Ankommen, kennenlernen, austauschen und voneinander lernen in Online-Meetings

In Zeiten von Corona werden viele Präsenz-Bildungsveranstaltungen zu Online-Veranstaltungen. Oft bietet es sich dann an, sie zeitlich zu strecken und als Online-Lernformate mit überwiegend assynchronen und selbstorganisierten Lernphasen zu gestalten. Wie das funktionieren kann, habe ich hier gebloggt. Wenn das nicht möglich oder gewollt ist, kommt es stattdessen zu einem Online-Meeting, bei denen sich mehrere Personen zeitgleich in einem virtuellen (Video)-Konferenzraum treffen. Solche Online-Meetings können sehr unterschiedliche Funktionen haben. Das wahrscheinlich am häufigsten anzutreffende Format ist das der schnellen und möglichst komprimierten Wissensvermittlung. Hier ist der eigentliche Live-Termin allerdings oft gar nicht der entscheidende. Stttdessen lässt sich – wie bei den den aktuellen OERcamp Webtalks – von den Aufzeichnungen her denken.

Für andere Online-Meetings im Bildungskontext trifft das nicht zu: Wenn es zum Beispiel um Strategieentwicklung einer Gruppe geht, um Austauschmöglichkeit zu einem Thema, um die Unterstützung und Mitnahme von Neulingen in einem Bereich oder um den Aufbau einer Lerngruppe/ Community müssen Online-Meetings anders gestaltet werden. Sie benötigen dann vor allem soziale Präsenz. Das bedeutet: Sie sollten Raum schaffen fürs Ankommen und Kennenlernen, mit Energizern aufgelockert sein und Austauschmöglichkeiten bieten.

Im folgenden stelle ich hierzu einige Praxisideen vor. Ich versuche dabei durchgehend, neben den Basis-Funktionen des Videokonferenzraums nicht noch eine weitere technische Ebene bei der Gestaltung zu verwenden (z.B. ein gemeinsames Zeichnen auf einem virtuellen Whiteboard oder die Einbindung eines externen Tools), sondern stattdessen Kommunikation mit Mimik und Gestik ausbauen und wo möglich auch ganz praktisch die Hände und den Körper mit einbeziehen. Meine These ist, dass gerade auf diese Weise in der Kombination mit der virtuellen Realität des Online-Meetings produktive Lernumgebungen entstehen können.

1. Kennenlernen und Ankommen

Wer zu einer Präsenzveranstaltung geht, hat meistens Zeit zum Kennenlernen und Ankommen. In dieser Zeit verschafft man sich einen Eindruck von den anderen Mitlernenden: Wer wirkt auf mich sympathisch, neben wen setze ich mich, mit wem möchte ich mich später austauschen? … Vieles läuft davon unbewusst und beobachtend. Zum Teil kommt es auch zu Small Talk. In jedem Fall entsteht so fast automatisch eine lernförderliche Grundstimmung: Man ist angekommen! In einem Online-Meeting ist das ‘Ankommen’ dagegen nur eingeschränkt möglich. Viele haben ihre Kameras ausgeschaltet. Small Talk wird wenn dann meist nur von wenigen gemacht und ist eher angestrengt. Zu einer kleinen Gruppe mit einer Kaffeetasse dazu gesellen oder eine Person kurz individuell anzusprechen, funktioniert kaum. Deshalb ist es hilfreich, Aktivitäten anzubieten, die alle beim Ankommen und Kennenlernen unterstützen.

Ich mag hierzu sehr gerne eine ‘virtuelle Raumaufstellung’: Während sich Lernende bei einem Präsenzworkshop bei dieser Methode zu Fragen in unterschiedlichen Ecken des Raumes verteilen oder z.B. sich je nach Vorkenntnissen in einer Reihe aufstellen, lässt sich solch eine Raumaufstellung in einem Online-Meeting über die Webcam visualisieren, Zum Beispiel kann man eine Abfrage mit Handzeichen machen zu Fragen wie ‘Auf einer Skala von 1-5, wo ordnest Du Dich ein bei …?’. Jede teilnehmende Person zeigt dann eine Zahl zwischen 1-5 mit den Fingern. Mit mehr Motorik kann man sich ganz nach unten oder ganz nach oben in der Webcam bewegen/ ganz dicht rankommen oder sich ganz weit entfernen / sich ganz groß oder ganz klein machen … – je nachdem, wie sehr man einer Aussage zustimmt oder auch nicht. Die eigene Webcam-Kachel kann auch als Karte oder Koordinatorensystem genutzt werden, z.B. mit der Frage: Wenn Deine Webcam-Kachel die Deutschlandkarte ist, wo befindest Du Dich gerade? Halte Deinen Zeigefinger an die entsprechende Stelle! (Das schult im übrigen wunderbar das räumliche Denken).

Noch mehr Gruppen-Kennenlern-Effekte gibt es mit einer ‘Post-It’-Übung. Sie trägt ihren Namen, weil alle zu Beginn ihre Webcam mit einem Post-It abkleben (oder auch etwas anderes drüber hängen). Das ergibt in der Gallerie-Ansicht ein schönes Bild; ein Beispiel siehst Du in diesem Tweet. Nun werden nacheinander Aussagen vorgelesen, z.B. ‘Ich habe schon selbst ein Video-Meeting moderiert’. Alle, auf die das zutrifft, nehmen das Post-It von ihrer Webcam und winken sich kurz zu. Dann wird wieder abgeklebt – und es folgt die nächste Aussage. Der Clou an dieser Übung ist, dass auch diejenigen, die ihre Webcam bei einer Übung zugeklebt lassen, sehen, wer seine Webcam aufdeckt und sich zuwinkt.

All diese Ideen sind dadurch gkennzeichnet, dass Lernende neugierig und aktiv mit dabei sind. Falls man sich zusätzlich/ alternativ zu einer auch verbalen Vorstellungsrunde entscheidet, bei der Teilnehmende nacheinander ihr Mikro freischalten und sich den anderen kurz vorstellen, lassen sich auch hier Elemente einbauen, die in dieser Art und Weise aktives Mitdenken und Interaktion erfordern. Zum Beispiel:

  • Jede Person stellt sich mit Namen und drei Schlagworten vor. Danach gibt sie das Wort an eine andere Person weiter. Alle passen gemeinsam auf, dass jede Person drankommt.
  • Jede Person stellt sich mit Namen und Tätigkeit vor – und ergänzt eine selbst überlegte Aussage (z.B. Ich bin leidenschaftliche Fallschirmspringerin). Diese Aussage kann wahr oder falsch sein. Teilnehmende signalisieren ihre Vermutung darüber mit Nicken für Ja oder gekreuzten Armen für Nein – danach löst die vorstellende Person direkt auf und übergibt an die nächste Person, die ebenso verfährt.
  • Jede Person verbindet ihre Vorstellung mit einer ‘Was ich in Webinaren mache’-Beichte oder ‘Was ich im Homeoffice mache’-Beichte oder auch einer zum Thema des Webinars passenden Beichte, z.B. ‘In Webinaren schalte ich meist meine Kamera aus, um in Ruhe Mails beantworten zu können’. Auf wen diese ‘Beichte’ auch zutrifft, signalisiert das mit ‘stummen Applaus’. Danach ist die nächste Person an der Reihe.

2. Energizer und Bewegung

Schon in Präsenz-Workshops stelle ich immer wieder fest, dass Energizer wunderbar geeignet sind, um kurz den Kopf wieder frei zu bekommen und die Stimmung in der Gruppe aufzulockern. Da man bei Online-Meetngs meist auch zuvor und danach am Schreibtisch vor dem Rechner sitzt, ist meine Erfahrung, dass Energizer hier oft deutlich offener angenommen werden, als in Präsenz-Workshops. Es lohnt sich unbedingt, sie zwischendrin oder auch zum Auftakt oder Abschluss eines Online-Meetings einzusetzen.

Der Klassiker unter den Online-Energizern ist das Gegenstände holen: Auf einer Folie werden hierzu 3-5 Gegenstände präsentiert (Schokolade, Lego, Klopapier, ein Buch, eine Mütze o.ä.). Wer zuerst mindestens einen oder alle Gegenstände vor die Kamera geholt hat, gewinnt. Im Homeoffice lässt sich das Gegenstände holen auch mit Vorstellungen verbinden, z.B. hole das kurioseste Küchenutensil, den Gegenstand, der dir gerade ganz besonders wichtig ist …

Sehr einfach aber wirkungsvoll ist die Übung ‘Hoch – runter – rechts – links’. Hier zeigen alle Teilnehmenden mit beiden Zeigefingern jeweils in die angesagte Richtung. Nach einiger Zeit wird angekündigt, dass hoch und runter vertauscht sind. Bei ‘hoch’ muss man also mit den Zeigefingern nach unten zeigen, bei unten nach oben. Rechts und links bleibt aber gleich. Das klingt einfach. Wenn man es aber schnell spielt, ist es herausfordernd und sorgt für Gelächter.

Ebenso schnell gespielt ist Schere-Stein-Papier (oder noch lustiger, weil gestenreicher Oma, Samurai und Löwe). Jeder sucht sich einen Gegenpart, wobei dieser nichts davon weiß. Alle zeigen auf drei ihr Zeichen – und wer gewonnen hat, jubelt. Dieses Spiel macht gut offensichtlich, dass man sich in Videokonferenzen nicht anschauen kann, weil jeder in seine Webcam blickt. Auf diese Weise wird nicht ersichtlich, wer tatsächlich gegen wen spielt – oft entwickelt sich aus diesem Energizer Kontakt im Chat.

Ein hilfreicher Gegenpart zur Virtualität von Meetings sind zudem praktische Kritzel- und Basteleien mit Schere, Stiften und Papier – die man dann mit den anderen über die Webcam teilt. Schön ist zum Beispiel die Aufgabe: Male ein Gesicht auf, das anzeigt, wie Du Dich fühlst und halte es Dir vors Gesicht.

Besonders gut gefällt mir außerdem die Idee der selbst gebastelteten Farbfilter für die eigene Webcam: Indem jede Person ein Stück Tesa auf die eigene Webcam klebt und mit Folienschreiber bemalt, wird das Webinar bunt (natürlich würde das auch mit digitalen Filtern gehen. Das kann aber erstens nicht jeder und ist zweitens hier ja auch gerade nicht Sinn der Sache, da es ja ums Basteln geht).

3. Peer-to-Peer Austausch

Gutes Lernen ist vor allem durch Lernen von- und miteinander geprägt. Das ist in Präsenzworkshops eine ähnliche Herausforderung wie in Online-Meetings. Meiner Erfahrung nach kann es ein erster Schritt sein, die Verantwortung für das Online-Meeting auf mehrere Schultern zu verteilen. So kann z.B. eine Person bestimmt werden, die den Chat beobachtet, eine andere, die den kollaborativen Mitschrieb im Auge behält, eine dritte, die für positive Grundstimmung durch ‘stummen Applaus’ an passenden Stellen sorgt … Weitere ‘Rollen’ können auch gemeinsam in der Lerngruppe gesammelt werden.

Bei Gruppen mit mehr als 10 Personen nutze ich darüber hinaus sehr gerne die Breakout-Funktion in einem Videokonferenzraum – oder richte weitere Videokonferenzräume ein und verlinke diese. Ein Breakout-Raum ist eine Art ‘Unterraum’ der Videokonferenz, in den einzelne Personen zusammen diskutieren können. Hier kommen dann tatsächlich alle zu Wort – und es ist im Online-Kontext oft viel entspannender, mit 3 Personen sich zu unterhalten, als mit 10 oder mehr. Der große Vorteil an der Breakout-Funktion ist, dass Lernende selbst nichts können oder wissen müssen. Sie können vom Meeting-Host sowohl in einen Breakout-Raum ‘gebeamt’ werden, als auch von dort wieder zurück ins Plenum geholt werden.

Wo Breakout-Räunme nicht funktionieren bzw. das Online-Meeting stärker auf Input anmgelegt ist, lohnt es sich exemplarische Gesprächspartner einzubinden. Das bedeutet, dass einzelne Teilnehmende gezielt angesprochen und gebeten werden, offene Fragen zu schildern oder zu erläutern, wie sie etwas verstanden haben. Sie sprechen dann zwar nicht stellvertretend für alle anderen, aber bringen doch eine weitere Perspektive ein, die oft auch für andere Lernende hilfreich sein kann.

Ein schönes Formate zum Wissen teilen im Kontext Online lernen ist schließlich eine Web-Safari. Hier teilt jede Person den Link zu einer Website, die für sie in der lezten Woche die spannendste Entdeckung/ das hilfreichste Tool/ der inspirierendste Beitrag war. Die Moderation ruft die Websites nacheinander auf – und die Beitragenden erläutern sie kurz.

Für den Abschluss bietet sich ein TIL Storm an. Ich habe ihn beim OERcamp in Lübeck als Präsenz-Methode kennengelernt. Die Idee ist, dass jede Person ein Learnig (TIL = Today I Learned) aus dem Online-Meeting mit anderen teilt. Das lässt sich über den Chat realisieren – oder auch über das Mikro.

Und wie weiter?

Wie in vielen anderen Bereichen lernt man das Gestalten solcher Angebote und das Lehren/Lernen in Online-Meetings am besten durch Ausprobieren. Wer ergänzende Links sucht, den verweise ich auf diese Padlet-Sammlung zu Online-Energizern, die beim Online-Educamp begonnen wurde und gerne ergänzt werden kann. Anja hat außerdem hier eine Sammlung mit Spielen begonnen, die man online spielen kann. Auch das kann eine Form des sozialen Miteinanders in Online-Meetings sein.


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