Social Media Verbot für Jugendliche? Vom Baden wird abgeraten!

Ich verfolge die Diskussion über ein Social-Media-Verbot für Kinder und Jugendliche mit Interesse und möchte in diesem Blogbeitrag ein paar Gedanken dazu teilen. Da ich mir bis jetzt noch keine abschließende Meinung zu dem Thema gebildet habe, ist der Beitrag vor allem als „lautes Nachdenken“ zu verstehen.

Ausgangspunkt: Verbote und mögliche Alternativen

Ausgangspunkt meines Nachdenkens war ein Spaziergang an der Saale. Es gibt dort mehrere inoffizielle Badestellen, mit aufgeschüttetem Sand und Bänken. Vor allem im Sommer sind sie ein sehr beliebtes Ausflugsziel. Selbst jetzt im Winter werden sie von vielen Menschen zum ‚Eisbaden‘ genutzt. Fast wäre es so gekommen, dass das Baden in der Saale ganz verboten worden wäre. Denn die Saale ist ein Fließgewässer, und ihre Verkehrswege werden nicht überwacht. Durch die vor allem in der Mitte des Flusses starke Strömung gab es auch schon Unfälle.

Anstelle des Verbots kam es zu einem Kompromiss: An den Badestellen sind Warnhinweise aufgestellt, auf denen vom Baden abgeraten wird. Wer trotzdem baden will, kann es tun.

Ein Warnschild an einem Strand am Fluß, auf dem steht: Vom Baden wird abgeraten.
Warnhinweis an der Saale

Diese Lösung zeigt: Es gibt nicht nur die Option von Verbot oder Laissez-faire, sondern auch einiges dazwischen. Genau das lohnt sich in Bezug auf die Debatte um Verbote von Social Media für Kinder und Jugendliche genauer anzuschauen. Aus meiner Sicht lassen sich drei Wege unterscheiden.

Weg 1: Social Media Verbot

Der erste Weg wird gerade sehr viel diskutiert, und es gibt gefühlt auch sehr viel Zustimmung dafür. Heute Vormittag wurde mir zum Beispiel eine Umfrage in meiner LinkedIn-Timeline angezeigt, wonach sich 9 von 10 Erwachsenen für Altersgrenzen bei Social Media aussprechen. Rund die Hälfte scheint für ein Verbot der Nutzung bis 16 Jahre zu sein.

Der große Vorteil von diesem Weg ist die Einfachheit, weil es eine klare Regel gibt, die dann umgesetzt bzw. sanktioniert werden kann: Wer unter 16 Jahre alt ist, darf kein Social Media nutzen. Wer älter ist, darf Social Media nutzen.

Ich bin in den 80er Jahren ganz ähnlich in Bezug auf das Fernsehen aufgewachsen: Bis ich ungefähr 12 Jahre alt war, war Fernsehen Zuhause verboten! Das war sowohl für meine Eltern als auch für mich im Alltag ziemlich einfach, weil es eine klare und feste Regel war und man über das Thema somit nicht dauernd immer wieder diskutieren musste.

Als meine Kinder kleiner waren, habe ich einen anderen Weg versucht: Wir haben immer wieder gemeinsam besprochen, was wann angeschaut werden darf. Das gab viele Diskussionen und war oft ziemlich anstrengend. Dieser Transfer zeigt aber auch schon, dass die Einfachheit als der große Vorteil des Verbotsweges zugleich sein größter Nachteil ist: Der Weg ist vielleicht zu einfach für solch ein komplexes Thema!

Wenn ich wieder auf das Beispiel mit dem Schwimmen in der Saale blicke, dann wäre ein Verbot vor allem aus zwei Gründen schwierig gewesen:

  1. Es gibt viele (auch junge) Menschen, die sehr sicher schwimmen können. Auch sie wären dann vom Verbot betroffen gewesen. Wenn man das Verbot mit einer bestimmten Altersgrenze gemacht hätte, dann wäre es ziemlich ungerecht gewesen, weil es z. B. 10-Jährige gibt, die deutlich sicherer schwimmen können als manche ältere Menschen. Wenn man sich die unmündige Social-Media-Nutzung vieler Erwachsener anschaut, dann ist dieses Beispiel durchaus auf Social Media übertragbar.
  2. Die Badestellen an der Saale mitten in der Stadt sind eine wunderbare Gelegenheit, um den Umgang mit dem Wasser zu erlernen. Sie sind offen für alle zugänglich und einfach zu erreichen. Sehr viele Kinder lernen dort voneinander oder von ihren Eltern schwimmen. Viele andere nutzen die Badestelle für regelmäßiges Training. Ein Verbot würde bedeuten, diese Lern- und Trainingsmöglichkeiten auszuschließen. Auch das lässt sich auf Social Media übertragen.

Weg 2: Nutzung mit Warnung

Der zweite Weg ist die Variante, die hier bei uns an der Saale gewählt wurde. Das Baden ist nicht verboten, aber es wird davon abgeraten bzw. davor gewarnt. Auch diese Variante hat Vorteile und Nachteile.

Zu den Vorteilen zählt, dass alle, die wollen und sich sicher genug fühlen, trotzdem schwimmen können. Alle anderen wissen, dass sie vorsichtig sein sollten. Erwachsene Menschen können hier für jüngere Menschen Verantwortung übernehmen und z. B. darauf aufpassen, dass ein Kind, das noch nicht sicher schwimmt, nicht tief ins Wasser geht.

Dieser Vorteil führt damit auch direkt zum Nachteil: Die Verantwortung wird diffundiert. Es ist nicht klar, wer eigentlich genau darauf aufpassen soll, dass nichts passiert. Im Grunde ist jede Person für sich allein verantwortlich und damit Eltern für ihre Kinder.

Übertragen auf Social Media kann dieser Weg zu einer sozialen Schere führen: Manche Erziehungsberechtigte sind selbst sehr medienkompetent und können ihre Kinder gut begleiten. Andere verfügen selbst über keine oder nur wenig Medienkompetenz, was zu Lasten der Kinder gehen kann. Wenn man deshalb diesen Weg wählt, dann gehört unbedingt dazu, dass Medienkompetenz eine öffentliche Bildungsherausforderung sein muss. Angesichts der vielen Herausforderungen, vor denen das Bildungssystem steht, ist diese Forderung aber natürlich auch nicht so einfach.

Weg 3: Ungefährliche Nutzung ermöglichen

Neben dem Badeverbot und den Warnschildern ist auch noch ein dritter Weg denkbar – und über diesen Weg denken wir aus meiner Sicht viel zu wenig nach: Wir könnten dafür sorgen, dass an der Badestelle alle ohne Gefahr baden können: Man könnte einen Bereich zum Schwimmen absperren, schwimmenden Personen Vorfahrt vor dem Schiffsverkehr geben, Maßnahmen zur Verbesserung der Wasserqualität umsetzen oder eine Badeaufsicht einsetzen, die bei Gefahr interveniert. (Ich bin keine Expertin für Sicherheitsaspekte an Badestellen, vielleicht sind die Vorschläge also Quatsch, aber der grundsätzliche Weg wird damit hoffentlich deutlich).

Übertragen auf Social Media würde das bedeuten: Wenn Social-Media-Plattformen so gestaltet sind, dass Jugendliche sie nicht ohne Gefahr nutzen können, dann gibt es nicht nur den Weg des Verbots und der Warnung, sondern auch den Weg von strukturellen Änderungen. Philippe Wampfler schlägt in diesem Sinne zum Beispiel vor, zu regeln, wer welche Werbung schalten darf (und er hat in diese Richtung noch einige weitere Vorschläge).

Der große Vorteil von diesem Weg ist, dass Social Media auf diese Weise für alle, nicht nur für Kinder und Jugendliche, zu einem besseren Ort wird. Man würde anerkennen, dass der Online-Raum für immer mehr Menschen ein selbstverständlicher Bestandteil ihrer Lebensrealität ist – und würde gerade deshalb dafür sorgen, dass sich dort alle wohlfühlen können.

Der Nachteil ist, dass es erst einmal sehr unrealistisch und nicht durchsetzbar erscheint. Auch lässt sich einwenden, dass das ganze Internet inzwischen so groß und wirkungsmächtig ist, dass es gar nicht mehr möglich ist, mit Regulierung dagegen anzukommen. Ich finde hier, dass wir es trotzdem versuchen sollten.

Fazit

Wenn ich die Debatte um Social-Media-Verbote bei Kindern und Jugendlichen beobachte, dann scheint mir der große Schwerpunkt in der Debatte auf dem ersten Weg des Verbots zu liegen. Ich finde es wichtig, dass wir uns viel mehr als bisher auch über die Wege 2 und 3 unterhalten. Denn mindestens als mittel- bis langfristige Lösung hin zu einer digital mündigen Gesellschaft scheinen sie mir komplexer, aber gerade deshalb wahrscheinlich mindestens ebenso wichtig zu sein. In jedem Fall freue ich mich über die Diskussion, die längst überfällig ist.

Update, 6. Januar 2025: Mir ist noch eine weitere Möglichkeit eingefallen: Man könnte auch eine alternative Badestelle gestalten und für deren Nutzung werben. Übertragen auf Social Media wären wir dann beim Fediverse.


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