Künstliche Intelligenz (KI) und regenerative Nutzung scheinen ein Widerspruch in sich zu sein: Denn was hat eine Technologie, die „klimaschädlich by Design“ ist (siehe dazu den gleichnamigen Talk beim Chaos Communication Congress vor einigen Tagen), mit Regeneration zu tun? Und auch wenn man sich die gesamtgesellschaftlichen und globalen Zusammenhänge anschaut – sozial ungleicher Zugang je nach Verfügbarkeit finanzieller Mittel und Entwicklung der KI-Modelle basierend auf der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft im globalen Süden – scheint fast nichts weniger zu der Technologie zu passen als die Beschreibung „regenerativ“.
Ich bin grundsätzlich der Auffassung, dass wir auch bei diesen „großen“ Themen durch individuelle und kollektive Handlungen einen Unterschied machen können. Zum Beispiel können wir den Ressourcenverbrauch durch bewusste und achtsame Nutzung sowie vor allem durch lokale und dezentrale Installationen von KI-Tools deutlich minimieren. Außerdem können wir uns mit anderen zusammenschließen und gemeinsam politische und strukturelle Änderungen einfordern. Ich habe das zuletzt unter anderem bei der Wikimedia-Initiative „Offene und gemeinwohlorientierte KI für alle“ und der Community-Beratsschlagung zu OER und generativer KI beim OERcamp in Essen getan.
Um diese große Ebene soll es in diesem Beitrag dennoch nicht gehen. Stattdessen will ich die Mikroebene der KI-Nutzung betrachten. Meine Frage lautet: Wie kann KI-Nutzung auf der Mikroebene regenerativ gestaltet werden?
Ausgangspunkt: Regenerative Meetings
Auf die Idee zu diesem Blogbeitrag brachte mich ein Artikel in der Ausgabe 22 der Zeitschrift Neue Narrative, in dem es um regenerative Meetings ging. Auch hier wurde in Hinblick auf die Gestaltung von Meetings zum einen auf die Ressourcenfrage verwiesen: Wenn zu einem Meeting Menschen aus aller Welt eingeflogen werden, ist dieses Meeting wenig regenerativ! Zugleich wurde aber auch darauf hingewiesen, dass eine weitere Frage nicht aus dem Blick geraten sollte: Wie ist das Meeting in sozialer Hinsicht gestaltet? Ein nicht-regeneratives Meeting ist ein Meeting, das an den Kräften der Teilnehmenden zehrt und sie auslaugt. Ein regeneratives Meeting geht mit dem Energiehaushalt der Beteiligten dagegen sorgsam um und erzeugt ein Gefühl der Verbundenheit, das allen Beteiligten neue Energie gibt. Wie lässt sich dieser Gedanke nun auf KI-Nutzung übertragen?
Drei Ebenen regenerativer KI-Nutzung: inhaltlich, individuell und sozial
Bei meiner Reflexion über regenerative KI-Nutzung auf der Mikro-Ebene bin ich vor allem auf drei Ebenen gestoßen, die hier eine Rolle spielen können: die inhaltliche Ebene, die individuelle Ebene und die soziale Ebene.
Inhaltliche Ebene: Entstehen hilfreiche Inhalte?
Das Gegenteil regenerativer KI-Nutzung auf der inhaltlichen Ebene ist das Bullshitting: Es werden Inhalte um der Inhalte willen generiert, weil sich solche Inhalte dann teilen und veröffentlichen lassen – am besten SEO-optimiert. Die Inhalte können richtig oder falsch sein. Ein inhaltliches Anliegen ist mit ihnen aber nicht verbunden. Stattdessen geht es darum, auf den entsprechenden Social-Media-Plattformen oder Websites Traffic zu erzeugen. Nicht regenerativ ist solch eine KI-Nutzung, weil sie niemandem weiterhilft. Ganz im Gegenteil: In einer immer umfangreicheren Melange von Bullshitting-Inhalten wird es immer schwieriger, die relevanten Inhalte herauszufinden. Wenn KI-generierte Texte zum Training von KI-Modellen weiter verwendet werden, wird die Qualität des Outputs zudem zunehmend schlechter.
Eine regenerative KI-Nutzung auf der inhaltlichen Ebene hat stattdessen den Anspruch, hilfreiche Inhalte zu generieren. Das können Inhalte sein, die eine neue Perspektive eröffnen, weil bestimmte inhaltliche Themenfelder klug miteinander verknüpft werden. Es kann sich um eine Form von Kuratierung handeln, also der Versuch, zum Beispiel aus einer großen Menge von generierten Ideen die besten und vielversprechendsten herauszusuchen. Und es kann sich um eine Generierung handeln, mit der bestimmte Inhalte zugänglicher werden: der wissenschaftliche Text, der in einer kurzen Thesenform erst einmal einen ersten Zugriff und ein Verständnis erlaubt; ein Bot, mit dem ich einen Text mit Anleitung lesen und immer wieder nachfragen kann, wenn ich etwas nicht verstehe; oder auch die Generierung eines Transkripts zu einem Podcast, was es mir einfacher macht, dem Gespräch zu folgen.
Individuelle Ebene: Kann ich gestalten?
Genau wie auf der inhaltlichen Ebene in Bezug auf regenerative Nutzung einiges schief gehen kann, so ist das auch auf individueller Ebene. Ich habe es schon häufig erlebt, dass ich mit einer KI-Nutzung zwar zu einem geforderten Ergebnis kam, aber selbst dabei sehr unzufrieden blieb. Das ist leicht verständlich, wenn man sich klar macht, dass es uns Menschen zu eigen ist, etwas zu entwickeln und zu gestalten. Ich nenne diesen Prozess auch gerne Kreation. Zu guter Kreation gehört Intuition genauso wie Analyse – und immer ist es so, dass man ein eigenes Anliegen hat, das diesen Prozess initiiert.
Bei KI-Nutzung kann es mir passieren, dass ich Kreation aus der Hand gebe. Dann lasse ich generieren, anstatt selbst zu entwickeln und wähle aus den mir generierten Inhalten aus, anstatt weiterzudenken. Am Ende kopiere ich ein fertiges Ergebnis, das mir fremd ist – und bin damit sehr unzufrieden.
Regenerative KI-Nutzung setzt dagegen auf Kreation in einer zufriedenstellenden Form von Mensch-Maschine-Interaktion: Ich bin aktiv mit dabei, denke mit, gestalte selbst – und komme dabei zugleich deutlich besser und oft auch perspektivenreicher voran, weil ich dank generativer KI auf einen riesigen Inhalte-Fundus Zugriff habe. Natürlich setzt das eine kluge Nutzung der Technologie voraus.
Diese Darstellung zeigt, dass regenerative KI-Nutzung etwas anderes ist, als sich durch KI-Nutzung einfach mal schnell das Leben zu vereinfachen. Natürlich kann das auch ein Teil sein, dass ich durch KI-Nutzung von nervigen Aufgaben entlastet werde und dadurch mehr Zeit habe, was meinem Energiehaushalt zugute kommt. Grundsätzlich denke ich aber, dass wir nicht zu einer regenerativen KI-Nutzung auf einer individuellen Ebene kommen, wenn wir Kreation an KI-Technologie delegieren. Zumal wir dadurch in eine immer schnellere Effizienz-Spirale geraten.
Soziale Ebene: Können wir uns verbinden und kommen wir gemeinsam voran?
Die dritte von mir betrachtete Ebene einer regenerativen KI-Nutzung ist schließlich die soziale Ebene: Regenerativ ist eine KI-Nutzung dann, wenn sie mich mit anderen verbindet und Zusammenarbeit fördert.
In vielen Fällen wirkt KI-Technologie durch den vorherrschenden Ansatz der Vereinfachung und Automatisierung auch hier in eine entgegengesetzte Richtung: Ich spare mir die Zeit, eine persönliche Mail an die Kollegin zu schreiben, sondern delegiere das an ein KI-Sprachmodell. Ich entwickle nicht gemeinsam mit anderen ein Konzept und gehe dazu in die Auseinandersetzung, sondern wir übernehmen ein KI-generiertes Konzept. Ich antworte nicht selbst auf die Frage nach Unterstützung von einer Bekannten, sondern füge eine KI-generierte Aussage in meine Antwort ein … In all diesen Fällen sind wir mit anderen Menschen durch diese Form der KI-Nutzung weniger verbunden, als wir es ohne KI-Nutzung gewesen wären. Sie ist deshalb nicht regenerativ.
Auch hier geht es selbstverständlich anders: Ich kann empathischer mit anderen Menschen kommunizieren, wenn ich mich von KI-Tools unterstützen lasse und diese Nutzung gegenüber den Rezipienten transparent mache. Wir können unsere Gespräche oder Entwicklungen von KI-Modellen wunderbar strukturieren und aufbereiten lassen. So verzetteln wir uns nicht und kommen gemeinsam besser voran. Und schließlich können wir KI-Tools auch die Rolle zuweisen, nach blinden Flecken in unserer Zusammenarbeit Ausschau zu halten, mit denen wir es anderen Menschen vielleicht unbewusst erschweren, sich ebenfalls zu beteiligen – zum Beispiel, weil wir zunächst keine sehr diverse Gruppe sind und uns andere Perspektiven fehlen. Das sind nur wenige Beispiele für KI-Nutzung, die zu mehr Verbindung und erfolgreicher Zusammenarbeit führen kann. Somit handelt es sich um regenerative KI-Nutzung.
Fazit
Die dargestellten Ebenen von regenerativer KI-Nutzung sind sicherlich nicht abschließend und auch zunächst nur sehr unvollständig bearbeitet. Hauptsächlich geht es mir mit diesem Blogbeitrag darum, überhaupt die Frage nach regenerativer KI-Nutzung auf der Mikro-Ebene in die Diskussion zu bringen.
Ich nehme mir vor, mich bei KI-Nutzung immer wieder selbst zu hinterfragen, ob ich die Technologie gerade regenerativ oder nicht-regenerativ nutze – und daran dann mein Handeln auszurichten. Vielleicht hilft dir dieser Impuls bei der Gestaltung deiner KI-Nutzung ebenfalls. Ich freue mich, auch von deinen Erfahrungen zu lesen.
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