Stimmungsbild der twitternden Pädagoginnen und Pädagogen zum Jahreswechsel 2021/22

Kurz vor dem Jahreswechsel habe ich auf Twitter zur Beteiligung an einer kleinen Umfrage aufgerufen. Insgesamt haben sich über 900 Menschen durch die Umfrage geklickt. (Die Beteiligung bei den unterschiedlichen Fragen war dabei unterschiedlich hoch.)

Die vollständigen Ergebnisse der Umfrage kannst Du Dir hier ansehen. In diesem Blogbeitrag fasse ich die für mich wichtigsten Ergebnisse zusammen. Zur Einordnung ist mir vorab wichtig:

  1. Meine Zusammenfassung hier ist zwangsläufig subjektiv. Vielleicht liest Du ganz andere Dinge, aus der Umfrage heraus bzw. bekommst ganz andere Anregungen. Mit dazu ist die Umfrage ja gedacht.
  2. Die Umfrage ist natürlich nicht repräsentativ für alle Pädagog*innen, aber ich denke, dass mit ihr ein ganz gutes Stimmungsbild der twitternden Pädagog*innen eingefangen werden konnte.

Los geht es also mit der Zusammenfassung – in der Reihenfolge der gestellten Fragen:

1. Wider das Ausgebranntsein!

Frage 1: Wie blickst Du in pädagogischer Hinsicht auf das Neue Jahr?

Nur ein gutes Drittel der antwortenden Personen geben an, dass sie in pädagogischer Hinsicht eher optimistisch auf das Neue Jahr blicken. Die weiteren beiden knappen Drittel blicken eher pessimistisch oder unentschieden auf das Neue Jahr.

Ich finde, dass dieses Ergebnis ein Warnsignal für all diejenigen sein muss, die für Bildung in diesem Land Verantwortung tragen. Wenn man davon ausgeht, dass twitternde Pädagog*innen grundsätzlich solche Pädagog*innen sind, die ihren Beruf mit großer Motivation und Freude ausüben (wozu sollten sie sich sonst auf Twitter anmelden und nach Vernetzung/ Austausch/ Lernmöglichkeiten suchen?), dann ist das gute Drittel mit Optimismus nur sehr, sehr wenig – und es ist ziemlich erschreckend, wie viele Menschen offensichtlich nicht mehr erwarten, dass für Bildung vernünftige Rahmenbedingungen gestaltet werden.

Vor diesem Hintergrund kann das Ergebnis auch für uns alle hilfreich sein. Es kann als Aufruf verstanden werden, noch besser aufeinander aufzupassen und uns gegenseitig zu unterstützen – wenn sich schon sonst niemand kümmert.

2. Resilienz als wichtigste Kompetenz

Frage 2: Welche Kompetenzen sollten Pädagog*innen im Neuen Jahr unbedingt haben bzw. entwickeln?

Pädagogische Kompetenzen sind vielfältig. Aus Sicht der antwortenden Personen sollten Pädagog*innen im Jahr 2022 sehr vielfältige Kompetenzen haben bzw. entwickeln. Spannend finde ich an den Antworten, dass weiche bzw. Meta-Kompetenzen wie Resilienz, Empathie, Geduld, Flexibilität oder Gelassenheit am häufigsten genannt werden. Daneben ist Digitalität eine große Herausforderung, was in unterschiedlichen Begriffen (Medienkompetenz, digitale Kompetenzen, Digitalität …) zum Ausdruck kommt. Auch Kommunikation, Kollaboration und Kreativität als ‘Schlüsselkompetenzen des 21 Jahrhunderts’ werden oft genannt.

Daneben werden aber auch viele weitere, kleinere Stichpunkte genannt (Binnendifferenzierung, Humor, Offenheit, Achtsamkeit …), so dass die mit der Umfrage entstandene Wortwolke aus meiner Sicht ein großartiges ‘Wimmelbild’ ist, das zur Reflexion über pädagogische Kompetenzentwicklung einlädt. Ich werde sie in den nächsten Wochen sicherlich häufiger in Fortbildungen z.B. zum Einstieg nutzen – und auch Du kannst sie beliebig weiterverwenden. Vielleicht ist das ja auch eine schöne Sachen zum Teilen im Kollegium.

Hier findest Du die Wortwolke als Bild

3. Noten ade

Frage 3: Was braucht es im Bildungskontext in 2022 nicht mehr? Was kann weg?

Zur Frage, was 2022 weg kann bzw. nicht mehr gebraucht wird, gab es über 1000 Einträge (es war möglich, mehrmals etwas abzusenden). Als offene Frage ist die Auswertung schwieriger. Dennoch zeigt eine Durchsicht der Antworten klare Tendenzen:

  • Immer wieder taucht das Thema Noten, Prüfungsdruck, Klasurenstress, Faktenlernen … auf. Weghaben möchten sehr viele der antwortenden Personen somit die traditionelle Art von Prüfungen.
  • Ebenfalls häufig genannt wird ‘die heilige Kuh’ Präsenzunterricht. Hier sollte aus Sicht der antwortenden Personen Schluss damit sein, dass Präsenz nur dann ist, wenn Lehrende und Lernende gemeinsam in einem Klassenraum sitzen.
  • Ein weiteres großes Feld sind die politischen Entscheidungen: Weg kann aus Sicht der antwortenden Personen die KMK, die chaotische Corona-Politik, die öffentliche Titulierung von Lehrern als ‘faule Säcke’, die schlechten und immer zu kurzfristigen Planungsmöglichkeiten …
  • Ein weiteres, oft genanntes Themenfeld fasse ich mit ‘zu starren/ nicht-individualisierten Strukturen’ zusammen. Dazu gehört z.B. ein früher Schulbeginn, 45-Minuten Takt, unflexible Pausen, das gegliedertes Schulsystem insgesamt …

4. Mehr Zeit!

Frage 4: Wovon braucht es in der Bildung 2022 mehr, was es bislang noch nicht oder zu wenig gab?

Auf die Frage, wovon es 2022 mehr braucht, gab es zunächst logischerweise viele Umkehrantworten zur Frage davor. Das bedeutet: alternative Prüfungsformate, Projektlernen und offene Lernkonzepte und eine klügere Bildungspolitik. Weitere oft genannte Themenbereiche betrafen:

  • mehr Zeit: Mehr Zeit wird gewünscht für alle möglichen Bereiche – sowohl für das Lehren und Lernen, als auch für Fortbildungen, für Erholung, für Schulentwicklung und zum Erkunden/ Ausprobieren.
  • die Ausstattung: Gewünscht wurde hier mehr Geld, eine bessere digitale Infrastruktur und W-Lan.
  • die Kultur des Teilens: In diesem Kontext mitgenannt wurde u.a. mehr Achtsamkeit, mehr gegenseitige Unterstützung, mehr Team-Teaching, mehr OER.

Mehr gewünscht wird außerdem echte Inklusion.

Für meine Arbeit spannend fand ich den Wunsch nach mehr bundesländerübergreifenden Initiativen und Vernetzung – organisiert z.B. über die Landesinstitute.

5. Lernen – am liebsten Peer to Peer und sowohl vor Ort als auch online

Frage 5: Welche Veranstaltung/ was für ein Veranstaltungsformat wünschst Du Dir 2022?

Auf diese Frage gab es eine ganz eindeutige, häufigste Antwort: Barcamps! Offensichtlich schätzen sehr viele Menschen das zielgerichtete Peer to Peer Lernen und den gewinnbringenden Austausch in diesem Format. Neben Barcamps werden auch andere Peer-to-Peer Formate wie Stammtische, Mikrofortbildungen … genannt.

Ansonsten wird sowohl viel ‘bitte weiter online’, als auch ‘wenn möglich bitte wieder vor Ort’ genannt. Ich finde, dass sich beides nicht ausschließen muss und auch nicht sollte: Es wäre toll, wenn zahlreiche Online-Formate mit niederschwelliger Beteiligung blieben – und auch, wenn es Veranstaltungen an gemeinsamen Orten geben würde.

In Bezug auf die Online-Formate schreiben viele, dass sie sich kurze Impulse/ Inputs wünschen. Das ist etwas, dass ich in jedem Fall mitnehmen werde. Ich kann mir gut vorstellen, dass es für viele hilfreich sein kann, neben zahlreichen Formaten mit Austausch, auch Angebote zu haben, in denen man komprimiert und gut aufbereitet etwas Neues gezeigt bekommt – an dem man dann danach für sich oder in eigenen Austauschstrukturen weiterdenken kann.

Daneben freue ich mich über ganz viele konkrete, inhaltliche Ideen. Hier eine Auswahl, die ich hilfreich fände (und auf die ich nicht direkt selbst gekommen wäre):

  • Kreative Ideen zum Einsatz des Schul-Budgets
  • Raus aus dem Brennpunkt-Image, hin zur angesehenen Stadtteilschule
  • Wir planen unsere Schulhauseinrichtung
  • Resilienz für Lehrkräfte

Spannend fand ich außerdem unter anderem den Wunsch nach mehr familienfreundlichen Online-Veranstaltungen ab 20 Uhr und den Fokus auf eine eher dauerhafte Beratung/ Ansprechbarkeit statt nur punktueller Veranstaltungen.

Danke und Ausblick

Ich möchte mich bei allen bedanken, die sich an der Umfrage beteiligt haben und/ oder den Link geteilt haben. Mir geben die Antworten eine gute Orientierung zu Schwerpunktsetzungen (Wo sind gerade ‘Stellschrauben’, an denen sich etwas bewegen lässt?) und auch viele konkrete Ideen für meine Arbeit im kommenden Jahr. Ich hoffe, dass die Aktion auch für Dich nützlich ist. Wie oben bereits geschrieben: Die Umfrageergebnisse sind ein kollaborativ entstandenes Produkt. Nutze sie also gerne offen weiter.

Und ich habe schon jetzt ein Vorhaben für in 12 Monaten: Wieder zu einem Jahreswechsel-Stimmungsbild einladen, denn ich bin schon jetzt neugierig, ob/ wie sich die Antworten dann verändert haben.


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