In diesem Blogbeitrag möchte ich laut darüber nachdenken, wo aus meiner Sicht die pädagogischen Lücken bei den zurzeit viel diskutierten KI-Kompetenzmodellen liegen. Als weitere oder andere Perspektive möchte ich vorschlagen, nicht bei der Technologie zu beginnen, sondern in den Fokus zu nehmen, wie Lernende gesellschaftliche Handlungsfähigkeit unter den gegebenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen entwickeln können. Nötig ist dazu aus meiner Sicht vor allem Lernen mit Offenheit sowie die durchgängige Berücksichtigung der gesellschaftlichen Einbettung von Technologie.
Was meint „KI-Kompetenzmodell“ – und wo liegen die Schwierigkeiten?
KI-Kompetenzmodelle gibt es in unterschiedlichen Ausprägungen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie definieren, welche Kompetenzen im Kontext von KI in der Bildung notwendig sind. Ein viel zitiertes und dank OER-Veröffentlichung auch viel remixtes Modell stammt zum Beispiel von Regina Schulz, Susanne Alles, Manuel Flick und Joscha Falck. Mein Ausgangspunkt war vor dieser Veröffentlichung auch häufig das Medienkompetenzmodell von Dieter Baacke. Er definiert die Bereiche der Medienkunde, der Medienkritik, der Mediennutzung und der Mediengestaltung. Das lässt sich sehr gut spezifisch auf KI-Technologie übertragen.
Solche und viele weitere KI-Kompetenzmodelle sind mit Blick auf die direkte Gegenwart sicherlich hilfreich. Ich kann sie sehr gut nutzen, um mir Klarheit darüber zu verschaffen, wie ich mit und ohne KI sowie über KI gut lernen und lehren kann. Sie bieten in diesem Sinne ‚Erste Hilfe‘ angesichts einer noch relativ neuen Technologie und eine strukturierte Orientierung. Deshalb ist mein Hadern auch keine Kritik an solchen Modellen, sondern eher erweiternd und weiter denkend zu verstehen.
Die Schwierigkeiten bei solchen KI-Kompetenzmodellen entstehen aus meiner Sicht dann, wenn ich dabei stehen bleibe, mir aus einer lehrenden Perspektive zu überlegen, wie ich bei Lernenden diese in dem jeweiligen Modell definierten Kompetenzen zu KI entwickeln kann. Der Blick geht dann von der Gegenwart in die Zukunft. Das führt zu mindestens drei Problemen:
- Die betrachtete Technologie (in diesem Fall KI) gilt als gesetzt und wird dabei notwendigerweise überwiegend statisch verstanden. Ansonsten könnte man darauf aufbauend ja keine Kompetenzen definieren. Bildungsplanerisch hinkt man auf diese Weise zwangsläufig immer der gesellschaftlichen Entwicklung hinterher.
- KI-Kompetenzmodelle gehen von der Technologie aus und nicht vom Lernen. Damit verhindern sie genau die Offenheit, die eigentlich notwendig wäre, wenn wir Lernen als ganzheitliche Entwicklung verstehen, die ausgehend von den Erfahrungen, Bedürfnissen und Fragen der Lernenden sowie der Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in der Gegenwart erfolgt. Verschärft wird dieses Problem, weil im gegenwärtigen Bildungssystem die entwickelten Kompetenzen natürlich immer abprüfbar und vergleichbar sein sollen. Ich laufe damit Gefahr, das bestehende Bildungssystem zu zementieren anstatt es zu verändern.
- Gesamtgesellschaftlich betrachtet öffne ich keine Perspektive darauf, dass Technologieentwicklung auch ganz anders verlaufen könnte oder zukünftig ganz andere Schwerpunkte relevant sein könnten. Zugleich habe ich, wenn überhaupt, nur als einen Baustein unter mehreren im Blick, was sich an ethischen, gesellschaftlichen oder systemischen Fragen in Hinblick auf KI-Technologie stellt. Genau das ist aber nicht nur ein ‚Baustein‘, sondern die Grundlage von allem. Denn es gibt nun mal keine „neutrale“ Technologie – unabhängig von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in denen sie entwickelt und genutzt wird. (Marc-Uwe Kling bringt diesen Aspekt im Podcast mit edukativ.fm, sehr gut auf den Punkt: „Ich glaube, dass das Ökonomische mitzudenken bei den technologischen Entwicklungen super wichtig ist. Weil ich würde behaupten, die meisten Probleme, die wir aktuell haben mit der Technologie, resultieren gar nicht zwingend aus der Technologie, sondern aus der Art und Weise, wie man mit ihr Geld verdient.„)
Wie geht das auch anders?
Vor diesem Hintergrund schlage ich vor, den Fokus zu erweitern bzw. zu ändern. Wenn wir uns als Anwält*innen des Lernens verstehen, gehört ins Zentrum unserer pädagogischen Bemühungen nicht eine wie auch immer definierte „KI-Kompetenz“, sondern eine sehr viel allgemeinere Zielsetzung, die ich als gesellschaftliche Handlungsfähigkeit bezeichnen würde. Ein erster Schritt zu gesellschaftlicher Handlungsfähigkeit besteht darin, sich im Sinne einer Navigation in der Gesellschaft zurechtzufinden. Ein zweiter – und zunehmend drängender – Schritt wäre dann die Transformation: also die Fähigkeit, gesellschaftliche Bedingungen zu hinterfragen und zu verändern.
Diese Änderung des Fokus bedeutet nun ganz und gar nicht, dass ich die technologische Entwicklung ignorieren oder ausblenden würde. Denn auch mit diesem veränderten Fokus werden Lehrende und Lernende natürlich jeweils analysieren, was gesellschaftliche Handlungsfähigkeit unter den gegebenen Bedingungen bedeutet. Aktuell gehört ganz bestimmt dazu, dass es Künstliche Intelligenz als noch relativ neue und den Diskurs und zunehmend auch gesellschaftliche Praxis stark prägende Technologie gibt. Diese Technologie betrachte ich aber immer eingebettet in ihren gesellschaftlichen Kontext – nicht als vermeintlich ’neutraler‘ Ausgangspunkt und auch nicht als Ziel. Ich gebe somit nicht vor, was dazu gelernt werden soll, sondern reflektiere mit Lernenden, wie sie KI in ihrer Gegenwart erleben und begleite sie bei den daraus entstehenden Lernprozessen. Zugleich sind neben diesen Lernprozessen, die durch Auseinandersetzung mit KI-Technologie erfolgen, auch Lernprozesse aufgrund von Auseinandersetzung mit ganz anderen Herausforderungen möglich. Auch vor diesem Hintergrund empfinde ich solch ein Vorgehen als weniger reaktiv.
Was bedeutet das für meine pädagogische Tätigkeit?
Mit dieser Verschiebung des Fokus kann ich mit unterschiedlichen Brillen auf das Lernen blicken.
Eine stärker bildungspolitische Brille würde den Fokus darauf legen, für welche Rahmenbedingungen ich mich einsetzen muss, damit gutes Lernen überhaupt möglich ist. Im Kern geht es dabei um die Frage, wie ich allen Menschen Zugang zu Wissen und Teilhabe an Lernprozessen ermögliche. Konkret auf die aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen im Bereich KI heruntergebrochen gehören dazu Herausforderungen wie die Entwicklung und Stärkung offener Wissensbestände oder der Einsatz für eine offene, transparente und gemeinwohlorientierte KI-Technologie als Lernassistenz. Ebenso geraten auch größere und grundsätzliche Ziele wie eine nachhaltige und friedliche Umgebung, soziale Sicherheit, Demokratie und gute Arbeit in den Blick.
Mit einer pädagogischen Brille liegt mein Fokus darauf, dass alle Menschen ihre Lernprozesse aktiv gestalten können. Pädagogisch bin ich hier gefordert, Lernende mit der „radikalen Gegenwart“ zu konfrontieren, ihnen zu ermöglichen, sich damit in Erkundungsräumen auseinanderzusetzen und sich in einem sozialen Austausch mit anderen zu entwickeln und gemeinsames Handeln zu lernen. Diese Lernprozesse gilt es zu unterstützen und zu begleiten, wobei Reflexion für mich hierfür der wichtigste Schlüssel ist. Gerade in solch einem offenen Lernen entstehen jene Momente, in denen Neues gedacht, Verhältnisse hinterfragt und Handlungsfähigkeit entwickelt werden kann. Denn vor allem wird hier das Lernen selbst gelernt. Mit Kompetenzmodellen, aus denen ich im schlechtesten Fall zuerst passende Übungen und Aufgaben und anschließend vergleichbare Prüfungen ableite, laufe ich Gefahr, diesen Prozess zu ersticken.
Fazit
Wenn wir Lernen ernst nehmen, können wir nicht gleichzeitig von vornherein festlegen, was am Ende dabei genau und überprüfbar herauskommen soll. Pädagogisch sollte deshalb die Schlussfolgerung sein: Nicht von der Technologie und von ihr aus definierten Kompetenzen ausgehen und schon gar nicht von einer vermeintlich neutralen Technologie. Stattdessen gilt es Räume zu schaffen, in denen Lernende in Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Bedingungen, im Austausch mit anderen und unterstützt durch pädagogische Begleitung und Reflexion gesellschaftliche Handlungsfähigkeit entwickeln. Auf diese Weise ermächtigen wir Lernende dazu, Zukünfte zu gestalten, die wir alle noch nicht kennen.
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