Mit dem Wertequadrat die eigene Haltung reflektieren

In Katrin Halfmanns Buch zu pädagogischer Haltung bin ich auf das Instrument des Wertequadrats gestoßen. Ich empfinde dieses Instrument für mich als sehr hilfreich, um über die eigene pädagogische Haltung zu reflektieren. Deshalb stelle ich es in diesem Blogbeitrag vor. Vielleicht ist es auch für dich hilfreich und/oder du kannst es gemeinsam mit Kolleg*innen nutzen.

Was ist das Wertequadrat?

Die grundsätzliche Idee des Wertequadrats lässt sich lange zurückverfolgen. Schon Aristoteles hatte überlegt, dass jede Tugend immer eine gegenteilige Tugend hat, mit der sie ausbalanciert sein muss, so dass sie hilfreich umgesetzt wird. Zugleich gebe es bei jeder Tugend auch ein Übermaß, mit dem eine Tugend in etwas Negatives umschlägt. Genau diese Grundgedanken führen zum Wertequadrat, wie es heute verwendet wird.

Am besten lässt sich das an einem Beispiel erläutern:
Mir ist im Kontext der Digitalisierung Offenheit für Neues sehr wichtig. Zugleich weiß ich aber, dass es immer auch kritischer Reflexion bedarf, um nicht naiv auf technologische Hypes aufzuspringen. Die beiden Tugenden meines Wertequadrats wären in diesem Fall also Offenheit für Neues und kritische Reflexion. Beide Tugenden wirken dann optimal, wenn es mir gelingt, sie gut auszubalancieren.

Wenn mir das nicht gelingt und ich mich auf der imaginären Wippe also zu sehr auf die eine oder auf die andere Seite bewege, kippt die Wippe und die frühere Tugend schlägt in ihre Untugend um.

Wenn ich also über meine Aufgeschlossenheit für Neues die ebenfalls nötige kritische Reflexion vergesse, dann droht die Tugend der Aufgeschlossenheit in naive Euphorie umzuschlagen:

Wenn ich dagegen den Fokus zu weit auf kritische Reflexion lege und dabei Aufgeschlossenheit vergesse, dann kann pauschale Ablehnung die Folge sein:

Das vollständige Wertequadrat besteht somit also aus den beiden Tugenden, die ich gut balancieren muss, damit sie nicht in ihre jeweilige Untugend umschlagen:

Wie lässt sich das Wertequadrat nutzen?

Ich finde das Wertequadrat sehr hilfreich zur Reflexion der eigenen Haltung. Das funktioniert besonders dann gut, wenn man das Quadrat nicht statisch versteht, sondern als Entwicklungsmöglichkeit. Die Wippe zeigt einem dann jeweils an, in welche Richtung man sich mehr bewegen müsste. Wenn ich also – wie im obigen Beispiel dargestellt – zu viel Aufgeschlossenheit und zu wenig kritische Reflexion in meiner Praxis nutze, dann kippt die Wippe auf die Untugend ’naive Euphorie‘ und zeigt zugleich in Richtung kritische Reflexion. Genau in diese Richtung sollte ich mich dann mehr bewegen.

So wie ich in diesem Blogbeitrag ein Wertequadrat zum Thema ‚Umgang mit Neuem‘ dargestellt habe, lässt sich das Instrument auch auf viele andere Themen übertragen. Im Prinzip lässt sich jede Tugend, die man bei sich beobachtet, entsprechend reflektieren. Das bedeutet, dass zunächst nach einer Schwesterntugend gesucht und dann überlegt wird, was jeweils die Untugenden dazu wären. Schließlich kann man reflektieren, ob das entstandene Wertequadrat gut ausbalanciert ist oder ob man sich auf der Wippe weiter in eine andere Richtung bewegen sollte.

Das Wertequadrat eignet sich sicherlich nicht nur zur individuellen Reflexion, sondern auch um in einem Team über die jeweilige pädagogische Kultur und die zugrundeliegenden Haltungen nachzudenken. In diesem Fall ist es besonders schön, dass nicht eine einzelne Person die Tugenden ausbalancieren muss, sondern dass das auch durch unterschiedliche Perspektiven und Schwerpunkte von allen Beteiligten gelingen kann. Wenn zum Beispiel viele im Kollegium sehr aufgeschlossen gegenüber Neuem sind, dann ist es sehr hilfreich, dass es auch einige Menschen gibt, die in dieser Situation kritische Reflexion beisteuern. Diesen Perspektiven dann mit Wertschätzung zu begegnen, kann ein weiteres Ergebnis der Reflexion mithilfe des Wertequadrats sein.

Warum finde ich das Wertequadrat hilfreich?

Für mich schließt sich mit dem Wertequadrat eine gedankliche Lücke, die ich häufiger empfunden habe, wenn ich mir im Kontext einer komplexen Welt die Notwendigkeit von ‚Sowohl als auch‘-Denken statt ‚Entweder Oder‘-Denken vergegenwärtigt habe. Ich fand das immer stimmig, aber ein bisschen war es mir dann oft auch zu beliebig. Mit dem Wertequadrat wird nun ein ‚Sowohl als auch‘-Denken mit der Orientierung des Ausbalancierens verbunden.

Fazit: Ausprobieren

Ich habe damit begonnen, bei pädagogischen Situationen, über die ich reflektiere, zu überlegen, welche Bezeichnungen hier jeweils für ein Wertequadrat passen würden. Das Raster sieht dabei immer identisch aus:

Wenn du für dich mit dem Wertequadrat arbeiten willst, dann empfehle ich dir, das Instrument auch auf diese Weise anzuwenden. Berichte gerne, was du damit für Erfahrungen machst. Ich bin gespannt!


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