: zunächst eine kurze Einführung/ Vorbereitung, dann konzentriertes Arbeiten z.B. in einer kollaborativen Schreibumgebung, dann Zwischenüberlegungen/ Fazit wieder im Online-Meeting.
8. Lighntning-Talks
Lighntning-Talks sind ‘Inputs von mehreren’. Sie ähneln damit dem Input-Format und dem Podiumsdiskussion-Format. Im Unterschied zum letzteren stehen die Beiträge aber eher unverbunden nebeneinander. Für Lernende ist das Format spannend, weil man in kurzer Zeit einen Überblick über viele unterschiedliche Themen bzw. vielfältige Inspirationen erhält.
Erfolgskriterien für das Lighntning-Talk-Format:
- Spannend sind Lighntning Talks vor allem durch spannende Teilgebende.
- Themen/ Beiträge lassen sich vorab sammeln – oder auch erst gemeinsam nach dem Start.
- Jeder einzelne Lightning Talk sollte zeitlich nicht zu lang sein (z.B. 5 Minuten). Auf die Einhaltung der Zeit sollte geachtet werden.
- Schön ist das Format z.B. für ‘Geschichten vom Scheitern’, wie es beim Abendprogramm des Educamp umgesetzt wurde.
Fazit
Die Liste dieser 8 Formate ist sicherlich nicht abschließend – vor allem da zudem auch alle möglichen Kombinationen denkbar sind. Wichtig finde ich vor allem drei Aspekte:
- Webinare lassen sich sehr vielfältig gestalten. Was und wie gestaltet wird, muss ausgehend von der jeweiligen Lernsituation entschieden werden.
- Ein (Online)-Lernprozess besteht in der Regel nicht nur aus einem Webinar. Auch inputorientierte Formate können auf diese Weise z.B. als ein Bestandteil von zahleichen weiteren Elementen zu einem kollaborativen und zeitgemäßen Lernen im Online-Kontext genutzt werden.
- Auch wenn die Funktion von manchen Formaten aus dem Präsenz-Kontext bekannt ist, so ist doch oft eine veränderte Vorbereitung/ Gestaltung erforderlich.
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