Von Missgunst zu Mitfreude

Missgunst ist ein hässliches Gefühl: Es nagt innerlich an uns, macht uns unzufrieden und verhindert vor allem, dass wir gut und freudvoll zusammenarbeiten können. In diesem Blogbeitrag schreibe ich darüber, welchen Umgang ich für mich mit Missgunst gefunden habe. Ich schreibe aus meiner Perspektive als einer freiberuflich tätigen Person im Bildungskontext. Es kann sein, dass Missgunst in diesem Bereich besonders leicht entsteht, da ich auf Aufträge angewiesen bin und meine Angebote vermarkten muss, was schnell zu Konkurrenz und in der Folge zu Missgunst führen kann. Ich erlebe Missgunst jedoch auch in anderen Kontexten: in einem Kollegium an einer Schule, in einem Team in einer Erwachsenenbildungseinrichtung, innerhalb neuer Bildungsinitiativen und in vielen weiteren Bereichen. Meine Learnings, Erfahrungen und Überlegungen können deshalb auch für andere relevant sein, weshalb ich mich entschieden habe, sie zu teilen.

Was ist Missgunst?

Missgunst ist das Gefühl, einer anderen Person etwas nicht zu gönnen, und damit verbunden die Unzufriedenheit darüber, dass diese Person etwas erreicht oder gestaltet hat, was man vielleicht selbst auch gerne geschafft hätte. Oft ist damit ein direkter Vergleich und ein Konkurrenzdenken verbunden.

Missgünstige Gedanken, die in meinem Kopf auftauchen, klingen zum Beispiel so:

  • „Das ist wirklich eine coole Idee, die diese Person hatte. Warum bin ich nicht zuerst darauf gekommen?“
  • „Warum darf diese Person die Keynote halten, und ich wurde ’nur‘ für einen Workshop angefragt?“
  • „Warum liken so viele diesen doch eher dürftigen Beitrag? Das ist doch echt nichts Besonderes!“
  • „Warum muss diese Person eine kleine Sache so sehr aufplustern und sich damit selbst so wichtig machen?“
  • „Ich hätte das bestimmt besser hinbekommen …“

Was ist Missgunst nicht?

Missgunst muss von inhaltlicher Kritik unterschieden werden. Bei inhaltlicher Kritik kann zwar auch latent Missgunst mitschwingen, aber das vorherrschende Gefühl ist, dass ich etwas, was eine andere Person sagt, macht oder vorschlägt, inhaltlich falsch finde. Das kann ich dann rational meist gut begründen.

Bei Missgunst ist es bei mir dagegen so, dass ich sie oft gegenüber Menschen verspüre, deren Arbeit ich inhaltlich eigentlich sehr sinnvoll und richtig finde. Genau deshalb macht mich das Gefühl der Missgunst so unzufrieden, weil ich mich dann selbst nicht mag und das Gefühl rational für falsch halte. Denn es sollte doch darum gehen, gemeinsam etwas voranzubringen …

Aus meiner Sicht lässt sich Missgunst daher sehr klar von inhaltlicher Kritik unterscheiden, da sich beides ganz unterschiedlich anfühlt.

(Manchmal wird Menschen Missgunst vorgeworfen, wenn sie inhaltlich Kritik äußern. Das ist ein Problem, weil dadurch die Auseinandersetzung mit der eigentlichen Kritik erschwert wird. Das ist hier allerdings nicht Thema meines Beitrags.)

Warum ist ein guter Umgang mit Missgunst im pädagogischen Kontext wichtig?

Im pädagogischen Kontext ist ein guter Umgang mit Missgunst aus zwei Gründen besonders relevant:

  1. Wir sind immer als ‚ganze Personen‘ in Bildungsprozessen beteiligt, unabhängig davon, ob wir lehren oder lernen. Das bedeutet, dass ich meine Gefühle und Stimmungen nicht einfach ausblenden kann; sie sind Teil meiner Tätigkeit. Das gilt auch für das Gefühl der Missgunst.
  2. Im Kontext guter Bildung orientieren wir uns an Werten wie Kollaboration statt Einzelkämpfertum und Solidarität statt Konkurrenz. Ein Gefühl wie Missgunst steht dazu im klaren Widerspruch und kann, wenn es unbearbeitet bleibt, gutes Lehren und Lernen nachhaltig stören oder sogar verhindern.

Für mich kommt noch ein weiterer Aspekt dazu: Meine ‚Heimat‘ liegt bei pädagogischen Tätigkeiten in der OER-Community, also in einem Netzwerk von Menschen, die sich offenes Teilen von Ideen, Inhalten und Konzepten auf die Fahnen schreiben. Gerade für diese Community ist ein bewusster und reflektierter Umgang mit Missgunst grundlegend. Sonst können Offenheit und eine Kultur des Teilens nicht realisiert werden.

Wie entsteht Missgunst?

Um Missgunst zu verstehen und einzuordnen, hilft mir das Bild eines ‚inneren Teams‘. Das Konzept des inneren Teams wurde von Friedemann Schulz von Thun entwickelt. Ich habe es bei meiner Beschäftigung mit pädagogischer Haltung und über Katrin Halfmann kennengelernt.

Hier ist eine Beschreibung, wie ich es verstanden habe:

Wir alle haben ein ‚inneres Team‘, das aus mehreren Stimmen besteht. Wenn wir mit etwas konfrontiert werden, melden sich in unserem Inneren immer mehrere Stimmen zu Wort. Unsere Erstreaktion, also die spontane und unreflektierte Reaktion, wird von den Stimmen geprägt, die sich am schnellsten und lautesten melden. Das sind nicht immer die klügsten und besten Stimmen.

Wenn ich sehe, dass eine andere Person eine aus meiner Sicht sinnvolle Sache macht und dafür Wertschätzung erhält, sind die lauten Mitglieder meines inneren Teams leider oft die Neidische, die Verletzte und die Lästerin.

  • Die Neidische ärgert sich darüber, dass die andere Person etwas geschafft hat, was ich selbst auch gerne geschafft hätte. Sie denkt: „Oh, das ist cool. Warum habe ich das nicht gemacht?“ Oder noch simpler: „Das will ich auch!“
  • Die Verletzte fühlt sich zurückgesetzt, weil der anderen Person mehr Wertschätzung entgegengebracht wird als ihr. Sie denkt: „Warum wird meine Arbeit im Vergleich kaum oder gar nicht gesehen?“
  • Die Lästerin versucht, die Leistung der anderen Person herunterzuspielen. Sie denkt: „Das ist doch echt nichts Besonderes. Ich hätte das besser hinbekommen. Und es ist wirklich nervig, wie wichtig sich die Person deswegen nimmt …“
Vorschnelle und laute Mitglieder des inneren Teams bei Missgunst: die Neidische, die Verletzte und die Lästerin.

Das Ergebnis dieser Stimmen ist ein Gefühl von Missgunst, das in mir nagt. Ich werde schlecht gelaunt, fühle mich zurückgesetzt und bin genervt. Das stört die pädagogische Zusammenarbeit. Selbst wenn ich versuche, mein Gefühl zu überspielen, merkt man es mir an, und es entsteht keine Basis für gute Zusammenarbeit. Auch in Zukunft werde ich möglicherweise misstrauisch in eine Zusammenarbeit gehen und vielleicht darauf achten, meine Ideen lieber für mich zu behalten. Also alles in allem eine ziemlich blöde und nicht-wünschenswerte Sache!

Wie lässt sich Missgunst bearbeiten?

Zum Glück sind wir Menschen grundsätzlich zur Reflexion und zum bewussten Umgang mit unseren Gefühlen fähig. Im Bild des inneren Teams gesprochen, bin ich den lauten und schnellen Stimmen nicht ausgeliefert. Ich kann mit meinem inneren Team arbeiten, indem ich mir bewusst Zeit nehme, einmal gut durchatme oder mit etwas Abstand auf die Situation blicke, anstatt direkt meiner spontanen Erstreaktion zu folgen.

Auf diese Weise schaffe ich mir selbst Raum, um den sich vordrängelnden und lauten Teammitgliedern weitere Stimmen zur Seite stelle, die ich in meiner Erstreaktion gar nicht beachtet habe. Außerdem kann ich neue Teammitglieder integrieren und ihre Stimmen bewusst aufrufen. Wichtig ist, die lauten Stimmen nicht zu ignorieren oder zu unterdrücken. Stattdessen nehme ich ihre Unzufriedenheit zur Kenntnis und leite daraus ab, was ich zusätzlich benötige.

Für eine gute Bearbeitung der Missgunst sind für mich vor allem die Selbstbewusste, die Empathische und die Unterstützende wichtig:

  • Die Empathische versetzt sich in die Person hinein, gegenüber der ich missgünstig bin. Sie überlegt, was diese Person geleistet, gemacht oder versucht hat, um schließlich etwas zu erreichen, und wie sie sich jetzt wahrscheinlich fühlt.
  • Die Selbstbewusste erinnert mich daran, was ich selbst schon erreicht habe. Sie macht mir bewusst, dass ich mich nicht zurückgesetzt fühlen muss und dass die Anerkennung anderer die eigene Leistung nicht schmälert.
  • Die Unterstützende legt den Fokus auf die gemeinsame Sache. Sie überlegt, was durch die Aktivität der anderen Person vorangebracht wird und wie sich das mit meinen eigenen Zielen überschneidet.
Hilfreiche Mitglieder des inneren Teams für Mitfreuen: die Empathische, die Selbstbewusste und die Unterstützende

Wenn ich diese Stimmen stärke, gelingt es mir, dass Missgunst nicht mein Handeln bestimmt. Ich kann mich ehrlich mit anderen über ihre Erfolge freuen und sogar aktiv mitarbeiten, statt missgünstig zu sein.

Wie geht das ganz konkret?

Wie so oft gibt es keinen perfekten und für alle passenden Weg im Umgang mit Missgunst. Zusammengefasst könntest du dich aber vielleicht an diesen Schritten orientieren:

  1. Analyse: Was löst Missgunst in dir aus? Welche inneren Stimmen melden sich in deiner Erstreaktion?
  2. Bearbeitung: Welche anderen Mitglieder deines inneren Teams kannst du zur Hilfe rufen oder neu aufbauen, um zu verhindern, dass Missgunst die Oberhand behält?
  3. Handeln: Was kannst du aktiv tun, um gemeinsam an einer Sache zu arbeiten, statt missgünstig zu grummeln?

Vor allem der letzte Schritt kostet oft Überwindung. Denn dazu muss ich mich in eine Situation einordnen und mitmachen, bei der ich vielleicht gerne vorne gestanden wäre, für etwas applaudieren, was ich vielleicht gerne selbst gesagt hätte oder etwas loben und teilen, was ich gerne selbst geschafft hätte. Aber wenn man diesen Schritt trotz dieser Überwindung geht, fühlt es sich wie ein Befreiungsschlag an – und man erkennt wieder sehr viel klarer, worum es eigentlich inhaltlich geht und was uns gemeinsam wichtig ist. 🙂

Fazit

Das war ein sehr persönlicher Blick auf Missgunst im Bildungskontext und meinen Umgang damit. Man könnte sicherlich auch aus ganz anderen Perspektiven darauf blicken und zum Beispiel die Frage stellen, wie sich Rahmenbedingungen und Strukturen verändern müssen, damit so etwas wie Missgunst weniger entsteht. Für mich der erste Schritt ist allerdings die Reflexion meines eigenen Verhaltens. Solch ein offenes Teilen meiner Learnings (und damit auch ein Zugeben, dass ich vor Missgunst nicht gefeit bin) sehe ich als einen weiteren guten Aspekt hin zu einem bewussten und reflektierten Umgang. Ich freue mich, auch weitere Einschätzungen zu dem Thema zu lesen.


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