Was braucht es, um produktiv zu arbeiten, zu lehren und zu lernen?

Zum Jahresende nehme ich mir immer ein bisschen Zeit zum Aufräumen und Fertigstellen – und ein Thema, zu dem ich schon länger mal einen Blogbeitrag schreiben will, ist die Frage der Produktivität. Das Thema ist nicht zufällig gewählt. Vielmehr war 2020 für mich wie wahrscheinlich noch nie zuvor das Jahr, in dem ich sehr oft das Gefühl hatte, eigentlich viel mehr machen und schaffen zu wollen, als Zeit da war. Denn so viele Menschen waren auf der Suche nach Lernmöglichkeiten zu digitalen Tools und Methoden, dass die Anfragen geradezu explodierten. In meinem Artikel möchte ich die dabei gemachten Erfahrungen mit Produktivität aufschreiben. Ganz kurz gefasst habe ich für mich gelernt, dass ich 7 ‘Bausteine’ brauche, um produktiv zu sein: Begeisterung, Austausch, Neugierde, Freiraum, Gelassenheit, Experimentierfreude und Vielfalt.

1. Begeisterung

Wenn ich eine Aufgabe nicht als sinnvoll empfinde, dann werde ich dazu auch nichts Produktives zustande bringen. Meine ‘Sinnkrise’ war hier in der Mitte des Jahres, als ich das gefühlt 50. Einstiegswebinar zu H5P gegeben hatte – und dabei noch einmal genau das erzählt hatte, was sich auch schon in zig YouTube-Clips und aufgezeichneten Erklärvideos findet. Ich hatte den Eindruck, dass das was ich tue völlig sinnlos ist. Die Lösung war für mich, umzudenken, Einstiegswebinare anders zu konzipieren – und dadurch wieder zu merken: “Ja, wenn ich Lernangebote in dieser Form gestalte, dann bringe ich Menschen damit weiter. Es ist sinnvoll investierte Zeit.” (Ich habe dazu hier auch gebloggt)

Mein erster Rat für Produktivität lautet deshalb: Überlege Dir, ob Du Dich deshalb als unproduktiv empfindest, weil der große Rahmen Deiner Tätigkeit nicht stimmt. Wenn dem so ist, dann wird Dich wahrscheinlich kein noch so tolles Produktivitäts-Tool der Welt retten, sondern nur die Frage: “Wie kann ich zu einem Lehren und Lernen zurückfinden, das mich begeistert?”. Mein wichtigstes Learning war hierzu in diesem Jahr übrigens, dass ich Nein sagen (oder Alternativen vorschlagen) kann und sollte, wenn ich von einer Anfrage nicht überzeugt bin.

2. Austausch

Eng mit der Begeisterung verbunden ist Austausch. Für mich bedeutet das, dass ich nicht nur vor mich selbst hinwerkele, sondern so oft wie möglich mit anderen Menschen interagiere. Dieser Austausch wirkt für mich als wichtiger Antrieb für Produktivität, denn meistens ist es hier, dass ich auf neue Ideen komme, dass ich Herausforderungen erkenne, die dringend gelöst werden müssten oder dass ich erfahre, wozu ein Tool/ eine Erklärung/ ein Material fehlt. Und wenn ich dann passende Lösungen entwickelt und geteilt habe, motiviert das erhaltene Feedback dazu, gleich die nächste Herausforderung anzugehen. Interaktion sorgt somit für Produktivität, weil ich dadurch die in meinem Umfeld relevanten Herausforderungen erkenne, die ich lösen bzw. zu deren Lösung ich zumindest ein bisschen etwas beitragen kann.

(Für lehrende Personen scheint Austausch eine Selbstverständlichkeit zu sein. Im letzten Jahr habe ich aber gemerkt, dass es das in der Online-Lehre nicht zwangsläufig ist. Denn hier fallen viele ‘Zwischenräume’ weg, die in der Präsenzlehre automatisch da sind: Zum Beispiel, wenn eine Kollegin in der Kaffeepause erzählte, was sie kürzlich ausprobiert hat. Oder wenn Teilnehmende nach dem Seminar zu mir kamen und erzählten, was ihnen geholfen hat bzw. womit sie noch nicht zurecht kommen. Und in Workshops in Präsenz konnte ich immer sehr direkt beobachten, woran es hakt bzw. wo noch offene Fragen sind … Im Online-Kontext muss ich Austausch dagegen viel bewusster und gezielter gestalten.)

3. Neugierde

Neugierde bedeutet, mit einem wachen und interessierten Blick durch die Welt zu gehen. In meiner Arbeit bedeutet es für mich, mir Sachen anzuhören, zu lesen oder anzuschauen, die ich nicht direkt benötige oder brauche. Ich beschäftige mich damit einfach deshalb, weil ich sie spannend finde. Durch diese Neugierde schaffe ich mir einen ‘Nährboden’, auf dem meine Aktivitäten wunderbar wachsen und gedeihen können. Wenn ich z.B. ein Lernangebot plane und konzipiere, dann fallen wir ganz viele Dinge ein, die ich dazu schon einmal irgendwo mitbekommen oder aufgeschnappt hatte – und die ich jetzt wunderbar verwenden kann. Auf diese Weise kann ich oft sehr schnell sein, wenn ich etwas schreibe oder neu gestalte. Denn ich muss nie von vorne anfange, sondern kann auf all dem aufbauen, was sich in meinem Kopf über die letzten Jahre angesammelt hat.

4. Freiraum

Neugierde lässt sich nicht natürlich nicht verordnen – und auch nur mit dem Vorsatz dazu, ist es oft nicht getan. Mir hilft dabei der nächste Baustein: Freiraum! Als Freiberuflerin ist es meine eigene Entscheidung, wann und wieviel Freiraum ich mir nehme. Ich mache das viel und gerne, weil es meiner Erfahrung nach, Produktivität ganz wesentlich voranbringt.

Meine ‘Freiraum-Zeit in der Arbeitszeit’ gestalte ich unterschiedlich: Erstens nehme ich mir ganz bewusst Zeit, um z.B. Blogbeiträge zu lesen, durch Twitter zu scrollen, Clips anzusehen oder mich für irgendwelche Lernangebote einzuschreiben. Zweitens nehme ich mir Zeit, um gar nichts zu tun, sondern durch ‘Kopflüften’, Dinge zu sortieren und für mich klar zu kriegen. Für mich funktioniert spazieren gehen hierfür am besten. Aber es gibt sicherlich auch viele andere Möglichkeiten.

5. Gelassenheit

Neugierde kann auch lähmen. Nämlich dann, wenn man sich von all den tollen Ideen, Projekten und Tools, die auf einen einstürmen, regelrecht überwältigen lässt. Immer wieder habe ich im letzten Jahr z.B. auf Twitter sinngemäß gelesen: “Wie soll ich bei all diesen vielen Anregungen und Tools denn nur den Überblick behalten?” Mir hilft gegen diese Gefahr der Überwältigung der Baustein der Gelassenheit. Das bedeutet: Ich muss nicht alles wissen und können und ich muss mir auch nicht alles merken!

Konkret bedeutet das, dass ich mittlerweile fast vollständig auf Bookmarking-Tools verzichte. Ich habe lange versucht, damit zu arbeiten und mir Sachen abzuspeichern, sie zu kategorisieren und zu taggen – um sie dann, wenn ich sie benötige, auch in jedem Fall wiederzufinden. Mittlerweile bin ich zum Schluss gekommen, dass das in den meisten Fällen nur unnötig Zeit frisst. Wenn ich Sachen spannend finde und sie für mich relevant sind, dann arbeite ich damit. Wenn Sachen dagegen für mich nicht spannend bzw. relevant sind, dann bleiben sie auch in meinem Bookmarking-Tool unbenutzt – ich habe sie also völlig umsonst abgespeichert. Und die immer länger werdende Liste macht mich unzufrieden. Deshalb nutze ich Bookmarking-Tools für Kurzzeitspeicherung von wenigen Tagen – bis ich mich damit auseinandergesetzt habe und den Eintrag löschen kann. Und wenn ich das innerhalb einer Woche nicht getan habe, lösche ich den Eintrag auch, weil er offensichtlich für meine aktuellen Herausforderungen nicht so relevant ist. Gelassenheit bedeutet darüber hinaus, dass ich mir selbst klarmache (und das auch immer wieder erlebe), dass ich Dinge, die ich suche und brauche, durch Internetsuche oder Nachfragen in der Regel wunderbar und schnell finden kann.

Ich finde diese Art der Gelassenheit sehr entspannend. Zugleich habe ich den Eindruck, dass es mich auch viel produktiver macht. Denn so reagiere ich auf die Vielzahl der Möglichkeiten und kontinuierlichen Neuigkeiten mit dem Blick ‘Cool, was alles möglich ist und was ständig Neues entsteht’. Und nicht mit dem Blick ‘Oh je, wie soll ich das denn jemals alles schaffen’. Das treibt an und motiviert, statt zu entmutigen oder zu lähmen.

6. Experimentierfreude

Der Grund dafür, dass ich die für mich relevanten und spannenden Sachen meist recht schnell wiederfinde, liegt aus meiner Sicht vor allem in einem weiteren Produktivitäts-Baustein begründet: der Experimentierfreude! Weil ich Freude daran habe, etwas zu erkunden und auszuprobieren, nehme ich spannende Sachen nicht einfach nur zur Kenntnis, sondern mache meist direkt irgend etwas damit. Zum Beispiel probiere ich sie für mich aus oder ich blogge darüber oder ich experimentiere damit in einem meiner Lernangebote. Dadurch ergeben sich oft viele neue Anstöße, um etwas zu tun oder zu machen: Menschen fragen nach, wie etwas genau funktioniert, andere weisen mich darauf hin, dass es noch weitere Möglichkeiten damit gibt, ich mache neue Erfahrungen, an denen ich weiterdenken und weiterlernen kann … Experimentierfreude unterstützt damit nicht nur Gelassenheit und hilft beim Wiederfinden, sondern sorgt auch darüber hinaus durch den ihr innewohnenden Lerncharakter für Produktivität.

7. Vielfalt

Bis jetzt habe ich in diesem Artikel über Produktivität, noch keine einzige klassische Produktivitäts-Methode oder irgendein Produktivitäts-Tool vorgestellt. Das liegt nicht daran, dass ich solche Tools und Methoden nicht relevant finde oder nicht nutze. Für mich habe ich aber herausgefunden, dass nicht ein bestimmtes Tool oder ein bestimmte Methode für meine Produktivität besonders hilfreich ist – sondern die Vielfalt der Tools und Methoden. Ich habe im letzten Jahr zum Beispiel mit zig unterschiedlichen ToDo-Listen (online und analog) gearbeitet, habe eine Zeitlang Zwischenraum-Notizen gemacht und wieder ein bisschen davor die Pomodoro-Technik ausprobiert. Alle diese Versuche fand ich spannend, sie haben Produktivität unterstützt – bis sie sich nach ein paar Tagen abgenutzt haben oder mir doch nicht mehr gefielen. Dann habe ich wieder etwas Neues ausprobiert. Man könnte das als ein Makel sehen im Sinne von ‘Da sollte man aber doch besser mal lernen, an etwas kontinuierlich dranzubleiben’. Ich empfinde es nicht als Makel, sondern sehr bereichernd.

Vielfalt betraf auch die Art und Weise wozu und wie ich meine Lehre gestaltet habe: Wahrscheinlich hätte ich es mir im letzten Jahr auch sehr einfach machen können – und ein Standard-Lernangebot ausarbeiten und immer wieder anbieten können. Was dann gefehlt hätte wäre die Begeisterung vom Anfang gewesen. Und vor dem Hinblick der Produktivität wäre natürlich viel weniger zum Teilen entstanden. Dadurch aber, dass ich immer wieder andere Methoden ausprobierte, neue Tools entdeckte und integrierte und auch zu mir neuen Themen Anfragen annahm, lernte ich selbst dazu, produzierte dazu wiederum neue Materialien und bloggte zu meinen Erfahrungen und Learnings. Anders ausgedrückt: Ohne Vielfalt wäre vieles von dem, was ich im letzten Jahr ‘produziert’ habe, nicht entstanden.

Ist wirklich immer alles so toll?

Nein, natürlich nicht. Mir passiert es oft, dass ich an einem Blogbeitrag hänge und ihn nicht fertig geschrieben bekomme, unbedingt Flipped Materialien für ein Lernangebot fertigstellen müsste oder erst einmal ganz viel anderes mache, als das was gerade dringend erledigen müsste. Dennoch helfen mir diese sieben Bausteine als Raster, um so produktiv (und auch zufrieden) zu arbeiten, wie es wahrscheinlich möglich ist. Mit diesen Bausteinen verbunden ist auch die Erkenntnis, dass ‘Hänge-Zeiten’, in denen gefühlt gar nichts gelingt und vorangeht, zu Produktivität dazu gehören.

Deine Erfahrungen?

Ich freue mich von Deinen Erfahrungen zu lesen: Was ist für Dich wichtig, um produktiv zu lernen und zu lehren? Was hast Du dazu im letzten Jahr neu gelernt?


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