Mit der Europäischen Plattform für Erwachsenenbildung in Europa (EPALE) habe ich in den vergangenen vier Wochen (= im Mai und Juni 2025) ein Experiment für ein sehr selbstbestimmtes Lernen gestartet. Es handelte sich um die EPALE Akademie. Das ist ein offenes und freiwilliges Lernangebot, das sich an interessierte Menschen aus der Erwachsenenbildung richtet und regelmäßig zu unterschiedlichen Themen und in unterschiedlichen Formaten stattfindet. Unser Thema war Twin Transition, also die verschränkte Betrachtung der Transformationsprozesse von Digitalisierung und Nachhaltigkeit in der Erwachsenenbildung.
Für mich war es das erste, längere Lernangebot, bei dem ich sehr konsequent und bewusst auf klassischen Input vollständig verzichtet habe und Lernende stattdessen dazu angeregt habe, sich das für sie relevante Wissen zu dem Themengebiet selbstständig, unter Nutzung von KI-Technologie und im Austausch miteinander zu erschließen und zu entwickeln.
In diesem Blogbeitrag teile ich meine Konzeption des Lernangebots sowie meine Reflexion dazu. Vielleicht kannst du das eine oder andere davon in deiner pädagogischen Praxis weiternutzen.
Meine Perspektive auf Twin Transition in der Bildung
Wie oben beschrieben meint Twin Transition die verschränkende Betrachtung der beiden großen Transformationsprozesse von Digitalisierung und Nachhaltigkeit. In der Bildung blicke ich auf Twin Transition weniger als ein Lernen über Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Wichtiger finde ich es, Lernende zu gesellschaftlicher Handlungsfähigkeit in einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft zu befähigen und sie dazu ermutigen, für eine nachhaltige Entwicklung zu wirken.

Hier gibt es einen 3-Minuten-Podcast von mir zu Twin Transition, den ich auch im Rahmen des Lernangebots verwendet habe.
Konsequenzen für die pädagogische Konzeption
Dieser inhaltlich-strategische Blick auf Twin Transition hatte direkte Konsequenzen für die pädagogische Konzeption. Denn ich wollte vor diesem Hintergrund einen pädagogischen Doppeldecker gestalten:
- Lernenden ermöglichen, relevantes Wissen und Ideen zu erhalten, wie sie Twin Transition in ihrer jeweiligen pädagogischen Praxis umsetzen können.
- Lernenden ermöglichen, eine veränderte Art von Lernen praktisch zu erleben, so dass sie das dann auch in ihrer pädagogischen Praxis umsetzen können.
Umgesetzt habe ich das, indem ich erstens konsequent vom Lernen ausgegangen bin. Das bedeutet, dass immer an den Vorerfahrungen und Fragen der Lernenden angesetzt wurde und sie dabei unterstützt wurden, ihre Lernprozesse selbst zu gestalten und zu reflektieren. Zweitens kam KI-Technologie im Sinne einer LernAssistenz zum Einsatz. Drittens sorgte ich für einen guten, möglichst prägnant erklärbaren Rahmenbau, der vor allem auch Austausch mit Peers sicherstellte. Und viertens konnten Lernende flexibel und freiwillig entscheiden, was sie wann und wie lernen wollten.

Grundsätzlicher Aufbau
Das Lernangebot lief über vier Wochen mit einem kurzen, 30minütigen Auftakt zum Onboarding und anschließenden, wöchentlichen Lernimpulsen. Zum Abschluss trafen wir uns für zwei Stunden für eine gemeinsame Auswertung.
Die Lernimpulse wurden über die Website Twin-Transition-Lernen.de zur Verfügung gestellt. Zusätzlich gab es eine eingerichtete Messenger-Gruppe über Signal.
Für das Gelingen des Lernangebots finde ich vor allem drei Aspekte der Konzeption wichtig:
1. Strukturierter Fragen-Rahmen
Ich wollte erreichen, dass Lernende sich das Thema Twin Transition für ihre pädagogische Praxis erschließen konnten. Aufgrund der Vielfalt der Hintergründe der Teilnehmenden brauchte es hierfür einen gemeinsamen Rahmen, der erstens offen genug war, um allen ihren Lernweg zu ermöglichen. Zweitens sollte darin sowohl die Erschließung von bestehendem Wissen, als auch die Entwicklung eigener Ideen möglich sein. Drittens musste vor dem Hintergrund des Selbstlernens auch der Aspekt der Motivation und der Entwicklung eines eigenen Anliegens berücksichtigt werden.
Um das zu erreichen kombinierte ich den so genannten ‚Golden Circle‘ mit der Aufforderung immer erst mit dem ‚Warum?‘ zu beginnen, mit der ‚What? So what? Now what?‘ Methode der Liberating Structures.
Daraus ergaben sich (sehr passend für die vier Wochen Lernzeit) vier Lerneinheiten:
- Warum ist Twin Transition für dich ein relevantes Thema?
- Was genau ist mit Twin Transition gemeint?
- Welche Schlussfolgerungen ziehst du daraus?
- Wie willst du Twin Transition in deiner pädagogischen Praxis angehen?

Ich habe mich darum bemüht, jede dieser Lerneinheiten ähnlich aufzubauen:
- mit einer Erläuterung der Frage
- mit einem Impuls (als Audio oder Video) von mir zur Beschreibung des vorgeschlagenen Vorgehens beim Lernen
- mit einer konkreten ‚Anleitung‘
- mit einer Einladung zur Reflexion
Besonders stimmig fand ich Lerneinheit 2: Hier ist es – zumindest meiner Einschätzung nach – sehr gut gelungen, dass ich nicht Input, sondern Navigationsunterstützung vorgab. Du kannst dir die Einheit hier ansehen.
2. Austausch-Räume
In keinem Fall wollte ich ein Lernangebot, bei dem alle nur für sich selbst lernen. Vor diesem Hintergrund habe ich erstens direkt in das Lernangebot Austauschräume vorgesehen:
- Wir hatten eine gemeinsame Signal-Gruppe, die jetzt auch nach dem Lernangebot bestehen bleibt und aus der sich im besten Fall eine Community of Practice entwickeln kann.
- Für jede Woche konnte man sich für einen Lernbuddy-Austausch anmelden. Aus allen Anmeldungen habe ich dann immer per Zufall Paare gebildet, die ihre Kontaktdaten gegenseitig erhielten und sich dann eigenständig verabreden konnten.

Zweitens habe ich immer wieder dazu eingeladen, auch das eigene Netzwerk für Resonanz zu nutzen. Etwa durch die Einladung via Social Media Reflexionen zum eigenen Lernen zu veröffentlichen, ein Lerntagebuch im eigenen Blog zu schreiben oder auch einfach mit Kolleg*innen in den direkten Austausch dazu zu gehen.
Schließlich gab es drittens auch noch das bereits erwähnte Onboarding und das Abschlusstreffen.
3. Scaffolding-Prinzip
Für das selbstbestimmte Lernen haben wir vor allem auf KI-Technologie im Sinne einer LernAssistenz gesetzt. Ich habe hier in den Lernimpulsen das Prinzip des Scaffoldings genutzt:
- Ich habe zunächst einen sehr klaren, weiternutzbares Prompt zum Erkunden angeboten und genau beschrieben, wie sich dieser nutzen lässt.
- Anschließend folgte die Ermutigung, auf Basis dieser ersten Erkundung zu einer eigenen Formulierung und selbst gestalteten Nutzung zu kommen.
Dieses Prinzip finde ich gerade im Kontext einer noch relativ neuen Technologie sehr zielführend.
Zum Scaffolding gehört für mich auch, dass bei Bedarf immer direkte Hilfe und Unterstützung zur Verfügung steht. Hierzu hatten wir einen prominenten ‚Hilfe‘-Button auf der Website, über den man direkt eine Frage stellen konnte.

Nachteilig kann an dieser Gestaltung sein, dass das Erkunden der Technologie wichtiger wird, als die eigentliche Erschließung der Inhalte. Das wurde so auch als eine Beobachtung im Abschlusstreffen geteilt. Optimal wäre es wahrscheinlich, jetzt auf Basis der erreichten Learnings noch einmal ein ähnliches Lernangebot zu machen und da dann den Fokus auf die Inhalte legen zu können.
Meine Reflexion und Learnings
Wir haben das Lernangebot beim Abschlusstreffen gemeinsam ausgewertet. Alle Beteiligten gaben hier an, dass sie sich solch ein Lernen auf jeden Fall auch zukünftig vorstellen können. Dieses Ergebnis muss man aber mit Vorsicht betrachten. Denn für das Lernangebot hatten sich gut 50 Personen angemeldet. Zum Auftakttreffen waren rund 40 Personen da; beim Abschlusstreffen dann nur noch knapp 20 Personen. Das bedeutet also: die, die dabei blieben, wollen solch ein Lernen auch zukünftig für sich wahrnehmen. Von denjenigen, die abgesprungen sind, weiß ich das nicht.
Der ‚Schwund‘ an Teilnehmenden wirkt hier auf den ersten Blick recht dramatisch. Auf der anderen Seite finde ich es insgesamt einen großen Erfolg, dass fast die Hälfte bei solch einem Lern-Experiment dabei blieb. Hinzu kommt, dass ich im Online-Kontext immer sehr viel Abspringen erlebe. Auch ich selbst mache das oft so, dass ich mich zu etwas anmelde, aber dann doch nur kurz reinschnuppern, aber nicht ‚richtig‘ mitlernen kann. Von denen die dabei blieben, wurde in jedem Fall die fehlende Zeit und an zweiter Stelle die Herausforderung der Selbstdisziplin beim Lernen genannt – weniger aber fehlender Austausch oder Überforderung mit den Aufgaben.

Das bringt mich auch direkt zu der für mich wichtigsten Schlussfolgerung: Wir müssen Lernen sichtbarer machen! Das bedeutet: Zu Lernangeboten wird es zukünftig unbedingt dazu gehören, sich über das Lernen selbst (nicht nur über die jeweils konkreten Inhalte) auszutauschen und dazu Räume zur Verfügung zu stellen. Die Herausforderung ist für mich hier insbesondere, auch diejenigen, die noch eher unerfahren sind, zur offenen Reflexion zu ermutigen. Das ist doppelt herausfordernd, weil erstens fehlt es in diesen Fällen oft an ‚eigenen Kanälen‘, wie einer Social Media Präsenz oder einer eigenen Website, was ich versucht hatte, durch Kommentierungsmöglichkeit auf der Website und auch durch das Angebot der Signal-Gruppe abzuschwächen. Zweitens gibt es oft noch eine größere Unsicherheit beim Lernen. (Einige erwähnten im Abschlusstreffen zum Beispiel, dass sie vom Teilen eigener Learnings abeschreckt wurden, weil andere – aus ihrer Sicht – so super professionelle Sachen geteilt hatten). An dieser Herausforderung möchte ich sehr gerne weiterdenken!
Weiternutzung & Feedback
Ich habe die Website mit den Lernimpulsen minimal überarbeitet, so dass keine direkten Links zu Formularen oder der Signal-Gruppe mehr vorhanden sind. Du kannst die Website gerne nutzen, um die Lernimpulse jetzt im Alleingang oder mit Kolleg*innen zum Lernen aufzugreifen. Außerdem können die Inhalte – ganz im Sinne der Nachhaltigkeit – gerne weiter genutzt werden.
Ich wünsche viel Freude dabei und bin immer neugierig auf Feedback und weitere Ideen!
Danke an EPALE für das gemeinsame Experimentieren und an alle Teilnehmenden, die sich darauf eingelassen haben. 🙂
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Eine Antwort
@nele Großartig! Vielen Dank fürs ausführliche Berichten und Teilen.